Die Weihnachtsbäume und das perfide Albion

BZ, 6. Dezember 1922

Warum gab es in Bergedorf keine Weihnachtsbäume? Weil die Engländer sich „das ureigenste Symbol des deutschen Weihnachtsfestes“ aneigneten, den für sie günstigen Wechselkurs rücksichtslos ausnutzten und unzähligen deutschen Kindern schiffsladungsweise die Bäume entrissen. (Nebenbei bemerkt: es waren deutschstämmige Mitglieder des britischen Königshauses, die bereits im frühen 19. Jahrhundert den Weihnachtsbaum als Brauch nach Großbritannien „importierten“, wie es in der englischsprachigen Ausgabe von Wikipedia unter Christmas tree heißt.)

BZ, 8. Dezember 1922

Ein weiterer Grund für das Ausbleiben der Weihnachtsbäume dürften die hohen Transportkosten gewesen sein, was die Reichsbahn (sicher nicht ohne Druck aus der Politik) veranlasste, die Tarife für dieses Handelsgut um 30 Prozent abzusenken, sogar bis nach dem Fest.

BZ, 12. Dezember 1922

Dennoch musste man mit hohen Preisen rechnen, was in Bergedorf auch „Selbstversorger“ auf den tannenbestandenen Gojenberg trieb, vermutlich in größerer Zahl als hier in der BZ beschrieben. Ob am 12. Dezember in Bergedorf wirklich noch keine Weihnachtsbäume zu erwerben waren, muss allerdings bezweifelt werden: ab dem 11. Dezember wollte ein Anbieter aus der Brunnenstraße den Verkauf aufnehmen (Anzeige in der BZ vom 9. Dezember), und am 13. Dezember hatte dann auch der Lokalredakteur wahrgenommen, dass man auf dem Brink Bäume kaufen konnte, zu allerdings stolzen (Papiermark-)Preisen:

BZ, 9. Dezember 1922

BZ, 13. Dezember 1922

 

Anzeigen weiterer Händler (aus Sande, Curslack, Neuengamme und Geesthacht) folgten – soweit Preise genannt wurden, lagen sie zwischen 130 und 400 Mark (Anzeigen vom 13., 14., 16., 18. und 21 Dezember) – und es gab auch einen regionalen Großanbieter: die Gutsverwaltung Glinde wollte Bäume an Wiederverkäufer abgeben (BZ vom 18. Dezember).

Es war den Engländern also nicht gelungen, den Markt leerzukaufen.

 

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Die teuren Zeitungen

BZ, 2. Dezember 1922

Die „Bergedorfer Zeitung“ bürgerlich-konservativ – das „Bergedorf-Sander Volksblatt“ eine Zeitung der SPD. 1919 war man kräftig über einander hergezogen, siehe den Beitrag Das Bergedorf-Sander Volksblatt, 1921 nicht minder, siehe den Beitrag über den Kleinkrieg der Lokalpresse. Ende 1922 agierten beide gemeinsam und setzten im Gleichtakt das Monats-Abonnement für den Dezember auf 350 Mark fest: beide Blätter litten unter der Inflation.

Im Dezember 1921 hatte die BZ noch 16,50 Mark für den Monat gekostet, im Juli 1922 dann 25 Mark, danach ging es rapide bergauf: 150 Mark im November 1922, und im Dezember mehr als das Doppelte davon. Am 20. Dezember gab die BZ ihren Januar-Preis von 600 Mark bekannt und korrigierte diesen am 30. Dezember auf 700 Mark. (Das Volksblatt verlangte im Juli 20 Mark; weitere Angaben liegen nicht vor.)

BZ, 28. Oktober 1922

Immerhin waren beide Zeitungen nur Inflationsgeschädigte, nicht Inflationsopfer: am 28. Juli 1922 meldete die BZ, dass 226 Tageszeitungen und Zeitschriften eingegangen waren, Ende August stellte die „Neue Hamburger Zeitung“ ihr Erscheinen ein und wurde mit dem „Hamburger Anzeiger“ verschmolzen (BZ vom 22. August). Das Zeitungssterben ging weiter, aber sowohl die Bergedorfer Zeitung als auch das Bergedorf-Sander Volksblatt überstanden die Inflationszeit.

 

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Der steigende Gaspreis und der Windfall-Profit

BZ, 30. November 1922

Das Gaswerk Bergedorf war rigoros: der Gasverbrauch wurde monatlich abgelesen, und wer nicht sofort den Ableser bezahlte, musste innerhalb von fünf Tagen den fälligen Betrag entrichten – sonst wurde der Gashahn zugedreht.

Zwar wussten die Gaskunden, wann bei ihnen abgelesen wurde, aber sie konnten nur ahnen, was sie würden bezahlen müssen: meist erst nach etwa zwei Dritteln der monatlichen Verbrauchsperiode gab das Gaswerk bekannt, welcher Preis für den laufenden Monat zu zahlen war, und kündigte eine Preiserhöhung für den folgenden Monat an (siehe z.B. vom 19. Juli, 12.August, 21. September, 23. Oktober, 24. November und 21. Dezember 1922).

Das Leucht- und Kochgas hatte im Dezember 1921 noch 2,65 Mark pro Kubikmeter gekostet – im Juli 1922 waren es 9,50 Mark, im November 1922 dann 75 Mark – für den Dezember wurde eine Warnung in die Zeitung gesetzt: für den Dezember sei „mehr als das Doppelte des Preissatzes für Monat November zu erwarten“ (BZ vom 12. Dezember 1922). Tatsächlich wurden es 160 Mark, also gut das Sechzigfache des Vorjahrespreises.

Über vorgenommene Absperrungen war in der BZ nichts zu finden, und auch Magistrat und Bürgervertretung rührten sich nicht: die Steigerungen wurden offenbar stillschweigend hingenommen, obwohl die Stromtarife nur auf das Fünfzigfache gestiegen waren (BZ vom 31. Dezember 1921 und 15. November 1922), und das hatte einen Grund.

BZ, 28. Oktober 1922 (Auszug: Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung)

Zwischen der Stadt und dem privaten Gaswerksbetreiber war im Herbst ein Nachtrag zum Konzessionsvertrag abgeschlossen worden, sodass nun die Stadt 2,5 Prozent der Bruttoeinnahmen aus dem Gasverkauf erhielt, rückwirkend ab 1. April 1920 – auch 2,5 Prozent der Einnahmen aus dem Gasverkauf in Sande und Geesthacht kamen Bergedorf zugute. Für den Monat Oktober wurde mit einer Einnahme von einer Viertelmillion gerechnet (BZ vom 24. Oktober 1922), und wenn man die hochrechnet, so floss für Dezember mehr als eine Million Mark in die Stadtkasse, was man sicher als Windfall-Profit bezeichnen kann. Aber der Windfall wurde durch die Inflation wieder weggeweht.

 

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Schulreformgedanken: Koedukation und lateinische Schrift

BZ, 23. November 1922

„Gemeinsame Erziehung von Knaben und Mädchen in der Schule“ gab es schon lange in der Landherrenschaft Bergedorf, aber nur gezwungenermaßen: in manchen der kleinen Dorfschulen reichte die Schülerzahl nicht für die ansonsten übliche Trennung nach Geschlechtern (siehe hierzu die Geschichte des hamburgischen Landschulwesens (S. 174)). In Bergedorf war es 1856 sogar als Fortschritt empfunden worden, dass mit dem Bezug der neuerbauten Stadtschule am Brink endlich Mädchen und Knaben getrennt unterrichtet werden konnten (ebd., S. 207-233), 1922 verteilt auf zwei und zwei Schulen.

Zur Regel wollten die Repräsentanten der Bergedorfer Schulen die Koedukation allerdings nicht machen. Nur wenn Eltern und Lehrer dies wünschten, sollte entsprechend genehmigt werden. Immerhin, so der zweite Punkt der Entschließung, sollte die Bildung von Mädchen nicht daran scheitern, dass „Fortbildungs-, Berufs- und höhere Schulen“ nur Knaben offenstanden – das war für die Hansaschule nicht neu: dort waren 1920 einige Mädchen in die Oberstufe aufgenommen worden, weil sie sonst keine Möglichkeit gehabt hätten, in Bergedorf das Abitur zu erreichen (siehe den Beitrag zu Mädchen an der Hansaschule).

Bis zur vollen Koedukation an den staatlichen Schulen sollte es noch lange dauern; sie blieb auf Versuchsschulen wie z.B. die Hamburger Lichtwarkschule beschränkt. Dort hatte die Koedukation sogar ehestiftende Wirkung unter den Klassenkameraden Helmut Schmidt und Hannelore (Loki) Glaser.

BZ, 7. November 1922

Ein weiteres Reformvorhaben betraf die Schrift, die in der Schule gelehrt werden sollte: Käthe Alpers, laut Hamburgischem Lehrerverzeichnis 1922/23 (S. 180) Lehrerin an der Mädchenschule Birkenhain, referierte vor ihren Kolleginnen und Kollegen im Verein der Landschullehrer, wobei sie sich auf Fritz Kuhlmanns Schrift „Schreiben in neuem Geiste“ bezog: der Schulunterricht müsse mit der lateinischen Schrift beginnen und erst zuletzt die deutsche Schrift lehren, die bis dahin Standard war. Wenn der Berichterstatter schrieb, dass Frau Alpers‘ Ausführungen „die ungeteilte Aufmerksamkeit der Versammlung“ fanden, so kann man dies durchaus als höfliche Umschreibung einer Zurückweisung interpretieren.

Es dauerte noch fast zwanzig Jahre bis zur Streichung der deutschen Schrift aus dem Lehrplan (siehe den Artikel Ausgangsschrift auf Wikipedia). Kuhlmanns Konzept einer Grundschrift, aus der eine individuelle Schreibschrift sich entwickeln sollte, ist im 21. Jahrhundert als Schulversuch im Einsatz.

Überstürzt wurden die Reformen also nicht eingeführt.

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Der Ausbau des Fersenwegs

BZ, 25. November 1922

Der Senat hatte hohe Erwartungen an den Ausbau des Fersenwegs: dort sollten sich Gemüsebauern ansiedeln und Hamburg mit frischen Lebensmitteln versorgen. Das war aber recht optimistisch.

Der Fersenweg, der Kirchwärder in ost-westlicher Richtung durchzieht, existiert seit über 500 Jahren: laut Ernst Finder (S. 315) ist er bereits in der sogenannten Pfannenstielschen Karte von 1546 verzeichnet. Über die Jahrhunderte war er ein einfacher Feldweg, aber nun hatte Hamburg großes vor. Man strebte an, den „durchgehenden Verkehr aus dem Lande auf dem Fersenweg und Landscheideweg über die Ochsenwärder Landstraße und den Elbdeich in Moorfleth nach Hamburg durch Ausbau der Feldwege Fersenweg und Landscheideweg zu ermöglichen“, wie es im Wegeprogramm der Landherrenschaften hieß (BZ vom 7. August 1922).

Die Begeisterung darüber hielt sich in Grenzen: für Kirchwärders Gemeindevorsitzenden Heinrich Grube war die Pflasterung der Deiche dringender und nötiger, seine Gemeindevertretung war aber mit dem Plan einverstanden (BZ vom 27. Oktober und 6. November 1921). Auch in einem Ausschuss der Hamburger Bürgerschaft wurde kontrovers diskutiert: die Befürworter meinten, dass dort „Hunderte von Gemüsebauern sich ansiedeln“ könnten, zu beiden Seiten der Wege befinde sich ja „ausschließlich Acker- und tiefliegendes Weideland“. Die Gegner erwarteten, dass die Hamburger Marschbahn die Transportaufgaben übernehmen würde und die Wege somit „vollständig entbehrlich“ seien (BZ vom 30. März 1921).

In Kirchwärder erwartete man sogar die Schaffung einer „breiten Fahrstraße“ (BZ vom 2. April 1921), doch das war zu optimistisch: der Ausbau erfolgte in einer Breite von ca. drei Metern, sodass Begegnungen von Pferdefuhrwerken und von Lastkraftwagen nicht ohne Inanspruchnahme der Bankette möglich waren, und folglich wurde der Süderquerweg, nicht der Fersenweg, zur Ost-West-Hauptstraße Kirchwärders, mit Anschluss an den Ochsenwärder Landscheideweg.

Zu rosig hatte man auch die gartenbauliche Zukunft gesehen: wie man heute noch feststellen kann, blieb die Zahl der Gemüsebauern sehr überschaubar – offenbar war das schwere, tiefliegende Land doch nicht so gut für den Gartenbau geeignet.

Fersenweg (westlicher Teil) im September 2022

Die Straßenbreite beträgt übrigens bis heute etwa drei Meter, es sind allerdings Ausweichbuchten vorhanden. Und rechtzeitig vor dem hundertsten Geburtstag hat der westliche Teil des Fersenwegs, also zwischen Kirchwerder Landweg und Durchdeich, eine neue Asphaltdecke erhalten, unter der sich altes Pflaster verbirgt.

 

 

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Die Wärmestuben in Bergedorf und Sande

Hoffentlich nur ein Rückblick auf 1922/23 und keine Vorausschau auf 2022/23: für Menschen, die sich das Heizen ihrer Wohnung nicht leisten konnten, wurden in Sande und Bergedorf Wärmestuben eingerichtet.

BZ, 21. Oktober 1922

Der Bergedorfer Frauenverein wollte ein „Wärm- und Lesezimmer für den Mittelstand“ in Hitschers Gesellschaftshaus einrichten. Dabei konzentrierte der Verein seine wohltätigen Aktivitäten generell auf den „notleidenden Mittelstand“, zu dem diejenigen gehörten, die von einer kleinen Rente aus Kapitalvermögen o.ä. bis dahin auskömmlich gelebt hatten, aber auch Angestellte mit monatlicher Gehaltszahlung, Kriegerwitwen mit kleiner staatlicher Rente: die Wohltätigkeit richtete sich vor allem auf die eigene bürgerliche Klientel.

BZ, 16. November 1922

Anders in Sande: der dortige Frauenverein wollte (mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde) die Warteschule, über die der Verein verfügte, zur Verfügung stellen, um darin eine „Wärmehalle“ für die „bedürftigen Klein- und Sozialrentner, die sonstigen Bedürftigen und Armen“ einzurichten. Die Mittel der Gemeinde sollten durch Erträge aus Wohltätigkeitsveranstaltungen aufgestockt werden, die „Altershilfe der Gemeinde Sande“ warb um Spenden.

Nur für zwei der drei der Sander Wohltätigkeitsveranstaltungen wurde die Höhe des Überschusses angegeben, es waren knapp 30.000 Mark (BZ vom 24. und 25. November 1922), über weitere Geldeingänge berichtete die BZ nicht.

Im größeren und wohlhabenderen Bergedorf konnte der Ausschuss für die Altershilfe kurz vor Weihnachten bekanntgeben, dass man 110.000 Mark gesammelt habe: „ein Betrag, der nicht im entferntesten ausreicht, die in Bergedorf bestehende große Not der alten Leute zu lindern.“ (BZ vom 20. Dezember 1922). Hinzu kamen allerdings weitere Beträge: ein nach New York ausgewanderter Bergedorfer gab (begünstigt vom Wechselkursverfall der Mark) eine Million Mark, mehrere Bergedorfer spendeten zusammen 170.000 Mark, die Bedürftigen zugutekommen sollten (BZ vom 19., 20., 21. und 23. Dezember 1922).

Die Beträge scheinen beachtlich, doch man muss sie in Relation setzen zu den Preisen: für das Versorgungsheim der Gemeinde Kirchwärder wurden die Kostgeldsätze für einen Erwachsenen auf 200 Mark pro Tag erhöht (BZ vom 21. November 1922). Ein Bergedorfer Mittagstisch verlangte für ein Essen 140 Mark (BZ vom 9. Dezember), zehn Tage später 160 bis 180 Mark (BZ vom 19. Dezember 1922) – da reichte dann auch eine Millionenspende nicht weit.

Heizmaterial war für viele unerschwinglich: die Ortskohlenstelle Bergedorf verlangte für die 50-kg-Ration Braunkohlebriketts 1.872 Mark, das Bergedorfer Gaswerk verkaufte Gaskoks für 2.600 Mark pro 50 kg (BZ vom 9. Dezember 1922). Die Wärmestuben werden voll gewesen sein.

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Astronomische Unwägbarkeiten

BZ, 16. Januar 1907

Mehrfach begaben sich Bergedorfer Astronomen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf zum Teil wochenlange Reisen, um Sonnenfinsternis-Ereignisse von wenigen Minuten Dauer zu beobachten und fotografisch zu dokumentieren. Nicht immer war man erfolgreich: 1907 reiste man mit großem „Gepäck“ in die Nähe Samarkands, um dann zu melden, daß „leider während der ganzen Finsternis der Himmel vollständig bedeckt war und Schneefall herrschte“.

Eine Wiederholung des Misserfolgs von 1907 wollte man 1914 vermeiden: man hätte die Totalität auch in Schweden sehen können, entschied sich aber wegen der besseren Wetteraussichten für die Krim (vgl. Jochen Schramm, S. 170), kam dort an, baute alles auf – und dann brach der Erste Weltkrieg aus (siehe den Beitrag zur Expedition auf die Krim): die Teilnehmer der Expedition mussten stante pede und unverrichteter Dinge umkehren, doch die 131 Kisten (Gesamtgewicht 15.000 Kilogramm) mit Instrumenten und Ausrüstungsgegenständen blieben dort.

BZ, 21. November 1922

Acht Jahre später kam dann die gute Nachricht, dass die Rückholung der Ausstattung möglich wurde, wofür die Hamburger Bürgerschaft erst 100.000 Mark bereitstellte (BZ vom 24. Juli 1922) und dann noch einmal denselben Betrag nachbewilligte – allerdings konnten nur 75 Kisten mit 8.000 Kilogramm auf den Dampfer nach Hamburg verladen werden: manches war für den Krieg von russischer Seite requiriert worden, anderes schlicht verschwunden bzw. gestohlen, weiteres war an verschiedene Orte in Russland gelangt, und man hoffte, einiges mit Hilfe der Sternwarte Odessa zurückzuerlangen. Ob sich diese Hoffnung erfüllte, war nicht festzustellen.

Die nächste Tour des „Reisebüros Sonne“ (Jochen Schramm, S. 159ff.) sollte 1923 Mexiko zum Ziel haben.

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Keine Fahrradkarten mehr

BZ, 13. November 1922

Das war eine freudig stimmende Nachricht für alle Radfahrer: hatten sie bisher beim Radeln einen persönlichen amtlichen Ausweis benötigt und ihn im gegebenen Fall einem kontrollierenden Polizisten vorzeigen müssen, so sollte die Karte und die mit ihr verbundene „überflüssige Belästigung“ fürderhin entfallen. Das entlastete die Bergedorfer Stadtverwaltung wie alle anderen Gemeindebehörden, die die Ausweise hatten ausstellen müssen.

Die Radfahrerkarten waren 1916 eingeführt worden: im Krieg untersagte der Staat das Radfahren zu Sport- und Vergnügungszwecken (siehe den Beitrag Kein Radrennen), und alle Radfahrer mussten eine Genehmigung zum Radfahren beantragen, die nur erteilt wurde, wenn die Benutzung aus beruflichen bzw. geschäftlichen Gründen erforderlich war (BZ vom 11. August 1916).

Die Zeit der Ersatzbereifung war längst vorüber – nicht einmal einen Monat nach Kriegsende war das Radfahren generell wieder freigegeben worden, auch mit Gummibereifung (BZ vom 7. Dezember 1918) – die Ausweispflicht bestand aber offenbar weiter bis 1922.

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Oktober-November – Die Maiglöckchenzeit

BZ, 11. November 1922

Für die Vierländer Gärtner war (und ist) die eigentliche Maiblumenzeit der Herbst, vor allem in den Monaten Oktober und November, denn dann verursachen diese Pflanzen am meisten Arbeit und bringen das meiste Geld.

Die Maiblumen, wie die Maiglöckchen im Gartenbau genannt werden, müssen im Herbst aus der Erde geholt werden, um sie nach sogenannten Treibkeimen und Pflanzkeimen zu sortieren. Das ist keine einfache Arbeit, denn nur eine leichte Verdickung des Keims zeigt an, dass es sich um einen Treibkeim, auch Blühkeim genannt, handelt – fehlt die Verdickung, handelt es sich um einen Pflanzkeim, der in der kommenden Saison nur Blätter hervorbringt, aber keine Blütenstände (siehe die Abbildungen von Keimen bei Torkild Hinrichsen, Das Maiglöckchen, Husum 2006, S. 73). Durch Erwärmung können die Treibkeime schon zu Weihnachten zur Blüte gebracht werden, durch Kühlung lässt sich die Saison nahezu beliebig steuern (hierzu und zum folgenden Hinrichsen, ebd., S. 68ff.).

Während des Weltkriegs war der Export fast zum Erliegen gekommen, nahm dann aber wieder zu, vor allem in die USA, nach England und Skandinavien, aber wohl ohne das Vorkriegsniveau wieder zu erreichen – da hatten über 150 Hektar dem Maiblumenanbau gedient.

BZ, 4. Oktober 1922

BZ, 9. Oktober 1922

Eine Erschwernis beim Export in die USA war, dass die Keime von allen Erdanhaftungen befreit werden mussten (BZ vom 17. Juni 1921), deshalb wurde (feuchtes) Moos genommen, um die „Bülten“ von 25 Keimen feucht zu halten, und mit dünnen Weidentrieben wurden die Bülten zusammengehalten.

BZ, 22. November 1922

BZ, 16. November 1922

Der Umfang des Handels mit Maiblumenkeimen lässt sich aus den neunzehn verschiedenen Kleinanzeigen erahnen, die allein in den letzten drei Monaten des Jahres 1922 in der BZ zu finden waren, wobei man unterstellen darf, dass viele Gärtner ihre festen Abnehmer hatten und gar nicht zu inserieren brauchten.

BZ, 7. November 1922

Andere sparten sich einige der Arbeitsgänge, wie aus der Anzeige des Opfers eines größeren Diebstahls hervorgeht. Eine Meldung über die Wiederherbeibeschaffung war in der BZ nicht zu finden.

Bemerkenswert ist, dass neunmal nicht für Geld ge- oder verkauft werden sollte, sondern statt Geld landwirtschaftlicher Bedarf wie Heu, Stroh oder Mistbeetfenster, aber auch ein Fahrrad und ein Geldschrank als Tauschwährung genutzt werden sollte. So wollte man sich vor der Inflation schützen.

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Sparklubs in der Inflationszeit

BZ, 4. November 1922

Welchen Sinn macht es, einem Sparklub anzugehören, wenn die Inflation das von den Mitgliedern eingezahlte Geld einfach wegfrisst? So naiv können die Mitglieder doch 1922 nicht gewesen sein – oder Geldanlage und Kleinvermögensmehrung waren nicht das primäre Ziel.

Die Funktionsweise eines Sparklubs ist leicht erklärt: man zahlt gegebenenfalls die Aufnahmegebühr und verpflichtet sich, regelmäßig (wöchentlich oder monatlich) den Mindestbeitrag oder auch höhere Beträge einzuzahlen, die vom Kassierer notiert und dann auf ein zinsbringendes Konto bei einer Sparkasse transferiert werden.

In aller Regel hat so ein Sparklub ein festes Vereinslokal, was den Wirt sicher erfreut, denn die Einzahlungen erfolgen in seiner Gaststätte, und kaum jemand wird einfach nur seinen Obolus entrichten, auf dem Absatz kehrt machen und das Lokal wieder verlassen – die Sparer waren zumindest ein Teil der regelmäßigen Gäste, die dem Gastronomen sein Einkommen sicherten.

Für den Sparer war und ist das Sparen also mit zusätzlicher Geldausgabe verbunden; ökonomischer wäre vermutlich ein häusliches Sparschwein – aber das Sparen war nicht der Hauptzweck, die Mitgliedschaft im Sparklub war Mittel zum Zweck: Geselligkeit (und ein scheinbar legitimer Grund für Abwesenheit von der häuslichen Gemeinschaft).

BZ, 2. Oktober 1922

So fand man in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg immer wieder Anzeigen von Sparklubs, die zu Veranstaltungen einluden (deren Erlös auch die Vereinskasse aufbesserte). Es gab „Große Sommervergnügen“ mit und ohne Kappen-Polonaise, (Tanz-)Kränzchen, Große Herbst- und Wintervergnügen mit und ohne Tombola, wie sich aus diversen Annoncen von mehr als einem Dutzend Vereinen in der BZ der Jahre 1920 bis 1922 ergibt; auch der Sparklub mit dem schönen Namen „Friede“ veranstaltete ein Preisschießen (BZ vom 18. Oktober 1919).

BZ, 30. November 1922

In den meisten Vereinen wird der Jahresabschluss ähnlich begangen worden sein wie bei dem Verein „Weihnachtsfreuden“ in Bergedorf oder dem „Häuflein, vermehre dich“ im Sander Wasserturm: mit Auszahlung der angesparten Beträge und einem Festessen, oft (teil-)finanziert aus den Zinserträgen. Dass die Sander Sparer bei freiem Eintritt auch Gäste willkommen heißen wollten, überrascht zunächst, aber wahrscheinlich war nur der Eintritt für Nichtmitglieder frei, nicht das Essen und nicht die Getränke – sonst wäre das Häuflein wohl verschwunden.

 

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