Hatte der verdienstvolle Rektor Müller sich eine städtische Badewanne unter den Nagel gerissen, als er aus seiner Dienstwohnung ausziehen musste? Oder suchte man einen Vorwand, um ihm am Zeug flicken zu können?
Ausgangspunkt war, dass Müller seine bisherige Wohnung in der Stadtschule am Brink im Zuge der Umbaumaßnahmen für die Fortbildungsschule abgeben und umziehen musste (BZ vom 27. Mai). Seine liebgewonnene Badewanne, die der Stadt gehörte, zog mit ihm um; er wollte der Stadt dafür eine Wanne aus der neuen Wohnung überlassen.
Öffentlich bekannt wurde das Geschehen in der Sitzung der Stadtvertretung und des Magistrats: auf Anfrage des Sozialdemokraten Friedrich Frank antwortete Bürgermeister Wiesner, ebenfalls SPD, dass Müller rechtswidrig gehandelt habe, auch wenn die städtische Badewanne mittlerweile wieder der Stadt übergeben worden sei.
So ein Verhalten muss man wohl als versuchten Betrug bewerten – aber gegen die Anschuldigung wehrte sich Müllers Sohn, von Beruf Rechtsanwalt, im Namen seines Vaters: von widerrechtlicher Aneignung könne keine Rede sein, das Bauamt habe der Badewannenmitnahme und dem Tausch zugestimmt, nach Aufforderung habe er die Wanne sofort der Stadt zurückgegeben, und außerdem sei die neu bezogene Wohnung in der Brauerstraße ja auch eine Dienstwohnung.
Doch alle Beamten des Bauamts dementierten, dass sie dieser Regelung zugestimmt hätten und Müller habe auch nicht den Magistrat gefragt, erklärte Bürgermeister Wiesner in der nächsten Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung, wiederum auf Anfrage seines Parteigenossen Frank. Bürgerliche Stadtvertreter hingegen folgten offenbar zwischenzeitlich erhaltenen Angaben Müllers: es sei eine von der Stadt als Dienstwohnung angemietete und hergerichtete Wohnung, und schon dem zunächst vorgesehenen Mieter Rektor Kreyenberg sei die Überführung seiner (wohl ebenfalls stadteigenen) Badewanne dorthin gestattet worden (BZ vom 31. Oktober).
Jedenfalls wurde Rektor Müller von den Sozialdemokraten nicht besonders geschätzt: im Krieg hatte er für die Zeichnung von Kriegsanleihen geworben (BZ vom 14. März 1916) und die Vaterlandspartei unterstützt (BZ vom 3. Oktober 1917), und als ihm per Mehrheitsbeschluss seine Zulage als Leiter zweier Schulen gestrichen wurde (BZ vom 25. Juli 1919), zog er gegen die Stadt vor Gericht und obsiegte (BZ vom 10. Dezember 1919), was ihn sicher bei den neuen Mächtigen nicht beliebter machte. Und dann hatte er sich noch wie die anderen Schulleiter geweigert, die Kaiserbilder aus der Schule zu entfernen (BZ vom 4. Oktober 1919) – die politische Abneigung zwischen Müller und den Sozialdemokraten war offensichtlich ausgeprägt, und vielleicht stand das hinter dem Streit um die Wanne.
Wer ging am Ende der Geschichte baden? Das ist unbekannt. Die Stadtväter und -mütter votierten für die weitere Untersuchung der Angelegenheit durch den Magistrat, aber ein Ergebnis meldete die BZ bis Jahresende nicht.