Bismarck oder Bebel? Der Streit um die Straßennamen

Bergedorfer Zeitung, 22. Juli 1922

Die „Umbenennung der Straßen mit monarchistischen und militaristischen Bezeichnungen“ hatten die Bergedorfer Gewerkschaften nach der Ermordung des Außenministers Rathenau verlangt, und unter anderem diese Forderung brachte der Magistrat in die Bürgervertretung ein.

Die BZ berichtete ausführlich über die Debatte (Link zum Artikel), die (erneut) die tiefen Gräben zwischen den politischen Richtungen zeigte: die Rechte sah in dem Vorhaben „eine Sünde gegen den deutschen Geist“ (Clauß), Bürgervertreter Dröse (KPD) bezeichnete die Umbenennungen zwar als „kleinliche Mittel“, hielt sie aber für nötig und unterbreitete eigene Vorschläge für die neuen Namen. Für die SPD sagte Ratmann Petersen: „Wenn man ein Haus übernehme, so müsse man alles Morsche herausbringen.“ Ratmann Cohn (DDP) bezeichnete alles als „Bilderstürmerei“ und „kindliche Maßnahmen“, und sein Parteifreund Leonhardt meinte, man solle die alten Namen unangetastet lassen und nur neue Straßen mit neuen Namen versehen.

BZ, 5. August 1922

Mit knapper Mehrheit wurde dem Magistratsantrag zugestimmt, und somit erhielten vier Straßen und der Kaiser-Wilhelm-Platz neue Namen; eine Protestversammlung des Bergedorfer Bürgervereins und eine Unmutsbekundung der DDP konnten nichts daran ändern, desgleichen die DNVP-Forderung nach einer Volksabstimmung (BZ vom 21., 28. und 29. Juli), ein Einspruch aus Hamburg, wo es keine Umbenennungen gab, blieb aus, und so folgte die offizielle Bekanntmachung.

In den Straßen des Villenviertels wird nur eine Minderheit mit den neuen Anschriften einverstanden gewesen sein, und vielleicht war es als Protest zu verstehen, dass im August alle sechs Anzeigen aus den entsprechenden Straßen die alten Anschriften angaben, doch dann setzte die Umstellung ein: wer etwas verkaufen wollte oder ein Dienstmädchen suchte, wollte ja gefunden werden, und so verwendete man ab September Kombinationen wie „Bebel-(Bismarck)-Straße“ (15 Anzeigen). Ausschließlich der neue Name wurde bis Jahresende siebenmal angegeben.

Diejenigen, die sich besonders nach früheren Zeiten zurücksehnten, hielten aber über das Jahresende hinaus an ihren gewohnten und geschätzten Adressen fest.

Anmerkung:

Obwohl die „Denkmalsfrage“ im Zusammenhang mit der Straßenbenennung stand, wurde sie hier ausgeblendet – sie hat einen eigenen Beitrag verdient, der im Februar 2023 erscheinen soll.

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