Zwei Wochen nach der Revolution war die Macht in Bergedorf neu verteilt – folgt man der Zeitungsberichterstattung: konsensual. Die bürgerliche Mehrheit in der Stadtvertretung beschloss einstimmig, den Magistrat um drei (ehrenamtliche) Mitglieder zu erweitern und den Sozialdemokraten Wilhelm Wiesner zum besoldeten Ratmann zu befördern. Damit hatte die SPD eine komfortable Mehrheit in der Exekutive der Stadt, und auch der örtliche Arbeiterrat wird zufrieden gewesen sein, denn mit Carl Storbeck zog der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrats in die Verwaltungsspitze ein, ebenso wie Friedrich Frank, Gewerkschaftssekretär und Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats (siehe den Beitrag Die Revolution organisiert sich).
Warum waren die bürgerlichen Stadtvertreter (alle!) bereit, auf die Mehrheit im Magistrat zu verzichten? Zum einen hatte es Vorgespräche Bürgermeister Wallis mit der örtlichen SPD-Führung gegeben (BZ vom 25. November), und Walli wies seine Gremien darauf hin, dass ohne Änderungen der Mehrheit „die neue politische Gewalt im Wege der Dekretierung“ eine grundlegend andere Verwaltung einführen und dem Bürgertum einiges zumuten würde (BZ vom 21. November).
Zum anderen hatten die Stadtvertreter wohl über die Grenzen geblickt und gesehen, was in Geesthacht bereits passiert war: dort hatte der Arbeiter- und Soldatenrat für seine Tätigkeit von Gemeindevorstand und Gemeindeversammlung 3.000 Mark gefordert und auch bekommen (BZ vom 13. November 1918). Das hielt die Revolutionäre aber nicht davon ab, anschließend die kommunalen Gremien schlicht aufzuheben (korrumpierbar war der Rat also nicht) – nur ein Mitglied von Vorstand und Vertretung, Rudolf Messerschmidt, beließ man im Amt, um durch diesen die Geschäfte der Verwaltung weiterführen zu lassen. Auch in Reinbek setzte der dortige Arbeiter- und Soldatenrat die Gemeindevertretung ab (BZ vom 18. November 1918), was aber schon am nächsten Tag wieder rückgängig gemacht wurde (BZ vom 19. November 1918).
Einen ähnlichen Machtwechsel wollten die Bergedorfer Politiker in ihrer Stadt offenbar vermeiden, und das gelang ihnen: alle behielten ihre Ämter, es kamen nur neue Amtsinhaber dazu, was zu einer neuen Mehrheit im Magistrat führte. Ob die Stadtvertretung dann auf Tauchstation geschickt wurde oder ob sie freiwillig abtauchte, ist nicht bekannt – ihre nächste Sitzung fand erst am 28. Februar 1919 statt (BZ vom 1. März 1919). Bis dahin konnte der Magistrat frei schalten und walten.
Übrigens: Ende November setzte der von der USPD dominierte Geesthachter Arbeiter- und Soldatenrat eine neue Gemeindevertretung ein (BZ vom 28. November), die (nach vermutlich deutlich hörbarem Zähneknirschen) von der Landherrenschaft auch anerkannt wurde (BZ vom 10. Dezember). Ob der Rat damit seine Legitimationsbasis verbreitern oder sich von Aufgaben und Verantwortung entlasten wollte, ist unbekannt. Zu tun gab es offenbar genug: für Schreibarbeiten suchte der Soldatenrat „zwei schreibgewandte junge Mädchen sowie ein junges Mädchen für die Schreibmaschine“ (Anzeige in der BZ vom 18. November) – auch Revolution bedarf offenbar einer Verwaltung.
Die Aktivitäten des Geesthachter Rates schilderte August Ziehl (S. 30-32), Schriftführer des Rates, in seinen später verfassten Erinnerungen; auch historische Analysen liegen vor, z.B. von Stefan Kroll (S. 103-114) und in knapper Form zuletzt von Ortwin Pelc (S. 103f.). Vergleichbares Schrifttum zu Bergedorf fehlt.