Keine Polonäse mehr in Bergedorf?

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1916

„Polonäsestehen“ war damals (nicht nur) in Bergedorf ein extensiv praktizierter und zugleich höchst unbeliebter Zeitvertreib, und Maßnahmen zur Beendigung (zumindest der Verkürzung) desselben fanden bestimmt die Zustimmung der Bevölkerung, denn üblicherweise bewegt man sich bei einer Polonäse ob mit großen oder ob mit kleinen Schritten relativ zügig vorwärts und amüsiert sich dabei. Das Polonäsestehen hingegen war kein Vergnügen, sondern Notwendigkeit: Einkaufen war mit Anstehen und oft stundenlanger Wartezeit verbunden (siehe hierzu auch den Beitrag Szenen beim Butterverkauf).

Nun aber sollten die Schlangen vor den Schlachterläden durch „Kundenlisten“ beseitigt werden: man wurde verpflichtet, immer bei demselben Schlachter zu kaufen und erhielt eine nur für diesen gültige Bergedorfer Fleischkarte, nachdem man einen Fragebogen zur Zahl der Personen im Haushalt ausgefüllt und bei der Stadtverwaltung abgegeben hatte (womit Bergedorf der Reichsfleischkarte um einige Wochen voraus war, siehe BZ vom 23. August 1916; es sollte 250g Fleisch am Knochen bzw. 200g ohne Knochen pro Woche geben).

Mit einem ähnlichen Verfahren war man bereits erfolgreich gegen die „Butterpolonäsen“ vorgegangen (siehe BZ vom 12. August 1916) – doch  Margarine verkaufte nur der städtische Eckladen in Stadt Lübeck, der nur sonnabends geöffnet hatte (siehe BZ vom 21. August 1916): hier war die Polonäse am längsten und hielt sich auch länger. Erst ab dem 5. September wurde die Abgabe von Margarine (aktuelle Wochenration: 20 g) den insgesamt 28 Butterhändlern (siehe BZ vom 12. und 15. August 1916) übertragen, und so brauchte man sich nur noch einmal anzustellen, um seine „Streichfettration“ erwerben zu können (Wochenration bis Ende 1916 Butter: maximal 50g für bis zu 34 Pfg., Margarine 0 bis 40g, zusammen nie mehr als 80g).

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1916

Der aus dem Karten- und Listensystem erwachsende Verwaltungsaufwand überforderte offenkundig die Arbeitskapazität der städtischen Bediensteten, sodass der Magistrat um ehrenamtliche Helfer bei der Erfassung der Daten und der Ausgabe der Fleischkarten bat: in nur vier Tagen sollte ganz Bergedorf erfasst werden, was sicher nicht ohne Wartezeit geschah: völlig ohne Polonäsestehen, dieses Mal in der Wentorfer Straße vor der ehemaligen Hansaschule, sollte es eben doch nicht gehen.

Übrigens: wenn der Fleischbestand eines Schlachters nicht ausreichte, um alle „seine“ Kunden zu versorgen, sollte ein vom Magistrat benannter Kollege dieses Defizit „ausgleichen“ (siehe § 6 der „Bekanntmachung über Regelung des Verkehrs mit Fleisch in der Stadt Bergedorf“, abgedruckt in der BZ vom 18. August 1916). Ob das wohl klappte?

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