Weihnachtskringel und Affenzwinger: behördlich verordnetes Bauen

Bergedorfer Zeitung, 19. Oktober 1921

„Dieses Dach hat man mit Dachrinnen derartig versehen, daß es aussieht wie ein Weihnachtskringel“, kritisierte ein von Helga Schmal (S. 83) zitierter Maurermeister, der über einen anderen Neubau urteilte, wegen fehlender Dachüberstände sehe er aus wie „der reine Affenzwinger“. Diese (angeblichen oder wirklichen) Gestaltungsunfälle im Landgebiet waren nicht das Werk überforderter Bauherren oder Baumeister, sondern Folge der Einwirkung der Hamburger Baupflegekommission, über die man sich in den Dörfern der Vierlande wie in denen der Marschlande ärgerte (siehe z.B. BZ vom 19. April, 29. August und 13. September), und nun wollten die Gemeindevertreter gemeinsam dagegen vorgehen.

Alle Bauanträge mussten von dieser Kommission genehmigt werden, die laut Baupflegegesetz das Stadtbild pflegen sollte (siehe Kurt Rauschnabel, Stadtgestalt durch Staatsgewalt?, S. 7), und dabei traf die Kommission ohne Beteiligung der Gemeinden immer wieder Festlegungen, die vor Ort auf Unverständnis stießen: sie machte Vorschriften zur Farbe der Dachziegel (rot), Dachrinnen und Regenfallrohre (grün) und auch zur Gestaltung von Giebelpfosten (Schmal, S. 82), die im Landgebiet heftig kritisiert wurden. Diese Kritik wollte man „an zuständiger Stelle zur Sprache“ bringen, was offenbar auch geschah.

Ende des Jahres gab es eine kontroverse Debatte: in einer Versammlung der Bürger- und Kommunalvereine wurde die Behörde als „bureaukratisch und nörgelsüchtig“ bezeichnet, ihr fehle „eben die rechte Fühlung mit dem Lande.“ Der anwesende Chef des Baupflegebüros, Oberbaurat Hellweg, setzte sich zur Wehr: seine Dienststelle habe „weit eher Grund zu Beschwerden gegenüber dem Bauwesen als umgekehrt“, und wenn Bauten nicht wie genehmigt ausgeführt würden, müssten eben durch die Baupolizei Strafen verhängt werden (BZ vom 16. Dezember).

Das klingt nach einer Fortsetzung des harten Kurses der Hamburger – aber 1922 fand eine Bereisung der Vierlande durch die Kommission statt, über die Kurt Rauschnabel (S. 81) schreibt: „Wenn auch der Interessenkonflikt mit solchen Aktionen nicht ausgeräumt werden konnte, so war die nachfolgende Beurteilung doch von einem größeren Verständnis geprägt.“

Möglicherweise war dieser Teilerfolg ein Ergebnis der „Vereinigung der Landgemeinden“, die ihre Belange gegenüber dem Staat und den Landherrenschaften durchsetzen wollten. Themen gab es jedenfalls genug: Das Spektrum der im Artikel genannten Probleme reichte von der Erhebung der Gemeindesteuern, der Beschaffung von Motorspritzen für die Feuerwehren bis hin zum Teilungsrecht landwirtschaftlicher Grundstücke und zum Dauerthema Abschleusung von Dove- und Gose-Elbe.

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