Als ob Bürgermeister Walli mit seinen Bergedorfer Angelegenheiten nicht genug zu tun gehabt hätte – jetzt hatte er noch eine (unbezahlte) Nebentätigkeit übernommen: er war ohne Gegenkandidaten in einem Hamburger Vororts-Wahlkreis zum Bürgerschaftsabgeordneten gewählt worden.
Der „Wahlkampf“ war kurz gewesen: erst am 20. November hatte die Bergedorfer Zeitung die Meldung von Wallis einstimmiger Nominierung im Wahlkreis Alsterdorf/Groß-Borstel/Ohlsdorf durch die „Vereinigten Liberalen“ und mehrere örtliche Bürger- und Grundeigentümervereine gebracht, und obwohl Walli keinen Gegenkandidaten zu fürchten gehabt hatte, hielt er (mindestens) eine Wahlrede, vermutlich zur Mobilisierung potentieller Wähler, aus der hier ein Auszug zu lesen ist.
Zwar unterschied sich die Rechtsstellung der genannten „Vororte“ von der der Stadt Bergedorf, aber die Probleme waren Walli nicht fremd: fehlende Bebauungspläne, unzureichende Ver- und Entsorgung und Erschließung hemmten hier wie dort die Entwicklung, nötig sei eine „vorbeugend wirkende Verwaltungsreform“, und dann wurde er richtig derb: manchem in Hamburg erscheine „körperliche und geistige Inzucht“ als „der Gipfel der Erkenntnis“, man müsse aber aus den Erfahrungen anderer Bundesstaaten lernen – und diese Erfahrungen bringe er ja aus Baden und Preußen mit.
[Kleiner Exkurs: Wer Wallis Kritik nachvollziehen will, braucht nur in die Verfassung der freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Oktober 1879 zu schauen: Artikel 7 gab vor, dass von den achtzehn Senatsmitgliedern neun ein Studium der „Rechts- oder Cameralwissenschaften“ absolviert haben mussten; unter den anderen neun mussten „mindestens sieben dem Kaufmannsstande“ angehören. Bei der Wahl der Senatoren (auf Lebenszeit) durch die Bürgerschaft (Artikel 9) gab es ein hochkompliziertes Verfahren, das dem Senat ein gewichtiges Mitspracherecht gab. Die Gesetzgebung war gemeinsame Aufgabe von Senat und Bürgerschaft (Artikel 6). Nach Artikel 30 gab es bei der Bürgerschaftswahl drei Gruppen von Wählern: die Grundeigentümer wählten 40 Abgeordnete, die Notablen (d.h. diejenigen, „welche Richter, Handelsrichter, Mitglieder der Vormundschaftsbehörde, bürgerliche Mitglieder der Verwaltungsbehörden, der Handels- oder Gewerbekammer sind oder gewesen sind“) ebenfalls 40, in allgemeiner Wahl (in der nur eine Minderheit der Männer wahlberechtigt war, Frauen gar nicht) wurden 80 Abgeordnete bestimmt – siehe hierzu auch Hans Wilhelm Eckardt und Peter Borowsky.]
Vor allem die Politik seiner badischen Heimat scheint ihn geprägt zu haben: schon 1905 hatte es dort Stichwahlabkommen zwischen Sozialdemokraten und Liberalen gegeben, die dann gemeinsam im Landtag eine Reihe von Reformen durchsetzten, unter anderem die Abschaffung des kommunalen Dreiklassenwahlrechts (siehe Geschichte der SPD Baden-Württemberg und einen Aufsatz des Historikers Gerhard A. Ritter). Auch seine Forderung, dass niemandem „wegen der Parteizugehörigkeit die gleichberechtigte Mitarbeit am und im Staate erschwert“ werden dürfe, ist in diesem Zusammenhang zu sehen, denn bei (preußischen) Staatsbediensteten führte die Mitgliedschaft in der SPD regelhaft zur Entlassung (siehe z.B. Klaus Sühl). Dass Walli diese Politik der Ausgrenzung nicht mittrug, hatte er bereits durch sein Eintreten für die Wahl des Bergedorfer Sozialdemokraten Wilhelm Wiesner zum Ratmann unter Beweis gestellt, siehe den Beitrag Neue Ratmänner und Wahlen zur Bürgervertretung.
Obwohl Walli also dezidiert die Positionen der Hamburger Vereinigten Liberalen vertrat, wurde ihm in der Neuen Hamburger Zeitung vorgehalten, dass er gar kein Liberaler sei, was nicht nur er zurückwies, sondern auch der BZ-Redakteur (vermutlich der Ratmann Wilhelm Bauer), der dies berichtete (BZ vom 18. Dezember 1917). Damit nicht genug: es gab eine förmliche Beschwerde gegen seine Wahl, die der Wahlprüfungsausschuss der Bürgerschaft nach Studium der Unterlagen aber zurückwies (BZ vom 12. März 1918).