100.000 Mark für die Brookwetterung

Bergedorfer Zeitung, 16. Juni 1921

Ein Gesetz für einen einzelnen Graben und eine Bewilligung von 100.000 Mark für nötige Arbeiten an diesem – das war schon ungewöhnlich. Es war aber wohl die beste Lösung für ein kompliziertes Problem, das in der Mitte dieses Berichts auf knapp fünf Zeilen abgehandelt wurde.

Die Brookwetterung durchzog nicht nur Altengamme, Curslack und Bergedorf, sie war auf einem Teil der Strecke der Grenzgraben zwischen Hamburg und Preußen. Ihr Wasser kam vor allem von der Geest und den Moorwiesen. Durch den Horster Damm und den Brookdeich waren Altengamme und Curslack vor einem weiteren Vordringen des Wassers nach Süden geschützt (siehe die Karte der Vierlande).

Die Altengammer und Curslacker waren also vor allem an der Unterhaltung ihrer Deiche interessiert, der Zustand der Brookwetterung war vielen von ihnen ziemlich egal – dabei waren sie für die Unterhaltung und Reinigung des Wasserlaufs zuständig und verantwortlich. Wenn aber ein „Unterlieger“ seinen Abschnitt nicht instand hielt, hatten die „Oberlieger“ Abflussprobleme, auch wenn sie vorbildliche Arbeit geleistet hatten (bzw. hätten). Die Unterhaltungspflicht oblag den zahlreichen Eigentümern („Interessenten“) der angrenzenden Grundstücke, mal bis zur Mitte des Grabens, mal auf ganzer Breite, wobei die Breite wie auch die Tiefe im Laufe der Zeit deutlich abgenommen hatte, wie es im Antrag des Senats an das Landesparlament hieß (siehe Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1921, S. 604-608).

Es war aber nicht die schiere Großzügigkeit, die Hamburg zur Übernahme der Reinigung, Verbreiterung und Vertiefung veranlasste: sowohl auf preußischem als auch auf hamburgischem Gebiet sollte auf den bisherigen Moorwiesen intensivierte Landwirtschaft und Gartenbau betrieben werden, und das setzte niedrigere Wasserstände voraus. Und zumindest einen Teil der 100.000 Mark wollte sich der Staat von den „Interessenten“ durch eine jährliche Rente zurückholen, und dazu bedurfte es des Gesetzes.

Bergedorfer Zeitung, 3. September 1921

Wer nun aber einen schnellen Beginn der Arbeiten erwartet hatte, sah sich ent- oder getäuscht. Auf den Hinweis eines Leserbriefschreibers, man möge doch jetzt, wo die Brookwetterung trockengefallen ist, das Erdreich herausschaufeln, antwortete die Landherrenschaft via BZ: Preußen sei noch nicht so weit; es müsse erst von den dortigen Unterhaltungspflichtigen eine Genossenschaft zur Erledigung der Arbeiten gegründet werden – sonst sei keine „dauernde Besserung der Verhältnisse“ zu erwarten (BZ vom 14. September 1921).

Hamburg war also schneller und großzügiger als Preußen, das offenbar keine Staatsbeihilfe zahlen wollte, aber zu schnell wollte man das bewilligte Geld nicht ausgeben.

 

 

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Die neue Lustbarkeitssteuer

BZ, 15. Juni 1921

Sicher gönnte der Staat den Menschen ihr Vergnügen bei allen möglichen Veranstaltungen, aber er wollte daran pekuniär partizipieren, indem er eine Lustbarkeitssteuer erhob, die nun neu gefasst und ausgedehnt worden war.

Das neue Gesetz galt für ganz Hamburg, also auch für Bergedorf, und so musste Bergedorf seine Lustbarkeitssteuerordnung von 1919 (siehe BZ vom 24. Juli 1919) außer Kraft setzen. Das wird dem Stadtkassierer von Bergedorf gefallen haben, denn es waren neue Steuertatbestände hinzugekommen – zu nennen wären das Schaufliegen, das Vorhalten von Musikautomaten und Spielautomaten mit Gewinnen. Die beiden letztgenannten wurden pauschal besteuert, aber für viele Veranstaltungen sollte eine „Kartensteuer“ erhoben werden, die mehr als 10 Prozent des Eintrittspreises betrug; lediglich die „konzessionierten“ Theater wie Schauspielhaus und Thalia mussten nur 10 Prozent abführen, waren also gegenüber allen anderen deutlich privilegiert (BZ vom 17. Juni 1921).

Zwar gab es wie bisher auch die Möglichkeit der Reduzierung und sogar des Erlasses der Steuer, doch davon wurde in Bergedorf sehr restriktiv Gebrauch gemacht. Nicht einmal die Hasse-Gesellschaft erfuhr so eine bevorzugte Behandlung: „Trotz wiederholter Bemühungen ist es dem Vorstand der Hasse-Gesellschaft nicht gelungen, einen Erlaß oder eine Ermäßigung der Lustbarkeitssteuer herbeizuführen. Er hielt sein Gesuch an den Magistrat für berechtigt und aussichtsreich, da die Hasse-Gesellschaft durch Verfolgung rein künstlerischer Ziele eine Kulturaufgabe erfüllt und es in ihren Veranstaltungen niemals auf Gewinnerzielung abgesehen hat.“ (BZ vom 14. Oktober 1921) Einige Veranstalter wiesen sogar explizit den Steuerzuschlag auf den Eintrittspreis aus:

Bergedorfer Zeitung, 1. Oktober 1921

Bergedorfer Zeitung, 10. Dezember 1921

 

 

 

 

 

 

 

 

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1921

In den feierfreudigen Dörfern der Vierlande und der Marschlande befassten sich laut BZ mehrere Gemeindevertretungen mit dem Thema, denn Entscheidungen über Erlass oder Verringerung fielen auf dieser Ebene. Dem nebenstehenden Bericht aus Tatenberg sind (neben hier nicht relevanten Dingen) die Lustbarkeitssteuersätze zu entnehmen.

 

 

 

 

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Das Ende des Ausnahmezustands und der Sondergerichte

Bergedorfer Zeitung, 10. Juni 1921

Der Belagerungs- bzw. Ausnahmezustand wurde aufgehoben – die „vorübergehend eingeschränkten“ Grundrechte traten nach etwa zehn Wochen wieder in Kraft. Verhängt worden war der Ausnahmezustand über Groß-Hamburg bei den Unruhen im März (siehe den Beitrag KPD-Putsch in Geesthacht) und hatte Einschränkungen wesentlicher Grundrechte der Reichsverfassung mit sich gebracht, die die Unverletzlichkeit der persönlichen Freiheit (Art. 114), der Wohnung (Art. 115), des Brief- und Telekommunikationsgeheimnisses (Art. 117), die Freiheit der Meinung und der Presse (Art. 118), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 123 und 124) und die Eigentumsgarantie (Art. 153) im „Normalzustand“ garantieren sollten.

Unruhen hatte es außer in der Stadt Hamburg vor allem in Geesthacht und Umgebung (Düneberg und Krümmel) gegeben – abgesehen von einer von Geesthacht ausgehenden bewaffneten Aktion in Altengamme (BZ vom 22. April) war in Bergedorf und den Vierlanden alles ruhig geblieben. In und um Geesthacht hatte es zahlreiche Verhaftungen gegeben, und die Verhafteten kamen vor Gericht.

Zuständig waren eigens für diesen Zweck geschaffene Sondergerichte in Hamburg und Altona, über deren Tätigkeit die BZ ausführlich (und genüsslich?) berichtete: während sie sonst oft die Namen von Angeklagten nur mit dem Initial des Nachnamens nannte, führte sie hier alle 44 Angeklagten aus Geesthacht namentlich auf (BZ vom 22. April), und dem Bericht über die Urteile war auch das jeweilige Strafmaß zu entnehmen (BZ vom 25. April), wobei allerdings ein Urteil fehlte: laut BZ gab es 41 Haftstrafen und zwei Freisprüche.

Unter den 41 Haftstrafen waren drei mehrjährige Zuchthausstrafen, verbunden mit Ehrverlust, und auf diese Weise ging der Geesthachter Gemeindevertreter August Ziehl seines Mandats verlustig: er war zu zwei Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt worden.

Die Sondergerichte leisteten schnelle Arbeit, kurz nach Ende des Ausnahmezustands wurden sie aufgehoben (BZ vom 24. Juni). Es gab aber weiter Verhaftungen und Gerichtsprozesse, letztere dann vor dem Landgericht Hamburg (BZ vom 23. September). Der „Weihnachtsurlaub“, der bei Strafen von bis zu 12 Monaten vom Reichsjustizminister „mit Aussicht auf bedingten Straferlaß“ gewährt wurde (BZ vom 22. Dezember), galt nur für die Sondergerichts-Verurteilten.

 

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Die Eröffnung der Sportanlage Marienburg

Bergedorfer Zeitung, 13. Juni 1921

Ja, Sport wurde betrieben auf der jetzt eröffneten Anlage Marienburg, aber bei der Feier, über die die BZ hier berichtete, stand die Helden-Ehrung für die Gefallenen des Vereins im Zentrum, und deswegen waren nicht nur Sportler-Delegationen vertreten, sondern auch Militärvereine, Jung-Bergedorf und die Hansa-Schule. Die letztgenannten hatten den Kriegsausgang nicht verwunden, und die Rede des Bergedorfer Pastors Blunck wird bei ihnen auf ungeteilte Zustimmung gestoßen sein.

Die Vertreter der Spiel- und Sportvereine werden eher bewundernde Blicke auf die Sportplätze geworfen haben, die auf der 30.000 qm großen Fläche entstanden waren – entstanden, wie im Beitrag über die Sportplätze in Bergedorf nachzulesen, auf Initiative und im Eigentum von Spiel und Sport Bergedorf, realisiert mit Hilfe von 100.000 Mark Spendengeldern im preußischen Wentorf.

Die Enthüllung des Gedenksteins mit anschließenden Fuß- und Schlagballspielen war nur der Auftakt zu den Eröffnungsfestivitäten (wobei der Spielbetrieb längst aufgenommen worden war, BZ vom 31. Dezember 1920). Sie wurden am folgenden Sonntag mit Konzerten der Bergedorfer Stadtkapelle und Sammlungen für die „Marienburg-Sportplatz-Spende“ fortgesetzt, wodurch 8.500 Mark in die Vereinskasse flossen (BZ vom 20. Juni 1921); das sportliche Programm setzte sich aus Faust- und Fußballspielen sowie einem Leichtathletik-Neunkampf zusammen, und auch am nächstfolgenden Sonntag gab es mit dem „Bergedorfer Spielfest“ ein reichhaltiges Bukett von Sportarten (BZ vom 16. Juni 1921). In der Woche dazwischen kämpften und spielten die Schulen um die Wette (BZ vom 11. Juni 1921).

Es handelte sich also wirklich um eine Sportanlage; sie enthielt „zwei Fußballplätze, Plätze für Faustball, Schlagball, Anlagen für die leichte Athletik. Nachzuholen sind noch die Anlagen der Tennisplätze, Anziehräumlichkeiten und sonstiger Inneneinrichtungen“ (BZ vom 17. Juni 1921).

 

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Die Freisprüche und die Fortbildungsschulpflicht

Bergedorfer Zeitung, 4. Juni 1921

War der Rechtsanwalt so gut, das Gericht so nachsichtig – oder hatte die Landherrenschaft bei der Verhängung von Strafbefehlen wegen Verstößen gegen die Fortbildungsschulpflicht heillos überzogen?

Dreizehn Freisprüche an einem Sitzungstag des Schöffengerichts Bergedorf: alle für Einwohner von Kirchwärder, alle aus demselben Grund. Wenn man das ganze Jahr 1921 betrachtet, gab es sieben Gerichtstage zu ein- und demselben Tatbestand, an denen in 71 Fällen Einsprüche von Eltern oder Arbeitgebern aus Kirchwärder verhandelt wurden. Vielleicht waren es nur 70 Fälle, denn in zwei Berichten tauchten identische Namen auf (BZ vom 29. Juli und 10. September), vielleicht war es aber ein „Wiederholungsfall“, Ergebnis: (zweimal?) Freispruch.

Insgesamt 69mal (oder 68mal?) gab es Freisprüche; für einen Fortbildungsschüler erreichte der Anwalt immerhin die Halbierung der Zahlung auf 60 Mark für zwei Verstöße (BZ vom 14. Mai), und nur ein einziges Mal hatte der Strafbefehl in voller Höhe Bestand: ein Landwirt musste wegen „unbefugten Fernhaltens seines Dienstmädchens vom Fortbildungsschulbesuch“ 60 Mark zahlen (BZ vom 13. August).

Die Freisprüche erfolgten, soweit dies den Berichten zu entnehmen war, weil ein „unbefugtes Fernhalten“ nicht nachgewiesen werden konnte – die Tatsache des Fernbleibens wurde nicht bestritten, was die Unbeliebtheit der Pflicht-Fortbildungsschule in den Dörfern widerspiegelt. Immer wieder forderten Bauern und Gärtner die Aussetzung, mindestens eine Halbierung des Unterrichts im besonders arbeitsreichen Sommerhalbjahr (siehe z.B. BZ vom 12. April 1921). Man kann sich auch vorstellen, dass Schüler sich einen sowohl arbeits- als auch schulfreien Tag genehmigten und nicht unbefugt ferngehalten wurden – aber warum hätte es in Kirchwärder anders sein sollen als in Altengamme, Curslack oder Neuengamme, von wo nicht ein einziger Streitfall in der BZ gemeldet wurde? Vielleicht waren die Lehrer in Kirchwärder (und ihnen folgend die Landherrenschaft) einfach strenger in der Anwendung der Vorschriften, nach Auffassung des Gerichts zu streng, während man woanders eher ein Auge zudrückte.

 

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Die geplante Verlängerung der höheren Knabenschule

Bergedorfer Zeitung, 2. Juni 1921

Staatsbürgerkunde und Werkunterricht hatten Einzug in den Schulalltag auch der höheren Schule gehalten – die Grundlage dafür bildete Artikel 143 Abs. 3 der Weimarer Verfassung. Hinzu kam die körperliche Ausbildung, und so meinten die Experten, man müsse der höheren Knabenschule ein zusätzliches Jahr anfügen.

Ob Prof. Ohly, Direktor der Hansaschule, von dem neuen Fach „Staatsbürgerkunde“ begeistert war, kann angesichts seiner Einstellung zum demokratischen Staat bezweifelt werden (siehe z.B. den Beitrag zur Bergedorfer Bilderstürmerei) – in seiner Schrift zur Hansa-Schule von 1925 überging er es schlicht mit Schweigen.

Bergedorfer Zeitung, 4. Februar 1921

Für die anderen neuen Fächer hatte er immerhin einige Zeilen übrig, nicht ohne implizite Beschwerde über die Oberschulbehörde: die benötigte Ausstattung für das Tischlern und das Buchbinden musste sich die Schule selbst beschaffen. Der Spendenaufruf war laut Ohly erfolgreich: die benötigten Mittel wurden „fast ganz selbst aufgebracht“ (ebd., S. 49), von der Oberschulbehörde gab es für die Buchbinderei immerhin Blöcke und gebrauchte Tischplatten.

Warum diese Erweiterung des Fächerkanons „selbst bei herabgesetzten stofflichen Zielen“ in den anderen Fächern eine Schulzeitverlängerung erfordern sollte, wie der Arbeitsausschuss für das höhere Schulwesen meinte, erschließt sich zumindest für die Hansa-Schule nicht, denn der von Ohly so bezeichnete Handfertigkeitsunterricht fand „natürlich außerhalb der eigentlichen lehrplanmäßigen Stunden“ (ebd.) statt.

Bergedorfer Zeitung, 8. Februar 1921

Die pädagogische Begründung für den „Arbeitsunterricht“ war bereits im Februar in der BZ zu lesen gewesen, offenbar um den Spendenaufruf Ohlys zu unterstützen. Über den Autor Brodersen ließ sich nichts herausfinden, aber manches in seinem Namensartikel dürfte bei Ohly auf Ablehnung gestoßen sein, vor allem die Forderung, diesen Unterricht „als obligatorisches Lehrfach an die Stelle anderer nicht so wichtiger Unterrichtsstunden“ zu setzen. Der reformorientierte Brodersen erwartete, dass dem „praktischen Leben“ die Tür ins Gymnasium geöffnet würde, und mehr noch: „Wertunterschiede der Berufsklassen“ sollten als „einfältig und verderblich“ erkannt und dadurch Standesunterschiede überwunden werden. Ohly hingegen stellte 1925 fest: „Mancher Knabe, der in den Wissenschaften nur Geringes leistete, hat gerade hier im Werkunterricht oft ungeahnte technische Anlagen gezeigt … und sich dadurch den Weg zum praktischen Beruf geebnet.“ (Ebd., S. 50)

Die Verlängerung der Schulzeit ließ trotz der neuen Fächer auf sich warten: sie kam erst 1925, kurz bevor Ohly in den Ruhestand trat (ebd., S. 61).

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Die weiterhin knappe Milch

Bergedorfer Zeitung, 31. Mai 1921

In der „Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Milch“ ging es nicht nur darum, wer Milch verkaufen, sondern auch, wer Milch beziehen durfte, und der administrativen Regelung bedurfte es, weil nicht genug für alle da war.

Die Maul- und Klauenseuche des Vorjahres wirkte nach, der Milchausfall war enorm (BZ vom 8. März 1921) – daran konnte auch das von der Landherrenschaft angebotene Kraftfutter in Form von Ölkuchen (BZ vom 14. Januar) nicht viel ändern.

Immerhin, es schien etwas mehr Milch vorhanden zu sein als in der zweiten Kriegshälfte: im Oktober 1917 hatte die Stadt Bergedorf 55 Paragraphen zum Milchverbrauch für ihre Verordnung benötigt; jetzt genügten 25 Paragraphen (vollständiger Text siehe unten). Für Kinder bis zu sechs Jahren änderte sich nichts an den Rationen, auch nicht für Kranke und Schwangere, aber der Kreis der Vollmilchversorgungsberechtigten wurde erweitert um stillende Mütter und Personen über 65 Jahre. Besondere Regelungen zur Verteilung von Magermilch (primär für Kinder von sechs bis 14 Jahren) gab es nicht mehr.

Nach wie vor gab es Milchkarten, die nach wie vor nicht garantieren konnten, dass es auch Milch gab. Aber eine neue Regelung gestattete den lizenzierten Händlern, „nach restloser Belieferung aller in der Kundenliste eingetragener Versorgungsberechtigten“ etwa noch vorhandene Milch frei zu verkaufen, während sie vorher dem Magistrat zur Verfügung gestellt werden musste – die Zwangsbewirtschaftung wurde also ein wenig gelockert. Hatte es 1917 noch drei „Klassen“ von Versorgungsberechtigungen mit Prioritätenrangfolge gegeben, so gab es nun nur noch eine, und das spricht ebenfalls für eine leicht verbesserte Lage.

Aber wer Milch wollte, musste auch bezahlen können, und das konnten nicht alle, wie der Hausfrauenverein Bergedorf in einer Klage im Sprechsaal schrieb: „Im Frieden kostete die Milch 20 Pfg, heute 5,20 M, das ist ein Aufschlag von 2500 Prozent. Die Arbeitslöhne sind durchweg …. um 800 Prozent gestiegen. Das ist kein gesundes Verhältnis.“ Die Forderung des Vereins, den Preis auf 4,40 Mark zu begrenzen (BZ vom 26. November 1921), hätte das Missverhältnis nur etwas gemildert.

Im preußischen Sande übrigens war die Milchverteilung etwas anders geregelt: dort galt das Prinzip der Versorgungsberechtigung nur bis 10 Uhr morgens – wer seinen Anspruch in Milch umwandeln wollte, musste also früh auf den Beinen sein. Ab 10 Uhr war Verkauf an jedermann (BZ vom 30. Juli 1921).

Für die Zahlungskräftigen gab es aber gute Nachrichten: das Reich gestattete „wieder Milch in Süßigkeiten“ wie z.B. Schokolade, wenn auch nur aus Dauer- und Trockenmilch bzw. -sahne, und der Import von Kondensmilch wurde freigegeben (BZ vom 23. Juli 1921).

Bergedorfer Zeitung, 31. Mai 1921

 

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Die „Schwarze Schmach“ in Sande – Rassismus pur

Bergedorfer Zeitung, 31. Mai 1921

Der hier im unteren Teil der Anzeige vorangekündigte Film wird wirklich „das Letzte“ gewesen sein, wenn auch der Inserent „das Neueste“ gemeint haben dürfte.

Der Film „Die schwarze Schmach“ war Teil einer Kampagne, betrieben besonders vom „Deutschen Notbund gegen die schwarze Schmach“ und richtete sich gegen den Einsatz außereuropäischer französischer Soldaten im besetzten Rheinland: „Der Begriff Rasse war zentral für die Konstruktion schwarzer Primitivität und weißer Zivilisation in der Kampagne“, wie Iris Wigger im Historischen Lexikon Bayerns (und in ihrer Dissertation) schreibt: „Die deutsche, weiße Frau diente im Szenario ‚Schwarzer Schmach‘ als einheitsstiftendes Sinnbild für die von Schändung bedrohte Nation und weiße Rassegemeinschaft.“ (Ebd.)

Ein Bergedorfer, der den Film sehen wollte, musste auf preußisches Gebiet, z.B. nach Sande, ausweichen, denn in Hamburg herrschte noch der Ausnahmezustand, der dem Regierungskommissar Hense die Untersagung von Vorführungen ermöglichte – im April hatte Hense auch eine Versammlung des Hamburger Ablegers des „Notbunds“ verboten, was ihm heftige Kritik der BZ eintrug (BZ vom 29. April und 6. Mai). Kurz nachdem der Ausnahmezustand aufgehoben worden war, konnte dann die Kundgebung des „Notbunds“ in Hamburg durchgeführt werden, laut BZ mit 10.000 Teilnehmern (BZ vom 17. Juni).

Die einzige Bergedorf-Meldung zum Thema fand sich in einem Bericht über eine Mitgliederversammlung des rechtsgerichteten Bundes der Landwirte im Colosseum: angeregt durch den Redner F. C. Holtz, Herausgeber der „Hamburger Warte“, wurde eine Resolution beschlossen, die Protest erhob „gegen die ungeheure Kulturschande, die unseren deutschen Brüdern und Schwestern im besetzten Gebiet angetan wird.“ (BZ vom 2. Mai)

Der Film jedenfalls durfte nicht lange gezeigt werden: aufgrund von § 1 des Lichtspielgesetzes kam am 13. August das endgültige Verbot der Film-Ober-Prüfstelle : der Film gefährde die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich; es handle sich um einen Propagandafilm, er enthalte Falschmeldungen und entstelle die wirkliche Lage.

Der Film wurde also gestoppt, doch die Propaganda ging weiter.

 

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Die patentierte Regenanlage

Bergedorfer Zeitung, 24. Mai 1921

Bergedorfer Zeitung, 28. Mai 1921

Mit wenig Geld viel Arbeit und Zeit sparen – so lässt sich zusammenfassen, was der Ingenieur Johann Michaelis den Gärtnern versprach: das von ihm erfundene System einer Beregnungsanlage für den Gartenbau sollte insbesondere die Bewässerung von Frühbeeten erleichtern.

Fensterkasten in Kirchwerder-Howe (mit gestapelten Fensterstützen zum Hochstellen der Fenster), im März 2021

Da solche Frühbeete, auch Fensterkästen genannt, heutzutage weitestgehend durch Plastikfolien-Tunnel verdrängt sind, ist neben einer Fotografie eine kurze Beschreibung eines solchen Frühbeetes angebracht, die sich vor allem auf Werner Schröder (S. 66-71) stützt: auf einen zu einer Längsseite abfallenden Holzkasten wurden Fenster von zumeist 103 x 220 cm Größe aufgelegt, die die Sonnenwärme im Kasten hielten und die Pflanzen vor Wind schützten. Ein solcher Fensterkasten konnte bis zu 16 Fenster nebeneinander haben, und viele Betriebe hatten mehrere hundert „Fenster“, die sie bestellten, um mit früh erzeugter Ware am Markt bessere Preise zu erzielen.

Die Wirtschaftsform war aber sehr arbeitsaufwändig, nicht nur, weil die Kästen im Herbst zerlegt, eingelagert und gepflegt werden mussten, sondern weil sie täglichen Einsatz forderten: bei Frostgefahr mussten Reetmatten aufgelegt werden, die am nächsten Morgen wieder aufzurollen waren, damit die Pflanzen Licht bekamen. Bei Sonnenschein bestand die Gefahr der Überhitzung, der durch „Fensterstützen“ begegnet wurde.

Das nötige Bewässern der Pflanzen war mühsam: zwei Mann mussten die Fenster „abdecken“, damit mit der Gießkanne Wasser zugeführt werden konnte, und danach die Fenster wieder zurücklegen – nach dem System Michaelis sollte eine Person „ohne die Fenster abzudecken“ die gesamte Arbeit erledigen, also „in kürzester Zeit Hunderte von Frühbeeten beregnen“.

Bergedorfer Zeitung, 15. Juli 1921

Wie Michaelis‘ System von 1921 genau aussah und wie es funktionierte, erschließt sich weder aus dem Text noch aus den Inseraten – auch Gisbert Götting von rasensprengermuseum.de konnte es nicht sagen. Wahrscheinlich wurden die Fenster mit den „hochkant“ gestellten Fensterstützen geöffnet und das Wasser mit fein verteilenden Düsen eingespritzt. Es setzte allerdings voraus, dass mittels einer Elektro- oder Benzin-Motorpumpe, die in dem Preis von 50 Mark bestimmt nicht enthalten war, kontinuierlich Wasser herangeschafft wurde, und geeignete Pumpen bot Michaelis ebenfalls an.

undatiertes Werbeblatt (Archiv Gisbert Götting)

In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurden beim Patentamt insgesamt 71 Patente (Link zur depatis-Seite, dort den Namen „Johann Michaelis“ eingeben) eingetragen, die als Erfinder Johann Michaelis nennen und Bewässerungsanlagen nebst Zubehör zum Gegenstand haben. Das erste Patent dieser Liste, wohl primär für Freilandkulturen geeignet, stammt aus dem Jahr 1924, angemeldet von den Siemens-Schuckert-Werken in Berlin, das explizit „Johann Michaelis in Berlin-Charlottenburg“ als Erfinder angibt. Es könnte sich um eine zufällige Namensgleichheit handeln, aber wie wahrscheinlich ist das? Das Michaelis-Siemens-Schuckert-Patent jedenfalls war laut rasensprengermuseum.de (Eintrag vom 12. April 2020) „seiner Zeit 1926 weit voraus“ und wurde noch nach 1945 von der Firma Gasch in Pirna nachgebaut.

Schon als Verbandsingenieur des „Zweckverbands zur Versorgung der Marsch- und Vierlande mit elektrischer Energie“ war Michaelis im Amtlichen Fernsprechverzeichnis 1920 mit einem weiteren Eintrag verzeichnet: „Projektierung u. Ausführung sämtl. elektr. Anl., Blitzableiter, Beleuchtungskörper, Wasserversorgungsanl.“ – fünf Jahre später lautete der Eintrag „Wasserversorgungs- u. Regenanl., Licht- u. Kraftanl.“, der berufliche Schwerpunkt hatte sich also verschoben. Nach 1930 tauchte er in den Adress- bzw. Telefonbüchern für Hamburg nicht mehr auf – vermutlich zog er nach Berlin; im Berliner Adressbuch 1934 war im Branchenverzeichnis unter „Regenanlagen“ eine Firma Borm & Michaelis eingetragen.

Ohne Gisbert Götting von rasensprengermuseum.de, seine Fachkenntnisse und die Materialien aus seinem Archiv wäre dieser Beitrag nicht möglich gewesen. Ihm gebührt ein ganz großer Dank.

 

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Der Streit um die Schleusen der Elbarme

Bergedorfer Zeitung, 21. Mai 1921

Nicht alle waren begeistert von dem Plan: einer der alten Elbarme in der Landherrenschaft Bergedorf, die Gose Elbe, sollte „abgeschleust“ werden, der andere, die Dove Elbe nicht, der eine also vor Tideeinfluss und Sturmfluten bewahrt werden, der andere nicht.

Für die Gebiete, die hinter der geplanten „Reitschleuse“ zwischen Reitbrook und Ochsenwärder lagen, waren die Vorteile evident: dort konnte eine Sturmflut den Deichen nichts mehr anhaben, die landwirtschaftlichen Kulturen auf dem außendeichs gelegenen Land waren vor Überschwemmungen geschützt, und die im Zuge der geplanten Entwässerung erforderlichen Pumpwerke konnten (außer bei Starkregenereignissen) verlässlich in die Gose Elbe ableiten, was wiederum auch die Binnenländereien verbesserte.

Bergedorfer Zeitung, 23. Mai 1921

Es war nicht Missgunst, die vor allem die Neuengammer, Allermöher und Tatenberger zum Protest trieb – sie befürchteten negative Folgen für ihre Gebiete. In Curslack und Neuengamme herrschte zusätzlich Verärgerung, weil ein früheres Planungsstadium auch für die Dove-Elbe den Bau einer Schleuse vorgesehen hatte: im Mai 1913 hatte der Senat die „Regulierung der Dove- und der Gose-Elbe“ bei der Bürgerschaft beantragt – mit dem Neubau noch einer weiteren Schleuse. Das Konzept enthielt folgende Punkte:

Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft im Jahre 1913, S. 376f.

Diese Planungen wurden nun schrittweise umgesetzt: nach Simone Vollstädt (S. 28) entstand die Reitschleuse 1925, die „Krapphofschleuse“ zum Schleusengraben nach Bergedorf 1930 – beide sind auf der Karte der Vierlande (online)  eingezeichnet, die Dove-Elbe-Schleuse noch nicht. Sie wurde 1934 gebaut.

Reit- und Dove-Elbe-Schleuse sind heute nicht mehr in Betrieb, sondern dauernd geöffnet; sie wurden durch den Bau der Abdämmung und der Schleuse in Tatenberg (1952) weitgehend ihrer Funktion beraubt. Das wird wohl auch (vorerst?) so bleiben, denn die im Beitrag zur Elbvertiefung genannte diskutierte Wiederöffnung der Dove-Elbe zur Strom-Elbe scheint sich erledigt zu haben. Behördenplanungen und -ideen haben aber manchmal eine sehr hohe Lebenserwartung.

 

Anmerkung: der im Artikel oben genannte Oberbaurat Osteroth hieß korrekt Heinrich Osterath – der später nach ihm benannte Deich hinter der Gose-Elbe-Schleuse durchzieht den westlichen Teil Kirchwärders.

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