Burnout der Gemeindevorsitzenden?

Bergedorfer Zeitung, 26. Oktober 1921

Die Dreifachbelastung war offenbar zu hoch für Johannes Projahn: Hauptlehrer der Schule Altengamme-Horst, Gemeindevorsitzender von Altengamme und Abgeordneter (SPD) der Hamburgischen Bürgerschaft. Er folgte dem ärztlichen Rat, einen längeren Urlaub anzutreten und wollte auch den Gemeindevorsitz abgeben, was die Gemeindevertreter aber nicht überzeugte: sie lehnten das Rücktrittsangebot ab und beauftragten ihren Kollegen Kiehn, die Amtsgeschäfte vorübergehend wahrzunehmen.

Bergedorfer Zeitung, 14. Juli 1921

Projahn war bereits der zweite Vorsitzende einer Vierländer Gemeinde, der vorzeitig aus dem Amt scheiden wollte: im Mai hatte Heinrich Grube angekündigt, dass er zum 1. Juli sein Amt niederlegen wollte (BZ vom 13. Mai) – ebenfalls aus Gesundheitsgründen, und auch bei ihm kann man von Überlastung ausgehen: zwar hatte Kirchwärder einen nebenberuflichen Gemeindeschriftführer, aber Grube musste neben seiner Tätigkeit als Vorstand der Kirchwärder Spar- und Leihkasse unter anderem den kommunalen Millionenetat verwalten, er organisierte die Kartoffel- und Torfbeschaffung für die Gemeinde und war ehrenamtlicher Vorsitzender des Zweckverbands für die Elektrifizierung des Landgebiets, siehe den Beitrag Licht fürs Land. Im Vorjahr hatte er „wegen beruflicher Überlastung“ bereits auf die Position des Schatzmeisters der vereinigten Militärvereine verzichtet (BZ vom 21. September 1920) und war auch Opfer eines tätlichen Angriffs geworden (BZ vom 7. Februar 1920).

Grube musste im Amt bleiben – trotz bedeutender Erhöhung der Amtsentschädigung war niemand bereit, den Gemeindevorsitz zu übernehmen: die anderen Mitglieder der Gemeindevertretung wollten sich die Last bis hin zu Burnout-ähnlichen Erkrankungen nicht aufbürden, was wohl auch bei den Altengammern eine Rolle gespielt haben wird.

 

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