Not vs. Luxus

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1923

Gestützt auf ärztliche Statistiken zeichnete der Bergedorfer Frauenverein ein dramatisches Bild des Gesundheitszustands der Kinder – und hatte auch gleich „unsere Feinde“ als die Schuldigen ausgemacht. Den Leserinnen und Lesern sollten Hungerblockade und Steckrübenwinter des Ersten Weltkriegs ins Gedächtnis gerufen werden, und so kurz nach der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien öffneten Spendenappelle zugunsten deutscher Kinder sicher manche Geldbörse – man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die unbestreitbare Not der Kinder hier instrumentalisiert werden sollte.

Bergedorfer Zeitung, 27. Januar 1923

Bescheiden zeigte sich die Kirchengemeinde in Sande: ihre Kasse war offenbar leer, denn die Einnahmen aus der Kirchensteuer sollten erst im Laufe des Jahres eintreffen (BZ vom 1. Februar), und so musste man sehen, wie man an Geld kam, um zu den Konfirmationsgottesdiensten die Kirche heizen zu können. Ein Wohltätigkeitskonzert sollte das Problem lösen: 100 Mark kostete laut Anzeige eine Karte, und es gab eine „vielköpfige Zuhörermenge“ (BZ vom 12. Februar) – ob das reichte, die große Kirche wirklich warm zu heizen, wurde nicht berichtet.

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1923

Es herrschte aber nicht überall Not: wenn Hamburger Feinkostläden „teuerste und edelste Delikatessen“ in ihre Schaufenster stellten, taten sie es, weil sie damit Kundschaft anlocken wollten, der der Preis ziemlich egal war. Ob die Aufforderung der Konsumentenkammer tatsächlich zu einem „scharfen Eingreifen der Behörden“ führte, stand nicht in der BZ. Ob andere getroffene Maßnahmen wie das Verbot „unnötiger kalter Büfetts“ (BZ vom 26. Januar) und der Herstellung von Schlagsahne, die das immer noch bestehende Hamburger Kriegsversorgungsamt anordnete (BZ vom 30. Januar), die weniger wohlhabende Bevölkerung beruhigten, kann bezweifelt werden.

Bergedorfer Zeitung, 8. Januar 1923

BZ, 12. Januar 1923

Man kann aus der BZ nicht erschließen, in welchem Maß der Lebensmittel-Luxus auch in Bergedorf und Sande ein Problem war: im gesamten Monat Januar inserierten nur zwei Händler – das Angebot von Carl Gosch ging schon in Richtung Delikatesse, und auch die Würstchen konnte sich wohl nicht jeder leisten.

 

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Maßnahmen gegen Alkoholmissbrauch und Genusssucht

Bergedorfer Zeitung, 29. Januar 1923

Wer sich in einem öffentlichen Lokal einen Rausch antrinken wollte, hatte nun weniger Zeit dafür: die Polizeistunde wurde auf „12 Uhr abends“ vorverlegt, und in den letzten zwei Stunden vor Mitternacht war Bier das einzige alkoholische Getränk, das ausgeschenkt werden durfte – clevere weintrinkende Runden werden kurz vor 22 Uhr noch ein bis zwei Flaschen bestellt und geöffnet haben.

Die Polizeiverordnung wurde vor dem Hintergrund der Ruhrbesetzung und der wirtschaftlichen Lage verfügt: Reichskanzler Cuno hatte die Länderregierungen zur „Bekämpfung der Schlemmerei und des Alkoholmißbrauchs“ aufgerufen: die Mehrheit des Volkes leide schon jetzt Not, und die Ereignisse der letzten Tage steigerten die Sorgen „bis aufs höchste“, und da seien „Luxus und Gastereien üppiger Art“ zu unterbinden, „die Erlaubnis zu öffentlichen Tanzlustbarkeiten … im allgemeinen zu versagen“ (BZ vom 20. Januar 1923).

Das hatte Hamburg nun also nur teilweise umgesetzt – in der Provinz Schleswig-Holstein, zu der ja auch Sande gehörte, waren die Vorschriften einschränkender: die Polizeistunde setzte bereits um 23 Uhr ein und Tanzveranstaltungen wurden generell verboten (BZ vom 27. Januar), allerdings konnten Ausnahmen zugelassen werden (BZ vom 19. Januar). Toleranter als Hamburg war die preußische Regelung hinsichtlich der Altersgrenze:  Alkohol gab es ab 16 Jahren – ob dies zu Wanderungen Bergedorfer Jugendlicher zwischen 16 und 20 Jahren in Sander Lokalitäten führte, ließ sich nicht feststellen.

Und wer tanzen wollte, ging nach Bergedorf – in Sande beschränkten sich die Gastronomen auf Konzerte, wie aus den Anzeigen der folgenden Wochen hervorgeht.

Bergedorfer Zeitung, 29. Januar 1923

Die ansonsten ja durchaus feierfreudigen Vereine befleißigten sich in dieser Zeit der Zurückhaltung: „Spiel und Sport Bergedorf“ sagte seinen avisierten Maskenball „infolge der ernsten Zeitverhältnisse“ ab (BZ vom 25. Januar), desgleichen der Gesangverein Frohsinn sein Stiftungsfest. Ausgerechnet den Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband störten die Zeitverhältnisse nicht: er lud zu einem Bunten Abend mit nachfolgendem Ball ins Bergedorfer Colosseum (BZ vom 1. Februar).

 

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Die unterbliebene Denkmalsvernichtung

Bergedorfer Zeitung, 20. Januar 1923

Es wird bei manchen einiges Zähneknirschen gegeben haben bei dem Beschluss, die Denkmäler für Kaiser Wilhelm I. und den kaiserlichen Reichskanzler Otto von Bismarck nicht zu beseitigen – aber wenn man „schwere rechtliche Nachteile für die Stadt“ vermeiden wollte, musste man sie stehen lassen.

Die Forderung nach „Beseitigung und Vernichtung“ war 1922 aus der Arbeiterbewegung erhoben worden, ebenso die nach Änderung von Straßennamen (siehe den Beitrag zum Streit um die Straßennamen), und während die Umbenennungen von Magistrat und Bürgervertretung beschlossen wurden, wurde die „Denkmalsfrage“ einer Kommission überwiesen, die nun ihren Bericht vorlegte: die Beschlüsse der Stadtväter von 1889 und 1905, die privat finanzierten Denkmäler „in Obhut und Pflege“ der Stadt zu übernehmen (BZ vom 22. Juli 1922), könnten im Falle des Abräumens zu Schadensersatzansprüchen führen, auch gebe es Einsprüche des Denkmalschutzes und der Baupflege gegen ein solches Vorhaben.

So blieb das Kaiser-Wilhelm-Denkmal also Bergedorf erhalten, wenn auch sein Standort die neue Bezeichnung „Schloßstraße“ erhalten hatte, was 1924 bei anderen Mehrheitsverhältnissen wieder rückgängig gemacht wurde. Das Bismarck-Denkmal wurde Jahrzehnte später in den Schlosspark versetzt, als die 1923 geäußerten Bedenken offenbar keine Rolle mehr spielten.

Noch heute hört und liest man in Bergedorf gelegentlich Kritik an den Denkmälern und den Umgang mit diesen.

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Von Pelzen, Mäusen und Brotmarken

Bergedorfer Zeitung, 22. Januar 1923

Wenn Heizmaterial knapp und teuer ist, muss man zusehen, wie man sich warm hält – ein Pelz als Decke, Fußsack oder Kleidungsstück kann da durchaus helfen. Sogar Maulwurfsfelle wurden so zu Mänteln u.ä. verarbeitet – in Anbetracht der Größe eines Maulwurfs und des Fellpreises war das sicher kein billiges Vergnügen. (Die Preise waren stark gestiegen: Ende 1919 brachte der Verkauf eines Maulwurfsfells zwei bis drei Mark, siehe den Beitrag über den Bergedorfer Fellhändler Karl König, nun waren es 600 Mark.) Für einen Mantel aus Katzenfell mussten 24 bis 36 Tiere ihr Leben lassen – die Bergedorfer „Fell-Einkaufs-Zentrale“ kaufte erstklassige Katzenfelle zu 2.000 Mark an, eine Woche darauf zu 2.400 Mark (BZ vom 29. Januar 1923).

Bergedorfer Zeitung, 10. Januar 1923

Das war für dunkle Gestalten sicher attraktiv, und so geriet vermutlich manch eine Katze ohne das Einverständnis des Besitzers bzw. der Besitzerin in die Hände der Fellhändler und wurde schmerzlich vermisst, als Haustier und als Mäusefänger, was in dem hier berichteten Fall dazu führte, dass Mäuse die Brotkarten einer Kriegerwitwe in Schnipsel zerlegten (Abbildung einer intakten Hamburger Brotkarte von 1922).

Das hätte schlimme Folgen haben können: im schlimmsten Fall hätte die Frau das Anrecht auf die Brotration für zwei Wochen verloren, aber sie hatte Glück: sie erhielt Ersatz für die „gemausten“ Karten und musste kein „markenfreies Gebäck“ kaufen:

Bergedorfer Zeitung, 11. Januar 1923

Bergedorfer Zeitung, 12. Januar 1923

 

 

 

 

 

Die Preise für Markenbrot und markenfreies Brot waren demnach zwar gleich, doch im freien Handel gab es sehr viel weniger Ware für den selben Preis. In der Familie der Kriegerwitwe wäre Brot sehr knapp geworden, wenn ihr nicht die Gemeinde Neuengamme neue Karten ausgehändigt hätte.

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Sanitäre Missstände in Bergedorf beseitigt

Bergedorfer Zeitung, 16. Januar 1923 (gekürzt)

Auf dem Bergedorfer Kamp waren laut Befund der Hamburger Gesundheitsbehörde „die sanitären Zustände … die bedenklichsten im ganzen hamburgischen Staatsgebiet“. Das war nicht neu, im Gegenteil: schon 1899 war dringender Handlungsbedarf festgestellt worden, doch Bergedorfs damalige Stadtväter setzten andere Prioritäten und tolerierten auf dem Kamp weiterhin Plumpsklo und Sickergrube, der Epidemiegefahr zum Trotz.

Es war eine reine Arbeitergegend: das sogenannte Kampdreieck mit den nüchternen Straßennamen Erste bzw. Zweite Querstraße und Grabendamm (heute Achterdwars und Dwarstwiet), war (und ist) eingeklemmt zwischen zwei Bahntrassen und dem Weidenbaumsweg (siehe die Karte 1904), weiter südlich am Weidenbaumsweg lange mehrgeschossige Mietshäuser und gegenüber die Arbeiterwohnungen der Glashütte – in diesem Gebiet lebten damals 2.000 Menschen, und hier sollte nun endlich ein Schmutzwassersiel gelegt werden.

Das werde in vielen Häusern den Bau neuer „Abortanlagen“ erfordern, schrieb die BZ weiter und forderte, „daß die während des Krieges im Interesse der Volksernährung nicht so streng genommenen Bestimmungen der Abfuhrordnung über Stallanlagen und Gruben strikte durchgeführt werden, um gesunde Verhältnisse auf dem Kamp zu erreichen und zu erhalten.“

Bergedorfer Zeitung, 16. Januar 1923 (gekürzt)

In Bergedorfs östlicher (Vor-)Stadt dagegen musste das Siel erneuert werden: die etwa zwanzig Jahre alten Rohre unter der Brunnenstraße (heute Holtenklinker Straße) hatten (u.a. wegen des zunehmenden LKW-Verkehrs) so sehr gelitten, dass Einstürze drohten, wie es sie dort in den beiden Vorjahren bereits gegeben hatte.

Es erwies sich letztlich als weise, dass „bei der Ausführung entstehende Mehrkosten für Lohn- und Materialpreissteigerungen“ gleich mitbewilligt wurden (BZ vom 20. Januar): die Maßnahmekosten für den Kamp stiegen von 25,3 Millionen Mark auf 45 Millionen Mark (BZ vom 5. März) – die im Mai begonnenen Arbeiten in der Brunnenstraße verschluckten schließlich mehrere Billionen Mark (BZ vom 5. und 8. November). Hyperinflation eben.

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Die Ruhrbesetzung und Bergedorf

Es war ein einschneidendes Ereignis: wegen deutscher Rückstände bei Reparationslieferungen besetzte französisches und belgisches Militär das Ruhrgebiet (zur Ruhrbesetzung siehe die knappe Online-Darstellung des lemo). Die Folgen brachten Deutschland an den Rand des völligen Zusammenbruchs, was im Laufe des Jahres an den Entwicklungen in Bergedorf verdeutlicht werden soll.

Bergedorfer Zeitung, 12. Januar 1923

Bergedorfer Zeitung, 12. Januar 1923

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Natürlich beteiligte sich Bergedorf an dem von der Reichsregierung angesetzten nationalen Trauertag am 14. Februar, und wie andernorts auch gab es hier getrennte Veranstaltungen: die eine um 10 Uhr in der evangelischen Kirche St. Petri und Pauli, die andere sollte ab 9:30 Uhr auf dem Schulhof der Brinkschule stattfinden. Die Militärvereine hatten per Annonce zur Teilnahme am Trauergottesdienst aufgefordert (BZ vom 13. Januar); die Mitglieder und Freunde von SPD und den Gewerkschaften ADGB und Afa-Kartell trafen sich schließlich (wohl wegen des Wetters) in der Turnhalle der Brinkschule zu einer Protestkundgebung, bei der man sich von den „auf Völkerverhetzung gestimmten sogenannten nationalen Parteien“ distanzierte.

BZ, 12. Januar 1923

BZ, 12. Januar 1923

Der Verordnung entsprechend wurden unterhaltende Veranstaltungen auf andere Tage verschoben. Das Bergedorfer Hansa-Kino änderte sein Programm: statt des amerikanischen Films „Die Bankräuber von Massachusetts“ gab es „der Würde des National-Trauertages entsprechend“ eine Verfilmung von Shakespeares Drama „Hamlet“ (BZ vom 12. und 13. Januar).

Danach ging erst einmal alles wieder seinen gewohnten unterhaltsamen Gang: zahlreiche Vereine luden zu Tanzkränzchen, Ball, Buntem Abend und Maskerade (Anzeigen in der BZ vom 15. bis 18. Januar).

 

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Der idyllische Blickgraben

Der Blickgraben. Lithographie von Bruno Karberg (Privatbesitz)

Bergedorfs Blickgraben war ein bei Fotografen und Künstlern beliebtes Motiv. Idyllisch, fast verwunschen wirkt er in den meisten Darstellungen, mit altersschiefen Fachwerkhäusern bis ans Wasser heran und auch balkonartig in die Wasserfläche hineinragend. Auch der in Curslack geborene Grafiker Bruno Karberg hielt ihn im Bild fest, wie die ansonsten selten zu sehende (undatierte) Lithographie zeigt.

Fotografien des Blickgrabens wurden bereits in früheren Beiträgen gezeigt, in Der Blickgraben und Der verschlammte Blickgraben. Allen Abbildungen ist gemeinsam, dass sie einen wassergefüllten Graben zeigen und das Aroma, das von ihm ausging, nicht wiedergeben.

 

Bergedorfer Zeitung, 5. Januar 1923

Wenn wegen Bauarbeiten (z.B. an der Ernst-Mantius-Brücke) das Wasser der Bille durch das Öffnen des Serrahnwehrs abgelassen wurde, fiel natürlich das Wasser im Billbassin, in den Schlossgräben und letztlich auch im Blickgraben.

Bergedorfer Zeitung, 9. Januar 1923

Und so erblickte (und roch) die Öffentlichkeit nicht nur den Schlamm, der den Grund bedeckte, sondern auch manches, was Menschen hier entsorgt hatten, sodass sich „ein höchst naturalistisches Tohuwabohu von allerlei altem Gerümpel … und Abfällen aller Art“ zeigte. Das entsprach durchaus der Bergedorfer Tradition der Abfallentsorgung, wie sie schon Heinrich Dräger mit Überschussproduktion praktiziert hatte (siehe den Beitrag Die Neue Straße – Die „Keimzelle“ der Drägerwerke).

Ob die Gelegenheit zur „gründlichen Reinigung“ des Grabens genutzt wurde, muss bezweifelt werden. Und mit wieder auf Normalniveau gestiegenem Wasserstand war das Idyll ja anscheinend wiederhergestellt.

 

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Einstürzende Sielbauten

Wenn ein Siel, d.h. ein unterirdisch verlaufendes Rohr o.ä., einstürzt, entsteht an der Erdoberfläche in aller Regel ein Loch, und einstürzende Sielbauten gab es nicht nur in Bergedorf, sondern auch in den Marschgebieten.

Über das nicht glimpflich verlaufene Sielunglück in Bergedorf wurde bereits in dem Beitrag Das große Loch in der Brauerstraße berichtet – fünf Jahre später wurde dem geschädigten Fuhrwerksbesitzer vom Reichsgericht letztinstanzlich Schadensersatz zugesprochen, da die Stadt es unterlassen hatte, nach vorangegangenen Pflastereinstürzen das Abwassersiel zu kontrollieren und ggf. zu sanieren (BZ vom 1. Juni 1923).

Bergedorfer Zeitung, 5. Januar 1923

Ein anderer Sieleinsturz drohte in der Marsch: in Reitbrook war das alte Deichsiel zusammengefallen, und somit drohte ein Deichbruch an der Gose-Elbe, durch den bei Sturmflut der Polder mit Reitbrook und Neuengamme unter Wasser gesetzt worden wäre.

Exkurs zum Thema Deichsiel:
Ein Deichsiel ist eigentlich eine einfache Konstruktion, damals meist aus Holz und schlicht die Gesetze der Physik nutzend: durch eine hölzerne Kammer, die den Deich in seinem unteren Bereich quert, kann Wasser fließen, und eine Klappe öffnet bzw. schließt sich je nachdem, von welcher Seite der Wasserdruck höher ist. Das funktioniert also automatisch, benötigt keine Energie und keine Menschen, die im Bedarfsfall die Klappe betätigen. (Gute Darstellungen in Text und Bild findet man auf hier verlinkten Seiten von museen-nord.de und haselau-online.de.) Allerdings: steht außendeichs das Wasser höher als binnendeichs, ist die Ableitung natürlich nicht möglich.

Bergedorfer Zeitung, 11. März 1920

Meldungen über eingestürzte Deichsiele gab es immer wieder aus den Vierlanden und den Marschlanden, sodass sich die Landherrenschaft mehrfach genötigt sah, die Eigentümer (wohl meist die Gemeinden bzw. die Deichverbände) an die Instandhaltung der Anlagen, tunlichst nicht in der Hochwassersaison, zu erinnern.

 

 

BZ, 7. August 1923

Die Instandhaltung hatten die Reitbrooker verschlampt, zudem das neue Siel zu nahe an das alte gebaut, sodass hier aufwändige Arbeiten erforderlich waren: zunächst wurde der Hinterdeich für den Durchgangsverkehr gesperrt, im August dann wurde der Deich aufgegraben, und damit war keinerlei Verkehr mehr möglich. Man kann davon ausgehen, dass alles rechtzeitig erledigt wurde, denn eine Meldung über einen Deichbruch gab es nicht. Die in den frühen 1920er Jahren begonnenen Maßnahmen zur Binnenentwässerung durch ein neues System mit Hauptgräben und Pumpwerken (siehe den Beitrag zur  Entwässerung der Marschgebiete) kamen hier aber noch nicht zum Tragen.

 

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Die Versicherung der Bestattungskosten

Bergedorfer Zeitung, 2. Januar 1923

BZ, 3. Januar 1923

Die traditionellen Sterbekassen in und um Bergedorf wie die „Totenlade Liebe und Friede v. 1678“ und die „Bergedorfer Sterbekasse von 1869“ gerieten 1922/1923 in Existenznöte – sie waren nicht inflationstauglich, und so kam es in jener Zeit zu einer ganzen Reihe von Neugründungen.

Die „alten“ Sterbekassen verlangten relativ niedrige Beiträge: Mitglieder zahlten viele Jahre hindurch ihren Obolus, und im Todesfall wurde dann an die Hinterbliebenen ein Sterbegeld ausgezahlt, das jedenfalls einen Großteil der Beisetzungskosten abdeckte – die „neuen“ setzten auf eine Umlagefinanzierung: war ein Mitglied verstorben, mussten alle anderen Mitglieder zusammenlegen und so die Kosten für den Sarg übernehmen.

60.000 Mark waren im Februar 1923 für einen einfachen Sarg aufzuwenden (BZ vom 3. Februar 1923) – als die Bergedorfer Sterbekasse von 1869 ihre Liquidation beschloss, hatte sie bei ca. 500 Mitgliedern ein Vereinsvermögen von 30.748,08 Mark; das auszuzahlende Sterbegeld betrug maximal 300 Mark, „zurzeit fast ein Nichts“ (BZ vom 29. März 1923).

Aus allen hamburgischen Gemeinden um Bergedorf herum wurden im ersten Quartal 1923 Neugründungen vermeldet, nicht aber aus der Stadt Bergedorf selbst – hier wollte man einen anderen Weg gehen.

Bergedorfer Zeitung, 5. Februar 1923

Der hier wiedergegebene Antrag der SPD-Abgeordneten an Magistrat und Bürgervertretung forderte für Bedürftige eine „unentgeltliche Totenbestattung in einfachster und würdigster Weise“ und wurde auch so beschlossen (BZ vom 19. und 24. Februar). Die Gebühren für die anderen Bestattungsformen wurden gegenüber Ende 1922 z.T. mehr als verzehnfacht (Bekanntmachungen in der BZ vom 19. Dezember 1922 und 27. Februar 1923): im Dezember 1922 mussten für die schlichteste Variante 540 Mark gezahlt werden, ab 26. Februar 1923 waren es 3.500 Mark, und nach den 15 weiteren Erhöhungen bis November belief sich der Betrag auf über 36 Milliarden Mark (diverse Ausgaben der BZ 1923, zuletzt vom 10. November 1923).

Nicht nur Bergedorf, sondern auch Curslack hatte zumindest einen Teil der Kosten vor der Inflation schützen wollen, indem Sargholz auf Vorrat gekauft worden war. Beide Gemeinden hatten dafür zwei Millionen Mark zur Verfügung gestellt (BZ vom 14. und 24. Februar 1923). Ob sie damit auskamen wurde nicht berichtet.

 

 

 

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Grüne Weihnachten, Silvesterglocken und die Ohrwascheln

Bergedorfer Zeitung, 27. Dezember 1922 (gekürzt)

Wer 1922 auf weiße Weihnachten gehofft hatte, sah sich enttäuscht – die gab es erst ein Jahr später (BZ vom 24. Dezember 1923), aber das konnte man ja nicht vorhersehen …

Schlittenfahren und Eislaufen fielen also den relativ milden Temperaturen zum Opfer, doch das „geradezu frühlingsmäßig milde Lüftchen“ war ein „unsichtbarer Kohlengutschein“, wie der Autor der nachweihnachtlichen Betrachtung weiter schrieb; es hatte also auch sein Gutes, dass es nicht kälter war, und die Kinder holten sich draußen keine „blaugefrorenen Näschen und Ohrwascheln“.

Das damals wie heute in Bergedorf und Umgebung ungebräuchliche Wort „Ohrwascheln“ hat wohl manche Leser stutzen lassen, doch konnte man die Bedeutung leicht aus dem Kontext erschließen. In die Bayrische Wikipedia konnte man vor hundert Jahren nicht hineinklicken. Die Verwendung  des Wortes lässt aber darauf schließen, dass es den BZ-Redakteur Hanns Lotz aus dem Süden Deutschlands an die Bille verschlagen hatte.

Bergedorfer Zeitung, 30. Dezember 1922 (gekürzt)

Drei Tage darauf musste Lotz dann den Jahreswechsel thematisieren: „Ein besinnlicher Rückblick ist es stets bei hoch und niedrig, arm und reich, jung und alt. … Ja, es war ein hartes, schweres Jahr, voll von Entsagungen und Not, ein Jahr voll Kummer und Sorgen ums tägliche Brot, das uns hart mitnahm … Liegt hinter uns ein Jahr voll anscheinend nutzloser Arbeit, Mühe und Qual, das uns fast verzweifeln ließ, so ruft der volle Klang der Silvesterglocken den deutschen Menschen heute zu: Nicht verzagen, nicht erlahmen, habt Vertrauen, habt Geduld! Hinter viel tausend Toren wartet das Glück doch unverloren!“ Zunächst aber sollte „kühlere Witterung“ an einem „trüben, regnerischen und kalten Neujahrstag“ eintreten.

Tatsächlich war das Wetter am 1. Januar besser – Hanns Lotz titelte: „Sonniger Neujahrsbeginn“ (BZ vom 2. Januar 1923).

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