„Nach einem Jahr“

Bergedorfer Zeitung, 31. Juli 1915

Bergedorfer Zeitung, 31. Juli 1915

Georg Deck, verantwortlicher Redakteur der Bergedorfer Zeitung für Kommunales und den Tagesbericht, war nicht zurückhaltend in seiner Bilanz nach einem Jahr Krieg, wobei ich nicht so sehr das Eigenlob meine, das er seinem Blatt aussprach, sondern seine Schilderung der Kriegsbegeisterung in Bergedorf – vor einem Jahr las man’s noch anders, siehe den Beitrag Der Kriegsausbruch – Jubel und Sorgen – und sein Loblied auf den Bergedorfer Bürgermeister Dr. Paul Walli.
Hier schrieb Deck auch über gebrachte und noch zu bringende Opfer, aber in einer Art, die den heutigen Leser die Stirn runzeln lässt: nicht ein einziges Wort über die Kriegstoten und Invaliden, an die Familien, die Vater oder Sohn durch den Krieg verloren hatten oder in Angst davor lebten.

Sicher tat die Stadt viel, um materielle Not zu lindern – Bürgermeister Walli hatte die Kriegsfürsorge Bergedorf schnell auf die Beine gestellt und unter den gegebenen Umständen effizient organisiert, wie aus drei jeweils mehr als eine Spalte langen Artikeln Wallis hervorgeht, die die BZ am 2., 3. und 4. August veröffentlichte und auf die hier nur in ausgewählten Punkten eingegangen werden kann.

Nahrungsmittelversorgung:

Im früheren Hotel Stadt Lübeck und in einem Haus am Pool wurden Volksküchen eingerichtet, in denen als bedürftig anerkannte Personen kostenloses Mittagessen erhielten (August 1914: 417 Portionen, Juli 1915: 571 Portionen täglich). Für diesen 3.472 Personen umfassenden Kreis gab es auch kostenlos Brot und Heizmaterial.
„Zur Behebung der zeitweilig sehr großen Kartoffelnot“ kaufte die Stadt Speise- und Pflanzkartoffeln, unterstützte den privaten Kartoffel- und Gemüseanbau durch Flächen, Düngemittel und Saatgut und betrieb auch selbst Kartoffelanbau (siehe hierzu auch den Beitrag Mehr Mangel, weniger welsche Worte). Die städtische Kartoffelernte auf dem Gojenberg erbrachte immerhin 440 Zentner (BZ vom 3. November 1915).

Arbeitsbeschaffung:

Wie in dem Beitrag Von Kriegsnot und Warmbadeanstalt geschildert, legte die Stadt Notstandsarbeiten auf (Tagelohn 3 M) und errichtete einen städtischen Arbeitsnachweis, der in die Landwirtschaft vermittelte und „die Hauptmasse der Arbeitslosen bei den Explosivstoff-Fabriken in Geesthacht“ unterbrachte, sodass 1915 fast nur Jugendliche unter 16 und Arbeiter über 60 beschäftigungslos waren. Besonders schlecht sah es wohl für weibliche Arbeitssuchende aus: für Schulabgängerinnen wurde nach Ostern 1915 eine (freiwillige) „Haushaltungs-Fortbildungsschule“ eingerichtet, die von 40 Mädchen besucht wurde. (Einige) Frauen hatten im Winter die Möglichkeit eines kleinen Arbeitseinkommens durch Näh- und Strickarbeiten für „Liebesgaben“ im Auftrag des Bergedorfer Frauenvereins gehabt.

Organisation und Finanzierung:

Der „Kriegsfürsorgeausschuss“ bestand aus Mitgliedern der Stadtvertretung und des Magistrats sowie dem Amtsrichter Dr. Seebohm und Frau Dr. Thomsen; er konnte über die Mittelvergabe selbständig entscheiden. In welchem Maße städtische Bedienstete bzw. freiwillige Helferinnen und Helfer die Arbeiten unterstützten, ist der Zeitung nicht zu entnehmen.

Die Stadt stellte 100.000 M zur Verfügung, davon 50.000 M für Notstandsarbeiten – durch Eintrittsgelder bei Wohltätigkeitskonzerten und Sammelaktionen der „Kriegsfürsorge Bergedorf“ waren laut Walli weitere 178.295,99 M sowie größere Spenden an Mehl und Milch verbucht worden (siehe BZ vom 4. August 1915) – in den monatlich per Anzeige in der BZ veröffentlichten Einnahmeabrechnungen der Kriegsfürsorge wurden allerdings nur 116.229,86 M aufgeführt (siehe BZ vom 7. August 1915). Die Differenz ist anhand der Bergedorfer Zeitung nicht aufzuklären (und damals offenbar auch niemandem aufgefallen); eventuell hat Walli hier Sonderaktionen wie z.B. die Kaisersgeburtstagsspende und Reichswollwoche, den 100. Geburtstag Bismarcks und Sachspenden eingerechnet.

Von den Ausgaben in Höhe von 119.231,12 M entfielen 90.281,06 M auf Lebensmittel, Milch und Brot.
Der noch nicht verausgabte Betrag von 59.064,87 M würde nach Einschätzung von Bürgermeister Walli bis in den November hinein ausreichen, aber wegen der Teuerung und des Aufbrauchens der Ersparnisse in vielen Haushalten müsse die nächste Sammlung jetzt folgen – und für diese bat auch Deck um „tatkräftigste“ Beiträge.

Dieser Beitrag wurde unter Bergedorf 1915 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert