Die ärmlichen Häuser an der Bojewiese

Bergedorfer Zeitung, 5. November 1921

Wer das Richtfest seines Hauses feiert, ist stolz auf das Geschaffene und erwartet von Gästen und Rednern lobende Worte. Da war es wenig taktvoll, dass der aus Hamburg angereiste Staatsrat Dr. Leo Lippmann die auf der Bojewiese entstandenen Häuser als „ärmlich und klein“ bezeichnete.

Die Bergedorfer Zeitung erschien damals ohne Fotos, aber das Hamburger Fremdenblatt hatte eine bebilderte Beilage, in der einige der Häuser und eine kahle Landschaft zu sehen sind:

Beilage zum Hamburger Fremdenblatt vom 4. November 1921 (Sammlung Söhnke Marquardt)

Lippmann hatte bestimmt recht, denn 60 Quadratmeter bebaute Fläche waren nicht viel, und moderne WCs wie in der Hamburger Sierichstraße 44, dem Wohnsitz des Staatsrats, wird es nicht gegeben haben – aber für die (zukünftigen) Bewohner der Bojewiese waren diese Häuser sicher eine spürbare Verbesserung ihrer Wohnsituation: sie hatten jetzt ihr eigenes Haus mit großem Grundstück und konnten ihre Mietwohnung verlassen.

Wie die Siedlung Riepenburg wurde auch diese, finanziell unterstützt durch den Staat, für eigens ausgewählte Kriegsbeschädigte errichtet, die dort als Gemüsebauern für den Verkauf und die Selbstversorgung wirtschaften wollten und sollten, kleine Viehhaltung eingeschlossen. Aber bis dahin war noch ein langer Weg zu beschreiten, denn der schwere Lehmboden dort war wenig geeignet für Gemüsebau (so der Landwirtschaftliche Verein für die Hamburger Marsch, BZ vom 2. April) und musste erst „in zäher Arbeit“, d.h. vor allem durch Aufbringen von Sand, dafür vorbereitet werden.

Geht man hundert Jahre später durch diese Siedlung, so stellt man fest, dass Gemüsebau keine Rolle mehr spielt. Die damals entstandenen Häuser sind im Laufe der Zeit durch An-, Um- und Neubauten erheblich gewachsen, die großen Grundstücke sind durch Bebauung in zweiter (und dritter) Reihe nicht mehr gartenbautauglich.

UPDATE Dezember 1921:

Im gerade erschienenen „Lichtwark“ Nr. 82 (S. 28-51) stellt Jörn Lindemann die Geschichte der Siedlung ausführlich und mit zahlreichen Abbildungen versehen bis heute dar.

 

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Zentnerweise teure Kartoffeln

Bergedorfer Zeitung, 5. November 1921

Alle konnten so viele Kartoffeln kaufen, wie sie wollten, denn die Zeit der Rationierung (siehe den Beitrag zur Kartoffellage) war endlich vorbei, die Reichskartoffelstelle zum 1. Juli aufgelöst, die Zwangswirtschaft beendet (Ankündigung in der BZ vom 11. März). Und es waren auch ausreichend Kartoffeln vorhanden, wie die Bergedorfer Kommission von Magistrat und Bürgervertretung festgestellt hatte – ob die Versicherung, dass es „zu einer Beunruhigung … keine Veranlassung“ gebe, die Menschen nach den Erfahrungen der Kriegsjahre nicht eher misstrauisch stimmte, sei dahingestellt.

Die Ankündigung, dass die „Produktion“ zunächst zehn Waggons Kartoffeln erhalten würde, klang wirklich beruhigend, und umgehend meldeten 320 Haushalte bei der Stadt Bedarf an, durchschnittlich sechs Zentner, was die Gesamtmenge von 2.000 Zentnern nahezu ausschöpfte (BZ vom 8. November). Und es sollte ja noch als Reserve „ein größeres Quantum“ (bis zu 10.000 Zentnern, BZ vom 30. November) ins Lager der PRO gebracht werden – auch das beruhigend.

Bergedorfer Zeitung, 17. November 1921

Wetterbedingt verzögerten sich die Lieferungen bis in die zweite Hälfte des Monats. Der Bericht nennt auch den Abgabepreis: 95 Mark pro Zentner, beim Erhalt zu bezahlen. Die nötigen Säcke mussten die Käufer mitbringen, aber so konnten sie beim Einwiegen kontrollieren, ob das Gewicht wirklich stimmte.

Bergedorfer Zeitung, 30. November 1921

Allerdings holten die Bergedorfer ihre Kartoffeln „nur sehr schleppend“ ab, wie der Magistrat zu einem Bericht der Kartoffelkommission anmerkte. Die Gründe sind unbekannt; vielleicht war es der Preis. In den vorangegangenen Wochen waren in der BZ mehrfach Kartoffeln zu 45 bis 65 Mark angeboten worden, die Preisunterschiede waren wohl sorten- und qualitätsbedingt, eine generelle Tendenz zur Verteuerung im Herbst war nicht festzustellen.

BZ, 26. November 1921

Doch im Mehrjahresvergleich waren die Preise explodiert: 1915 hatte der (amtliche) Höchstpreis 10 Pfennig pro Pfund betragen (siehe den Beitrag Vierländer vs. Maltakartoffeln). Dafür gab es 1921 nicht einmal Kartoffelschalen. Und waren lange Jahre wegen der Rationierung nur wenige Kartoffeln auf den Tisch gekommen, so wird bei vielen Familien jetzt der Preis für Knappheit gesorgt haben.

 

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Burnout der Gemeindevorsitzenden?

Bergedorfer Zeitung, 26. Oktober 1921

Die Dreifachbelastung war offenbar zu hoch für Johannes Projahn: Hauptlehrer der Schule Altengamme-Horst, Gemeindevorsitzender von Altengamme und Abgeordneter (SPD) der Hamburgischen Bürgerschaft. Er folgte dem ärztlichen Rat, einen längeren Urlaub anzutreten und wollte auch den Gemeindevorsitz abgeben, was die Gemeindevertreter aber nicht überzeugte: sie lehnten das Rücktrittsangebot ab und beauftragten ihren Kollegen Kiehn, die Amtsgeschäfte vorübergehend wahrzunehmen.

Bergedorfer Zeitung, 14. Juli 1921

Projahn war bereits der zweite Vorsitzende einer Vierländer Gemeinde, der vorzeitig aus dem Amt scheiden wollte: im Mai hatte Heinrich Grube angekündigt, dass er zum 1. Juli sein Amt niederlegen wollte (BZ vom 13. Mai) – ebenfalls aus Gesundheitsgründen, und auch bei ihm kann man von Überlastung ausgehen: zwar hatte Kirchwärder einen nebenberuflichen Gemeindeschriftführer, aber Grube musste neben seiner Tätigkeit als Vorstand der Kirchwärder Spar- und Leihkasse unter anderem den kommunalen Millionenetat verwalten, er organisierte die Kartoffel- und Torfbeschaffung für die Gemeinde und war ehrenamtlicher Vorsitzender des Zweckverbands für die Elektrifizierung des Landgebiets, siehe den Beitrag Licht fürs Land. Im Vorjahr hatte er „wegen beruflicher Überlastung“ bereits auf die Position des Schatzmeisters der vereinigten Militärvereine verzichtet (BZ vom 21. September 1920) und war auch Opfer eines tätlichen Angriffs geworden (BZ vom 7. Februar 1920).

Grube musste im Amt bleiben – trotz bedeutender Erhöhung der Amtsentschädigung war niemand bereit, den Gemeindevorsitz zu übernehmen: die anderen Mitglieder der Gemeindevertretung wollten sich die Last bis hin zu Burnout-ähnlichen Erkrankungen nicht aufbürden, was wohl auch bei den Altengammern eine Rolle gespielt haben wird.

 

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Die herbstliche Schweineschlachtung

Bergedorfer Zeitung, 28. Oktober 1921

Von einem Mann mit Messer im Mund und Schlachterschürze wurde das hier abgebildete Schwein, das wohl Böses ahnte, in eine Richtung gezogen, in die es nicht wollte: zur Schlachtbank.

 

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1921

Anzeigen mit Bezug zum Schlachten gab es in den Herbstwochen in beachtlicher Zahl: in dieser Jahreszeit wurden traditionell zahlreiche Tiere geschlachtet, denn sie hatten in den Sommermonaten, in denen das Futter (relativ) reichlich und preisgünstig war, an Gewicht so weit zugelegt, dass sie nun dem Verzehr zugeführt werden sollten. Das Fleisch wurde gepökelt, geräuchert oder eingesalzen und dadurch haltbar gemacht, auch wurde Wurst hergestellt, wofür man Gewürze und (Hafer-)Grütze brauchte.

BZ, 24. Oktober 1921

BZ, 27. Oktober 1921

Man musste das Tier nicht einmal zum Schlachter bzw. Schlachthof bringen, sondern konnte es auf dem eigenen Hinterhof erledigen lassen, und wer eine Schlachtmulde für das Fleisch benötigte, konnte diese beim Küper Pinnau in Bergedorf kaufen, auch Därme für die Wurst gab es in Zentrumsnähe in der Serrahnstraße (so z.B. eine Anzeige in der BZ vom 5. November).

Die Anbieter hatten ihre Geschäfte in Bergedorf, und das zeigt, dass dort die Schweinehaltung, die in der Kriegszeit stark zugenommen hatte (siehe den Beitrag zu Hausschweinen und Pensionsschweinen), nach wie vor verbreitet war.

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Weihnachtskringel und Affenzwinger: behördlich verordnetes Bauen

Bergedorfer Zeitung, 19. Oktober 1921

„Dieses Dach hat man mit Dachrinnen derartig versehen, daß es aussieht wie ein Weihnachtskringel“, kritisierte ein von Helga Schmal (S. 83) zitierter Maurermeister, der über einen anderen Neubau urteilte, wegen fehlender Dachüberstände sehe er aus wie „der reine Affenzwinger“. Diese (angeblichen oder wirklichen) Gestaltungsunfälle im Landgebiet waren nicht das Werk überforderter Bauherren oder Baumeister, sondern Folge der Einwirkung der Hamburger Baupflegekommission, über die man sich in den Dörfern der Vierlande wie in denen der Marschlande ärgerte (siehe z.B. BZ vom 19. April, 29. August und 13. September), und nun wollten die Gemeindevertreter gemeinsam dagegen vorgehen.

Alle Bauanträge mussten von dieser Kommission genehmigt werden, die laut Baupflegegesetz das Stadtbild pflegen sollte (siehe Kurt Rauschnabel, Stadtgestalt durch Staatsgewalt?, S. 7), und dabei traf die Kommission ohne Beteiligung der Gemeinden immer wieder Festlegungen, die vor Ort auf Unverständnis stießen: sie machte Vorschriften zur Farbe der Dachziegel (rot), Dachrinnen und Regenfallrohre (grün) und auch zur Gestaltung von Giebelpfosten (Schmal, S. 82), die im Landgebiet heftig kritisiert wurden. Diese Kritik wollte man „an zuständiger Stelle zur Sprache“ bringen, was offenbar auch geschah.

Ende des Jahres gab es eine kontroverse Debatte: in einer Versammlung der Bürger- und Kommunalvereine wurde die Behörde als „bureaukratisch und nörgelsüchtig“ bezeichnet, ihr fehle „eben die rechte Fühlung mit dem Lande.“ Der anwesende Chef des Baupflegebüros, Oberbaurat Hellweg, setzte sich zur Wehr: seine Dienststelle habe „weit eher Grund zu Beschwerden gegenüber dem Bauwesen als umgekehrt“, und wenn Bauten nicht wie genehmigt ausgeführt würden, müssten eben durch die Baupolizei Strafen verhängt werden (BZ vom 16. Dezember).

Das klingt nach einer Fortsetzung des harten Kurses der Hamburger – aber 1922 fand eine Bereisung der Vierlande durch die Kommission statt, über die Kurt Rauschnabel (S. 81) schreibt: „Wenn auch der Interessenkonflikt mit solchen Aktionen nicht ausgeräumt werden konnte, so war die nachfolgende Beurteilung doch von einem größeren Verständnis geprägt.“

Möglicherweise war dieser Teilerfolg ein Ergebnis der „Vereinigung der Landgemeinden“, die ihre Belange gegenüber dem Staat und den Landherrenschaften durchsetzen wollten. Themen gab es jedenfalls genug: Das Spektrum der im Artikel genannten Probleme reichte von der Erhebung der Gemeindesteuern, der Beschaffung von Motorspritzen für die Feuerwehren bis hin zum Teilungsrecht landwirtschaftlicher Grundstücke und zum Dauerthema Abschleusung von Dove- und Gose-Elbe.

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Die Verwahrlosung am Hundebaum

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1921

„Ein täglicher Spaziergänger“ ärgerte sich vor allem über eine marode und daher gefährliche Holztreppe, und da er sowieso am Schreiben war, rügte er in diesem Sprechsaal-Artikel auch gleich den Zustand der „alten Brauerei“, womit er die am Hundebaum gelegene Vereinsbrauerei meinte – das Bierbrauen war dort 1914 eingestellt worden, die Gebäude waren 1918 an den Bergedorfer Maurermeister Franz Meincke verkauft worden (BZ vom 12. Januar 1918), der die Gebäude abbrach, um Ziegel- und Chamottsteine sowie Fußbodenplatten aus Granit verkaufen zu können (BZ vom 29. Juli 1920). Trotz der Knappheit an Baustoffen lag mehr als ein Jahr später immer noch genug herum, um den Spaziergänger zu der Einstufung als „Trümmerfeld“ zu bringen.

Erschien ihm das Gelände der Brauerei unästhetisch, so war seines Erachtens die Holztreppe zwischen Brauerei und Bahnwärterhäuschen aufgrund ihres verwahrlosten Zustands unfallträchtig; daher forderte er die Behörden zum Handeln auf. Die Schriftleitung der BZ verwies aber darauf, dass für diese Treppe der Eisenbahnfiskus, nicht die Stadt Bergedorf, verantwortlich sei.

Bergedorfer Zeitung, 26. Oktober 1921

Das wiederum rief die Bahnmeisterei Bergedorf auf den Plan: Grundeigentümer sei die Stadt, und diese sei daher für die Instandsetzung zuständig. Dem schloss sich der Bürgervertreter Hinrichs an, der die Beamten des Bauamts rügte, weil sie den Missstand „nicht gesehen und gemeldet hätten“ (BZ vom 31. Oktober 1921).

Es spricht einiges dafür, dass die Darstellung der Bahn zutrifft, denn der Bahnwärter hatte eine (bahn-)eigene Treppe von und zu seinem Häuschen, die direkt auf den Bahnübergang zulief. Wie lange es bis zur Instandsetzung dauerte und durch wen sie vorgenommen wurde, meldete die BZ nicht: womöglich hätte sie ihren Einschub im Sprechsaal-Artikel korrigieren müssen. Das Trümmerfeld wird ebenfalls noch geblieben sein.

 

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Ehrenbuch und Baldachin

Bergedorfer Zeitung, 14. Oktober 1921

Bergedorfs Militärvereine riefen ihre Mitglieder auf, sich an der Feier zur Enthüllung des Ehrenmals in der Bergedorfer Kirche mit Orden und Ehrenzeichen zu beteiligen – sie waren ja explizit durch den Kirchenvorstand zur Beteiligung eingeladen worden. Man kann davon ausgehen, dass die in der Anzeige genannte Fahne in den Farben des Kaiserreichs gehalten war, sofern nicht die Banner der Vereine gemeint waren. Aber auch die dürften schwarz-weiß-rot gewesen sein.

 

 

Bergedorfer Zeitung, 15. Oktober 1921

Es war ein neues Kapitel im langanhaltenden Streit um die Gefallenenehrung in Bergedorf, das die von den alten Kräften getragene Kirchengemeinde hier eröffnete: das im Vorjahr von ihr angekündigte Ehrenbuch mit den Namen der Gefallenen lag unter einem drei Meter hohen Baldachin, und alles war aufwändig gestaltet, wie aus der detaillierten Beschreibung der BZ hervorgeht.

Am Tag nach der Einweihung berichtete die BZ ausführlich über die Kanzelansprache Pastor Behrmanns, die Weiherede des Kirchenvorstehers Prof. Ohly, die zahlreichen musikalischen Ummalungen und die abschließenden Kranzniederlegungen. Der Kranz des Kirchenvorstands hatte eine Schleife in schwarz-weiß-rot (BZ vom 17. Oktober).

Das Gedenken an die Gefallenen wird bei vielen Teilnehmern im Vordergrund gestanden haben – für die Veranstalter und die eingeladenen Vereine war es eher eine (politische) Demonstration der Handlungsfähigkeit, die zugleich Kritik an der Stadt ausdrücken sollte, weil diese mit ihren Planungen für ein Denkmal im öffentlichen Raum nicht vorankam.

Es kann daher nicht überraschen, dass der Bürgermeister nicht unter den Teilnehmern war.

 

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Der Kampf um höhere Löhne

Nicht nur um die Arbeiterlöhne der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn gab es 1921 eine Tarifauseinandersetzung – die Preise stiegen rasant, wie z.B. aus dem Beitrag über Milch erkennbar, die Löhne blieben dahinter weit zurück.

Bergedorfer Zeitung, 4. Oktober 1921

Streiks für höhere Löhne gab es im zweiten Halbjahr bei der BGE, den Kutschern, der Holzfabrik und der Faserstoffzurichterei sowie der Stuhlrohrfabrik von Rümcker & Ude (BZ vom 7. September, 21. und 28. Oktober und 18. November); beim Bergedorfer Eisenwerk akzeptierten die Arbeiter das wohl ohne Streik zustande gekommene Schlichtungsergebnis mit großer Mehrheit – in der Betriebsversammlung gab es nur fünf Nein-Stimmen (BZ vom 4. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 12. Oktober 1921

Anders bei der BGE: die Arbeiter lehnten ab, worauf sich Gewerkschaften und Arbeitgeber im Schlichtungsverfahren geeinigt hatten und waren auch mit einem verbesserten Angebot der BGE-Direktion nicht einverstanden, und so kam es zum Streik. Rechtlich gesehen war das ein „wilder“ Arbeitskampf: die Betriebsleitung sah sich an das Abkommen gebunden, dem auf der Verbandsebene ja auch die Arbeitnehmerorganisation zugestimmt hatte – die Arbeiter beeindruckte das zunächst nicht.

Die Streikleitung der Bergedorfer Eisenbahner reagierte sofort, sodass am folgenden Tag ihre Stellungnahme in der BZ zu lesen war:

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1921

Der  Vorwurf des „wilden“ Streiks wurde nicht als unzutreffend zurückgewiesen, aber die Kampfmaßnahme für notwendig erklärt: bisher seien Hungerlöhne gezahlt worden, offenbar schlechtere als im Handwerk und für andere Arbeiter – leider wird nur die vorgesehene Erhöhung um zunächst eine Mark pro Stunde genannt, aber nicht die absolute Lohnhöhe der Bahnarbeiter.

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1921

Man traf sich schließlich wieder am Verhandlungstisch, wohl auf noch höherer Ebene in Berlin. Ein Ergebnis meldete die BZ  nicht – im Anzeigenteil verkündete die BGE einen harten Kurs mit fristloser Kündigung bei Fortsetzung des Streiks. Ob wegen der Drohung oder wegen Nachbesserungen bei der Lohnerhöhung ist unbekannt, aber der Streik ging schnell zu Ende: am 15. Oktober war zu lesen, dass „der Betrieb in vollem Umfange wieder aufgenommen werden konnte.“

Andere Streiks in Bergedorf dauerten vermutlich länger: der Arbeitskampf bei der Faserstoffzurichterei hatte Ende Oktober begonnen – die Tarifeinigung wurde erst einen Monat später erreicht. Der Stundenlohn dort stieg dort für Arbeiter auf 9,75 Mark, für Arbeiterinnen auf 5,50 Mark (BZ vom 2. Dezember). Welche Laufzeit dieser Tarifvertrag hatte wurde nicht angegeben – der beim Eisenwerk sollte bis Jahresende gelten, konnte aber zum 15. November gekündigt werden, wenn eine „merkliche Verteuerung des Lebensunterhalts“ eintreten sollte.

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Das vorsichtige Dienstmädchen

Bergedorfer Zeitung, 7. Oktober 1921

Auch vor hundert Jahren konnte man nicht vorsichtig genug sein, wenn Menschen in angeblich offizieller Funktion an der Tür klingeln – das Dienstmädchen eines Villenhaushalts in der Roonstraße war jedenfalls hellwach: es ließ die Männer nicht in die Wohnung, sondern versicherte sich telefonisch beim Gaswerk, das ihr mitteilte, dass keine Kontrolleure unterwegs seien. Die beiden Männer hatten zwischenzeitlich das Weite gesucht, was ein Indiz für unredliche Absichten sein konnte. Da aber die BZ eine recht präzise Täterbeschreibung druckte, bestand Aussicht, dass ihnen keine Opfer in die Hände fielen: man sollte die beschriebenen Männer der Polizei melden.

Bergedorfer Zeitung, 8. Oktober 1921

Doch das Lob des Dienstmädchens kassierte die BZ am nächsten Tag wieder ein: es habe aus Überängstlichkeit und Nervosität gehandelt: die Männer waren Mitarbeiter des Elektrizitätswerks, einer davon sogar „wohlbestallt“ als Zählerrevisor, und ihr Besuch galt dem Strom-, nicht dem Gaszähler.

Der Tipp der BZ gilt auch heute noch: man lasse sich die Legitimation der Einlassbegehrenden zeigen. Das allerdings schützt nicht vor gefälschten Dienstausweisen.

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Die städtische Badewanne

Bergedorfer Zeitung, 8. Oktober 1921, Bericht über die Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung

Hatte der verdienstvolle Rektor Müller sich eine städtische Badewanne unter den Nagel gerissen, als er aus seiner Dienstwohnung ausziehen musste? Oder suchte man einen Vorwand, um ihm am Zeug flicken zu können?

Ausgangspunkt war, dass Müller seine bisherige Wohnung in der Stadtschule am Brink im Zuge der Umbaumaßnahmen für die Fortbildungsschule abgeben und umziehen musste (BZ vom 27. Mai). Seine liebgewonnene Badewanne, die der Stadt gehörte, zog mit ihm um; er wollte der Stadt dafür eine Wanne aus der neuen Wohnung überlassen.

Öffentlich bekannt wurde das Geschehen in der Sitzung der Stadtvertretung und des Magistrats: auf Anfrage des Sozialdemokraten Friedrich Frank antwortete Bürgermeister Wiesner, ebenfalls SPD, dass Müller rechtswidrig gehandelt habe, auch wenn die städtische Badewanne mittlerweile wieder der Stadt übergeben worden sei.

Bergedorfer Zeitung, 10. Oktober 1921

So ein Verhalten muss man wohl als versuchten Betrug bewerten – aber gegen die Anschuldigung wehrte sich Müllers Sohn, von Beruf Rechtsanwalt, im Namen seines Vaters: von widerrechtlicher Aneignung könne keine Rede sein, das Bauamt habe der Badewannenmitnahme und dem Tausch zugestimmt, nach Aufforderung habe er die Wanne sofort der Stadt zurückgegeben, und außerdem sei die neu bezogene Wohnung in der Brauerstraße ja auch eine Dienstwohnung.

Doch alle Beamten des Bauamts dementierten, dass sie dieser Regelung zugestimmt hätten und Müller habe auch nicht den Magistrat gefragt, erklärte Bürgermeister Wiesner in der nächsten Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung, wiederum auf Anfrage seines Parteigenossen Frank. Bürgerliche Stadtvertreter hingegen folgten offenbar zwischenzeitlich erhaltenen Angaben Müllers: es sei eine von der Stadt als Dienstwohnung angemietete und hergerichtete Wohnung, und schon dem zunächst vorgesehenen Mieter Rektor Kreyenberg sei die Überführung seiner (wohl ebenfalls stadteigenen) Badewanne dorthin gestattet worden (BZ vom 31. Oktober).

Jedenfalls wurde Rektor Müller von den Sozialdemokraten nicht besonders geschätzt:  im Krieg hatte er für die Zeichnung von Kriegsanleihen geworben (BZ vom 14. März 1916) und die Vaterlandspartei unterstützt (BZ vom 3. Oktober 1917), und als ihm per Mehrheitsbeschluss seine Zulage als Leiter zweier Schulen gestrichen wurde (BZ vom 25. Juli 1919), zog er gegen die Stadt vor Gericht und obsiegte (BZ vom 10. Dezember 1919), was ihn sicher bei den neuen Mächtigen nicht beliebter machte. Und dann hatte er sich noch wie die anderen Schulleiter geweigert, die Kaiserbilder aus der Schule zu entfernen (BZ vom 4. Oktober 1919) – die politische Abneigung zwischen Müller und den Sozialdemokraten war offensichtlich ausgeprägt, und vielleicht stand das hinter dem Streit um die Wanne.

Wer ging am Ende der Geschichte baden? Das ist unbekannt. Die Stadtväter und -mütter votierten für die weitere Untersuchung der Angelegenheit durch den Magistrat, aber ein Ergebnis meldete die BZ bis Jahresende nicht.

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