Der Nord-Süd Konflikt in Kirchwärder

Bergedorfer Zeitung, 22. April 1919

Bergedorfer Zeitung, 24. April 1919

Die Wahl zur Gemeindevertretung Kirchwärders war (am 13. April) gelaufen – jetzt brach der innergemeindliche Nord-Süd-Konflikt erst richtig aus: nach dem alten Wahlrecht von 1874 stellten die drei Bauerschaften der Nordseite (Seefeld, Holake, Kirche, alle an der Gose-Elbe) ebenso viele Vertreter wie die der Südseite (Zollenspieker, Sande/Howe, Warwisch, alle an der Stromelbe). Nach dem neuen Wahlrecht kamen nur fünf von neunzehn aus dem Norden, und zumindest ein Leserbriefschreiber aus dem Norden drohte mit Separatismus (erneut am 30. April); ein weiterer wies auf die eigenen kommunalen Interessen der Nordseite, die besonders unter feuchten Böden litte und an wasserbaulichen Maßnahmen an der Gose-Elbe ein großes Interesse hätte, hin.

Bergedorfer Zeitung, 26. April 1919 (gekürzt)

Das alte Wahlrecht, wie es im Orts-Statut von 1874 (Hamburgische Gesetzsammlung 1874, S. 367-376) niedergelegt war, war beschränkt auf „männliche volljährige Gemeinde-Angehörige, welche nicht in Anderer Kost und Lohn stehen und welche zu den Gemeindelasten beitragen.“ (§ 3 Ziff. 1) Aber auch Frauen und Kinder, die eigenständige Grundbesitzer waren, durften wählen bzw. durften durch „Bevollmächtigte“ wählen lassen (§ 3 Ziff. 2). Beides galt auch für die anderen Gemeinden der Vierlande (siehe den Beitrag Der Wahlrechtsentzug für die Kinder).

Neben der Steuerzahlung war also der Grundbesitz entscheidendes Kriterium. Der „Großgrundbesitz“ (mindestens 6 ha Land) war dabei privilegiert, denn aus jeder der sechs Bauerschaften mussten mindestens zwei Großbauern gewählt werden (insgesamt 16 von 32 Gemeindevertretern). Kätner (Hauseigentümer mit kleinerem Grundeigentum, also z.B. Gärtner oder Handwerker) und Einwohner (ohne Haus- und Grundbesitz) erhielten 12 bzw. 4 Sitze, und im Gemeindevorstand saß aus jeder Bauerschaft ein Großbauer. Das alte Wahlrecht sollte sicherstellen, dass die Interessen der Bauerschaften und des größeren Grundbesitzes sich durchsetzten – das neue Wahlrecht kannte keine Steuerzahler, Bauerschaften und Stände mehr, sondern nur noch Männer und Frauen mit gleichem Recht (wobei das Wahlrecht der grundbesitzenden Minderjährigen auf der Strecke blieb). Und da auf der Südseite Kirchwärders sehr viel mehr Wähler wohnten, fanden sich auf allen drei Listen dementsprechend sehr viel mehr Kandidaten von der Südseite, was zu der „ungleichen“ Nord-Süd-Verteilung führte, weil nur die Listenplatzierung über den Einzug in die Gemeindevertretung entschied. Das verärgerte offenbar manches Nordlicht.

Bergedorfer Zeitung, 29. April 1919

Bei der Wahl des neunköpfigen Gemeindevorstands gab es dann aber einen Kompromiss zwischen „alter“ und „neuer“ Ordnung: die Sitzverteilung im Vorstand wurde nach Bauerschaften vorgenommen, wobei nun aber die Einwohnerzahl berücksichtigt wurde, und die Großbauern bekamen nur noch drei Sitze. Bei der SPD stieß dieses Verfahren auf Protest, da ihr Spitzenkandidat Johann Schulz (Seefeld) zwar in die Gemeindevertretung gewählt worden war, nicht aber in den Vorstand, denn der Seefelder Bauerschaft stand nach Einwohnern nur ein Vorstandsposten zu, und der Kirchwärder Kommunalverein sowie der Kirchwärder Bürgerverein verständigten sich auf den Hauptlehrer Sievers von der Seefelder Schule. Die SPD hatte in Seefeld fast die Hälfte der Stimmen erhalten und fühlte sich ausgebootet, auch weil sie nur zwei Vorstandsmitglieder stellte: „Eine solche Diktatur machen wir nicht mit“, schrieb Schulz zwar erbost in einem Leserbrief (BZ vom 29. April), aber letztlich machte die SPD doch mit, und auch zur Abspaltung des Nordens kam es nicht.

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