Der Blickgraben – vom Stadtgraben zum hygienischen Problem

Der 1928/29 zugeschüttete Blickgraben umschloss als Stadtgraben den historischen Kern Bergedorfs nach Norden, Osten und Süden. Sein früherer Verlauf ist noch an zwei Stellen erkennbar: an einer südöstlichen Ausbuchtung des Schlossgrabens sowie in der heutigen Fußgängerzone Sachsentor, damals „Große Straße“ bzw. „Sachsenstraße“: dort zeigen eine abweichende Pflasterung und die durch einen schmalen Zeitungskiosk gefüllte Lücke, an welcher Stelle der Graben diesen Straßenzug kreuzte.

„Blickgraben Kiosk“

Zu den genannten Straßennamen schreibt Johann Friedrich Voigt 1:

VOIGT 1888, S. 23: „Große Straße“, S. 26: „ Sachsenstraße“

Der Blickgraben war ein bei Künstlern und Fotografen beliebtes Motiv – hier eine Fotografie von Carl Griese aus dem späten 19. Jahrhundert (diese und zahlreiche weitere Bergedorf-Fotografien sowie Illustrationen von Oskar Schwindrazheim in: Georg Staunau, Geschichte der Stadt Bergedorf 2:

Blickgraben (Fotografie von Carl Griese)

Was auf dem Bild des Blickgrabens romantisch anmutet, war aber durchaus problematisch, denn der Blickgraben war eben nicht einfach Stadtgraben, sondern diente den Anliegern auch zur Entsorgung der Fäkalien. Die Anlieger wiederum waren verpflichtet, den Blickgraben instandzuhalten, d.h. auch auszubaggern, wie der folgende Artikel aus den „Vierländer Nachrichten“ (vom 12.03. 1887) zeigt:

Vierländer Nachrichten vom 12.03. 1887, No. 30, S. 1, Sp. 1

Eine Reproduktion der im Artikel genannten Verordnung findet man in der Bergedorf-Chronik.

Da im 19. Jahrhundert auf weiten Abschnitten beiderseits des Grabens eine geschlossene Bebauung vorhanden war, musste das „Baggergut“ in vielen Fällen durch die Häuser bzw. zwischen den Häusern hindurch getragen werden, um von der Straße „Hinterm Graben“ aus entsorgt zu werden. Dass man der Reinigungspflicht nicht gerade gern und freudig nachkam, lässt sich einem weiteren Zeitungsbericht (Vierländer Nachrichten vom 05.11.1887, No. 130, S. 1) entnehmen:

Vierländer Nachrichten vom 05.11.1887, No. 130, S. 1

Hamburgisches Adress-Buch für 1887, S. 854 - auf Klick in groß Schon im 19. Jahrhundert gab es also Bemühungen, dem Staat Aufgaben aufzuerlegen, die bis dahin von den Bürgern selbst erledigt worden waren. Antragsteller Pinnau war übrigens direkter Anlieger des Blickgrabens, wie der Blick in das „Hamburgische Adress-Buch für 1887“ (S. 854; Klick auf Vorschaubild rechts: Anzeige in groß) zeigt:

Zum 1. Mai 1887 nahm eine Tonnenabfuhr für „menschliche Excremente“ ihre Tätigkeit auf, deren Einführung von leichten Problemen begleitet war, wie wiederum die „Vierländer Nachrichten“ belegen:

Vierländer Nachrichten vom 15.01.1887, No. 6, S. 4:

Vierländer Nachrichten vom 15.01.1887, No. 6, S. 4

Vierländer Nachrichten vom 05.04.1887, No. 40, S. 1:

Vierländer Nachrichten vom 05.04.1887, No. 40, S. 1

Vierländer Nachrichten vom 21.04.1887, No. 46, S. 1:

Vierländer Nachrichten vom 21.04.1887, No. 46, S. 1

Die 1885 begonnene und sukzessiv fortgesetzte Besielung Bergedorfs konnte an den schlechten hygienischen Verhältnissen nur wenig ändern, da sie zunächst nur für Regenwasser sowie Haus- und Wirtschaftsabwässer, nicht aber für Fäkalien vorgesehen war – siehe hierzu die ausführliche Darstellung von Barghorn-Schmidt 3.

  1. Johann Friedrich Voigt: Topographische Nachrichten über die Stadt Bergedorf, Bergedorf 1888, S. 23 und S. 26, Online-Ausgabe []
  2. Georg Staunau, Geschichte der Stadt Bergedorf, Hamburg 1894, o.p., Fototeil S. 10, dort 26 x 20 cm []
  3. Oliver Barghorn-Schmidt, Auf dem Wege zur modernen Kleinstadt: Bergedorf zwischen 1873 und 1914, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Bd. 83 (1997), S. 133-174, hier S. 142, S. 143 und S. 144) []
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