Mehr Rindsleder, aber nicht mehr Lederschuhe

Bergedorfer Zeitung, 8. August 1917

Im Sommer 1917 waren die Fleischrationen kurzzeitig erhöht worden, um andere Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung zu überbrücken (siehe den Beitrag Rumänien schont deutsches Milchvieh), und deshalb waren mehr Rinder geschlachtet worden. Dennoch sollte es kein zusätzliches „Leder für die Schuhwaren der Zivilbevölkerung“ geben: nicht nur für Treibriemen (siehe den Beitrag Treibriemen zu Schuhsohlen) wurde es genutzt, sondern ebenso für die Nicht-Zivilbevölkerung, sprich: die Armee.

Schuhe für die Zivilbevölkerung gab es schon seit längerem nur auf Bezugsschein (BZ vom 27. Dezember 1916), und entsprechende Anträge wollte die Landherrenschaft  „besonders streng“ prüfen (BZ vom 21. März 1917). In Sande musste man schon für den Antragsvordruck fünf Pfennige zahlen (BZ vom 30. August 1917) – beides dürfte dem Zweck gedient haben, die Zahl der Anträge möglichst niedrig zu halten.

Bergedorfer Zeitung, 15. September 1917

Aber immerhin sollte ja das Besohlungsproblem nun gelöst werden: die „Ersatzsohlengesellschaft“  ließ millionenfach Ersatzsohlen herstellen, wobei der Artikel leider nicht verrät, aus welchem Material sie hergestellt wurden – wahrscheinlich war es Holz, denn sogar „Sohlenschoner und Sohlenbewahrer, die ganz oder teilweise aus Leder bestehen“, durften bald nur noch für die Heeresverwaltung gefertigt werden (BZ vom 25. September 1917). In Bergedorf bot die Firma Gebr. Behr (nicht zu verwechseln mit der Holzhandlung H. G. Behr am Kupferhof) jedenfalls Holzsohlen an.

Im Herbst sollte dann alles gut werden: die „deutschen Einheitsschuhe“ sollten kommen, „bestehend aus einem imprägnierten Papierstoff als Einsatz, aus Leder als Besatz und aus einer leichten Holzsohle“ (BZ vom 24. Oktober 1917).

In der Realität blieben Schuhe und Schuhsohlen Mangelware, weshalb die Stadt Bergedorf (in den Räumen des Bergedorfer Frauenvereins) eine „Schuhfürsorge“ einrichtete, in der Kurse in Schuhreparatur und Besohlung angeboten wurden;  das benötigte Material (welches?) wurde zum Selbstkostenpreis abgegeben (BZ vom 1. November 1917). Der Bergedorfer Kriegsfürsorge gelang es sogar, neues Schuhwerk zu beschaffen: 2.000 Paar wurden an „Minderbemittelte“ abgegeben, die nicht nur einen Bezugsschein (s.o.) benötigten, sondern zusätzlich einen „Berechtigungsschein“ (BZ vom 3. November 1917): in der „städtischen Schuhverkaufsstelle“ (zugleich Amtliche Kleiderverwertungsstelle) in der Wentorfer Straße 2/4 konnten sie dann Segeltuchschuhe mit Holzsohlen (Höchstpreise für diese „Kriegsschuhe“ ab 1. Januar 1918 je nach Größe und Art 9,oo bis 19,40 Mark) erwerben (BZ vom 27. November und 19. Dezember 1917). Kalte und nasse Füße blieben an der Tagesordnung.

 

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Ein Jubiläum: 49 Jahre und 212 Tage Bergedorf zu Hamburg

Bergedorfs Geschichte eingedampft auf gut einhundert Zeitungszeilen, veröffentlicht anlässlich eines sehr krummen Jubiläums:

Bergedorfer Zeitung, 8. August 1917

Wer’s lieber ausführlicher und präziser hat, sei vor allem auf das vom Kultur- und Geschichtskontor herausgegebene Buch 850 Jahre Bergedorf. Eine Stadtgeschichte verwiesen, in dem die erste urkundliche Nennung Bergedorfs auf 1163 datiert wird, daneben auf den Aufsatz von Ortwin Pelc über die Burg Bergedorf im Hochmittelalter in:  Victoria Overlack (Hg.): Das Bergedorfer Schloss. Dort findet man auch genauere Angaben, z.B. zu dem angeblichen Jubiläum am 8. August 1917, denn der historisch korrekte Jahrestag lag 153 Tage später: erst am 1. Januar 1868 trat die Regelung über die Zugehörigkeit Bergedorfs zum hamburgischen Staate in Kraft, wie der Vertragstext zeigt. (Verfrühtes Feiern gab es nach Ansicht des Kultur- und Geschichtskontors (ebd., S. 8f.) auch 2012, als das 850. Jubiläum Bergedorfs begangen wurde.)

Die großen Linien gibt der Artikel zutreffend wieder, wenn auch die Verleihung des Stadtrechts 1275 keine Erwähnung fand oder auch der Gewinn des halben Sachsenwaldes durch den Perleberger Frieden (Wortlaut des Vertrags bei Richert, S. 30f.) – wichtiger war dem Journalisten, dass der preußische Kronprinz Wilhelm „auf seiner Reise nach England“ 1848 in der Stadt übernachtete, und geschickt umging der Verfasser dabei die Tatsache, dass Wilhelm, der „Kartätschenprinz“ und spätere Kaiser, auf der Flucht vor den 48er-Revolutionären war und nicht einfach Verwandte besuchen wollte. Das hätte ja auch nicht in die Zeit gepasst.

In die Zeit passte aber durchaus der Hinweis auf den Krieg von 1870, der dem Verfasser Bezüge auf den aktuellen Krieg ermöglichte: „auch der gegenwärtige Weltkrieg“ habe große Opfer gefordert und schwere Lücken gerissen, aber da endete sein Vergleich: im deutsch-französischen Krieg wurden durch „Liebestätigkeit“ 34 Soldatenfamilien unterstützt, wofür 4.710 Taler und 8 Groschen aufgewendet wurden – bei 3.606 Einwohnern (1871) war dies weniger als ein Prozent. 1916 erhielten 2.500 Personen aus Soldatenfamilien Essen in einer der Kriegsküchen (siehe den Beitrag Kommunalpolitik 1916), also etwa 16 Prozent; die Aufwendungen für die Kriegsfürsorge lagen bis Ende 1916 bei 435.000 Mark (siehe BZ vom 13. Dezember 1916). Die Zahl der getöteten oder verwundeten Soldaten wird sich ebenfalls vervielfacht haben. Die Siegeszuversicht des Autors beeinträchtigte das nicht.

Übrigens bleibt die BZ dabei, dieses Jahrestags im August zu gedenken: am 7. August 2017 konnte man Ulf-Peter Busses Artikel „Als Hamburg Bergedorf gekauft hat – Morgen vor 150 Jahren“ lesen. Busse verweist in diesem Artikel auch auf das korrekte Datum – kein Wunder, denn niemand dürfte sich so intensiv mit diesem Thema befasst haben: seine Magisterarbeit über „Das Ende der beiderstädtischen Herrschaft über das Amt Bergedorf“ ist aber leider unveröffentlicht.

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Spendables Bergedorf – knauseriges Sande? Die Gabenverzeichnisse der Kriegsfürsorge

Seit Kriegsbeginn wurde in Deutschland, natürlich auch in Bergedorf und Sande, kontinuierlich für die jeweilige örtliche Kriegsfürsorge gesammelt. Die Ergebnisse für Bergedorf und Sande wurden als „Gabenverzeichnisse“ regelmäßig in der Bergedorfer Zeitung publiziert, und aus diesen Verzeichnissen kann man einige Schlüsse ziehen, wobei hier kurzfristige (teils wiederholte) Sammelaktionen wie z. B. der Tabaktag, die Kaisersgeburtstagsspende und Reichswollwoche, die Ostpreußenhilfe (BZ vom 8. Oktober 1914), die Hindenburgspende (BZ vom 21. Januar 1916) und die U-Boot-Spende (BZ vom 30. April 1917) nicht betrachtet werden, auch nicht die „Hilfe für deutsche Kriegsgefangene“ (z.B. BZ vom 15. Mai 1917).

Bergedorfer Zeitung, 7. August 1917

Bergedorfer Zeitung, 23. Juni 1917

Das 29. Gabenverzeichnis der Kriegshilfe Sande listet die Ergebnisse für die ersten drei Kriegsjahre auf. Der Rückgang des Spendenaufkommens ist unschwer zu erkennen: im ersten Kriegsjahr im Monatsdurchschnitt 1.357,61 Mark, im Folgejahr monatlich 379,30 Mark und 1916/17 nur noch 210,50 Mark pro Monat, ein Rückgang um 84 Prozent.

Für Bergedorf fehlt eine vergleichbare zusammenfassende Darstellung, sodass aus den einzelnen Verzeichnissen ein Monatsdurchschnitt errechnet werden musste, der zumindest die Größenordnung verdeutlicht: 1914/15: 9.685,82 Mark, 1915/16: 5.122,21 Mark, 1916/17: 4.587,66 Mark. Auch in Bergedorf sank also das Aufkommen, aber in sehr viel geringerem Maße auf knapp die Häfte (Rückgang um 53 Prozent).

Bergedorf (1914: 15.791 Einwohner) war nicht nur deutlich größer als Sande (1914: 7.072 Einwohner), seine Kriegsfürsorge erhielt in der bisherigen Gesamtsumme auch fast das Zehnfache an Spenden (223.572,96 Mark zu 23.369,48 Mark), was durch das unterschiedliche Einkommens- und Vermögensniveau zu erklären ist: das Bergedorfer Villenviertel bot wohlhabenden Bergedorfern und Hamburgern angenehme und großzügige Verhältnisse – Sande hingegen war primär ein „Bergedorfer Arbeitervorort“ (Ulf-Peter Busse, in: Kultur- und Geschichtskontor (Hrsg.): Lohbrügge, Band 2, S. 57).

Betrachtet man die oben wiedergegebenen Gabenverzeichnisse genauer, so fallen weitere Unterschiede auf: in Bergedorf gab es erhebliche Einnahmen aus (kulturellen) Veranstaltungen und mehr als dreißig namentlich genannte Einzelspender (darunter viele Kaufleute, siehe Bergedorfer Adressbuch 1915, auch zu den nachfolgend Genannten), aus „Steinen und Silbersachen“ wurden 171,65 Mark zugeführt – aus Sande 5,05 Mark „für Metallerlös“ und 5 Mark „für von den Schulkindern verkaufte Lumpen“, während eine Verlosung der Bergedorfer Mädchenschule 1.527 Mark erbrachte. Einige besonders spendenfreudige Bergedorfer zahlten sogar in beiden Orten ein: der Geheime Sanitätsrat Dr. Tiedemann und die mit dem Bergedorfer Emaillirwerk verbundenen Fabrikanten Daniel Schoening und Felix Christian – neben der der Ehefrau des Ziegeleibesitzers Günther kam also nur eine Einzelspende aus Sande: die des Arztes Dr. Behrends.

Waren die Sander knauserig – oder waren sie finanziell am Ende? Letzteres ist wahrscheinlicher. Waren die Bergedorfer großzügig? Zumindest nicht alle, von denen man Spenden hätte erwarten können, denn der Wohlstand war trotz des Krieges sicher nicht auf gut dreißig Personen beschränkt. Dass – soweit feststellbar – keine Arbeiter (sondern nur Angehörige des Bürgertums) unter den Gebern waren, lässt vermuten, dass diese trotz gestiegener Löhne jeden freien Groschen in die Versorgung stecken mussten, in Bergedorf wie in Sande.

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Die halbbarbarischen Frauen und ihre Ohrringe

Bergedorfer Zeitung, 3. August 1917

Zugegeben: es war ja schon vieles besser geworden, aber es gab immer noch Relikte der Barbarei, und die ausgerechnet bei den deutschen Frauen! Immer noch trugen sie Ohrringe, obwohl der alttestamentarische Prophet Jesaja diese bei den eitlen Frauen Jerusalems schon vor mehr als 2.500 Jahren verdammt hatte (Luther-Bibel, Jes. 3, 16-24)! Also: „Fort mit den Ohrringen“, gegen die laut Artikel „auch vom Kulturstandpunkt schwere Bedenken geltend gemacht werden“: halbbarbarisch und das Ohr (das durchbohrt werden musste) verunstaltend, zudem mehr als überflüssig.

Die Ohrringe der „weiblichen Wesen“ waren nicht nur aus kulturellen Gründen undeutsch: die wahrhaft deutsche Frau opferte sie und anderen Goldschmuck auf dem Altar des Vaterlandes, d.h. sie brachte alles Goldene zur Goldankaufsstelle, damit die Reichsbank die „finanzielle und wirtschaftliche Rüstung“, also die Kriegsfinanzierung, aufrechterhalten konnte, wie schon in den Beiträgen Das Gold in Ochsenwerder und Gold gab ich für Papiergeld … geschildert wurde. Hier hätte der Autor dem Abgabeappell noch mehr Nachdruck verleihen können, wenn er die Prophezeiung in Jesaja 3, 25 zitiert hätte: „Deine Männer werden durchs Schwert fallen und deine Krieger im Kampf.“

Legt man den oben zitierten „Kulturstandpunkt“ zugrunde, muss man konstatieren, dass Deutschland sich mit Piercings und Tätowierungen gegenüber 1917 signifikant zurückentwickelt hat. Sogar Männer tragen heutzutage Ohrringe!

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Die Plünderung der Oberelbe

Bergedorfer Zeitung, 28. Juli 1917

Wenn alle bei Geesthacht Fischfangberechtigten gleichzeitig ihr Recht nutzten, muss ein ziemlich reger Betrieb geherrscht haben: nicht nur der Altkätner J. Elvers, der das Fangrecht von der Gemeinde Geesthacht gepachtet hatte, war in seinem Fangboot auf der Elbe, sondern auch sechzehn „Berufsfischer“ tummelten sich hier, die aufgrund des hamburgischen Gesetzes betr. die Kriegsfischerei auf der (hamburgischen Häfte der) Oberelbe hier ihre Netze auswarfen. Sie wurden beobachtet von den vierzig Angelkarteninhabern Geesthachts, die für 50 Pfennige Gebühr von Land aus ihre Hungerpeitschen in die Elbe bzw. den Geesthachter Hafen halten durften.

Bergedorfer Zeitung, 13. April 1917

 

 

 

 

 

 

Ein Stück stromab, zwischen Geesthacht und Altengamme, brauchte man den Fischereischein aus Besenhorst, denn hier war die Elbe auf ganzer Strombreite preußisch; auch Fischer aus Drage vom südlichen Elbufer gingen in diesem Bereich ihrem Gewerbe nach. Da kann es kaum überraschen, dass Grenzverletzungen vorkamen und vor Gericht endeten (siehe BZ vom 30. Januar 1915, 19. Januar und 20. August 1917).

Vor Einführung des Kriegsfischereigesetzes (nachzulesen in der Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg 1917) im März hatten die Elbfische offenbar vor allem auf nicht-menschliche Fressfeinde zu achten, denn in der Begründung des Gesetzes hieß es: „Die Fischerei an der Oberelbe ist von den Fischereiberechtigten entweder überhaupt nicht oder nur in sehr beschränktem Umfange ausgeübt worden.“ Zwischen Einbringung des Gesetzentwurfs durch den Senat und Beschluss der Bürgerschaft vergingen gerade einmal fünf Tage, denn man wollte die Stintsaison nicht verpassen. Im Mai wurden weitere Regelungen per Senatsverordnung geändert: das Mindestmaß für den Zander wurde von 35 cm auf 28 cm reduziert, die Frühjahrsschonzeit wurde weitgehend aufgehoben und der wöchentliche „Ruhetag“ von Sonnabend 18 Uhr bis Sonntag 18 Uhr wurde (außer für Angler) abgeschafft, kurz: die Fischbestände sollten geplündert werden.

Bergedorfer Zeitung, 30. März 1917

Dieses Gesetz griff allerdings in Rechte Dritter ein, da „an gewissen Ufergrundstücken dingliche Fischereirechte Privater“ hafteten und bestehende Pachtverträge betroffen waren. Deshalb sah das Gesetz eine pauschale Entschädigungsregelung vor, die aber ziemlich verwaltungsaufwändig gewesen sein dürfte: die neu zugelassenen Berufsfischer mussten den gesamten Fang abliefern; vom Reinerlös behielt die Fischereidirektion zehn Prozent ein, um diese an die bisherigen Fischereiberechtigten und staatlichen Fischereipächter nach Größe der Oberfläche der Gewässerstrecke auszuzahlen (ob die Flächenberechnung den Hoch- oder Niedrigwasserstand zugrundelegte, bedürfte weiterer Recherche).

Bergedorfer Zeitung, 10. Juli 1917

Wer ein „altes“ Fischfangrecht besaß, konnte seinen Fang frei verkaufen, wie die nebenstehende Anzeige des Fischers Hein Hars belegt. Er betrieb für etwa zwei Wochen auch die Annahmestelle Zollenspieker nach „neuem“ Recht, dann wurde diese nach Tönnhausen (an der Ilmenau) verlegt (siehe BZ vom 16. April 1917).

Abschließend eine Anmerkung zum Begriff „Oberelbe“: laut Internationaler Kommission zum Schutz der Elbe ist heute unter Oberelbe der Flussabschnitt von der Elbequelle bis Schloss Hirschstein zu verstehen, die Mittelelbe reicht bis zur Staustufe Geesthacht, und der 142 km lange Abschnitt von dort bis zur Mündung wird als Unterelbe bezeichnet. 1917 galt als „Oberelbe“ der gesamte Strom oberhalb der Elbbrücken (§ 1 des Gesetzes betr. die Kriegsfischerei auf der Oberelbe). Eine Bekanntmachung des Senats wiederum rechnete den „Hauptstrom der Elbe bis Zollenspieker aufwärts“ zum Gebiet der Küstenfischerei (siehe BZ vom 23. November 1917). Ob diese unklaren Grenzen einem Fisch halfen, durch die Maschen zu schlüpfen, muss bezweifelt werden.

 

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Rumänien schont deutsches Milchvieh

Bergedorfer Zeitung, 20. Juli 1917

In Bergedorf und anderswo im Deutschen Reich wird man die ersten Zeilen dieser Meldung mit Freude gelesen haben: die Brot- bzw. Mehlration sollte beträchtlich erhöht werden. Sie lag im Juli bei 1560g Brot bzw. 1092g Mehl pro Erwachsenen und Woche (siehe BZ vom 23. Juli 1917); nach dieser Ankündigung sollte sie im August um 450g bzw. 350g steigen, also auf 2010g Brot oder 1365g Mehl. Der fünfte Satz der Meldung enthielt hingegen frohe Kunde für die deutschen Milchkühe.

Ermöglicht wurde die Aufstockung der Brotmenge nicht nur durch die neue Ernte, sondern auch durch die „rumänischen Zufuhren“, wobei die „Zufuhren“ sicher nicht auf Initiative Rumäniens kamen, sondern durch die deutschen Behörden im besetzten Rumänien veranlasst wurden. Dies passt zu einer Anordnung des Reichskanzlers aus dem Frühjahr, dass deutsche Heeresangehörige und Beamte „aus den besetzten Gebieten“ nunmehr „Postpakete aller Art einschließlich Fleisch im Gewichte bis zu fünf Kilo“ in die Heimat senden durften, ohne dass der Inhalt auf die Lebensmittelkarten angerechnet wurde (siehe BZ vom 25. April 1917). Ein halbes Jahr später wurde das zulässige Maximalgewicht verdoppelt (siehe BZ vom 3. November 1917): was den Deutschen zukam, fehlte den Rumänen bzw. den Menschen in den anderen besetzten Gebieten, und es zeigt, dass das Reich nicht ohne Ausbeutung der Kriegsgegner in der Lage war, die eigene Bevölkerung zu versorgen.

Im Gegenzug zu mehr Brot sollte es ab Mitte August „mit Rücksicht auf unser Milchvieh“ weniger Fleisch geben, wodurch die Mangelgüter Milch und Butter nicht noch weiter reduziert wurden – die neuen Fleischrationen lagen zunächst bei 250g pro Woche und Person, wurden aber im Dezember auf 200g verringert (siehe BZ vom 3. Dezember 1917). Aber hätten die Importe aus Rumänien nicht die Brotversorgung verbessert, so wären viele Milchkühe schnell den Schlachtern zugeführt worden.

Übrigens fiel die Brotration dann doch knapper aus als hier angekündigt: nach der wöchentlich durch die Landherrenschaften publizierten Bekanntgabe der „Versorgung des Kommunalverbandes Hamburg II“ gab es 1950g Brot bzw. 1365g Mehl, aber dies unverändert bis zum Jahresende (siehe BZ vom 13. August und z.B. 22. Dezember 1917).

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Kein Bett im Kornfeld

Bergedorfer Zeitung, 24. Juli 1917

Bergedorfer Zeitung, 24. Juli 1917

 

 

 

 

 

 

„Ein Bett im Kornfeld, das ist immer frei“ sang Jürgen Drews in den 1970er Jahren, und im Sommer 1917 blieben, wenn sich alle Menschen vorschriftsgemäß verhielten, in den Gebieten der hamburgischen Landherrenschaften alle Kornfeldbetten frei. Wer sich nicht an diese Vorschrift hielt, musste damit rechnen, dass er zu einer „Übernachtungsgebühr“ von bis zu 36 Mark herangezogen wurde, es sei denn, dass er eine polizeiliche Genehmigung für die Nacht hatte. Ähnlich war es in Sande: dort genügte eine Bescheinigung des Grundeigentümers, aber die Regelung galt offenbar nicht nur nachts, und statt mit einer bezifferten Geldstrafe musste man dort mit „etwaigen Weiterungen“ (was immer das hieß) rechnen. Die Geesthachter Feldhüter waren sogar bewaffnet und durften bei Widerstand oder Fluchtversuchen von der Schusswaffe Gebrauch machen (siehe BZ vom 27. Juli 1917).

Den Landherrenschaften ging es dabei nicht um sittliche Erwägungen, sondern schlicht um die Verhinderung von Diebstählen aus den Gärten und von Feldern, die immer weiter um sich griffen und ebenso wie der „Schleichhandel“ (siehe den Beitrag Das Landgebiet militärisch abgeriegelt) das offizielle und legale Lebensmittelangebot verringerten.

Bergedorfer Zeitung, 18. Juli 1917

Bergedorfer Zeitung, 24. Juli 1917

 

 

 

 

 

Mit der Kontrolle waren „Feldwachen“ beauftragt, die es auch in Bergedorf (dort „Feldhüter“  genannt) gab: sieben hatte Bergedorf bereits, drei weitere sollten folgen (siehe BZ vom 17. Juli 1917) – wie nötig deren Einsatz war, zeigt die Meldung über die Diebstähle am Gojenberg (24. Juli). Sie zeigt zudem, dass nächtliche Rundgänge (ab 22 Uhr) nicht genügten, sondern die Bewachung auch tagsüber erforderlich war, wie dem Artikel vom 18. Juli zu entnehmen ist: die darin genannten gut gekleideten Frauen mit Handtaschen werden für den Eigenbedarf tätig gewesen sein, ebenso die Kinder, bei denen man durchaus fragen kann, ob sie mit stillschweigender Zustimmung oder sogar nach Aufforderung durch die Familie für ein Minimum an Nahrungsmitteln sorgen sollten. Die Diebe, die beim Krankenhaus gleich 13 Reihen Kartoffeln (geschätzte Menge: ein Zentner) abernteten, dürften dagegen eher an Verkauf gedacht haben.

Staatskrankenhaus Bergedorf, Straßenseite, Ansichtskarte gestempelt 1917. Im Vordergrund möglicherweise Kartoffelpflanzen

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Das Landgebiet militärisch abgeriegelt

Bergedorfer Zeitung, 17. Juli 1917

Die schon im Beitrag Himmelfahrt = Hamsterfahrt geschilderten Bemühungen der Stadtbevölkerung, auf dem Lande Lebensmittel zu kaufen, hatten offenbar weiter zugenommen, und die wiederholten Warnungen der Landherrenschaften vor dem Schleichhandel (siehe z.B. BZ vom 12. Juli 1917) waren erfolglos geblieben, sodass man jetzt zu einer drastischen Gegenmaßnahme griff: an allen Zugängen zum hamburgischen Landgebiet, also auch in die Vierlande und die Marschlande, waren Militärposten eingerichtet worden. Sie sollten (Privat-)Personen, die Kartoffeln mit sich führten, dieselben abnehmen, „um sie der allgemeinen Verteilung zuzuführen“. Gemüsebauern wurden kontrolliert und mussten die „Schlußscheine“ vorlegen, d.h. die Bescheinigung eines abgeschlossenen und genehmigten Liefervertrags in die Stadt, ansonsten wurde ihre Fuhrwerksladung ebenso beschlagnahmt.

In diesen Wochen waren Kartoffeln besonders knapp: zwar gab es Mitte Juli bereits Frühkartoffeln, die zu 15 Pfennig das Pfund verkauft werden durften, aber nicht genug; Kartoffeln aus der vorjährigen Ernte kosteten 7 Pfennig/Pfund – allerdings waren alte Kartoffeln in Bergedorf seit mehreren Wochen nicht mehr vorhanden (dafür sollte die Brotration erhöht werden – die Ausgabe erfolgte in Form von Kochmehl, doch dafür wurde wiederum die Fleischration reduziert, siehe BZ vom 22. Juni und 12., 13. sowie 16. Juli 1917). Der Hunger blieb.

Welchen Erfolg der Militäreinsatz hatte (und wie umfangreich er war) berichtete die Zeitung nicht; man darf vermuten, dass er die Versorgungsprobleme etwas verringerte, den Schleichhandel, der sich ja nicht auf kontrollierte Straßen und Flüsse beschränkte sondern eben auch Schleichwege nutzte, aber nicht unterbinden konnte.

 

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Ernten statt Lernen!

Bergedorfer Zeitung, 7. Juli 1917

In einem Sprichwort heißt es, dass ein voller Bauch nicht gern studiert. Zyniker könnten sagen, dass angesichts der Hungerrationen 1917 also optimale Lernbedingungen herrschten, aber wichtiger als das Lernen war den Schulbehörden damals das Ernten, und so wurden die Schulferien eben nach den Ernteerfordernissen ausgerichtet und nicht nur verlegt, sondern auch verlängert, damit Schülerinnen und Schüler in der Landwirtschaft eingesetzt werden konnten. Nach Ende der allgemeinen Ferien konnten sie „weitgehenden Urlaub“ erhalten, also die schulfreie Zeit weiter ausdehnen, und wenn jemand deswegen Lerndefizite aufwies, sollte hierauf „bei der Versetzung gebührend Rücksicht“ genommen werden.

Der zweite Artikel macht deutlich, warum Jugendliche als Landarbeiter so gefragt waren: Soldaten konnten „nur noch in sehr beschränktem Maße“ abgestellt werden – in welchem Ausmaß das auf den Einsatz von Soldaten bei der Abriegelung der landwirtschaftlichen Gegenden (siehe den Beitrag Das Landgebiet militärisch abgeriegelt) zurückzuführen war, ist unklar. Mehr als die reichsweit 750.000 in der Landwirtschaft eingesetzten Kriegsgefangenen (siehe BZ vom 28. Februar 1917) sollte es nicht geben, und deren Zahl war zumindest in Kirchwärder bereits reduziert worden (siehe BZ vom 26. Januar und 23. April 1917, siehe auch den Beitrag Die Jugend zieht ins Feld).

Trotz des Arbeitskräftemangels waren Bauern und Gärtner bei der Anforderung von Jugendlichen wohl eher zurückhaltend, andererseits suchten die Jugendkompanien Beschäftigung – das Kriegsamt fand die Lösung des Problems: den Betrieben konnten Kriegsgefangene entzogen werden, wenn keine Einstellung von Jungmannen erfolgte (siehe BZ vom 18. August 1917).

Der Erntemenge werden die Maßnahmen wohl genützt haben, der Bildung bestimmt nicht.

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Die teure Landstraße und die Wut auf die Bauern

Bergedorfer Zeitung, 5. Juli 1917

Kostensteigerungen bei Projekten der öffentlichen Infrastruktur haben eine lange Tradition. 1917 sollte die Bürgerschaft 24.707,46 M nachbewilligen, denn der Bau des Straßenzugs Hofschläger Weg/Ochsenwärder Landstraße war teurer geworden als kalkuliert. Für diese Maßnahme war laut Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Nr. 70 vom 6. Juni 1917 (siehe Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1917, S. 171f.) zwischen dem Staat (Hamburg) und den Gemeinden Tatenberg, Spadenland und Ochsenwärder eine hälftige Kostenteilung vereinbart worden, doch die zusätzlichen Ausgaben hatte allein der Staat zu tragen, denn die klugen Gemeindeväter hatten ihre Beiträge als Höchstbeträge festschreiben lassen, und nach Ansicht des Senats hätte „die schlechte finanzielle Lage den Gemeinden eine freiwillige Übernahme eines Anteils an den Mehrkosten kaum gestattet“.

Über die Bürgerschaftsdebatte berichtete die Bergedorfer Zeitung ausführlich, aber nicht umfassend: demnach war nicht die Kostensteigerung das Thema, sondern zum einen die Forderung nach Verlängerung des Straßenzugs bis Kirchwärder bzw. bis zur Kirchwärder Kirche, die schließlich angenommen wurde, und zum anderen die sonstigen Defizite der Verkehrsinfrastruktur der Marsch- und der Vierlande wie Regulierung von Dove- und Gose-Elbe und Bau der „Längseisenbahn“ von Altengamme über Ochsenwärder nach Hamburg. Tenor der Beiträge: die Verlängerung ermögliche mehr Gemüseanbau, was angesichts der Lebensmittelknappheit sinnvoll wäre.

Stenographischer Bericht über die Sitzung der Bürgerschaft am 4. Juli 1917

Einen Redebeitrag gab die BZ nicht wieder – ob sie die Empfindungen ihrer ländlichen Leser schonen wollte? Die Kritik des Abgeordneten Hirsch, über die der Hamburgische Correspondent und der Hamburger Anzeiger ebenfalls am 5. Juli berichteten, war massiv, und sie richtete sich auf die Gemüsebauern des Landgebiets, in denen er nur skrupellose Gewinnmaximierer sah, denen die Versorgungsnot in Hamburg egal war, wenn sie in Berlin zu höheren Preisen verkaufen konnten, und auf die Gemeinden, die nur wegen der geringen Steuern nicht zahlungskräftig waren.

Hirsch‘ Empörung über Ochsenwärder und dessen Nachbargemeinden stieß bei einer Reihe seiner Bürgerschaftskollegen auf lebhafte Zustimmung, wie die Zwischenrufe zeigen, und dies dürfte der  Stimmung in der Stadt entsprochen haben: Theodor Franckes Theaterstück Der Kartoffelkönig von Ochsenwärder war wohl gerade deswegen so erfolgreich, weil in ihm der geldgierige Bauer Jochen Quappenkopp hereingelegt wurde. Die realen Gemeindevorstände waren aber geschickter, weitsichtiger und erfolgreicher als der fiktive Quappenkopp, wie die Geschichte von den Mehrkosten zeigt.

Übrigens wurde noch eine weitere Nachbewilligung erforderlich: weitere 7.500 M mussten gezahlt werden, um die Klage einer Baufirma gegen den Staat abzuwenden (siehe Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1917, S. 220f.), und bei dieser Gelegenheit teilte der Senat der Bürgerschaft mit, dass er sich die Prüfung des Antrags auf Verlängerung der Straße vorbehalte. Das klang zwar nach Abwimmeln, aber der Senat prüfte nicht nur, er plante sogar und hatte die Pläne nach nur zwei Monaten fertig, „nur sei während des Krieges schwerlich an die Ausführung dieser notwendigen Anlage zu denken“, wie die Landherrenschaft mitteilte (siehe BZ vom 24. September 1917), und so kam es denn auch.

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