Himmelfahrt = Hamsterfahrt

Bergedorfer Zeitung, 18. Mai 1917

Am Himmelfahrtstag wie auch zu Pfingsten machten (und machen) viele Hamburger üblicherweise Ausflüge in die schöne Umgebung, siehe die Beiträge To Pingsten, ach wie scheun und Himmelfahrt ohne Schinken und Schnaps. 1917 waren es wohl weniger Menschen, die sich bei passablem Wetter daran beteiligten, die Baumblüte betrachteten, mit musikalischer Begleitung wanderten oder z.B. die Militärkonzerte in Bahlmanns Gasthaus (Zollenspieker) besuchten, dort Kaffee und Kuchen genossen oder zu Mittag bzw. Abend speisten (siehe die Anzeige in der BZ vom 12. Mai 1917). „Nicht wenige“ wollten aber anderes: sie wollten „hamstern“, d.h. direkt bei den Bauern und Gärtnern Nahrungsmittel erwerben, und dabei hing der Kauf nicht von Lebensmittelmarken ab, sondern nur vom Portemonnaie: die Preise dürften beträchtlich über den administrativ verordneten Höchstpreisen gelegen haben (siehe dazu auch den Beitrag Kreativer Umgang mit Höchstpreisen). Solche Geschäfte waren allerdings verboten, und Käufern wie Verkäufern drohten Strafen.

Bergedorfer Zeitung, 14. Mai 1917

Hamsterfahrten gab es aber nicht nur an diesem Tag – zu Wochenbeginn hatte die BZ über einen Vorfall auf dem westmecklenburgischen Bahnhof Hagenow berichtet: die auf den Zug nach Hamburg wartenden Personen mussten ihre „gefüllten Körbe und Säcke“ der plötzlich erschienenen Polizei präsentieren, und wer keine „Ausfuhrerlaubnis“ vorweisen konnte, musste sich von „Kartoffeln, Eiern, Speck, Butter und anderen immer seltener werdenden Kostbarkeiten“ trennen, zwecks Bestrafung seine Personalien angeben und mit ebenso leeren Behältnissen die Rückfahrt antreten wie er gekommen war. Die Frustration der Betroffenen muss groß gewesen sein, und man fühlte sich ungerecht behandelt, weil man ja nur für den Eigenbedarf gekauft hatte – sonst hätte man ja die Waren bei einem der Händler, die „zu Wucherpreisen“ weiterverkauften, erwerben müssen: die Händler hätten die Strafen verdient, nicht die Selbstversorger, die den Wucherern ein Schnippchen schlugen!

Man kann dieses gespaltene Unrechtsbewusstsein durchaus nachvollziehen, aber man sollte dabei nicht übersehen, dass vielen Menschen für solche Hamsterfahrten das Geld fehlte und diese unter dem „Schleichhandel“, dem Schwarzmarkt, besonders litten, weil er die offiziellen Rationen weiter verknappte.

Ob die bevorzugte Behandlung der Soldaten auf dem Hagenower Bahnsteig, die „als Hamsterer in Feldgrau“ unbehelligt blieben, bei den Zivilisten zu lauten Protesten führte, schrieb die Zeitung nicht – aber allein die Charakterisierung als „Hamsterer in Feldgrau“ war kritischer als die BZ sich (oder die Zensur ihr) sonst erlaubte.

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Der nicht kriegsgemäße Marktplatz, die Richtpreise für Krähen, das Wildgemüse

Bergedorfer Zeitung, 12. Mai 1917

Der Bergedorfer Marktplatz war für die Bergedorfer Zeitung immer von besonderem Interesse, denn die „Bergedorfer Buchdruckerei von Ed. Wagner“, die diese Zeitung herausgab, hatte ihren Sitz „Markt 6 u. 7“. Wenn also einer der Redakteure (etwa der Redakteur und Ratmann Bauer?) auf der Suche nach einem griffigen Thema den Blick aus dem Fenster schweifen ließ, blickte er auf diesen Platz, dessen Zustand offenbar zu kritischen Formulierungen inspirierte: „vier nicht übermäßig stattliche Linden“ waren noch das schönste daran, alles andere machte „einen recht trostlosen Eindruck“ ob der „kahlen Erdscholle, auf der kein Grashalm sprießt“, kurz: der Anblick war nicht einmal als „kriegsgemäß“ zu rechtfertigen.

Dabei war der Marktplatz nicht einmal ein Jahr vorher gärtnerisch neugestaltet, „mit Epheu und anderen immergrünen Pflanzen bestellt“ worden – doch schon damals hatte die Zeitung gewarnt, dass wegen der zu niedrigen Einfriedigung „der Platz auch trotz der Bepflanzung von Kindern und Hunden zum Spielen und anderen Dingen benutzt“ werden könnte (siehe BZ vom 23. August 1916), und offenbar hatten sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Nun wollte man zumindest Gras darüber wachsen sehen.

Bergedorfer Zeitung, 14. Mai 1917

Aber den meisten Bergedorfern dürfte das Essen wichtiger gewesen sein als die Ästhetik des Marktplatzes. Angesichts der wirklich sehr schmalen Fleischrationen von 250 Gramm mit eingewachsenen Knochen pro Woche (Anfang Juni nur 125 Gramm, siehe BZ vom 2. Juni 1917) wird man jedes zusätzliche Angebot zumindest angesehen haben – und „außerordentlich wohlschmeckendes“, zudem nicht rationiertes Geflügel, im Geschmack an junge Tauben erinnernd: warum nicht, wenn der Preis stimmte? Um die Angemessenheit der Preise hatte sich sogar die „Volkswirtschaftliche Abteilung des Kriegsernährungsamts“ nach Konsultation von Experten gekümmert und Richtpreise benannt: für Krähen.

Wie groß das Angebot in Bergedorf und wie die Resonanz war, ob hier tatsächlich Krähen verzehrt wurden, muss offenbleiben, denn es ließen sich in der Bergedorfer Zeitung weder weitere Meldungen noch Inserate finden, in denen Krähen angeboten wurden. In besseren Zeiten waren diese Vögel nicht auf dem Speisezettel von Feinschmeckern zu finden, wie eine im Schleswig-Holsteinischen Wörterbuch zitierte Redensart aus der Wilstermarsch belegt: „de Kreihn sünd den Schinner sien Duben“: eine Kost, die dem Abdecker schmeckt. Andererseits kennt die heutige Landesjägerschaft Niedersachsen durchaus einige Rezepte zur Zubereitung von Krähen und nennt sie „Delikatessen der Lüfte“.

Letztlich wollen wir nichts Böses und schon gar keine Verhöhnung eines Staatssymbols unterstellen: keiner der Verantwortlichen von  den Experten über das Kriegsernährungsamt bis hin zum Verfasser des Artikels wird bei der Verzehrempfehlung daran gedacht haben, dass vom Hamburger Volksmund der preußische Wappenadler despektierlich als „de Krei vun Preußen“ (siehe Hamburgisches Wörterbuch) verspottet wurde.

Bergedorfer Zeitung, 10. Mai 1917

Wer nun aber keine Krähen essen wollte oder sie nicht bezahlen konnte, musste auf eine vegetarische Empfehlung der Bergedorfer Zeitung einige Tage vorher zurückgreifen: „Brennessel, Hirtentäschel, Gundelrebe, Löwenzahn, Schafgarbe, Scharbockskraut, Sauerampfer, Wegwart, Wiesenschaumkraut … Hederich und Ackersenf“ sollten als „Wildgemüse“ genutzt werden und „einen guten Teil zur Überwindung der Schwierigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung“ beitragen.

 

 

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Das ignorierte Jubiläum der Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn

Eigentlich ließen Bergedorf und die Bergedorfer Zeitung kein Jubiläum aus (zu zwei 50. Jahrestagen werden im zweiten Halbjahr entsprechende Beiträge im Bergedorf-Blog erscheinen), aber die 75. Wiederkehr der Eröffnung der Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn wurde nicht gefeiert.

Im Mai 1842 hatte diese erste norddeutsche Eisenbahn ihren Betrieb aufgenommen, wenn auch improvisiert und notgedrungen. Die feierliche Inbetriebnahme hatte am 7. Mai um 10 Uhr ab Hamburg erfolgen sollen, aber in Hamburg war zwei Tage zuvor der Große Brand ausgebrochen, die Eröffnungsfahrt mit Honoratioren fiel aus.

Stattdessen nutzte man die neue Bahn, um tausende obdachlos gewordene Hamburger aus der Stadt herauszubringen (sogar kostenlos), wie in dem Buch Kultur-und Geschichtskontor (Hrsg.): Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn von 1842 bei Geerd Dahms (S. 75-76) und im aktuellen Lichtwark-Heft (Nr. 78, S. 72-87) nachzulesen ist. Ob die neuerrichteten Gebäude des Italienischen Viertels in der Nähe der Bergedorfer Bahnstation als Notquartiere genutzt wurden, ist nicht überliefert. Ihren fahrplanmäßigen Betrieb nahm die Bahn dann ohne Brimborium am 17. Mai 1842 auf.

Bergedorfer Zeitung, 16. Mai 1917

Wie schon 1842 gab es auch 1917 keine Feierlichkeiten, und wiederum wird dies auf die Zustimmung der Bevölkerung gestoßen sein, denn zum  Jubilieren über die Bahn gab es 1917 keinen Anlass, selbst die Königliche Eisenbahndirektion riet von Bahnreisen ab: der gesamte Verkehr war den Bedürfnissen des Militärs untergeordnet – Sonderzüge für den Ausflugsverkehr zu Pfingsten (und auch zu Weihnachten) gab es nicht, und nur wer „notgedrungen“ reisen musste, sollte dies tun. Klagen über „maßlose Zugüberfüllungen“ nahmen im zweiten Halbjahr noch zu, und die Bahn führte zur Reduzierung der Zahl der Reisenden auf die Fahrpreise in Eil- und Schnellzügen einen Zuschlag von im Durchschnitt über 100 % ein (für z.B. eine Fahrkarte von 5 bis 10 M wurden 8 Mark Zuschlag fällig), auch die Tarife für Gepäck und Expressgut wurden verdoppelt. Da weniger Züge fuhren, konnte Soldaten ein verlängerter Urlaub bis zu zehn Tagen gewährt werden – im Gegenzug wurde die Zahl der Fronturlauber halbiert, da sie 70 Prozent der Schnellzug-Fahrgäste ausmachten (siehe BZ vom 11. und 15. Oktober, 20. und 27. November sowie 8. und 17. Dezember 1917). Wat den eenen sien Uhl …

Der diesjährige 175. „Geburtstag“ der Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn wird zwar nicht groß gefeiert, aber im auch sonst sehenswerten Bergedorfer Rathaus gibt es eine vom Kultur- und Geschichtskontor organisierte Ausstellung zu diesem Anlass: die Vernissage findet taggenau am 17. Mai 2017 statt, ab dem 18. Mai ist die Ausstellung öffentlich zugänglich (Mo – Do von 9 bis 16 Uhr, Fr. 9 bis 14 Uhr). Eintritt frei.

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Die Zauberei und ihre Vertagung

Bergedorfer Zeitung, 4. Mai 1917

Das sollte ein magischer Abend in Bergedorf werden: der „unvergleichliche Zauberkünstler und Hexenmeister“ Alois Kaßner wollte sich am Sonntag in Bergedorfs größtem Saal, dem Colosseum, dem Publikum präsentieren und kündigte wahre Zauberei an: zwanzig Tassen feinsten Mokkas, frisch gezaubert, sollten (gratis!) zur Verteilung kommen, und das bei einem Sperrsitzpreis von nur einer Mark im Vorverkauf. Angesichts des bekannten Kaffeemangels müsste allein dies für einen vollen Saal gesorgt haben, dazu das Verschwinden einer lebenden Person, feenhafte Illusionen, ein unsichtbarer Flug über das Publikum – das durfte man sich nicht entgehen lassen, zumal sich Kaßner als „Bellachini 2“ bezeichnete, d.h. als legitimer Nachfolger des berühmten Samuel Bellachini, Hofzauberkünstler Kaiser Wilhelm I.

Bergedorfer Zeitung, 8. Mai 1917

Doch wer sich auf diesen magischen Abend gefreut hatte, wurde erst einmal bitter enttäuscht, wie die nebenstehende Anzeige belegt.

Wie stand es also wirklich um die Zauberkunst des Alois Kaßner? Warum ließ sich ein solcher Hexenmeister von der „unbeständigen Frachtbeförderung“ der Bahn ausbremsen? Hätte ein Mann mit seinen Fähigkeiten nicht auf andere Weise Requisiten und Apparate heranschaffen und die Bühnendekoration als Illusion erscheinen lassen können?

Wie auch immer – Kaßner verschob den Bunten Abend auf den folgenden Mittwoch, und offenbar hatte die Frachtbeförderung nun geklappt: am Donnerstag konnte die Bergedorfer Zeitung berichten, dass die „Darbietungen das gutgelaunte Publikum bis zur letzten Minute fesselten“ (siehe BZ vom 10. Mai 1917).

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Bergedorfs Liberale und das Wahlrecht

Bergedorfer Zeitung, 4. Mai 1917

Kontrovers ging es nicht zu bei der Hauptversammlung des „Liberalen Vereins“ Bergedorf – dennoch ist der Bericht interessant, weil es auch um politische Reformen ging.

Solange sich Fortschritt in engen Grenzen hielt, waren die Liberalen dafür, siehe den Beitrag Das Wahlrechtsreförmchen in Bergedorf: gemeinsam mit Bürgermeister Walli hatte man das Bergedorfer Zensuswahlrecht leicht abgemildert, was auch als ein Kooperationssignal an die Sozialdemokraten vor Ort zu verstehen war, ebenso wenige Monate vorher die Wahl zweier Ratmänner, nämlich eines Liberalen und eines SPD-Vertreters, siehe den Beitrag Neue Ratmänner und Wahlen zur Bürgervertretung. Die eigentlich schon für den Januar 1917 geplanten Wahlen zur Bürgervertretung waren abgesagt worden, da man sich nicht über die Sitzvergabe hatte einigen können – Kampfwahlen sollten vermieden werden.

Sogar über die Ortsgrenzen hinaus befürworteten Bergedorfs Liberale eine „gemeinsame Arbeit der fortschrittlich gesinnten Parteien, von den Sozialdemokraten bis in die Reihen des Zentrums“: man zählte sich zur „Fortschrittspartei“ (eigentlich Fortschrittliche Volkspartei) und zu den Hamburger Vereinigten Liberalen und forderte „den freiheitlichen Aufbau“ des Staates Hamburg: zwar war das damals geltende Wahlrecht für die Hamburger Bürgerschaft anders als das preußische Dreiklassenwahlrecht, jedoch waren die Wirkungen durchaus vergleichbar, wie bei Hans Wilhelm Eckardt (S. 53ff.) nachzulesen ist – und in seiner  Osterbotschaft hatte Kaiser Wilhelm II. die Abschaffung der Klassenwahl zum preußischen Abgeordnetenhaus und eine Reform des Herrenhauses für die Zeit nach dem Krieg angekündigt, was auch die Rufe nach Veränderungen in Hamburg verstärkte.

Die Forderung nach drei Bürgerschaftssitzen für Bergedorf erscheint zunächst plausibel: die Bürgerschaft hatte 160 Abgeordnete – 1916 hatte Hamburg 874.776 Einwohner, also entfiel rechnerisch auf knapp 5.500 Einwohner ein Bürgerschaftsmandat, und Bergedorf hatte knapp 15.643 Einwohner (nicht 17.000, wie es im Artikel heißt; siehe Statistik des hamburgischen Staates, Band 28 (1919), S. 79 – 81). Die Rechnung lässt allerdings unberücksichtigt, dass die Hälfte der Abgeordneten von privilegierten Wählern bestimmt wurde, nämlich den Grundeigentümern und „Notablen“ (siehe Eckardt, ebd.).

Übrigens ging die Forderung der Bergedorfer Liberalen nach mehr Sitzen tatsächlich in die Beratungen der Bürgerschaft über eine Wahlrechtsreform ein: der Abgeordnete (und spätere Bürgermeister) Carl Wilhelm Petersen legte sie als Eingabe vor, doch fand sie keine Berücksichtigung: das im Juli 1917 geänderte Wahlgesetz hatte als einzigen Inhalt die Beseitigung des 1906 eingeführten Zweiklassenwahlrechts, also die Rücknahme des „Wahlrechtsraubs“ (siehe Stenographischer Bericht über die Sitzungen der Bürgerschaft zu Hamburg im Jahre 1917. Zur Entwicklung des Wahlrechts bis 1918/19 siehe die Aufsätze von Jörg Berlin und Volker Ullrich) – als Fortschritt wird man das kaum bezeichnen können, und das taten die Liberalen auch nicht.

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Die Saatkartoffeln und die Sabotage

Bergedorfer Zeitung, 1. Mai 1917

Wer Saatkartoffeln bekommen wollte, hatte seinen Bedarf schon am Anfang des Jahres 1917 anmelden müssen, und nach den Erfahrungen des vom Kartoffelmangel gekennzeichneten Steckrübenwinters hatten sicher noch mehr Bergedorfer als in den Vorjahren Interesse am Selbstanbau bekundet (siehe z.B. den Beitrag Mehr Mangel, weniger welsche Worte). Um so größer wird die Enttäuschung gewesen sein, als Bergedorfs Magistrat bekanntgab, dass „vorläufig“ nur ein Viertel der bestellten Menge zur Auslieferung kommen sollte. Da gleichzeitig den Landwirten die Zuteilung von Saatkartoffeln um 20 Prozent gekürzt wurde (siehe BZ vom 4. Mai 1917), ließ das für die Versorgung nichts Gutes erwarten.

Im benachbarten Sande sah es deutlich besser aus als in der Stadt Bergedorf: dort sollte die zur Ausgabe gelangende Menge 60 Prozent betragen, und Anfang Juni kamen weitere zwei Waggonladungen hinzu (siehe BZ vom 4. Mai und 7. Juni 1917) – ob dies genügte, muss offenbleiben. Entsprechende Meldungen bzw. Bekanntmachungen gab es für Bergedorf nicht, aber aus einer Bekanntmachung vom 26. Mai kann man erschließen, dass hier ebenfalls weiteres Setzgut geliefert wurde.

Dennoch blieb es fraglich, ob es eine zufriedenstellende Ernte würde geben können, denn zum einen wurde explizit vor der Verwendung kranker Saatkartoffeln gewarnt, die nur geringen Ertrag brächten, zum anderen führten Beißattacken der „sehr scheuen und flüchtigen kleinen grünen Wanze“ zur „Verkrüppelung des Kartoffelkrautes“ und somit zur Wachstumsschädigung (siehe BZ vom 25. April und 6. Juni 1917).

Bergedorfer Zeitung, 20. April 1917

Den professionellen Kartoffelbauern drohte angeblich sogar die Gefahr der Sabotage, sofern sie Gefangene einsetzten: Frankreich habe Kriegsgefangene aufgefordert, dem Saatgut mit speziellen „Exstirpateurs“ die Augen auszustechen – in einem Kuchen seien zwölf solcher Geräte gefunden worden (siehe BZ vom 18. und 20. April 1917), in Oberlädla (bei Merseburg) wurde ein französischer Kriegsgefangener des Ausstechens von Kartoffelkeimen überführt (siehe BZ vom 4. Mai 1917). Ob es sich hierbei um Fakten oder um alternative Fakten (Kellyanne Conway) handelte, ist mit den Mitteln dieses Blogs nicht zu klären.

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Die Jugend zieht ins Feld

Bergedorfer Zeitung, 25. April 1917

Mit einem zweistündigen Crashkurs „Landwirtschaft“ wurden 6.000 „zur Landarbeit geeignet befundene Schüler und Schülerinnen der Hamburger Schulen“ auf ihren Einsatz auf Bauernhöfen und in Gartenbaubetrieben vorbereitet, denn sie sollten (im Artikel heißt es: wollten) „dem Vaterlande dienen“. Wie wichtig den Verantwortlichen dieser Arbeitsdienst war, zeigt die Anwesenheit des kommandierenden Generals v. Falck, eines Obersten und eines Schulrats. Auch Bergedorfs Schuljugend musste/sollte/wollte einen solchen Vortrag verfolgen und dann quasi zum Kriegsteilnehmer werden: so wie die Väter und Großväter „im Felde“ standen, d.h. als Soldaten eingesetzt waren, so sollten jetzt auch die Allerjüngsten „ins Feld rücken“, womit aber eben die Landwirtschaft gemeint war.

Bergedorfer Zeitung, 25. April 1917

Die Mobilisierung der Kinder sollte den noch größer gewordenen Arbeitskräftemangel auf dem Lande kompensieren, denn die Zahl der eingesetzten Kriegsgefangenen (siehe den Beitrag Kriegsgefangene in Ochsenwerder) war reduziert worden, wie aus Kirchwerder gemeldet wurde (siehe BZ vom 26. Januar und 23. April 1917), und nach einer offiziellen Mitteilung der Inspektion der Kriegsgefangenenlager konnte von dort kein Ersatz gestellt werden.

Bergedorfer Zeitung, 24. April 1917, wiederholt am 25. April 1917

Für die Gemeinde Kirchwerder dürfte das ein schwerer Schlag gewesen sein: sie hatte am Tag zuvor und auch noch an diesem Tag per Annonce die Inhaber von Agrarbetrieben dazu aufgefordert, ihren Bedarf an „Kriegsgefangenen, Hilfsdienstpflichtigen, Hamburger Frauen oder Kindern“ beim Vorsitzenden der jeweils zuständigen Bauerschaft anzumelden. Nun musste man auf die an erster Stelle genannten Arbeitskräfte verzichten, von denen man wohl die beste Leistung erwartete; „Hamburger Frauen oder Kinder“, also landwirtschaftsferne Großstadtbewohner, dürften nicht zufällig zuletzt aufgeführt gewesen sein, obwohl sie wohl am leichtesten zu bekommen waren.

Bergedorfer Zeitung, 5. Mai 1917

Offenbar sollten schließlich doch noch Kriegsgefangene abgestellt werden, wenn auch erst zur Ernte und nicht zur Bestellung der Flächen – anders ist die nebenstehende Bekanntmachung aus der folgenden Woche nicht zu erklären.

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Der Personalmangel der Stadt und der Vaterländische Hilfsdienst

Bergedorfer Zeitung, 18. April 1917

Zu Jahresbeginn 1917 war Bergedorfs Polizei deutlich geschwächt worden, obwohl sie eigentlich mehr als genug zu tun hatte: „mehrere städtische Schutzleute“ mussten zum Militärdienst (siehe BZ vom 6. Januar 1917) und sollten nun also durch eine „Polizeihilfstruppe“ ersetzt werden. Diese sollte bei der „Verteilung von Lebensmitteln, Feuerung und dergleichen“ die Ordnung aufrechterhalten –  dass es vor Lebensmittelläden nicht immer ruhig und friedlich zuging, war ja schon in dem Beitrag Die Furien und andere Gesetzesbrecher zu lesen.
Aber bevor Waren zur Verteilung kamen, mussten sie erst von der Bahn entladen und dann zu den Lagern bzw. Händlern weiterbefördert werden, und auch hierfür brauchte man Personal, sodass gleich für einen entsprechenden Arbeitsdienst mitinseriert wurde.

Bergedorfer Zeitung, 17. März 1917

Beide Tätigkeiten galten als Beschäftigung im „Vaterländischen Hilfsdienst“, für den seit Mitte März alle rechtlichen Voraussetzungen geschaffen waren: demnach waren zunächst alle Männer zwischen 46 und 60 Jahren „meldepflichtig“, sofern sie nicht in einem der ausgenommenen Bereiche (z.B. öffentlicher Dienst, Landwirtschaft, Schifffahrt, Eisenbahn, unmittelbare Kriegsproduktion)  beschäftigt waren, und konnten zu einem Dienst verpflichtet werden (siehe den Beitrag Die Frauen und der Vaterländische Hilfsdienst). Da wird wohl mancher das Angebot der Landherrenschaften vorgezogen haben.

Ein paar Wochen später suchte auch die Hansa-Schule einen Hilfsdienstpflichtigen für „Beschäftigung in leichten Arbeiten und Botengängen“ (siehe BZ vom 15. Mai 1917); zuvor hatte schon Sande einen solchen Mann „als Feld- und Waldwärter“ gesucht (siehe BZ vom 17. März 1917), um Holz- und Felddiebstahl zu unterbinden. Diese Anzeigen erschienen nur einmal, was dafür spricht, dass alle Stellen schnell besetzt werden konnten.

 

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Teure Fracht in Himptenkiepen und Spankörben

Bergedorfer Zeitung, 12. April 1917

Es kann nicht überraschen, dass das Schifferkartell von Kirchwärder (Südseite) die Frachtsätze erhöhte, egal ob die „Schipper“ noch Segel setzten, schon den Schiffsmotor starteten oder sich schleppen ließen: die Teuerung hatte längst alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche erfasst.

Der Wasserweg war damals für große Teile der Vierlande wie der Marschlande die schnellste und beste Verbindung nach Hamburg, wohin ja die allermeisten landwirtschaftlichen Erzeugnisse gingen; der Ausbau verschiedener Straßen änderte hieran zunächst wenig (siehe die Beiträge Warme Unterkleidung und Vierländer Verkehrsstraßen und Der Krieg als Förderer des Straßenbaus). Dies spiegelt sich auch in den Berufsangaben im Bergedorfer Adressbuch 1915: für Kirchwärder (ca. 1.100 Einträge) findet man dort 40 Mal die Berufsangabe „Schiffer“ bzw. „Flußschiffer“, aber nur zweimal „Fuhrmann“ und je einmal „Fuhrwerksbesitzer“ und „Kutscher“. Bei einer Ewerbesatzung von drei bis vier Mann kann man also vermuten, dass mindestens zehn Ewer allein aus Kirchwärder ihren Dienst versahen.

Ewer auf der Dove-Elbe (Ansichtskarte von 1904)

Der Transport erfolgte auf plattbödigen Ewern, die in ihrer Bauform über Jahrhunderte fast unverändert blieben – der Förderverein Vierländer Ewer e.V. schuf einen Nachbau eines solchen „Gemüse-Ewers“, der 2013 fertiggestellt wurde und auf dessen Törns im Heimatgebiet und nach Hamburg man gegen einen Teilnehmerbeitrag mitfahren kann; eine ausführliche Darstellung zur Geschichte der Vierländer Ewer findet man bei  Hannah Rautmann (S. 96 – 111).

Bergedorfer Zeitung, 24. Februar 1917

Ebenfalls bei Hannah Rautmann und auch bei Werner Schröder gibt es zahlreiche Abbildungen von beladenen Ewern, deren zeitliche Abfolge auch erkennen lässt, wie die traditionellen Himptenkiepen (auch Himten- oder Himpenkiepen geschrieben) langsam durch Spankörbe verdrängt wurden, was auch der nebenstehende Artikel thematisierte – ein Prozess, der sich allerdings über Jahrzehnte hinzog: nach Schröder kamen in den Vierlanden die ersten Spankörbe um 1903 in Gebrauch, aber ein dort wiedergegebenes Foto (S. 99) von 1928 zeigt einen Lastkraftwagen mit zahlreichen Himptenkiepen und einigen Kisten, keine Spankörbe. Der Motorwagen gehörte der Firma Burmester aus Kirchwärder-Warwisch, die bis dahin – siehe die Anzeige oben – per Ewer transportiert hatte. Online verfügbar ist die dreihundert Jahre umspannende, gut dokumentierte und reich illustrierte Familiengeschichte der Albers Schipper, verfasst von Jürgen Albers.

Nach dem Hamburgischen Wörterbuch war Himten oder Himp(t)en sowohl als Hohlmaß von 27,481 Liter als auch als Flächenmaß für Ackerland (1 Himten war ursprünglich die Fläche, auf der 1 Himten Saatgetreide verteilt wurde) gebräuchlich – zu den historischen Maßeinheiten siehe auch den Beitrag Langlebige Ruten.

Spankörbe und (Himpten-)Kiepen unterschiedlichen Alters

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Das Gold in Ochsenwerder

Bergedorfer Zeitung, 16. April 1917

„Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles! Ach, wir Armen!“ Diese ihres Kontextes beraubten Worte Margaretens (Goethe, Faust I) beschreiben auch die Situation 1917: die Reichsbank drängte, weil sie es zur Kriegsfinanzierung brauchte, die privaten Goldbesitzer hingen daran und befanden sich im Dilemma zwischen patriotischer Haltung und Wahrung wertbeständigen Gutes.

„Die Eingänge an Goldmünzen bei den Reichsbankanstalten lassen mehr und mehr nach. Man nimmt aber an, daß immer noch erhebliche Beträge zurückgehalten werden, namentlich von der ländlichen und kleinstädtischen Bevölkerung.“  (BZ vom 23. Januar 1917) Angeblich waren „noch wenigstens 200 bis 300 Millionen Mark“ in privater Hand (BZ vom 12.März 1917), also noch halb so viel wie ein halbes Jahr zuvor, als in Bergedorf und Sande wie an vielen anderen Orten die „Goldankaufstellen“ ihre Tätigkeit aufnahmen (siehe den Beitrag Gold gab ich für Papiergeld …).

Auch Ochsenwerder schuf (im Februar 1917) eine solche Einrichtung, der es gelang, „mehrere tausend Mark Goldgeld“ zu sammeln, doch angesichts des vom Verfasser des Artikels dort vermuteten Goldgeldbestands vor Kriegsausbruch von 500.000 Mark scheint dies eine recht bescheidene Summe: die Besitzenden hielten lieber an dem fest, was sie hatten, oder sie setzten es ein, um unter der Hand Güter zu erwerben, die regulär (d.h. gegen Papiergeld) gar nicht angeboten wurden – siehe den Beitrag … Goldgeld lacht, der die Situation im Spätsommer 1915 beschreibt.

Zwar hatte das Reich erklärt, dass es nach Ende des Krieges keine Rückkehr zur Goldwährung geben würde und die Münzen „nur“ den Metallwert behalten würden, doch die Schwäche dieses Arguments war den Reichsoberen wohl klar, denn sie wollten auch ein mittelalterliches Instrument der Rechtspflege reaktivieren – den Pranger: jeder sollte per Unterschrift versichern, dass er keine Goldmünzen mehr hatte, und die Namen derer, die nicht unterschrieben, sollten veröffentlicht werden (siehe BZ vom 12. März 1917). Zumindest in Sande fand im April/Mai 1917 auch eine solche Unterschriftensammlung statt (siehe BZ vom 21. April und 12. Mai 1917).

Das Papiergeld steckte den Menschen in Ochsenwerder offenbar lockerer in den Taschen, wie die Ergebnisse zur Zeichnung der sechsten Kriegsanleihe zeigen, und was hier über Ochsenwerder berichtet wurde, dürfte in den anderen Gemeinden der Marschlande und der Vierlande ähnlich gewesen sein, doch dort fehlten der BZ offenbar die Berichterstatter.

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