Keine Polonäse mehr in Bergedorf?

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1916

„Polonäsestehen“ war damals (nicht nur) in Bergedorf ein extensiv praktizierter und zugleich höchst unbeliebter Zeitvertreib, und Maßnahmen zur Beendigung (zumindest der Verkürzung) desselben fanden bestimmt die Zustimmung der Bevölkerung, denn üblicherweise bewegt man sich bei einer Polonäse ob mit großen oder ob mit kleinen Schritten relativ zügig vorwärts und amüsiert sich dabei. Das Polonäsestehen hingegen war kein Vergnügen, sondern Notwendigkeit: Einkaufen war mit Anstehen und oft stundenlanger Wartezeit verbunden (siehe hierzu auch den Beitrag Szenen beim Butterverkauf).

Nun aber sollten die Schlangen vor den Schlachterläden durch „Kundenlisten“ beseitigt werden: man wurde verpflichtet, immer bei demselben Schlachter zu kaufen und erhielt eine nur für diesen gültige Bergedorfer Fleischkarte, nachdem man einen Fragebogen zur Zahl der Personen im Haushalt ausgefüllt und bei der Stadtverwaltung abgegeben hatte (womit Bergedorf der Reichsfleischkarte um einige Wochen voraus war, siehe BZ vom 23. August 1916; es sollte 250g Fleisch am Knochen bzw. 200g ohne Knochen pro Woche geben).

Mit einem ähnlichen Verfahren war man bereits erfolgreich gegen die „Butterpolonäsen“ vorgegangen (siehe BZ vom 12. August 1916) – doch  Margarine verkaufte nur der städtische Eckladen in Stadt Lübeck, der nur sonnabends geöffnet hatte (siehe BZ vom 21. August 1916): hier war die Polonäse am längsten und hielt sich auch länger. Erst ab dem 5. September wurde die Abgabe von Margarine (aktuelle Wochenration: 20 g) den insgesamt 28 Butterhändlern (siehe BZ vom 12. und 15. August 1916) übertragen, und so brauchte man sich nur noch einmal anzustellen, um seine „Streichfettration“ erwerben zu können (Wochenration bis Ende 1916 Butter: maximal 50g für bis zu 34 Pfg., Margarine 0 bis 40g, zusammen nie mehr als 80g).

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1916

Der aus dem Karten- und Listensystem erwachsende Verwaltungsaufwand überforderte offenkundig die Arbeitskapazität der städtischen Bediensteten, sodass der Magistrat um ehrenamtliche Helfer bei der Erfassung der Daten und der Ausgabe der Fleischkarten bat: in nur vier Tagen sollte ganz Bergedorf erfasst werden, was sicher nicht ohne Wartezeit geschah: völlig ohne Polonäsestehen, dieses Mal in der Wentorfer Straße vor der ehemaligen Hansaschule, sollte es eben doch nicht gehen.

Übrigens: wenn der Fleischbestand eines Schlachters nicht ausreichte, um alle „seine“ Kunden zu versorgen, sollte ein vom Magistrat benannter Kollege dieses Defizit „ausgleichen“ (siehe § 6 der „Bekanntmachung über Regelung des Verkehrs mit Fleisch in der Stadt Bergedorf“, abgedruckt in der BZ vom 18. August 1916). Ob das wohl klappte?

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Jugend unter Kontrolle

Bergedorfer Zeitung, 22. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 22. August 1916

Nicht im Bergedorfer Lokalteil, sondern als Kurzmeldung aus Hamburg gab die BZ den Hinweis, dass das stellvertretende Generalkommando die Verhaltensregeln für Kinder und Jugendliche in seinem Bereich geändert hatte: demnach durften Kinder unter 14 Jahren nach 20:00 Uhr nur noch in Begleitung ihrer Erziehungsberechtigten auf die Straße, und allen Unter-18-Jährigen wurde „das ziellose Auf- und Abgehen und der zwecklose Aufenthalt auf öffentlichen Straßen und Plätzen verboten.“ Bei den Betroffenen wird diese Verordnung nicht auf Begeisterung gestoßen sein, schließlich ist man im Sommer bei gutem Wetter gern draußen, auch wenn es keinem besonderen Zweck dient. Und was sollte man zuhause mit der Zeit anfangen? Fernsehen, Radio, Internet, Computerspiele schieden als Zeitvertreib ja aus.

Das war der Militärverwaltung aber egal, und sie versah ihre Verordnung (publiziert im Korpsverordnungsblatt) auch mit kräftigen Strafandrohungen:

Korpsverordnungsblatt für das IX. Armeekorps, 3. Jg., 21. August 1916, Nr. 135, S. 727

Korpsverordnungsblatt für das IX. Armeekorps, 3. Jg., 21. August 1916, Nr. 135, S. 727

Gründe wurden natürlich nicht genannt, und der Bergedorfer Zeitung waren auch an anderen Tagen keine zu entnehmen. Die fast gleichzeitig geänderte Polizeiverordnung der Landherrenschaften nannte zwar den „Schutz der Kinder und der Jugendlichen“ als ihr Ziel und wollte daher deren Aufenthalt in Gaststätten einschränken – in puncto Alkoholkonsum für Kinder waren die Regelungen im Vergleich zum Jugendschutzgesetz 2016 eher lax. Jugendliche Militärpersonen (ja, die gab es) bedurften allerdings dieses Schutzes nicht:

Bergedorfer Zeitung, 23. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 23. August 1916

Vierzehn Tage später dann kam die nächste Einschränkung, mit der besondere Regelungen für den Kinobesuch verordnet wurden: nur noch spezielle „Kindervorstellungen“ mit entsprechend genehmigten Filmen durften besucht werden, und im Gegensatz zum Alkoholkonsum (s.o.) gab es für die Sechs- bis Achtzehnjährigen keine weiteren Differenzierungen.

Bergedorfer Zeitung, 7. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 7. September 1916

Drei Verordnungen in so kurzer Zeit – das war kein Zufall: in Hamburg hatte es am 18. August 1916 eine erste Friedensdemonstration gegeben, angeführt von der Hamburger Arbeiterjugend, wie Volker Ullrich (S. 37f.) schreibt: die „Freie Jugendorganisation von Hamburg-Altona und Umgebung“ war aus Protest gegen die von der SPD und den Gewerkschaften wegen kriegskritischer Haltung veranlasste Auflösung des sozialdemokratischen Jugendbundes entstanden – zehn Tage nach der Demonstration wurde die „Freie Jugendorganisation“ verboten, und ohne Versammlungsräume, ohne Aufenthaltsrecht im Freien wollte man die Jugend schon unter Kontrolle bringen …

(Und es gärte wohl nicht nur in der Jugend: schon am 15. August hatte die BZ gemeldet, dass das stellvertretende Generalkommando ebenfalls für den 18. August geplante Veranstaltungen der SPD-Landesorganisation Hamburg, deren Führung fest zur Burgfriedenspolitik stand, unter dem Motto „Der Friedenswille im Volke!“ mit Versammlungsverbot belegt hatte.)

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Wanderflegel

Bergedorfer Zeitung, 14. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 14. August 1916

Der Empörung der Deutschen Turnzeitung gab die Bergedorfer Zeitung breiten Raum, denn angeblich waren die „Wanderflegel“ auch in Bergedorf ein Problem: von „widerlichsten Szenen“ auf dem Gojenberg wusste der Reporter, der auch angab, „wiederholt gegen die Auswüchse des Wandervogeltums Stellung genommen“ zu haben, was aber nur außerhalb des Blattes oder des Betrachtungszeitraums seit 1914 der Fall gewesen sein kann.

Den Wahrheitsgehalt der Schilderung der Deutschen Turnzeitung zu überprüfen kann im Rahmen dieses Blogs nicht geleistet werden – sicher gab es gelegentlich Trupps junger Menschen, die bei Ausflügen in die Umgebung großer Städte über die Stränge schlugen, aber ob es sich bei diesen um organisierte Wandervögel handelte, wie der Bericht insinuiert, ist fraglich. Vielleicht spielte es für die national gesinnten organisierten Turner eine Rolle, dass die (in sich vielfältige) Wandervogelbewegung eher der Jugend- und Lebensreformbewegung nahestand und sich teilweise explizit gegen den Einfluss Älterer, insbesondere der Lehrer, wehrte, was wiederum einen deutlichen Kontrast z.B. zu den Jugend-Kompagnien darstellte (für Bergedorf siehe hierzu Jürgen Klein).

Zum Verprügeln von Wanderflegeln wollten die Turner letztlich nicht auffordern, aber sie forderten größte Strenge der Behörden und drakonische Bestrafungen durch die Gerichte. Entweder schliefen Bergedorfs Autoritäten einschließlich des Amtsgerichts – oder es gab hier schlichtweg keine Fälle, über die die Zeitung hätte berichten können.

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Kein Lazarett in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1916

Diese Anzeige signalisierte einen weiteren Rückschlag für diejenigen Bergedorfer, die es als ihre patriotische Pflicht ansahen, alles dafür zu tun, dass Bergedorf ein Lazarett bekäme: offenbar hatte es, ohne dass die BZ darüber berichtet hätte, eine Sammlung von Möbeln für solch ein Militärhospital gegeben, die nun wieder rückgängig gemacht werden musste, weil das Kurhaus Bergedorf, in dem die Spenden offenbar lagerten, verkauft werden sollte (siehe BZ vom 31. Januar 1916), und weil Bergedorf letztlich ohne Lazarett blieb. Auf welchem Wege für die Ablieferung der  Ausstattungsgegenstände im Kurhaus am Reinbeker Weg 50 (siehe Bergedorfer Adressbuch 1915) geworben worden war, ist unklar – über die Bergedorfer Zeitung war dies jedenfalls nicht geschehen.

Die Bemühungen, Bergedorf zum Lazarettstandort zu machen, hatten schon 1914 begonnen: die „Hamburger Kolonne vom Roten Kreuz, Abteilung Bergedorf“ bat in einer Anzeige nicht nur um Geldspenden: „Für neu einzurichtende Lazarette in öffentlichen Gebäuden bedürfen wir vieler Betten und Bettwäsche.“ Man sollte anmelden, womit man sich an der Ausstattung beteiligen wollte, aber alles sollte „in den Häusern der Eigentümer“ verbleiben (siehe BZ vom 13. August 1914). Nach einer Meldung vom 26. September 1914 nahm das Medizinalamt Hamburg dieses Angebot an, konnte oder wollte aber nicht sagen, wann eine Belegung erfolgen würde.

Mehr als ein halbes Jahr rührte sich nun gar nichts mehr in dieser Angelegenheit, dann gab die BZ die Zuschrift einer Leserin wieder, die den Bergedorfer Frauenverein aufrief, Kriegsinvalide zu „fröhlicher, dankbarer Sommerfrische“ in Privathäuser aufzunehmen (siehe BZ vom 29. April 1915). Im Juli schrieb die BZ dann, dass Bürgermeister Walli den Militärbehörden das Angebot gemacht habe, „verwundete oder erholungsbedürftige Krieger“ im Staatskrankenhaus, im Hotel Bellevue oder Hotel Fernsicht unterzubringen. Das Krankenhaus wurde durch Militärärzte inspiziert, und sie wollten es „in 8 bis 14 Tagen“ als Erholungsheim für 30 Marinesoldaten nutzen (siehe BZ vom 2. Juli 1915). Eine Vollzugsmeldung war dann aber in der Zeitung nicht zu finden – überbelegt war die Bergedorfer Klinik ja sowieso, siehe den Beitrag Die Erweiterung des Krankenhauses, während die Hotels Bellevue und Fernsicht sicher einen Rückgang der Zahl der Urlaubsgäste verspürten und Kapazitäten frei hatten.

Bergedorfer Zeitung, 19. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 19. August 1916

Damit schienen alle Bemühungen gescheitert – doch dann kam die Bitte des Hamburgischen Landesausschusses für Kriegsbeschädigte an den Bergedorfer Frauenverein, Privatquartiere für Lazarettentlassene zu beschaffen, und en passant erfährt man: „manches Bergedorfer und Reinbeker Haus hat bereits einen solchen Feldgrauen beherbergt“, und daraus wiederum wird klar, dass die Berichterstattung der Bergedorfer Zeitung recht lückenhaft war.

Vielleicht haben die Bergedorfer etwas neidisch auf Geesthacht geschaut: dort gab es seit dem Februar 1916 eine dem Reservelazarett 2 in Hamburg unterstellte Einrichtung für Marinesoldaten, die an der damals weitverbreiteten Tuberkulose litten. Die 75 Patienten waren untergebracht im „Thekla-Haus“ der am Rande Geesthachts gelegenen Lungenheilanstalt Edmundsthal-Siemerswalde, einer Stiftung des Hamburger Kaufmanns und Mäzens Edmund Siemers (siehe BZ vom 7. Januar und 22. Februar 1916, zu der Anstalt generell die Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Hamburgischen Heilstätte Edmundsthal-Siemerswalde in Geesthacht).

Thekla-Haus der Lungenheilstätte Edmundsthal-Siemerswalde (Ansicht von vor 1906)

Thekla-Haus der Lungenheilanstalt Edmundsthal-Siemerswalde (Ansicht von vor 1906)

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„Das dritte Jahr des Weltkrieges hat begonnen“

Bergedorfer Zeitung, 1. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 1. August 1916

Hatte Bergedorfs Bürgermeister den ersten Jahrestag des Kriegsbeginns noch mit einer ausführlichen Bilanz aller Maßnahmen, die wegen des Krieges lokal ergriffen worden waren, begonnen (siehe den Beitrag „Nach einem Jahr“), so wortkarg war er ein Jahr darauf: er beschränkte sich auf den Spendenaufruf des Ausschusses für Kriegsfürsorge, der die dramatische Lage der Zivilbevölkerung erahnen lässt: mit der immer noch steigenden Zahl von Einberufungen sank die Zahl der Familien, die über ein ausreichendes Einkommen verfügten, immer weiter. Ersparnisse aus Friedenszeiten waren aufgebraucht, und auch die Mittel der Kriegsfürsorge waren erschöpft.

Man machte sich keine Illusionen: nur die „schwerste Not“ glaubte man mildern zu können – Not würde es trotz Spendeneingangs also weiterhin geben.

Andere Töne wurden dagegen auf der Titelseite derselben Ausgabe der Bergedorfer Zeitung angeschlagen: drei „Kundgebungen“ des Kaisers wurden abgedruckt, in denen Wilhelm II. den „unbeugsamen Willen zum Sieg“ beschwor und nicht nur den Soldaten, sondern ebenfalls dem „Heimatheer“ und „auch den tapferen Frauen“ seinen Dank für „beispielloses Heldentum in Taten und Leiden“ aussprach. Der Kommentator der BZ, W. Ammenn, merkte dazu jubelnd an: „Ein Aufatmen der Befreiung geht durch das deutsche Volk. Sein Kaiser hat zu ihm gesprochen, in fester, deutscher Ritterlichkeit ihm Dank und Anerkennung gezollt und das Gelöbnis abgelegt, mit unbeugsamem Willen zum Siege weiterringen zu wollen“. Der Bergedorfer Spendenappell war ihm dagegen kein Wort wert.

 

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Ein Anzug für die Jugendwehr und die Bezugsscheine für Textilien

Bergedorfer Zeitung, 1. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 1. August 1916

Hatte die Hamburgische Jugendkompagnie Nr. 51 Bergedorf (siehe hierzu die u.a. die Beiträge Die Feldbefestigung in Bergedorf und Heldentod und Jugendwehr) ein neues Mitglied gewonnen, für das nun ein Anzug beschafft werden musste, war ein „Jungmann“ aus seinem Anzug herausgewachsen oder war sein Anzug zerschlissen? Gesucht wurde jedenfalls ein gebrauchter Anzug, vielleicht wegen Geldmangels, vielleicht aus anderen Gründen – dazu unten mehr.

Eine Fotoansichtskarte aus dem Jahr 1918 gibt einen Eindruck der uniformähnlichen Kleidung der Bergedorfer Jugendwehr: Schirmmütze mit Kokarde, am linken Arm eine Binde, Stiefel mit Wickelgamaschen oder Schaftstiefel zu Kniebundhose, die Jacke bis zum Hals zu knöpfen, dunkler Stoff, die Kompagnietrommler mit Epauletten, die Kleidung der Offiziere (davon einer mit Ordensband) unterschiedlich.

Bergedorfer Zeitung, 5. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 5. Februar 1916

Farben sind einer Schwarzweißfotografie natürlich nicht zu entnehmen, aber in der Bergedorfer Zeitung waren Hinweise zu finden: die Stofffarbe muss feldgrau gewesen sein, sonst hätte die Verwechslungsgefahr mit der Soldatenuniform nicht bestanden, und die Armbinde wird die hamburgischen Landesfarben rot-weiß gezeigt haben.

Bergedorfer Zeitung,

Bergedorfer Zeitung, 18. Juli 1916

Ein gebrauchter Anzug war, um auf die Anzeige zurückzukommen, eventuell schlicht leichter zu beschaffen als ein neuer (obwohl die Anzeige mehrfach erschien), denn seit einiger Zeit gab es „Web-, Wirk- und Strickwaren“ nur noch auf Bezugsschein; nicht einmal ein Feudel konnte ohne einen solchen gekauft werden (siehe BZ vom 24. August 1916). Im Landgebiet waren diese Scheine bei hierfür von der Landherrenschaft benannten Vertrauensleuten (in den meisten Fällen einer der Dorfschullehrer) zu beantragen, die die Anträge prüften – ausgestellt wurden die Bezugsscheine dann im Bureau der Landherrenschaften in Hamburg. In Geesthacht waren „sämtliche Mitglieder der Kriegskommission“ Vertrauensleute (siehe BZ vom 28. Juli 1916).

Bergedorfer Zeitung, 29. Juli 1916

Bergedorfer Zeitung, 29. Juli 1916

In Bergedorf entschied eine neunköpfige Kommission, der auch drei Frauen mit recht unterschiedlichem Hintergrund angehörten. Durch die Anschriften erfährt man etwas mehr über diese drei: Johanna Podeyn dürfte die Ehegattin des Polizei-Assistenten Wilhelm Podeyn gewesen sein, Frau Schmidt die des Fabrikarbeiters Wilhelm Schmidt (siehe Bergedorfer Adressbuch 1915). Elisabeth Thomann stand in Bergedorf in hohem Ansehen, u.a. als niederdeutsche Schriftstellerin und Dichterin des Bergedorf-Liedes (siehe Bergedorfer Personenlexikon).

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Die Ferienkolonie in den Sander Tannen

Die Erlöserkirche in Sande (Aufnahme aus dem frühen 20. Jahrhundert)

Die Erlöserkirche in Sande (Ansichtskarte aus dem frühen 20. Jahrhundert)

Vor einhundert Jahren war das Gebiet der Sander Tannen erheblich größer; die 1899 geweihte Erlöserkirche befand sich am westlichen Ortsrand Sandes. Das Kuppelgebäude links der Kirche ist das für Wilhelm Bergner, den Gründer des Bergedorfer Eisenwerks, errichtete Mausoleum. Im Vordergrund der Aufnahme sieht man eine naturnahe Landschaft, die belegt, dass „Sande“ ein passender Name für den Ort war.

Wiederum westlich hiervon begann der Tannenwald, dessen heutiger Restbestand den 1907 gebauten Lohbrügger Wasserturm umgibt (siehe hierzu die Aufsätze von Geerd Dahms in Wasser für Sande).

Bergedorfer Zeitung, 20. Juli 1916

Bergedorfer Zeitung, 20. Juli 1916

Dieses Gebiet wurde nun (wie auch in den Vorjahren) zum Ziel von Tagesausflügen der „schwächlichen Kinder“ der „Rekrutenklassen“, also der Schulanfänger – wer sich über den martialischen Sprachgebrauch mokiert, sollte sich erinnern, dass er vielleicht selbst früher von „ABC-Schützen“ gesprochen hat.

Immerhin, es gab bereits eine Einschulungsuntersuchung zu jener Zeit, und die Gemeinde tat etwas für die (körperlichen) Problemkinder, indem sie während der Ferien Tagesausflüge in die Tannen organisierte und dabei „nach Möglichkeit frische Milch zum Trinken“ lieferte (Milch war knapp und teuer, siehe BZ vom 4. und 9. Mai sowie 15. Juli 1916). Dies brachte der Gemeinde höchstes Lob des Verfassers des Artikels ein, aber die Bezeichnung „Ferienkolonie“ erscheint doch etwas übertrieben.

 

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Die BGE und die (fast) geheime Krümmel-Bahn

Bergedorfer Zeitung, 18. Juli 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. Juli 1916

„Trotz des herrschenden Weltkrieges“ habe die Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn (BGE) im Geschäftsjahr 1. April 1915 bis 31. März 1916 „abermals eine sehr erfreuliche Entwicklung gezeigt“, schrieb der BGE-Vorstand laut Bergedorfer Zeitung im Geschäftsbericht. Dem ist zu widersprechen: gerade wegen des Krieges war die Entwicklung so positiv, dass die Dividende auf 10% erhöht werden konnte und verschiedene Rücklagen aufgestockt wurden: der Reingewinn betrug 368.199,67 Mark – bei einer Bilanzsumme von 4,4 Millionen Mark wahrlich kein schlechter Wert.

Das gute Ergebnis war fast ausschließlich auf der „Stammstrecke“ Bergedorf – Geesthacht erwirtschaftet worden, die Einnahmen auf der Vierländer Bahn lagen trotz Steigerung noch unter dem Vorkriegsniveau. Richtung Geesthacht gab es bedeutende Zuwächse im Güter- wie im Personenverkehr, wie schon in den Beiträgen Geesthachts Lebensnerv: Die Pulverfabrik Düneberg und Die Arbeiterzüge der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn herausgearbeitet wurde: ohne den Krieg wäre auch auf dieser Strecke der Verkehr wohl eher beschaulich geblieben.

Ausgesprochen harmlos klingt der Hinweis auf den „Bau eines Anschlussgleises nach einem Fabrikgelände“, denn die BGE hatte hiervon bereits mehrere, z.B. zu den Industriebetrieben am Schleusengraben in Bergedorf, zur Blohmschen Ziegelei (siehe den Beitrag Städtische Schweine in der alten Ziegelei), zu den Geesthachter Hartsteinwerken und zur Pulverfabrik Düneberg, wie Jürgen Opravil (S. 32f.) schreibt. Allerdings war dies nicht irgendein kurzes Stückchen Bahn: die Streckenlänge betrug immerhin knapp vier Kilometer. Wahrscheinlich durfte jedoch die Strecke nicht näher bezeichnet und der Name der Fabrik nicht genannt werden, denn die Gleise führten zu den Dynamitwerken Krümmel. Anfang 1915 hatte die BZ noch im Klartext über die Logistik von Pulverfabrik und Dynamitwerken berichtet (siehe den Beitrag Boomtown Geesthacht?) – nun wollte man dem Feind, falls er denn die Bergedorfer Zeitung las, nichts verraten. Die Einheimischen dürften sowieso Bescheid gewusst haben.

Übrigens durfte nicht jeder die ab Oktober 1916 verkehrenden Personenzüge auf dieser Strecke nutzen, sondern nur die Fabrikmitarbeiter und die Einwohner des Krümmel (vgl. Olaf Krüger, S. 116 f.). Es war eben keine „normale“ Bahn, die das Dynamitwerk bauen ließ und die es bezahlte. Es war zudem eine Bahn, bei deren Bau vor allem russische Kriegsgefangene eingesetzt wurden – Fotos dazu finden sich ebenfalls bei Olaf Krüger (S. 118).

Zunächst lukrativ war für die BGE auch der Verkauf der (1912 erworbenen) Besenhorster Sandberge an die Pulverfabrik, die so ihr Betriebsgelände erheblich erweitern konnte (vgl. Olaf Krüger, S. 96f.), aber da der größte Teil des Verkaufserlöses in die Kriegsanleihe floss, war das Geld nach Kriegsende schlicht futsch.

Die im Artikel genannten „Vorarbeiten für die Marschbahnen“ ruhten – sie wurden nach Kriegsende als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme wieder aufgenommen. Eine erste Teilstrecke wurde dann 1921 in Betrieb genommen (Fünfhausen – Geesthacht), der Endausbau war am 1. Oktober 1928 vollzogen. Die eingleisige Strecke führte von Billwärder-Moorfleet durch die südlichen Marschlande nach Zollenspieker und von dort weiter über Neuengamme und Curslack nach Geesthacht. Wirtschaftlich war diese Bahn ein Misserfolg, sodass sie Anfang der 1950er Jahre stillgelegt und abgebaut wurde (vgl. Jürgen Opravil, S. 94). Heute freuen sich vor allem Radfahrer und Reiter darüber, denn die alten Bahndämme (auch der Vierländer Bahn) wurden zu Rad- und Reitwegen, für die im Internet auf der EU-geförderten Site http://www.entdeckerrouten.org/category/routen/vier-und-marsch/ und vom Bezirksamt Bergedorf unter http://www.bergedorf.de/raderlebnis.html geworben wird.

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Städtische Schweine in der alten Ziegelei

Bergedorfer Zeitung, 7. Juli 1916

Bergedorfer Zeitung, 7. Juli 1916

Bergedorfs Verantwortliche ließen nichts unversucht, die Bevölkerung mit Nahrhaftem zu versorgen: es wurden sogar Ferkel von einem „sachverständigen Wärter“ in der ehemaligen Ziegelei an der Chaussee Richtung Geesthacht (Verlängerung der Brunnenstraße) gemästet. Und die privaten Schweinemäster konnten Futter von der Stadt beziehen – dafür allerdings ließ sich Bergedorf ein Vorkaufsrecht auf die Schweine einräumen (siehe BZ vom 19. September und 12. Oktober 1916). Auch Sande stellte Futter bereit – eine kommunale Schweinehaltung lehnte die Gemeindevertretung hingegen vorerst ab, auch weil dafür „die nötige Menge guten Futters“ nicht zu beschaffen war (siehe BZ vom 15. Juli und 19. August 1916). Wie wenig tierisches Eiweiß vorhanden war, wird aus einem Beschluss des Sander „Einkaufsausschusses“ deutlich: „Den Schlachtern soll die Berechtigung eingeräumt werden, aus den Abfällen und unverkäuflichen Rückständen Blut-, Leber- und Sülzwurst herzustellen.“ (Siehe BZ vom 12. Juli 1916.) Guten Appetit.

Bergedorfer Zeitung, 30. August 1915

Bergedorfer Zeitung, 30. August 1915

Bergedorf war in der glücklichen Lage, über eine geeignete Immobilie weit weg von der Stadt zu verfügen (seit kurz nach Kriegsbeginn, siehe BZ vom 13. September 1914): die stillgelegte „Blohmsche Ziegelei“ an der Grenze zu Börnsen, über deren Geschichte dem Buch Die Ziegeleien im Raum Bergedorf (mit einem Holzschnitt der Ziegelei im Jahr 1914 auf S. 24) und dem nebenstehenden Artikel einige Informationen zu entnehmen sind: der (letztlich zurückerstattete) Kaufpreis des Schornsteins wird darin zwar nicht genannt, er ist aber einem weiteren Artikel zu entnehmen, der auch die dann doch erfolgte Sprengung schildert (unten rechts). Vor dieser Ziegelei stand übrigens ein hölzener Aussichtsturm, genannt die „Kanzel“, doch dieser wurde im Sommer 1916 wegen Baufälligkeit abgerissen (siehe BZ vom 25. Juli 1916), nicht wegen der der Schweinehaltung entweichenden Gerüche, die wohl die Verweildauer auf dem Turm verkürzt hätten.

Bergedorfer Zeitung, 7. Juli 1916

Bergedorfer Zeitung, 7. Juli 1916

Eine Bemerkung zum Schweinebestand: kurz vor Kriegsbeginn lag die Zahl der Schweine in der Stadt Bergedorf bei 873 (siehe den Beitrag Schweine in der Stadt), Ende 1916 bei 1.141 (siehe BZ vom 12. Dezember 1916), während sie im Reich von 25.341.272 auf nur noch 17.287.211 zurückgegangen war (siehe BZ vom 21. August 1916) – verantwortlich der schon mehrfach genannte Schweinemord.

Der Pferdestall der Ziegelei war zu dieser Zeit bereits zum Schweinestall umgebaut worden, weitere Stallungen kamen hinzu, 120 Schweine wurden gemästet (siehe BZ vom 30. August 1916)und produzierten (nicht zu knapp) Ausscheidungen, die in einer amtlichen Bekanntmachung ihren Niederschlag fanden:

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1916

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1916

 

 

 

 

 

 

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Walli will weg – der Bürgermeister geht

Bergedorfer Zeitung, 28. Juni 1916

Bergedorfer Zeitung, 28. Juni 1916

Da hatte die Bergedorfer Zeitung einmal einen echten „scoop“, eine sensationelle Erstmeldung, gelandet: Bergedorfs Bürgermeister hatte sich erfolgreich auf eine andere Stelle beworben und seine Wahl in Pankow angenommen, wie er (zwei Wochen später, siehe Bergedorfer Zeitung vom 12. Juli 1916) in nichtöffentlicher Sitzung dem Magistrat und der Bürgervertretung mitteilte.

Drei Fragen drängen sich auf: Warum wollte er gehen? Wie reagierte die Politik in Bergedorf? Und ging er wirklich?

Ein wichtiger Grund für seine Veränderungsabsicht könnten die „Bergedorfer Verhältnisse“ gewesen sein, die Kompetenz- und Finanzverteilung zwischen dem Staat Hamburg, der Landherrenschaft Bergedorf und der Stadt Bergedorf – das jedenfalls vermutete der frühere Bürgervertreter und Ratmann Hermann Baaß (Bergedorfer Personenlexikon, S. 19) in einem langen Leserbrief (siehe BZ vom 17. Juli 1916, siehe auch den Beitrag Kommunalpolitik 1916: Hohler Weg und weniger Ratmänner). Wie unzufrieden Walli mit den vorhandenen Verwaltungsstrukturen und dem Hineinregieren in Bergedorfer Angelegenheiten war, wird aus seinem 1919 veröffentlichten Aufsatz Zur Frage der Verwaltung Groß-Hamburgs deutlich, in dem er „schreiende Mißstände“ (S. 38) beklagte. Baaß könnte also richtig gelegen haben.

Ein anderes Motiv könnte das liebe Geld gewesen sein: 1912 hatte das Jahresgehalt des Bergedorfer Bürgermeisters 11.000 Mark betragen (siehe Barghorn-Schmidt, S. 162) – Wallis Gehalt dürfte höher gelegen haben als das seines Vorgängers, aber nicht an die 15.000 Mark herangereicht haben, die Pankow zahlen wollte.

Gern wollte man Walli offenbar nicht ziehen lassen, zumal der Magistrat ohnehin dezimiert war (siehe den Beitrag Kommunalpolitik 1916: Hohler Weg und weniger Ratmänner) – man wollte ihn in Verhandlungen dazu bringen, „noch einige Zeit“ in Bergedorf zu bleiben: sowohl Bürgervertreter als auch der Landherr forderten ihn auf, „mindestens“ bis zum Waffenstillstand, möglichst bis zum Friedensschluss (siehe BZ vom 12. und 26. Juli 1916) zu bleiben. Walli selbst erklärte, dass er seinen bis zum 31. Dezember 1916 laufenden Vertrag in Bergedorf selbstverständlich erfüllen werde und dass er bereit sei, mit Pankow über den Zeitpunkt des Wechsels zu verhandeln.

Das alles zog sich nun monatelang hin, ohne dass die Bergedorfer Zeitung Neuigkeiten zu berichten wusste – allerdings war der Verzicht von Wallis Ehefrau auf eine Wiederkandidatur für den Vorstand des Bergedorfer Frauenvereins (siehe BZ vom 2. Oktober 1916) ein Indiz, dass die Wallis auf Veränderung setzten. Aber auch im Dezember gab es noch keine Klarheit: nach wie vor wollten ihn beide Städte als Bürgermeister (siehe BZ vom 13. Dezember 1916).

Letztlich blieb er bis über das Kriegsende hinaus in Bergedorf. Im Juni 1919 wechselte er als Senatssyndikus in die Hamburger Verwaltung (siehe Bergedorfer Personenlexikon, S. 209f.), was ja auch nicht schlecht für ihn war.

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