Die SPD und der „aufgezwungene Aushungerungskrieg“

Bergedorfer Zeitung, 5. März 1915

Bergedorfer Zeitung, 5. März 1915

Dieser Bericht der Bergedorfer Zeitung ist in mehrfacher Hinsicht eine nähere Betrachtung wert: zum einen hatten politische Versammlungen (besonders die der SPD und des Gewerkschaftskartells) in der Berichterstattung der BZ generell Seltenheitswert; zum anderen war die Veranstaltung keine „Bergedorfensie“, sondern Teil einer hamburgweiten Kampagne der organisierten Arbeiterbewegung.
350 Teilnehmer trafen sich im Colosseum, Bergedorfs größtem Saal, der damit allerdings nur zu gut einem Drittel gefüllt war. Wenn dabei der aus Hamburg entsandte Redner Hegemann vom „aufgezwungenen Aushungerungskrieg“, von „wüster Preistreiberei“ und einer „tiefeingreifenden Schädigung der großen Massen des Volkes“ sprach, zeigt das seine Treue zu Kaiser, Krieg und Burgfrieden und auch, wie dramatisch er die Versorgungslage der Bevölkerung sah. In der erfolgten Beschlagnahme von Getreide und der Einführung von Höchstpreisen dafür sah er richtige Schritte und forderte eine entsprechende Bewirtschaftung von Kartoffeln und Fleisch (siehe auch den Beitrag zur Abfallwirtschaft). Die an jenem Abend beschlossene Resolution verlangte neben einer zwangsweisen Enteignung des für landwirtschaftliche Nutzung geeigneten Landes „weitere Eingriffe in die privatwirtschaftlichen Verhältnisse“.
Man darf durchaus die Frage stellen, ob „mehr Staat“ damals ein erfolgversprechendes Rezept gewesen wäre, denn die für die Versorgung zuständigen staatlichen Stellen schienen ohnehin überfordert: am 25. Januar 1915 berichtete die BZ über eine Verfügung des Stellvertretenden Generalkommandos für das 9. Korps, dass der „Verkauf von Wolldecken“ gesperrt sei und schrieb auch über den „dringenden Bedarf“ an Wolldecken für Schützengräben. Eine Woche später, am 1. Februar,  war das Verkaufsverbot schon wieder aufgehoben – Begründung: es bestehe kein Mangel.

Dieser Beitrag wurde unter Bergedorf 1915 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert