Das „Italienische Viertel“ und Alexis de Chateauneuf

Das „Italienische Viertel“ wurde nicht wegen seiner Bewohner so genannt, sondern wegen dreier großer Gebäude, die italienische Namen trugen: „Frascati“, „Portici“ und „Colosseum“.

Die Gebäude entstanden in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Bau der Eisenbahn zwischen Hamburg und Bergedorf, die 1842 eröffnet wurde, in enger Nachbarschaft zum Bergedorfer Bahnhof. Alle drei waren als Ausflugslokale für Hamburger konzipiert. Auch die Eisenbahngesellschaft selbst setzte auf dieses Ausflugsgeschäft und ließ auf eigene Rechnung das größte der Häuser erbauen: das „Frascati“, südlich des Kassen- und Wärterhäuschens der Station Bergedorf auf dem heutigen Frascatiplatz gelegen. Der Ausflugsverkehr war zwar beachtlich, wie aus den höheren Fahrgastzahlen an den Sonn- und Feiertagen in den wärmeren Jahreszeiten zu schließen ist, aber großer geschäftlicher Erfolg war den Lokalen wohl nicht beschieden, wie man an häufigem Pächterwechsel und auch Herabsetzungen der Pachthöhe erkennt1. Ab 1846 nahmen die Probleme weiter zu, denn die Lokale lagen nach der Eröffnung der Fernbahnstrecke Hamburg – Berlin und der Verlegung des Bergedorfer Bahnhofs an die neue Strecke im Abseits. Die Karten von 1875 und 1904 lassen zwar den Streckenverlauf von 1842 noch gut erkennen, aber die Gleise waren längst entfernt – und das „Frascati“ war spurlos verschwunden:

Kartenausschnitt Italienisches Viertel 1875 (links) – 1904 (rechts)

In unmittelbarer Nähe zu „Frascati“, „Portici“ und „Colosseum“, die in eigenen Artikeln dargestellt werden, entstanden ein Kassen- und Wärterhaus und ein Lokomotivschuppen. Bei diesen zuletzt genannten Funktionsbauten kann kein Zweifel bestehen, dass es sich um Werke Alexis de Chateauneufs handelt, wie sich aus den entsprechenden Unterlagen im Staatsarchiv Hamburg ergibt, die u.a. von Lange2, Dahms3, Klemm4 und Knauer5 ausgewertet wurden.

Das „Coke- und Wasserhaus“, zugleich Lokomotivschuppen, wurde 1846 nach der Verlegung der Bahnstrecke abgerissen (Vgl. Klemm, ebd.). Man darf vermuten, dass dieser Holzbau anderen Orts eine neue Verwendung fand, doch belegt ist dies bisher nicht.

Ob das Kassen- und Wärterhäuschen heute noch steht, ist umstritten – aber zumindest wurde es nicht schon nach vier Jahren wieder entfernt. Die Bergedorfer verloren es allerdings im Laufe der Zeit aus dem Blick: der Plan von 1904 hielt es offenbar (wie auch „Portici“ und „Colosseum“) nicht für erwähnenswert, d.h. nicht interessant für Touristen.

Kartenausschnitt „ehemaliger Bahnhof“ 1875 (links) – 1904 (rechts)

Die wechselhafte Nutzungsgeschichte der folgenden 150 Jahre schildert Dahms6, der die 1990/91 durchgeführten Arbeiten an dem damals recht verfallenen Gebäude verdammt: „Äußerlich scheinbar intakt präsentiert sich ein Nachbau des historischen Originals, schnell zusammengefügt aus billigem Material, ohne Rücksicht auf die ursprüngliche Substanz.“ (Ebd., S. 145). In der Beurteilung der Arbeiten ähnlich, kommt Klemm zu einem milderen Fazit: „Das restaurierte Kassenhäuschen kommt … einem Neubau gleich. Trotzdem gebührt der Kassenhalle des Bergedorfer Bahnhofs ein hoher kulturgeschichtlicher Rang, zählt sie doch zu den ältesten erhaltenen Baudenkmälern aus der Frühzeit der deutschen Eisenbahn überhaupt.“ (Klemm, a.a.O., S. 238).

Heute wird das Gebäude vom Grundeigentümerverein für den Bezirk Bergedorf genutzt.


Eine kurze Notiz zum Werkverzeichnis Alexis de Chateauneuf: man kann davon ausgehen, dass es unvollständig ist, denn Chateauneufs Nachlass war noch weitgehend unausgewertet, als er im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde7.

  1. Vgl. Geerd Dahms, Die Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn von 1842. Vom Hamburger Brand zum „Italienischen Viertel“, in: Kultur- und Geschichtskontor (Hg.), Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn von 1842, Hamburg 1992, S. 69–95, hier S. 91–95 []
  2. Vgl. Günther Lange, Alexis de Chateauneuf. Ein Hamburger Baumeister 1799-1853, Hamburg 1965, S. 35 []
  3. Vgl. Geerd Dahms, Die Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn von 1842. Vom Hamburger Brand zum „Italienischen Viertel“, in: Kultur- und Geschichtskontor (Hg.), Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn von 1842, Hamburg 1992, S. 69 – 95, hier S. 78 und S. 81 – 82 []
  4. David Klemm: Chronologisches Werkverzeichnis (Werke und Projekte), in: ders. / Hartmut Frank (Hg.), Alexis de Chateauneuf 1799-1853. Architekt in Hamburg, London und Oslo. Hamburg 2000, S. 149–323, hier S. 237f. []
  5. Karl Knauer, Zur 125. Wiederkehr des Eröffnungstages der Eisenbahnlinie von Hamburg nach Bergedorf, Bergedorf 1967, S. 40ff. []
  6. Vgl. Geerd Dahms, Von der Schwierigkeit, ein Jubiläum zu begehen, in: Kultur- und Geschichtskontor (Hg.), Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn von 1842, Hamburg 1992, S. 143 – 145 []
  7. Vgl. David Klemm: Alexis de Chateauneuf – Architekt in Hamburg, London und Oslo, in: ders. / Hartmut Frank (Hg.), a.a.O., S. 11–23 []
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