Der Bergedorfer Marktplatz war für die Bergedorfer Zeitung immer von besonderem Interesse, denn die „Bergedorfer Buchdruckerei von Ed. Wagner“, die diese Zeitung herausgab, hatte ihren Sitz „Markt 6 u. 7“. Wenn also einer der Redakteure (etwa der Redakteur und Ratmann Bauer?) auf der Suche nach einem griffigen Thema den Blick aus dem Fenster schweifen ließ, blickte er auf diesen Platz, dessen Zustand offenbar zu kritischen Formulierungen inspirierte: „vier nicht übermäßig stattliche Linden“ waren noch das schönste daran, alles andere machte „einen recht trostlosen Eindruck“ ob der „kahlen Erdscholle, auf der kein Grashalm sprießt“, kurz: der Anblick war nicht einmal als „kriegsgemäß“ zu rechtfertigen.
Dabei war der Marktplatz nicht einmal ein Jahr vorher gärtnerisch neugestaltet, „mit Epheu und anderen immergrünen Pflanzen bestellt“ worden – doch schon damals hatte die Zeitung gewarnt, dass wegen der zu niedrigen Einfriedigung „der Platz auch trotz der Bepflanzung von Kindern und Hunden zum Spielen und anderen Dingen benutzt“ werden könnte (siehe BZ vom 23. August 1916), und offenbar hatten sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Nun wollte man zumindest Gras darüber wachsen sehen.
Aber den meisten Bergedorfern dürfte das Essen wichtiger gewesen sein als die Ästhetik des Marktplatzes. Angesichts der wirklich sehr schmalen Fleischrationen von 250 Gramm mit eingewachsenen Knochen pro Woche (Anfang Juni nur 125 Gramm, siehe BZ vom 2. Juni 1917) wird man jedes zusätzliche Angebot zumindest angesehen haben – und „außerordentlich wohlschmeckendes“, zudem nicht rationiertes Geflügel, im Geschmack an junge Tauben erinnernd: warum nicht, wenn der Preis stimmte? Um die Angemessenheit der Preise hatte sich sogar die „Volkswirtschaftliche Abteilung des Kriegsernährungsamts“ nach Konsultation von Experten gekümmert und Richtpreise benannt: für Krähen.
Wie groß das Angebot in Bergedorf und wie die Resonanz war, ob hier tatsächlich Krähen verzehrt wurden, muss offenbleiben, denn es ließen sich in der Bergedorfer Zeitung weder weitere Meldungen noch Inserate finden, in denen Krähen angeboten wurden. In besseren Zeiten waren diese Vögel nicht auf dem Speisezettel von Feinschmeckern zu finden, wie eine im Schleswig-Holsteinischen Wörterbuch zitierte Redensart aus der Wilstermarsch belegt: „de Kreihn sünd den Schinner sien Duben“: eine Kost, die dem Abdecker schmeckt. Andererseits kennt die heutige Landesjägerschaft Niedersachsen durchaus einige Rezepte zur Zubereitung von Krähen und nennt sie „Delikatessen der Lüfte“.
Letztlich wollen wir nichts Böses und schon gar keine Verhöhnung eines Staatssymbols unterstellen: keiner der Verantwortlichen von den Experten über das Kriegsernährungsamt bis hin zum Verfasser des Artikels wird bei der Verzehrempfehlung daran gedacht haben, dass vom Hamburger Volksmund der preußische Wappenadler despektierlich als „de Krei vun Preußen“ (siehe Hamburgisches Wörterbuch) verspottet wurde.
Wer nun aber keine Krähen essen wollte oder sie nicht bezahlen konnte, musste auf eine vegetarische Empfehlung der Bergedorfer Zeitung einige Tage vorher zurückgreifen: „Brennessel, Hirtentäschel, Gundelrebe, Löwenzahn, Schafgarbe, Scharbockskraut, Sauerampfer, Wegwart, Wiesenschaumkraut … Hederich und Ackersenf“ sollten als „Wildgemüse“ genutzt werden und „einen guten Teil zur Überwindung der Schwierigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung“ beitragen.