Die teure Landstraße und die Wut auf die Bauern

Bergedorfer Zeitung, 5. Juli 1917

Kostensteigerungen bei Projekten der öffentlichen Infrastruktur haben eine lange Tradition. 1917 sollte die Bürgerschaft 24.707,46 M nachbewilligen, denn der Bau des Straßenzugs Hofschläger Weg/Ochsenwärder Landstraße war teurer geworden als kalkuliert. Für diese Maßnahme war laut Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Nr. 70 vom 6. Juni 1917 (siehe Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1917, S. 171f.) zwischen dem Staat (Hamburg) und den Gemeinden Tatenberg, Spadenland und Ochsenwärder eine hälftige Kostenteilung vereinbart worden, doch die zusätzlichen Ausgaben hatte allein der Staat zu tragen, denn die klugen Gemeindeväter hatten ihre Beiträge als Höchstbeträge festschreiben lassen, und nach Ansicht des Senats hätte „die schlechte finanzielle Lage den Gemeinden eine freiwillige Übernahme eines Anteils an den Mehrkosten kaum gestattet“.

Über die Bürgerschaftsdebatte berichtete die Bergedorfer Zeitung ausführlich, aber nicht umfassend: demnach war nicht die Kostensteigerung das Thema, sondern zum einen die Forderung nach Verlängerung des Straßenzugs bis Kirchwärder bzw. bis zur Kirchwärder Kirche, die schließlich angenommen wurde, und zum anderen die sonstigen Defizite der Verkehrsinfrastruktur der Marsch- und der Vierlande wie Regulierung von Dove- und Gose-Elbe und Bau der „Längseisenbahn“ von Altengamme über Ochsenwärder nach Hamburg. Tenor der Beiträge: die Verlängerung ermögliche mehr Gemüseanbau, was angesichts der Lebensmittelknappheit sinnvoll wäre.

Stenographischer Bericht über die Sitzung der Bürgerschaft am 4. Juli 1917

Einen Redebeitrag gab die BZ nicht wieder – ob sie die Empfindungen ihrer ländlichen Leser schonen wollte? Die Kritik des Abgeordneten Hirsch, über die der Hamburgische Correspondent und der Hamburger Anzeiger ebenfalls am 5. Juli berichteten, war massiv, und sie richtete sich auf die Gemüsebauern des Landgebiets, in denen er nur skrupellose Gewinnmaximierer sah, denen die Versorgungsnot in Hamburg egal war, wenn sie in Berlin zu höheren Preisen verkaufen konnten, und auf die Gemeinden, die nur wegen der geringen Steuern nicht zahlungskräftig waren.

Hirsch‘ Empörung über Ochsenwärder und dessen Nachbargemeinden stieß bei einer Reihe seiner Bürgerschaftskollegen auf lebhafte Zustimmung, wie die Zwischenrufe zeigen, und dies dürfte der  Stimmung in der Stadt entsprochen haben: Theodor Franckes Theaterstück Der Kartoffelkönig von Ochsenwärder war wohl gerade deswegen so erfolgreich, weil in ihm der geldgierige Bauer Jochen Quappenkopp hereingelegt wurde. Die realen Gemeindevorstände waren aber geschickter, weitsichtiger und erfolgreicher als der fiktive Quappenkopp, wie die Geschichte von den Mehrkosten zeigt.

Übrigens wurde noch eine weitere Nachbewilligung erforderlich: weitere 7.500 M mussten gezahlt werden, um die Klage einer Baufirma gegen den Staat abzuwenden (siehe Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, 1917, S. 220f.), und bei dieser Gelegenheit teilte der Senat der Bürgerschaft mit, dass er sich die Prüfung des Antrags auf Verlängerung der Straße vorbehalte. Das klang zwar nach Abwimmeln, aber der Senat prüfte nicht nur, er plante sogar und hatte die Pläne nach nur zwei Monaten fertig, „nur sei während des Krieges schwerlich an die Ausführung dieser notwendigen Anlage zu denken“, wie die Landherrenschaft mitteilte (siehe BZ vom 24. September 1917), und so kam es denn auch.

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