Von Grußpflicht, Drahtverhau und Kameradschaft

Vordergründig stritten sie über den militärischen Gruß, aber eigentlich ging es um „alte“ gegen „neue“ Ordnung, um „Offizierskaste“ und „Proletarier im Waffenrock“.

Bergedorfer Zeitung, 3. Februar 1919

Bergedorfer Zeitung, 1. Februar 1919

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dem Bergedorfer Rechtsanwalt Dr. Walther Timm, Hauptmann der Reserve, war die Pflicht zum „kameradschaftlichen Gruß“ unter Soldaten „das allen zustehende Ehrenrecht“. Der Leiter der Bergedorfer Sicherheitswache Kurt Thies wollte dagegen die Grußpflicht nicht durchsetzen: für ihn war sie eine der „alten lächerlichen Formen des preußischen Kadavergehorsams“, in seinen Augen hatten „die Herren Offiziere“ zu „den Proletariern im Waffenrock“ keine Kameradschaft gepflegt, hatten im Krieg Leckerbissen verzehrt, während ihre Untergebenen Drahtverhau zu essen bekamen.

Für Timm war die „alte, ruhmreiche Armee durch systematische Untergrabung und bewußte Ausschaltung jeder Autorität und jeder Disziplin eine stumpfe Waffe geworden“; dabei würde eine schlagkräftige Truppe im „Ostschutz“ dringend benötigt. Thies dagegen lehnte „weitere Kriegsabenteuer“ ab.

Auslöser des Leserbriefwechsels war eine Anordnung des Kriegsministeriums (mit Zustimmung der Reichsregierung und des Zentralrats der Arbeiter- und Soldatenräte) über die Kommandogewalt, in der auch vorgeschrieben wurde, dass Untergebene ihre Vorgesetzten zu grüßen hätten – wichtiger war darin aber die Regelung, dass ab sofort alle militärischen Befehle nur von den Vorgesetzten, also den Offizieren, erteilt werden sollten (BZ vom 22. Januar). Diese Entmachtung und Rückkehr zur alten Ordnung führte zum Protest vieler Soldatenräte, u.a. des IX. Armeekorps (BZ vom 27. und 31. Januar sowie 1. Februar). Als die Reichsregierung mit militärischen Mitteln gegen die (von den Kommunisten und Unabhängigen ausgerufene) Bremer Räterepublik (zu Bremen siehe Jörn Brinkhus, S. 57-69) vorging, wurden in Hamburg Freiwillige als „Volkswehr“ zur Unterstützung des Bremer Rats mobilisiert, ein Streik der Bahnbeamten verhinderte aber ihre Abreise und somit ihr Eingreifen (BZ vom 30. Januar bis 5. Februar).

Die Ereignisse zeigen, wie instabil damals die politische Lage war: letztlich konnte sich hier die „neue“ Ordnung im Bündnis mit den Militärs der „alten“ Ordnung gegen die Verfechter einer „ganz neuen“ Ordnung durchsetzen.

Bergedorfer Zeitung, 6. Februar 1919

Der Bergedorfer Leserbrief-Streit um die Grußpflicht wurde nach der Veröffentlichung weiterer drei Zuschriften von der BZ für beendet erklärt. Das letzte Wort hatte man Timm überlassen. Weitere Meldungen zum militärischen Grüßen in Bergedorf gab es nicht.

 

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