Gleiches Baderecht für Frauen!

Bergedorfer Zeitung, 21. Mai 1919

In ihren politischen Rechten waren seit der Revolution die Frauen den Männern gleichgestellt – nicht aber im Recht auf Schwimmbadbenutzung, worüber sich die Leserbriefverfasserin „F.P.“ beschwerte. Dass den Männern mehr Zeit zur Verfügung stand und die im Beitrag Die Badesaison eröffnet geschilderte Ungleichbehandlung also die Revolution überdauert hatte, machte sie hier gar nicht zum Thema, sondern ihr ging es darum, dass die Verteilung der Stunden in der geschlechtergetrennten Badeanstalt geändert werden sollte: die Frauen-Zeiten lagen am Vormittag und frühen Nachmittag, sodass berufstätige Frauen sie praktisch (außer sonntags) nicht in Anspruch nehmen konnten, und sie versah ihre Forderung mit einer politischen Spitze: die Regelung stehe im Widerspruch zu „den Bestrebungen der Verwaltung auf sozialem Gebiete“, junge Mädchen sähen dies „als eine große Zurücksetzung“.

Bergedorfer Zeitung, 24. Mai 1919

Mehrere Männer reagierten: ein W. Möller schlug vor, an zwei Wochentagen die Nachmittagsstunden zwischen Damen und Herren zu vertauschen  und die Badezeit für die Männer dann abends zu verlängern (BZ vom 24. Mai), wogegen sich ein Herr Germer entschieden wandte, der „auch nicht zu Gunsten der Frauen“ auf Sonnenschein beim Baden verzichten wollte. Er machte gleich zwei Alternativvorschläge: entweder neben der vorhandenen Anlage ein reines Damenbad zu schaffen – oder wie in anderen Städten ein Familienbad zu errichten: „Für Prüderie ist in heutiger Zeit kein Platz mehr!“ Das könnte manche entrüstet haben.

Bergedorfs Verwaltung hielt sich offenbar bedeckt: in der BZ waren in diesem Jahr keine Meldungen über Änderungen von Zeiten oder gar Erweiterungsmaßnahmen zu finden. Das benachbarte Sande dagegen hatte bereits im Frühjahr mit dem Bau einer Gemeinde-Badeanstalt begonnen, auch, um damit die Arbeitslosigkeit zu verringern  (BZ vom 10. Februar, 29. März und 10. April). Aber im Juni kam es zum Stillstand der Arbeiten: dem „Ausstich des Billufers“ musste der Staat Hamburg zustimmen, und das zog sich hin (BZ vom 17. und 23. Juni). Wie letztlich entschieden wurde, berichtete die BZ 1919 nicht – deshalb kann man davon ausgehen, dass die Badesaison in Sande ohne die neue Einrichtung verlief. Den Betreiber der privaten Sander Badeanstalt dürfte es gefreut haben.

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Walli macht Karriere – Bergedorfs Bürgermeister geht

Bergedorfer Zeitung, 22. Mai 1919

Für die Hamburger war es wichtiger, dass die Bürgerschaft durch die „Aufhebung der zweiten Wagenklasse“ die klassenlose Hochbahn schuf – für die Bergedorfer war es die Beförderung ihres bisherigen Bürgermeisters Dr. Paul Walli zum Senatssyndikus. Schon vorher hatte er Abwanderungsgelüste gezeigt, wie im Beitrag Walli will weg zu lesen: damals hatte man ihn mit Geld und sicher auch guten Worten zum Bleiben bewegen können, aber er engagierte sich zunehmend auch auf Landesebene und wurde 1917 zum Bürgerschaftsabgeordneten gewählt (siehe den Beitrag Bürgermeister Walli geht fremd). Bei der Bürgerschaftswahl 1919 war er (als Kandidat der DDP) wieder erfolgreich – nun wechselte er von der Parlamentsseite des Rathauses auf die Seite der Exekutive. Die Bürgerschaft musste zustimmen, weil Walli Wert darauf legte, dass seine Bergedorfer Pensionsansprüche vom Staat Hamburg übernommen würden (BZ vom 19. Mai 1919).

Angesichts der Mehrheiten im Bergedorfer Stadtparlament hätte man erwarten können, dass es nun sehr zügig zur Wahl eines Walli-Nachfolgers aus den Reihen der SPD gekommen wäre, aber es trat eine Art von Schwebezustand ein: nicht nur wegen seiner hohen Verschuldung, sondern auch wegen der die Entwicklung hemmenden Kompetenzen der Landherrenschaft hatten Magistrat und Bürgervertretung noch während des Krieges die Eingemeindung der Stadt Bergedorf beantragt. Mit der Eingemeindung wäre dann das Amt des Bürgermeisters ebenso entfallen wie der Magistrat und die Bürgervertretung, Bergedorf wäre ein aus der Zentrale des Stadtstaats verwalteter „Vorort“ Hamburgs geworden.

Der Antrag überdauerte den Krieg und die Revolution: die Finanzdeputation (heute: Finanzbehörde) stimmte ihm zu (BZ vom 1. März 1919), ebenso sprach sich Hamburgs Zweiter Bürgermeister Otto Stolten in einer öffentlichen SPD-Versammlung in Bergedorf dafür aus (BZ vom 8. April 1919) – doch nun regte sich dagegen plötzlich Widerstand, und so landete das Problem auf einer  längeren Bank, worüber noch zu berichten sein wird.

Vorerst (ab dem 1. Juni) wurde das Bürgermeisteramt entsprechend dem Ortsstatut stellvertretend durch den besoldeten Ratmann Wilhelm Wiesner (SPD) wahrgenommen (BZ vom 4. Juni 1919).

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Der umkämpfte Sportplatz

Bergedorfer Zeitung, 14. Mai 1919

Um den Bau neuer Sportanlagen wurde in Bergedorf mit äußerst harten Bandagen gekämpft.

Bergedorfs meistgenutzter Sportplatz (damalige Terminologie: Spielplatz) war der städtische Frascatiplatz mit zwei Feldern, über deren Zustand mehrmals im „Sprechsaal“ der BZ Klage geführt wurde: „Das Laufen und Spielen ist tatsächlich der vielen Unebenheiten und Löcher wegen mit großen Gefahren verknüpft.“ (BZ vom 8. April) Der Platz würde „bei trockenem Wetter mit den darüberhinstreichenden Sandwolken, bei feuchtem Wetter mit den Wassertümpeln dem Vorübergehenden ein Grausen einflößen“ (BZ vom 30. April), auch „tummeln verschiedene Pferdehalter ihre Pferde immer noch“ dort (BZ vom 15. Juni).

Die Sportvereine waren einig und richteten gemeinsam (Männerturnverein von 1860, Bergedorfer Turnerschaft von 1880, Spiel und Sport Bergedorf und auch die dem Arbeitersportverband angehörende Freie Turnerschaft Bergedorf-Sande) einen Antrag an die Stadtväter, mit Hilfe sogenannter „Demobilisierungsgelder“ (d.h. Zuschüssen des Reichs) eine neue, große Sportanlage zu schaffen (BZ vom 25. April), und sie luden zu einem öffentlichen Vortrag eines Turninspektors Carl Möller aus Altona ein (Anzeige in der BZ vom 8. Mai).

In ihrem Bericht über die Veranstaltung in der Aula der Hansa-Schule zeigte die BZ zunächst ausführlich viel Sympathie für das Anliegen, war aber hinsichtlich der Finanzierung skeptisch. Mit wenigen Sätzen wurde im Schlussabsatz des Artikels die Argumentation Möllers wiedergegeben, und auch der Hausherr der Hansaschule, Prof. Dr. Ohly, wurde genannt: er erhob  „einen flammenden Protest gegen den Vergewaltigungsfrieden der Entente“ und ließ abschließend „Deutschland über alles“ singen.

Bergedorfer Zeitung, 14. Mai 1919

Da war es vorbei mit der Einigkeit, wie der noch in der selben Ausgabe abgedruckte Leserbrief des SPD-Ratmanns Friedrich Frank belegt – er fühlte sich von Ohly (und den bürgerlichen Vereinen) missbraucht. Dies wiederum stieß bei Ohly auf Unverständnis: er „habe absichtlich alles vermieden, was Andersdenkende verletzen könnte“ (Leserbrief in der BZ vom 15. Mai). Ob Ohly sich nun selbst einen Kinnhaken verpasst hatte oder ungewollt in eine linke Gerade Franks gelaufen war, sei dahingestellt.

Als der Antrag der Sportvereine von Magistrat und Bürgervertretung beraten wurde, warnte die SPD vor den Kosten von angeblich einer Million Mark und sorgte dafür, dass der Antrag einer eigens eingerichteten Kommission überwiesen wurde (BZ vom 4. Juni). Dort scheint das Thema begraben worden zu sein, denn zwei der Vereine ergriffen im Herbst andere Maßnahmen: „Spiel und Sport“ kaufte 30.000 Quadratmeter Land für eine Sportanlage an der Marienburg in Wentorf (BZ vom 28. Oktober), und im November begann die Bergedorfer Turnerschaft mit der Sponsorensuche für den Erwerb eines Vereinsgeländes (BZ vom 5. November). Die Hoffnung auf neue städtische Spielplätze hatten sie aufgegeben.

Um Bergedorf herum waren die Gemeinden sportfreundlicher: in Sande wurde im Mai als „Notstandsarbeit“ mit dem Bau eines Spielplatzes begonnen (heutige Sportanlage Sander Tannen) und am 21. Septemberdie Einweihung gefeiert (BZ vom 14. Mai und 22. September). Die Geesthachter Gemeindevertretung beschloss sogar den Bau von zwei Spielplätzen, ebenfalls als „Notstandsarbeit“ (BZ vom 20. Juni), das kleinere Besenhorst wollte sich mit einem begnügen (BZ vom 9. September). Bergedorf im Abseits.

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Universität für Hamburg! – Vorlesungen in Bergedorf?

Bergedorfer Zeitung, 17. Mai 1919

Ein „Allgemeines Vorlesungswesen“ in Bergedorf wollte der Verfasser dieses Leserbriefs – das Vorlesungsgebäude allerdings stand in Hamburg. Das bedarf der Erklärung.

Das bei dem Dammtor gelegene Gebäude, errichtet 1911 nach den Plänen des Bergedorfer Architekten Hermann Distel, beherbergte das 1895 reorganisierte Allgemeine Vorlesungswesen, das als ein Vorläufer der heutigen Universität Hamburg angesehen werden kann (hierzu in knapper Form Rainer Nicolaysen (S. 232-243). Die Veranstaltungen standen allen Interessierten offen, und es gibt sie auch heute noch, wie das aktuelle Online-Vorlesungsprogramm des Allgemeinen Vorlesungswesens zeigt.

Die Universität wurde mit Rückwirkung gegründet: am 6. Januar 1919 hatten Professoren des Vorlesungswesens mit den „Hamburgischen Universitätskursen“ begonnen, obwohl es gar keine Universität gab. Noch in ihrer letzten Sitzung hatte die alte kaiserzeitliche Hamburgische Bürgerschaft die Gründung einer Universität abgelehnt (BZ vom 19. März), doch die neue, demokratisch gewählte Bürgerschaft beschloss kurz nach ihrer Wahl das genaue Gegenteil (BZ vom 29. März) und verlieh dem Gesetz Rückwirkung zum 6. Januar 1919, wodurch die bis dahin abgehaltenen Kurse nachträglich in den Rang akademischer Lehrveranstaltungen erhoben wurden (Nicolaysen, ebd., und online Geschichte der Universität). Studieren durfte an der Universität nur, wer das Abitur hatte oder examinierter Volksschullehrer war.

Der Wunsch des Bergedorfers aber ging nicht in Erfüllung: er musste vorerst weiter nach Hamburg fahren, wenn er an Weiterbildungsveranstaltungen teilnehmen wollte, vielleicht im selben Zug wie sein Dozent. Erst ab dem Herbst 1919 gab es in Bergedorf Angebote der Erwachsenenbildung, worauf zurückzukommen sein wird.

Übrigens: das Vorlesungsgebäude wurde zum Hauptgebäude der Universität. In grafisch verfremdeter Form ziert es die Startseite zum Uni-Jubiläum, von der aus man vertiefte Informationen, auch über geplante Publikationen, anklicken kann.

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Der verzögerte Kleinwohnungsbau an der Brunnenstraße

Bergedorfer Zeitung, 10. Mai 1919

Es sollte ein Pilotprojekt werden: erstmals (abgesehen von Dienstwohnungen) sollten in Bergedorf städtische Wohnungen geschaffen werden, um die Wohnungsnot zu bekämpfen: 66 Kleinwohnungen sollten auf städtischem Grund geschaffen werden, wofür ein mit 3.000 Mark dotierter Wettbewerb ausgelobt worden war, an dem sich vier Bergedorfer Architekten beteiligten: Hermann Distel (u.a. Architekt des Pastorats der St.Petri und Pauli-Kirche (1913) und von Kleinwohnungshäusern neben dem Bahnhof Geesthacht (1917)), Hermann Schomburgk (u.a. Architekt des Bahnhofs Bergedorf-Süd (1906, 1912) und Bruno Wieck (Architekt v.a. von Häusern im Villenviertel) – verschiedene ihrer Bauten sind in der Denkmalliste verzeichnet. Bei dem vierten Teilnehmer wird es sich um Otto Ehlers gehandelt haben, der im Bergedorfer Adressbuch 1915 verzeichnet ist, in der Denkmalliste aber nicht auftaucht. Auch die Finanzierung über einen Zuschuss des Reichs und des Staates Hamburg sowie eine Anleihe schien gesichert (BZ vom 1. März 1919).

Nun also lagen die Entwürfe für die Bauten an der Brunnenstraße öffentlich aus, und die BZ versuchte sich an einer Beschreibung der Pläne, was ihr nur weitgehend nachvollziehbar gelang – ihre Bevorzugung des Distelschen Entwurfs brachte sie aber klar und deutlich zum Ausdruck, wobei sie den Mehraufwand, den die von Distel vorgeschlagene aufgelockerte Bauform verursachen würde, als „unerheblich“ bezeichnete.

Realisiert wurde keiner der Entwürfe, wie man an der heutigen Holtenklinker Straße 111 – 129 feststellen kann. Zunächst unterblieb dort jeglicher Bau: die veranschlagten Kosten waren von 1,25 Millionen auf 2 Millionen Mark gestiegen (BZ vom 29. August), zudem mangelte es an Baumaterial und die erwarteten Zuschüsse wurden nicht gewährt (BZ vom 4. Oktober). Das Ensemble wurde 1924 – 1931 errichtet, aber nicht nach den Plänen des Wettbewerbs: in der Denkmaltopographie Bergedorf-Lohbrügge (S. 129) heißt es, dass das Bergedorfer Stadtbauamt die Pläne fertigte, als geschlossene Bebauung, ohne Distels Bogengänge „mit Durchblicken auf den bewaldeten Abhang des Gojenberges“ – der einzige gebaute Bogengang in diesem Bereich (zwischen Nr. 113 und 115) liegt rechtwinklig zum Geesthang und ermöglicht primär den Blick auf die Rückseite der Häuser.

Für Hintergrundinformationen und Auskünfte bin ich dem Bergedorfer Denkmal-Gutachter Dr. Geerd Dahms sehr dankbar.

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Die letztlich filzfreien Volkskonzerte der Hasse-Gesellschaft

Bergedorfer Zeitung, 10. Mai 1919

Die Hasse-Gesellschaft E.V. war vor, im und nach dem Krieg der wichtigste und beständigste Veranstalter von Konzerten in Bergedorf (siehe die Beiträge Hassgesänge des Hasse-Chors und Das Chor- und Vereinsleben), teils mit Musikern aus Hamburg, teils mit dem eigenen Chor.

Eine nähere Betrachtung aus diesem Bericht über die Mitgliederversammlung der Gesellschaft verdient allein der folgende Satz: „Dank der von der Stadtverwaltung bereitgestellten Mittel war es möglich, drei dieser Konzerte zu mäßigen Eintrittspreisen der minderbemittelten Bevölkerung zugänglich zu machen.“

Das erste so bezeichnete Volkskonzert hatte am 15. Dezember 1918 stattgefunden; es war eine Wiederholung des zwei Tage zuvor gegebenen Weihnachtskonzerts, und die Preise unterschieden sich sehr: bei dem Weihnachtskonzert kosteten Karten für die besten Plätze drei Mark – beim Volkskonzert gab es freie Platzwahl für 50 Pfennig, Garderobe jeweils inbegriffen. Zum Osterkonzert 1919 waren die regulären Preise auf bis zu 3,50 Mark gestiegen, für das Volkskonzert mit identischem Programm (Hasse, Händel) auf einheitlich 1,20 Mark (BZ vom 29. März 1919). Die Stadt Bergedorf betrieb also Kulturförderung, indem sie über subventionierte Konzerte auch Menschen mit geringerem Einkommen den Besuch ermöglichte. Das ist eigentlich löblich.

Bergedorfer Zeitung, 7. Dezember 1918

Die Volkskonzerte waren aber ursprünglich als Genossenkonzerte geplant, wie aus der nebenstehenden Anzeige hervorgeht: nur wer das Mitgliedsbuch der SPD oder einer der im Kartell verbundenen Gewerkschaften vorweisen konnte, sollte eine Karte erwerben dürfen – es spricht einiges für die Vermutung, dass der SPD-Ratmann Wilhelm Wiesner dies für die Seinen vermittelt und im Gegenzug den Zuschuss aus der Stadtkasse besorgt hatte.

Die Privilegierung der bis dahin Unterprivilegierten brachte dann aber Bergedorf in Wallung; es gab offenbar heftige Proteste gegen diesen Genossenfilz, und es gab ein Einlenken: im Bericht über das (reguläre bürgerliche) Weihnachtskonzert hieß es am Ende, dass das Volks-Weihnachtskonzert nun doch allen Interessenten offen stünde (BZ vom 14. Dezember 1918). Ob die Korrektur auf die Proteste zurückzuführen war oder am unbefriedigenden Kartenvorkauf lag, ist nicht zu klären – jedenfalls war bei der ersten Aufführung die Aula der Stadtschulen (heute Hasse-Aula) „bis auf den letzten Platz gefüllt“, das Volkskonzert lediglich „gut besucht“ (BZ vom 14. und 16. Dezember 1918).

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Bergedorfs neues Stadtparlament und der Durchmarsch der SPD

Bergedorfer Zeitung, 30. April 1919

So wirklich ernst nahm der Autor dieses Artikels Bergedorfs neue Stadtvertretung nicht, sein Tonfall war ausgesprochen mokant – und erstaunlicherweise stammte der Bericht aus der Feder des Politikredakteurs Theodor Kreins (siehe das Kürzel „Kr.“ am Ende) und nicht aus der des für „Kommunales“ Verantwortlichen, Wilhelm Bauer. Bauer, der ja zugleich Ratmann war (siehe den Beitrag Neue Ratmänner), dürfte Krein aber entsprechend „gefüttert“ haben, und die Ablehnung der neuen, demokratischen Zeit mit einem „Damenquartett“ und einem „vollgezählten Dutzend der Mehrheitssozialdemokraten“ etc. ist deutlich erkennbar, doch Bauer konnte sich erforderlichenfalls von dem Artikel distanzieren: es war ja ein Namensartikel.

Die Wahlbeteiligung war deutlich zurückgegangen: hatte sie im Januar (Wahl zur Nationalversammlung) noch bei 95 Prozent gelegen und im März (Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft) bei 80 Prozent, so war sie bei der Wahl zur Bürgervertretung am 13. April auf rund 75 Prozent gefallen (BZ vom 14. April). Vielleicht war Wahlmüdigkeit die Ursache – aber hundert Jahre später würde man sich über eine so hohe Beteiligung an der Wahl zur Bezirksversammlung außerordentlich freuen.

Das Stadtparlament bestand nun aus 25 Abgeordneten, zehn mehr als vorher; deshalb war es „aus dem zu eng gewordenen Schloßstübchen nach dem Stadthaus“ umgezogen, und auch die „stattliche Zuhörerschaft“ fand dort Platz. Sie sahen 12 Sozialdemokraten, 6 „Vereinigte Bürgerliche“ (DVP und DNVP), 4 DDP-Vertreter, 2 der USPD und 1 Grundeigentümer (BZ vom 14. April, siehe auch den Beitrag Die Wohnungsmieten und die Parteipolitik). Die SPD hatte zwar an Stimmen wie an Sitzen die absolute Mehrheit verfehlt, doch ohne sie lief nichts: die sieben Magistratsmitglieder waren im Parlament ebenfalls stimmberechtigt, es kamen also vier weitere SPD-Stimmen hinzu (siehe den Beitrag Wandel in Bergedorf). Außerdem gab es Absprachen mit der DDP, die über zwei Sitze im Magistrat verfügte, und so war die Mehrheit bei den Ausschusswahlen komfortabel. Dabei zeigten sich die Sozialdemokraten machtbewusst und „verbannten“ die Opposition zumeist in die weniger wichtigen Ausschüsse und ohne auf Wünsche und Kompetenzen Rücksicht zu nehmen: so fand sich z.B. der Grundeigentümer Martin Biehl zwar in der Lebensmittelkommission, nicht aber im Bauausschuss (siehe die Angaben (Stand Oktober 1919) im Hamburger Adressbuch für 1920). Ein solcher „Durchmarsch“ wäre heute undenkbar.

Bei den von dem „Debütanten“ und USPD-Vertreter Hinrichs attackierten „Terrainspekulanten“ handelte es sich um eine „Baugesellschaft Bergedorf m.b.H.“, deren Werbung aber nicht in der BZ erschien und über die sonst nichts bekannt ist. Hinrichs‘ mündlich gestellter Antrag wurde aus Geschäftsordnungsgründen vertagt. Als er dann schriftlich vorlag, wurde er abgelehnt und ein Antrag der SPD, der auf das selbe hinauslief, angenommen (BZ vom 31. Mai und 13. Juni). Das auch heute geübte Verfahren, Oppositionsanträge abzulehnen und dafür eigene fast gleichlautende Anträge anzunehmen, hat also eine beachtliche Tradition.

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Die Maifeier und der Landregen

Bergedorfer Zeitung, 2. Mai 1919

Die Zeiten hatten sich geändert: der 1. Mai 1919 war gesetzlicher Feiertag, der überall mit Kundgebungen, Festzügen und Unterhaltungsprogramm begangen wurde.

In Bergedorf-Sande stand die SPD (mit dem Gewerkschaftskartell und 4.000 Teilnehmern) dabei im nachmittäglichen Regen – da hatte sich die früh gestartete USPD (350 Teilnehmer laut BZ bzw. 760 nach Zählung der USPD, siehe BZ vom 3. Mai) bereits in den angemieteten Sälen eingefunden. Für die „zahlreichen Kinder“ waren Spiele vorbereitet – bei der USPD dürften die drei Festsäle dafür ausgereicht haben; die SPD hatte auf besseres Wetter gesetzt und musste die vom Jugendbund geplanten Kinderspiele am Rande des Bergedorfer Gehölzes teilweise absagen.

SPD und USPD hatten jeweils ihre eigenen Redner, über deren Redeinhalte kürzer als knapp bzw. gar nicht berichtet wurde, und auch in Geesthacht, desgleichen Hamburg, veranstalteten die beiden Seiten getrennte Maifeiern, die „ohne Zwischenfall“ verliefen (BZ vom 2. Mai). In Altengamme und Kirchwärder hatte nur die SPD etwas organisiert und dabei nicht nur Vereine aus der Arbeiterbewegung eingebunden, sondern auch bürgerliche (BZ vom 29. April und 6. Mai). Hier stand aber wohl der Volksfestcharakter im Vordergrund, denn beide SPD-Distrikte luden ausdrücklich alle Einwohner ein. Dabei zeigten die Sozialdemokraten in Kirchwärder ein ungewerkschaftliches Verständnis für die Landwirtschaft: „Laßt die Arbeit ruhen, soweit es angängig ist!“ hieß es in ihrem Aufruf. In Hamburg waren die Straßenbahner, Hochbahner und Alsterdampfschiffer rigoroser: sie beschlossen, am 1. Mai „jeglichen Verkehr“ ruhen zu lassen (BZ vom 29. April), und auch die „großen Restaurants und Kaffeehäuser“ hatten geschlossen (soweit sie nicht für Veranstaltungen zur Maifeier geöffnet hatten).

Bergedorfer Zeitung, 2. Mai 1919

Bergedorfs Gewerkschaftsführer hatten vor der Maifeier an einer anderen Veranstaltung teilgenommen: das Bergedorfer Eisenwerk hatte für die Gefallenen des Krieges ein Denkmal errichten lassen, das nach der Verlegung des Eisenwerks nach Glinde ebenfalls nach Glinde verlegt wurde. 2019 ist es nach Sande zurückgekehrt und auf dem alten Friedhof der Erlöserkirche aufgestellt worden, gleich neben dem Mausoleum für Wilhelm Bergner, dem Gründer des Werks.

Gedenkstein des Bergedorfer Eisenwerks nach der Neuaufstellung 2019

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Neues und Altes von der Schule

Bergedorfer Zeitung, 26. April 1919

Die Schulreformen schritten im Frühjahr 1919 weiter voran, und manchmal holperte es ein wenig: Ende März hatte der Arbeiter- und Soldatenrat von Groß-Hamburg „mit Gesetzeskraft“ verkündet, dass nunmehr alle Schulleiter durch die Lehrer auf ein Jahr zu wählen seien (BZ vom 25. März), doch wenig später forderte der Lehrerrat, die Amtsperiode auf drei Jahre auszudehnen (BZ vom 4. April). Dem folgten schließlich auch Senat und Bürgerschaft, wobei die Frist für die Durchführung der Wahlen auf den 6. Mai verschoben und der Kreis der Wahlberechtigten über das Lehrerkollegium hinaus um drei Elternrats-Vertreter erweitert wurde (BZ vom 2. Mai).

In Bergedorf ging dies glatt vonstatten: alle Schulleiter wurden im Amt bestätigt, während in der Stadt Hamburg 46 von 198 Volksschulen neue Leiter erhielten, darunter drei Frauen (BZ vom 13. Mai).

BZ 30. April 1919

 

Die Abschaffung des Schulgelds hatten Bergedorfs Magistrat und Bürgervertretung bereits am 28. Februar beschlossen (BZ vom 1. März), aber nicht rückwirkend: für das erste Quartal musste gezahlt werden, wie der Magistrat bekanntmachte.

 

BZ 22. April 1919

BZ 8. April 1919

Mit dem neuen Schuljahr begann die unentgeltliche Lieferung der Lernmittel für die Stadtschulen (BZ vom 1. März) – das Schulgeld für die höheren Schulen blieb aber letzten Endes, und auch die Bücher mussten dort weiterhin privat angeschafft werden. Weitere Kosten entstanden den Hansaschul-Eltern durch die vorgeschriebenen Mützen, die es in unterschiedlichen Ausführungen gab, was zu einem regen Gebrauchthandel auf dem Schulhof und über Kleinanzeigen in der Bergedorfer Zeitung führte, worüber anschauliche Zeitzeugenberichte (S.38, S. 76f.) vorliegen.

 

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Der Nord-Süd Konflikt in Kirchwärder

Bergedorfer Zeitung, 22. April 1919

Bergedorfer Zeitung, 24. April 1919

Die Wahl zur Gemeindevertretung Kirchwärders war (am 13. April) gelaufen – jetzt brach der innergemeindliche Nord-Süd-Konflikt erst richtig aus: nach dem alten Wahlrecht von 1874 stellten die drei Bauerschaften der Nordseite (Seefeld, Holake, Kirche, alle an der Gose-Elbe) ebenso viele Vertreter wie die der Südseite (Zollenspieker, Sande/Howe, Warwisch, alle an der Stromelbe). Nach dem neuen Wahlrecht kamen nur fünf von neunzehn aus dem Norden, und zumindest ein Leserbriefschreiber aus dem Norden drohte mit Separatismus (erneut am 30. April); ein weiterer wies auf die eigenen kommunalen Interessen der Nordseite, die besonders unter feuchten Böden litte und an wasserbaulichen Maßnahmen an der Gose-Elbe ein großes Interesse hätte, hin.

Bergedorfer Zeitung, 26. April 1919 (gekürzt)

Das alte Wahlrecht, wie es im Orts-Statut von 1874 (Hamburgische Gesetzsammlung 1874, S. 367-376) niedergelegt war, war beschränkt auf „männliche volljährige Gemeinde-Angehörige, welche nicht in Anderer Kost und Lohn stehen und welche zu den Gemeindelasten beitragen.“ (§ 3 Ziff. 1) Aber auch Frauen und Kinder, die eigenständige Grundbesitzer waren, durften wählen bzw. durften durch „Bevollmächtigte“ wählen lassen (§ 3 Ziff. 2). Beides galt auch für die anderen Gemeinden der Vierlande (siehe den Beitrag Der Wahlrechtsentzug für die Kinder).

Neben der Steuerzahlung war also der Grundbesitz entscheidendes Kriterium. Der „Großgrundbesitz“ (mindestens 6 ha Land) war dabei privilegiert, denn aus jeder der sechs Bauerschaften mussten mindestens zwei Großbauern gewählt werden (insgesamt 16 von 32 Gemeindevertretern). Kätner (Hauseigentümer mit kleinerem Grundeigentum, also z.B. Gärtner oder Handwerker) und Einwohner (ohne Haus- und Grundbesitz) erhielten 12 bzw. 4 Sitze, und im Gemeindevorstand saß aus jeder Bauerschaft ein Großbauer. Das alte Wahlrecht sollte sicherstellen, dass die Interessen der Bauerschaften und des größeren Grundbesitzes sich durchsetzten – das neue Wahlrecht kannte keine Steuerzahler, Bauerschaften und Stände mehr, sondern nur noch Männer und Frauen mit gleichem Recht (wobei das Wahlrecht der grundbesitzenden Minderjährigen auf der Strecke blieb). Und da auf der Südseite Kirchwärders sehr viel mehr Wähler wohnten, fanden sich auf allen drei Listen dementsprechend sehr viel mehr Kandidaten von der Südseite, was zu der „ungleichen“ Nord-Süd-Verteilung führte, weil nur die Listenplatzierung über den Einzug in die Gemeindevertretung entschied. Das verärgerte offenbar manches Nordlicht.

Bergedorfer Zeitung, 29. April 1919

Bei der Wahl des neunköpfigen Gemeindevorstands gab es dann aber einen Kompromiss zwischen „alter“ und „neuer“ Ordnung: die Sitzverteilung im Vorstand wurde nach Bauerschaften vorgenommen, wobei nun aber die Einwohnerzahl berücksichtigt wurde, und die Großbauern bekamen nur noch drei Sitze. Bei der SPD stieß dieses Verfahren auf Protest, da ihr Spitzenkandidat Johann Schulz (Seefeld) zwar in die Gemeindevertretung gewählt worden war, nicht aber in den Vorstand, denn der Seefelder Bauerschaft stand nach Einwohnern nur ein Vorstandsposten zu, und der Kirchwärder Kommunalverein sowie der Kirchwärder Bürgerverein verständigten sich auf den Hauptlehrer Sievers von der Seefelder Schule. Die SPD hatte in Seefeld fast die Hälfte der Stimmen erhalten und fühlte sich ausgebootet, auch weil sie nur zwei Vorstandsmitglieder stellte: „Eine solche Diktatur machen wir nicht mit“, schrieb Schulz zwar erbost in einem Leserbrief (BZ vom 29. April), aber letztlich machte die SPD doch mit, und auch zur Abspaltung des Nordens kam es nicht.

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