Die Sicherheitswachen und die Waffenabgabe

BZ, 13. Februar 1919

BZ, 15. Februar 1919

Gleich zu Beginn der Revolution war in Bergedorf im Portici das Wachlokal des Soldatenrats eingerichtet worden (siehe den Beitrag Die Revolution erreicht Bergedorf), im Dezember dann erhielt Sande seine eigene militärische Sicherheitswache (siehe den Beitrag Sande und der Arbeiter- und Soldatenrat) – nun wurden ihre Führer durch die „militärische Sicherheitskompagnie des Reserve-Infanterie-Regiments 76“ ausgewechselt.

Vermutlich stand diese Reorganisation im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Bremer Räterepublik (siehe Jörn Brinkhus, S. 57-69), die in Hamburg u.a. dazu geführt hatten, dass das Stadthaus von etwa 2.000 Personen gestürmt wurde, die sich die dort lagernden Waffen aneigneten (BZ vom 7. Februar 1919). Am 11. Februar ordnete der Siebener-Ausschuss des Hamburger Soldatenrats an, dass alle Waffen binnen 48 Stunden abzugeben seien, um der „wilden Bewaffnung“ ein Ende zu bereiten und das Waffenmonopol der Ordnungskräfte wieder herzustellen. Zwischenzeitlich war es zu bewaffneten Plünderungen sowie Feuergefechten zwischen Plünderern und Sicherheitsmännern gekommen (BZ vom 11. Februar).

Bergedorfer Zeitung, 18. Februar 1919

Für Bergedorf und Sande waren zwar im Gegensatz zu Hamburg keine Meldungen über Schießereien zwischen Sicherheitsmannschaften und Plünderern bzw. Räubern zu finden, aber die Waffenabgabe sollte auch hier durchgesetzt werden, wenn auch mit (der ortsüblichen) Verzögerung und längerer Fristsetzung, und es verstrichen weitere Tage, bis sich auch der Soldatenrat der Vierlande zu einem entsprechenden Aufruf veranlasst sah (BZ vom 22. Februar). Meldungen über Erfolge oder Misserfolge gab es nicht.

BZ, 22. Februar 1919

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Das Schadenfeuer am Neuen Deich

Bergedorfer Zeitung, 15. Februar 1919

Auch ohne die damaligen Preise für Rohvaseline und Paraffine zu kennen und damit die Mengen abschätzen zu können, wird man sagen können, dass es kein kleiner Brand war, über den die Zeitung hier berichtete – Bergedorfs Feuerwehr setzte immerhin zwei Rohre bei den Löscharbeiten ein. Personen kamen offenbar nicht zu Schaden.

 

BZ. 26. Juni 1918

Über die geschädigte Firma ist wenig bekannt; in den Sammelbänden zur Bergedorfer Industrie taucht sie nicht auf, auch im Bergedorfer Adressbuch 1915 war sie nicht verzeichnet. Sie scheint erst während des Krieges gegründet worden zu sein, eventuell sogar erst 1918: da erschien erstmals eine Stellenanzeige der Bergedorfer Wachs- und Oel-Werke, Karl-Heinr. von Gerstenberg, der noch einige weitere folgten. Der Direktor und Inhaber K. H. Freiherr von Gerstenberg war in den Hamburger Adressbüchern für 1918 bis 1920 mit der Bergedorfer Anschrift Bismarckstraße 13 eingetragen, wohnte also im Villenviertel.

Es muss bezweifelt werden, dass es sich um eine reine Handelsgesellschaft handelte, wie es im Artikel oben hieß, denn von Gerstenberg wurde in den Adressbüchern als Fabrikdirektor bezeichnet, und es wird kein Teekessel gewesen sein, dessen Überkochen das Feuer verursacht hatte. Unbekannt ist auch, welche Produkte hergestellt wurden und an wen sie geliefert wurden – bemerkenswert ist allerdings, dass es eine militärische Dienststelle war, die die Lagerung in einem separaten Gebäude angeordnet hatte, weil wohl für den Krieg produziert wurde: Vaseline wurde in manchen Schießpulvern als Stabilisator eingesetzt, allerdings nicht in Alfred Nobels Ballistit, dem Hauptprodukt der Dynamitwerke Krümmel.

BZ, 22. Mai 1919

Ende Februar schied Gerstenberg als Geschäftsführer aus (BZ vom 4. März); ein Vierteljahr später wurde die Firma liquidiert. Im Juni wurde der Bergedorfer Rechtsanwalt Müller als Konkursverwalter eingesetzt (BZ vom 21. Juni), doch er konnte nichts mehr retten: das Konkursverfahren wurde mangels Masse zügig eingestellt (BZ vom 28. Juni).

Ob für den Niedergang der Firma das Ausbleiben von Rüstungsaufträgen ursächlich oder die Schadenshöhe durch das Feuer ausschlaggebend war, muss offenbleiben.

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Die Rückkehr der kriegsgefangenen Russen

Bergedorfer Zeitung, 10. Februar 1919

Das war sicher eine Überraschung: die zur Repatriierung in Sammellager verbrachten kriegsgefangenen Russen kamen wieder nach Kirchwärder-Warwisch, offenbar aus eigenem Antrieb, aus dem Lager Parchim in Mecklenburg, trotz Winterwetters, wahrscheinlich zu Fuß, über ca. 140 Kilometer.

(nicht datierbare Ansichtskarte)

Das war nach Jochen Oltmer (S. 269ff.) durchaus kein Einzelfall: in der Provinz Hannover kam es zu einer erheblichen Zahl solcher Entweichungen, Landwirte verleiteten Gefangene sogar zur Flucht, um sie (wieder) als Arbeitskräfte zu bekommen, denn trotz allgemein hoher Arbeitslosigkeit fehlte in der Landwirtschaft (wegen der Arbeitsbedingungen und der niedrigen Löhne) Personal.

Die bessere Verpflegung mag ein wichtiges Motiv für eine Flucht gewesen sein, aber die sonstigen Zustände im Lager werden ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Wie human die Russen seitens der Landbevölkerung in Kirchwärder behandelt wurden, ist nicht bekannt, aber dass es ihnen hier besser erging, ist plausibel: für die Bewacher in Parchim waren sie eher eine Last, für die Bauern eine Unterstützung.

Was letztlich aus diesen Russen wurde, ist nicht bekannt – möglicherweise blieben sie oder einige von ihnen über Jahre in Deutschland (siehe hierzu ebenfalls Oltmer, ebd.): der Aufenthalt konnte amtlich gestattet werden, wenn dem Arbeitgeber keine deutschen Arbeitskräfte zugewiesen werden konnten (BZ vom 1. August 1919).

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Die Nachkriegs-Arbeitslosigkeit in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 5. Februar 1919

1080 männliche, 260 weibliche Arbeitslose waren beim Arbeitsamt der Stadt Bergedorf gemeldet, wie Ratmann Wiesner in einer Mitgliederversammlung der SPD erklärte (Gesamtbevölkerung Bergedorfs etwa 16.000, d.h. einschließlich Kindern und Rentnern). Nicht nur in der Pulverfabrik Düneberg und den Dynamitwerke Krümmel gab es keine Arbeit mehr, die Munitionsfabrik Weiffenbach hatte den Betrieb eingestellt, bei einer Reihe weiterer Firmen, die im Beitrag Granatendrehen und andere Kriegsarbeit genannt wurden, waren die direkten und indirekten Rüstungslieferungen ebenso entfallen. Neue Arbeitsplätze entstanden meist nur durch „Notstandsarbeiten“, z. B. beim Bau der Hamburger Marschbahn – betrüblich für Bergedorf war, dass ein vergleichbares Projekt, der Bau einer Schnellbahn von Billbrook nach Bergedorf, nicht zur Realisierung gelangte.

Die finanzielle Unterstützung der Arbeitslosen war schmal bemessen: der Höchstsatz für Männer betrug 4 Mark täglich, für Frauen 2,50 Mark, für Jugendliche lag er noch darunter (BZ vom 30. Januar 1919). Nicht-rationierte Lebensmittel (außer Rüben) waren teuer, z.B. Zwiebeln 32 Pfennig und Dörr-Weißkohl 2,20 Mark pro Pfund; für die karge Kartoffelration von vier Pfund waren 48 Pfennig aufzuwenden (BZ vom 1. Februar 1919).

Bergedorfer Zeitung, 4. Februar 1919

Es kann daher nicht überraschen, dass es auch in Bergedorf zu Versammlungen von Arbeitslosen kam, die sich u.a. dagegen wehrten, in der Zeitung als „Arbeitsscheue“ gebrandmarkt zu werden. Die BZ erklärte dazu, dass sie den Begriff nur in „unveränderten Wiedergaben offiziöser Berichte“ verwandt habe, aber die örtlich „schwierige Lage infolge der Stillegung einer Reihe von Fabriken“ nicht verkenne und die hiesigen Arbeitslosen nicht habe diskriminieren wollen. Ob dies aufrichtig gemeint war oder eher furchtgetrieben nach den vorangegangenen Ereignissen in Hamburg (siehe die Beiträge zur Bergedorfer Demonstration und zur Neujahrsdemo in Bergedorf und Sande)?

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Von Grußpflicht, Drahtverhau und Kameradschaft

Vordergründig stritten sie über den militärischen Gruß, aber eigentlich ging es um „alte“ gegen „neue“ Ordnung, um „Offizierskaste“ und „Proletarier im Waffenrock“.

Bergedorfer Zeitung, 3. Februar 1919

Bergedorfer Zeitung, 1. Februar 1919

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dem Bergedorfer Rechtsanwalt Dr. Walther Timm, Hauptmann der Reserve, war die Pflicht zum „kameradschaftlichen Gruß“ unter Soldaten „das allen zustehende Ehrenrecht“. Der Leiter der Bergedorfer Sicherheitswache Kurt Thies wollte dagegen die Grußpflicht nicht durchsetzen: für ihn war sie eine der „alten lächerlichen Formen des preußischen Kadavergehorsams“, in seinen Augen hatten „die Herren Offiziere“ zu „den Proletariern im Waffenrock“ keine Kameradschaft gepflegt, hatten im Krieg Leckerbissen verzehrt, während ihre Untergebenen Drahtverhau zu essen bekamen.

Für Timm war die „alte, ruhmreiche Armee durch systematische Untergrabung und bewußte Ausschaltung jeder Autorität und jeder Disziplin eine stumpfe Waffe geworden“; dabei würde eine schlagkräftige Truppe im „Ostschutz“ dringend benötigt. Thies dagegen lehnte „weitere Kriegsabenteuer“ ab.

Auslöser des Leserbriefwechsels war eine Anordnung des Kriegsministeriums (mit Zustimmung der Reichsregierung und des Zentralrats der Arbeiter- und Soldatenräte) über die Kommandogewalt, in der auch vorgeschrieben wurde, dass Untergebene ihre Vorgesetzten zu grüßen hätten – wichtiger war darin aber die Regelung, dass ab sofort alle militärischen Befehle nur von den Vorgesetzten, also den Offizieren, erteilt werden sollten (BZ vom 22. Januar). Diese Entmachtung und Rückkehr zur alten Ordnung führte zum Protest vieler Soldatenräte, u.a. des IX. Armeekorps (BZ vom 27. und 31. Januar sowie 1. Februar). Als die Reichsregierung mit militärischen Mitteln gegen die (von den Kommunisten und Unabhängigen ausgerufene) Bremer Räterepublik (zu Bremen siehe Jörn Brinkhus, S. 57-69) vorging, wurden in Hamburg Freiwillige als „Volkswehr“ zur Unterstützung des Bremer Rats mobilisiert, ein Streik der Bahnbeamten verhinderte aber ihre Abreise und somit ihr Eingreifen (BZ vom 30. Januar bis 5. Februar).

Die Ereignisse zeigen, wie instabil damals die politische Lage war: letztlich konnte sich hier die „neue“ Ordnung im Bündnis mit den Militärs der „alten“ Ordnung gegen die Verfechter einer „ganz neuen“ Ordnung durchsetzen.

Bergedorfer Zeitung, 6. Februar 1919

Der Bergedorfer Leserbrief-Streit um die Grußpflicht wurde nach der Veröffentlichung weiterer drei Zuschriften von der BZ für beendet erklärt. Das letzte Wort hatte man Timm überlassen. Weitere Meldungen zum militärischen Grüßen in Bergedorf gab es nicht.

 

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Wintersport in Bergedorf und Elbquerung zu Fuß

Der Winter 1916/17 war hart und kalt gewesen, zu Weihnachten 1917 lag Bergedorf unter einer Schneedecke, die Elbe war wieder zugefroren (BZ vom 27. und 31. Dezember 1917) – der Winter von 1918/19 zeigte sich zunächst ausgesprochen mild.

Bergedorfer Zeitung, 3. Februar 1919

Die ersten Schneefälle hatte die BZ erst Ende Januar 1919 gemeldet, „eine ungewöhnliche Erscheinung in diesem merkwürdigen Winter“ (BZ vom 29. Januar 1919), auf den Schnee folgte Frost, dann gab es wieder Schnee. Da konnten sich also die Schlittschuhläufer auf den Eisflächen der Bille und des Schlossgrabens betätigen, und auch ohne Kufen „tummelte sich ein zahlreiches Publikum auf dem Eise“: Eisvergnügen in Bergedorf.

Bergedorfer Zeitung, 6. Februar 1919

BZ, 6. Februar 1919

Dann fiel genug Schnee für den Einsatz von Pferdeschlitten auf den Straßen und von Rodeln auf den Hängen des Bergedorfer Gehölzes und des Gojenbergs, und mancher nutzte die Wetterlage, um Schlitten und Schlittschuhe per Kleinzeige zum Verkauf zu stellen (BZ vom 6. Februar). Mit einsetzendem Tauwetter verschwanden auch diese Annoncen.

Bergedorfer Zeitung, 10. Februar 1919

BZ, 10. Februar 1919

Der Eisgang auf der Elbe hatte die Raddampfer der Lauenburger Dampfschiffe schon längst zur Betriebs-unterbrechung gezwungen (BZ vom 31. Januar), und auch für Schraubendampfer war das Eis bald zu mächtig geworden. Die Eisdecke konnte sich also verfestigen und die Elbquerung war einige Tage lang nur zu Fuß möglich – für den Gastwirt Fölsch vom Zollenspieker eine gute Gelegenheit, Bergedorfer im Winter zu seinem Lokal zu locken. Als es wieder wärmer wurde, kamen die Eisbrecher doch noch zum Einsatz, die Dampfer konnten wieder fahren (BZ vom 14., 17. und 22. Februar), und auch der Schnee wird bald verschwunden sein.

 

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Hausbacken und Garmachen

BZ, 22. Januar 1919

Das Garmachen eines Brotes kostete Geld, wie aus der Anzeige der Bäckerei Kähler aus Kirchwärder hervorgeht – Kähler nahm „hausbacken“ Brot an und verlangte quasi eine Nutzungsgebühr für seinen Backofen. Schon vorher hatten andere Kirchwärder Bäckereien wie Johannsen, Meyns und Ohde diese Dienstleistung per Annonce angeboten.

Altmodisch, bieder, reizlos nennt der aktuelle Online-Duden als Bedeutungen für hausbacken – der ursprüngliche Sinn, der auch vor hundert Jahren noch gebräuchlich war, taucht gar nicht auf: im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wird „hausbacken“ als „für den hausbedarf gebacken, im gegensatz zu dem für den verkauf besser und feiner hergerichteten gebäck“ erklärt, und sie zitieren Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) mit
„seis, wie ihm wolle, keine noth,
hausbacken, tüchtig ist mein brod.“

Selbstgemachtes, also hausgebackenes, Brot, das man vom Bäcker garmachen ließ, wird man in den Kriegs- und Nachkriegsjahren vielleicht sogar bevorzugt haben, denn dann wusste man, welche Zutaten Verwendung fanden, ob der Teig „tüchtig“ war oder mit Kartoffeln (siehe den Beitrag K wie Kartoffel), Steckrüben (siehe den Beitrag zum Steckrübenwinter) oder anderen Substanzen gestreckt. Gerade sogenannte Selbstversorger, also in erster Linie Bauern, werden deshalb im eigenen Hause gebacken haben. Man darf vermuten, dass dabei die Regelungen über die Beimengung von Kartoffeln etc. großzügig ignoriert wurden, was für die Bäcker nicht ohne Risiko war, denn sie sollten auch für die Vorschriftsgemäßheit des zugelieferten Brotteigs haften. Den Bäckern in der Stadt Bergedorf war das zu heiß: sie beschlossen, dass „fortan keinerlei Kuchen oder Brot zum Backen angenommen werden soll“ (BZ vom 14. Januar 1915).

Die in der „Bekanntmachung“ Kählers genannten Brotgewichte von 10, 15 und 20 Pfund erscheinen aus heutiger Sicht immens – aber man muss berücksichtigen, dass zum einen die Haushalte größer waren und es zum anderen sonst nicht viel zu essen gab: die allgemeinen Rationen waren für die Woche vom 26. Januar bis 1. Februar 1919 wie folgt festgesetzt: 2.300 Gramm Brot (oder 1.610 Gramm Mehl), je 30 Gramm Butter und Margarine, 250 Gramm Kunsthonig, 150 Gramm Zucker, 2.500 Gramm Kartoffeln, 60 Gramm Nudeln und 375 Gramm Pferdefleisch mit eingewachsenen Knochen.

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Hamburg im Belagerungszustand – Bergedorf im Konzert

Bergedorfer Zeitung, 23. Januar 1919

Wer gedacht hatte, dass nach der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar alles in geordneten Bahnen verlaufen würde, sah sich getäuscht: über Hamburg wurde am 22. Januar nach heftigen Unruhen der Belagerungszustand verhängt, nachdem – so die Bergedorfer Zeitung – von Spartakisten aufgehetzte Arbeitslose das Gewerkschaftshaus gestürmt,  sich mit Sicherheitsmannschaften des Soldatenrats Schießereien geliefert, diese zum Teil entwaffnet und Polizeiwachen besetzt hatten.

Der Belagerungszustand galt offenbar nur für die Stadt Hamburg, denn in Bergedorf ging das Leben weiter: die BZ sang (im Ausschnitt oben stark gekürzt wiedergegeben) geradezu euphorisch ein Loblied auf das  Bandler-Quartett, dessen Konzert wie geplant am 22. Januar, Beginn 7½ Uhr, stattgefunden hatte. Doch verzeichnete das Blatt „auch hier eine starke Rückwirkung“ der Hamburger Ereignisse:  die Alarmsirene der Feuerwehr wurde ausgelöst – von wem und warum auch immer, jedenfalls wurden die Sicherheitsmänner des Arbeiter- und Soldatenrats Bergedorf-Sande aktiv und besetzten den Bahnhof. Ob deshalb, ob trotzdem, ob unabhängig davon: „Zu irgend welchen Zwischenfällen ist es jedoch nirgendwo in unserer Stadt gekommen.“ Alles andere hätte auch überrascht.

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Wie wurde gewählt? – Die Ergebnisse

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1919 (Die angegebenen Prozentwerte sind nicht ganz nachvollziehbar.)

Die Zusammensetzung der Wählerschaft hatte sich gewaltig geändert (siehe den Beitrag Wie wähle ich?), das Parteiensystem hatte sich teilweise neuformiert (Links zu den Parteien im Beitrag Der Kampf um die Stimmen der Frauen), aber verglichen mit der Reichstagswahl 1912 waren in Bergedorf die Kräfteverhältnisse zwischen dem Lager der Sozialdemokraten und dem der bürgerlichen Parteien praktisch unverändert geblieben.

Bergedorfer Zeitung, 20. Januar 1919

Dennoch lohnt ein genauerer Blick auf die Stadt Bergedorf, die Vierlande, die Marschlande und auch nach Sande und Düneberg-Besenhorst, und deshalb hier die Detailergebnisse.

Die einzelnen Wahllokale Bergedorfs verzeichneten recht unterschiedliche Ergebnisse: im Stimmbezirk 338 war die SPD nur die zweitstärkste Kraft hinter der DVP, dicht gefolgt von der DDP – in allen anderen Stimmbezirken lag die SPD sehr deutlich an der Spitze. Dies spiegelt die im Beitrag über Die Morgen-, Abend- und Nachtbeleuchtung bereits angesprochene soziale Trennung der Wohngebiete: das Wahllokal 338 war das Forsthaus, in dem das Villenviertel die Stimmen abgab (siehe das Straßenverzeichnis der Wahllokale ganz unten), und insofern kann man schon von einem überraschend guten Abschneiden der Sozialdemokraten in diesem Gebiet sprechen, in dem DVP und DNVP ihre besten Ergebnisse erzielten. Die anderen Stimmbezirke waren eher von Arbeiterhaushalten geprägt, und dort erreichten die Sozialdemokraten bis zu 61,2% der Stimmen. Die DDP erhielt in allen fünf Stadtteilen über 20%, die USP hatte das beste Resultat mit 4,8% im Südwesten der Stadt, das Zentrum kam nur im Villenviertel, in dem auch die katholische Kirche lag, über den Rang einer Splitterpartei hinaus. Das beste USP-Ergebnis gab es in Geesthacht mit einem Anteil von 26,5%, aber die SPD lag mit 47,3% deutlich vor ihr.

Auch in den Vierlanden und den Marschlanden lag die SPD fast überall an der Spitze – bemerkenswert sind dabei die Ergebnisse der DVP vor allem in Kirchwärder: der Hamburger DVP-Spitzenkandidat Franz Heinrich Witthoefft, Kaufmann und Präsident der Handelskammer, stammte von dort, und seine Partei hatte die Vierländer aufgefordert, für „Euren Landsmann“ (BZ vom 18. Januar 1919) zu stimmen, was aber bei den Curslackern und Neuengammern weniger verfing. Witthoefft errang den einzigen Sitz der Hamburger DVP in der Nationalversammlung; er nahm auch als Mitglied der deutschen Delegation an den Friedensverhandlungen in Versailles teil, wie Anne Lena Meyer schreibt (in: Olaf Matthes/Ortwin Pelc, Menschen in der Revolution, S. 195-197).

Bergedorfer Zeitung, 20. Januar 1919

Das Spitzenergebnis für die SPD gab es mit 75,5% der Stimmen (USP 5,4%) in Sande. Besenhorst, das vor dem Krieg noch ein Bauerndorf gewesen war, stand (zusammen mit Düneberg) dem mit einem SPD-Anteil von 71,1% nur wenig nach; die USP erreichte hier 3,7%.

Der Spartakusbund war zu den Wahlen nicht angetreten – angesichts einer hohen Wahlbeteiligung von über 90% hätte er wohl kaum nennenswerte Stimmenzahlen erreicht, und die wohl am ehesten zu Lasten der USP. Eine klare Mehrheit sprach sich für einen Reformkurs aus, aber die von der SPD erhoffte sozialdemokratische Mehrheit gab es in der Nationalversammlung nicht: es mussten also Kompromisse geschlossen werden.

Bergedorfer Zeitung, 13. Januar 1919

Die Angabe für das Wahllokal 339 wurde am 14. Januar korrigiert: es befand sich in Grafs Kulmbacher Bierhaus am Brink 2.

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Große Straße 20: keine Goldgrube

BZ, 15. Januar 1919

Das gesamte gut erhaltene Inventar des Friseursalons in der Großen Straße 20 kam unter den Hammer – vermutlich waren Verbindlichkeiten wie z.B. Mietschulden nicht bedient worden.

BZ, 11. Oktober 1918

Erst im Oktober 1918 hatte A. Dellitsch diesen Damen-Salon dort eröffnet, und nach weniger als drei Monaten war Schluss – ein Spiegel der Zeit, aber sicher auch der 1918 deutlich gewachsenen Zahl von Frisiersalons geschuldet.

BZ, 27. Juli 1915

Der Vermieter Wilhelm (Willy) Langneß, von Beruf Goldschmied, wird frustriert gewesen sein: bis März 1914 hatte er im Parterre des Hauses mit Gold- und Silberwaren gehandelt. Seine regelmäßigen Anzeigen in der BZ waren immer anspruchsvoll gestaltet,  doch eine Goldgrube war das Geschäft wohl nicht, denn er verlegte es in die Wohnräume der ersten Etage, um den Laden vermieten zu können (BZ vom 12. März 1914).

Der neue Mieter des Ladens war das Hamburger Musikhaus Prehn, das vorher an der Holstenstraße im Haus der Bergedorfer Bank ansässig gewesen war (BZ vom 12. März und 3. April 1914), den Standort unmittelbar am Bergedorfer Markt aber ein gutes Jahr später aufgab: Kriegszeiten waren offenbar keine guten Zeiten für Musikwaren und Musikalien.

 

 

BZ, 17. August 1915 (erste Anzeige)

BZ, 2. August 1918 (letzte Anzeige)

Langneß‘ dann folgende Suche nach einem neuen Mieter dauerte fast drei Jahre, in der Regel mit drei Annoncen pro Woche.

 

BZ, 16. Februar 1918

Zwar gab es eine Zwischennutzung durch die „Liebesgaben-Annahmestelle vom Roten Kreuz“ (BZ vom 17. April 1916) und später auch durch die Nähstube des Roten Kreuzes, doch da Langneß‘ Vermietungsanzeigen weiterliefen, kann man vermuten, dass das Rote Kreuz hierfür keine oder nur eine geringe Miete zahlte und dafür kurzfristig gekündigt werden konnte.

BZ, 14. März 1917

Langneß war schon 1915 zum Militär einberufen worden (BZ vom 5. Februar 1915). Seine Frau versuchte das „Etagen-Geschäft“ weiterzuführen und durch den Kauf alter Gebisse weitere Einnahmen zu erzielen, fertigte Bauerntrachten für Kinder (z.B. BZ vom 5. Oktober 1916) und bot vogtländische Stickereien an (z. B. BZ vom 17. Februar 1917), auch wurden Reparaturen von Gold- und Silberschmuck ausgeführt (z.B. BZ vom 13. März 1918) – sie unternahm wirklich viel, aber die Einnahmen werden auf bescheidenem Niveau geblieben sein.

BZ, 8. März 1919

BZ, 7. Juni 1919

Nach der Pleite des Friseurs fand sich aber recht schnell ein neuer Mieter für den Laden: der Buchbinder Ingo Fuhr (i. Fa. Chr. Ditlevsen Nachf.) zog von der Großen Straße 19 ins Nachbarhaus, und einige Monate später war auch die erste Etage neu belegt: eine Zahnpraxis zog ein. Wahrscheinlich waren Langneß und Frau zu diesem Zeitpunkt bereits ausgezogen und hatten Bergedorf verlassen; dafür verzeichnete das Hamburger Adressbuch für 1920 erstmals einen Goldschmied W. Langness in der ABC-Straße 6. Er hatte den Krieg also überlebt und konnte wieder in seinem Beruf tätig werden.

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