Wirkliche Kunst in Geesthacht

Bergedorfer Zeitung, 27. Februar 1918

Nicht die Gewerkschaften sollen im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen, sondern die „wirkliche Kunst“, die ein „Ausschuß“ nach Geesthacht bringen wollte, doch auch die Angaben zu den Gewerkschaften sind es wert, kurz beleuchtet zu werden:

534 Gewerkschaftsmitglieder aus Geesthacht hatten bis dato in den Krieg ziehen müssen, also etwa so viele wie die Ende 1916 verbliebenen 563 männlichen Mitglieder (BZ vom 21. März 1917). 61 hatten bis Ende 1917 durch den Krieg ihr Leben verloren. Die politischen Auseinandersetzungen in der Arbeiterbewegung, die im Beitrag Keine SPD-Spaltung in Bergedorf? thematisiert wurden, machten sich auch im Gewerkschaftskartell bemerkbar: bei den Wahlen zur Kartellkommission gab es offenbar Kampfwahlen mit einem Sieg der „Unabhängigen“, womit vermutlich die Anhänger der USPD gemeint waren.

Bergedorfer Zeitung, 19. Februar 1918

Damit aber zu der „wirklichen Kunst“ und dem erwähnten Ausschuss: sein vollständiger Name war „Ausschuß für Volksunterhaltung“, der sich an dem Konzept der Volksheime orientierte, politisch neutral sein und unterschiedliche soziale Gruppen zusammenbringen wollte (BZ vom 4. Februar 1918). Seit kurzem gab es ja ein für Vorträge und Konzerte sehr gut geeignetes Gebäude: das im Herbst 1917 fertiggestellte Gemeindehaus der Kirchengemeinde St. Salvatoris mit Pastorat und einem großen Gemeindesaal (BZ vom 23. Oktober 1917). Diesen Saal und den neu angeschafften Konzertflügel stellte der Kirchenvorstand Veranstaltern für „jede … gediegene soziale Arbeit“ zur Verfügung (BZ vom 6. Februar 1918), aber natürlich gab es dort auch kirchliche Veranstaltungen (BZ vom 14. und 25. Februar sowie 5. März 1918).

Bergedorfer Zeitung, 13. März 1918

Der Erste Volksunterhaltungsabend fand wohl wie angekündigt statt. Die Eintrittspreise waren sehr moderat. Leider gab es keinen Nachbericht der BZ, sodass über Programmdetails und Niveau (Stichwort „wirkliche Kunst“) nichts überliefert ist. Von den Künstlern ist hier nur der für die (Klavier-)Begleitung zuständige Herr Dürand bekannt, der als Leiter der Musikkapelle des Wachtkommandos im ersten Quartal 1918 außerdem mehrere Wohltätigkeitskonzerte veranstaltete (BZ vom 28. Januar, 12. und 20. März 1918).

Laut Artikel vom 19. Februar gab es einen solchen Ausschuss für Volksunterhaltung auch in Hamburg und Bergedorf – in Hamburg wird dies die „Kulturelle Vereinigung Volksheim e.V.“ gewesen sein, aber für Bergedorf sind vergleichbare Bestrebungen weder unter diesem noch unter einem anderen Namen aus der Zeitungsberichterstattung bekannt.

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Kriegsgefangene in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 25. Februar 1918

Es bedurfte schon eines kriminellen Wachmanns, eines Landsturmmanns, der für Kriegsgefangene bestimmte Päckchen oder Pakete unterschlug – sonst hätten die Zeitungsleser nicht erfahren, dass die Stadt Bergedorf Kriegsgefangene beschäftigte.

Wie viele Kriegsgefangene es waren, seit wann sie in Bergedorf waren, wo und wie sie untergebracht waren, wie sie behandelt wurden, welche Arbeit sie verrichten mussten: keine Zeile dazu, auch nicht, ob außer diesen französischen und russischen (s.u.) noch Soldaten aus anderen Ländern in der Stadt waren. 1915 waren die ersten Kriegsgefangenen im Landgebiet eingesetzt worden, siehe den Beitrag Kriegsgefangene in Ochsenwerder, auch hatte die Stadt Hamburg 1.200 Mann zur Ödlandkultivierung auf Hahnöfersand herangezogen (BZ vom 19. März 1915) und „eine Anzahl“ kriegsgefangener Russen war der Gemeinde Sande „überwiesen“ worden (BZ vom 28. Juli 1915) – da liegt die Vermutung nahe, dass Kriegsgefangene ebenfalls seit 1915 in Bergedorf arbeiteten und wohl auch von der Stadt selbst beschäftigt wurden.

Berichte gab es, wenn es einen konkreten Vorfall gegeben hatte: in Geesthacht waren vier russische Kriegsgefangene aus einer „benachbarten Fabrik“ entflohen (BZ vom 23. August 1916 – es könnte, muss aber nicht, die Pulverfabrik gewesen sein), in Sande wurden zwei „Russen aus der Gasanstalt in Bergedorf, wo sie beschäftigt sind“ ergriffen (BZ vom 1. August 1917), und ebenfalls in Sande hatte es „in dem Gefangenenlager der Bergedorfer Eisenwerke“ gebrannt (BZ vom 11. August 1917, offenbar ohne größeren Schaden). Weitere Meldungen, aus denen die Arbeitgeber oder die  Unterkunft erkennbar gewesen wären, gab es nicht, doch wahrscheinlich werden auch in weiteren Fabriken in und um Bergedorf Kriegsgefangene gearbeitet haben.

Nicht nur die Zeitung ist hier unergiebig – auch die Literatur zu Bergedorf hilft nicht weiter.

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Konflikte in Boberg

Bergedorfer Zeitung, 15. Februar 1918

Warum Karl Tadey nicht wieder als Gemeindevorsteher Bobergs kandidieren wollte, schrieb die BZ nicht – aber die Aufgaben eines ehrenamtlichen Gemeindevorstehers waren durch die Lebensmittel-, Bezugsschein-, Bestandserhebungs- und Beschlagnahme-Bürokratie der Kriegszeit erheblich gewachsen, und vielleicht war es ihm einfach zuviel geworden.

Jedenfalls gab es einen „hitzigen Kampf“ um seine Nachfolge: der Landmann Ruhkopf und der Oberdeckoffizier Haupt waren die Bewerber, und sie vertraten unterschiedliche Bevölkerungskreise und Interessen, wenn man dem durchaus tendenziösen Bericht trauen darf: Ruhkopf für die Landwirte, Haupt für die „Allgemein-Interessen“: er wollte „den Ort hochbringen“. Der Wahlsieger hieß Haupt.

Man darf vermuten, dass dieser Konflikt die Entwicklung des kleinen Dörfchens – das Bergedorfer Adressbuch 1912 verzeichnete gerade einmal 148 Einträge – reflektiert: zu den wenigen Hufnern und den vielen Handwerkern und Arbeitern hatte sich eine Mittelschicht gesellt, die ihren Kandidaten Haupt in der Wahl durchsetzte (BZ vom 18. Februar 1918).

Hinter der Kandidatur Haupts dürfte der Bürgerverein gesteckt haben, wie aus anderen Artikeln zu schließen ist: dieser Verein beschaffte Nahrungsmittel, wie bereits im Beitrag Die Hundstagsente im Boberger Mühlenteich zu lesen war, und die angekündigte Genossenschaft zum Bezug von Waren wurde im März vom Amtsgericht Reinbek genehmigt (BZ vom 15. März 1918). Aus diesen Aktivitäten kann man folgern, dass größere Versorgungsprobleme existierten, die für den Landwirt und Selbstversorger Tadey nicht die höchste Priorität hatten – ob allerdings die Erhöhung der Fleischration von 100 g auf 250 g, die kurz nach der Wahl Haupts bekanntgemacht wurde (BZ vom 26. Februar 1918), auf das Wirken des neuen Vorstehers zurückzuführen war, muss offenbleiben.

Bergedorfer Zeitung, 18. März 1918

Die Machtverhältnisse in Boberg waren damit aber nicht geklärt, wie sich bei den Ergänzungswahlen zur Gemeindevertretung (mit „sehr reger“ Beteiligung) im März zeigte: das preußische Dreiklassenwahlrecht brachte per Kampfkandidatur in der I. Klasse Tadey und in der II. Klasse Ruhkopf den Erfolg, und diese beiden werden Haupt sein Amt nicht leicht gemacht haben.

Man sieht: eine Gemeinde muss gar nicht groß sein, um Streit und Konflikte zu haben – Interessenunterschiede genügen.

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Der Sturz von der Bahnbrücke über die Dove-Elbe

Bergedorfer Zeitung, 13. Februar 1918

Es müssen schon sehr schlechte Sichtverhältnisse an jenem 23. November 1914 geherrscht haben, die dem Handelsgärtner Buhk aus Curslack zum Verhängnis wurden: er stürzte bei Dunkelheit im Schneesturm von einer Brücke über die Dove-Elbe und erlitt dabei ernsthafte Knochenbrüche.

Buhk fühlte sich als Opfer und wollte die Schuldfrage gerichtlich klären lassen – ein verständlicher Wunsch im Lichte der von ihm genannten Schadenshöhe von über 10.000 Mark, doch letztinstanzlich wies das Reichsgericht in Leipzig wie zuvor das Oberlandesgericht Hamburg seine Forderung gegen die Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn als Brückenbetreiber ab: er habe „ohne zwingenden Grund trotz der ungünstigen Witterung an dem gefährlichen Wege festgehalten“ und so den Unfall weit überwiegend selbstverschuldet, da spiele die Frage, ob die sechs Meter vor der Brücke hängende Petroleumlampe brannte oder nicht, keine Rolle.

Die Details des Unfallhergangs erschließen sich nur mit Hilfe zweier Abbildungen in Rolf Wobbes Chronik der Vierländer Eisenbahn (S. 62f.): es gab nicht eine, sondern zwei Brücken, direkt nebeneinander liegend und parallel verlaufend – zur Westseite hin die Eisenbahnbrücke, östlich davon eine Straßenbrücke mit zwei schmalen Fußsteigen von je 60 cm Breite und einer Fahrbahn von 2,80 Breite. Buhk war offenbar vor der eigentlichen Brücke von der Straße abgekommen und marschierte auf dem Bahnkörper weiter, doch auf der Bahnbrücke gab es keine durchgehende Oberfläche, und so „fiel er dann zwischen den Bohlen hindurch auf den Erdboden“ unter der Brücke, etwa viereinhalb Meter tief.

Nicht geäußert hat sich das Gericht zu der von der BZ erwähnten Tatsache, dass Buhk aus einer Gastwirtschaft kam, obwohl solche Besuche Mut und Selbstvertrauen wachsen lassen und die Sicherheit des Gangs beeinträchtigen können sollen …

 

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Preußisch-Kirchwärder: von Erdöl und Erdbeeren

Bergedorfer Zeitung, 8. Februar 1918

Zwar ruhte im Februar 1918 die Arbeit an den Explorationsbohrungen in der Gemeinde Preußisch-Kirchwärder, aber die Hoffnung auf fördertaugliche unterirdische Schätze schien nicht absurd, denn wenige Kilometer entfernt gab es die Erdgasquelle von Neuengamme, die in jenen rohstoffarmen Tagen dringend benötigtes Gas nach Hamburg lieferte. Letztlich hoffte die Gemeinde allerdings vergeblich, und so musste man weiter auf Schätze von der Oberfläche vertrauen, z.B. Erdbeeren. Ein „frisches grünes, vielversprechendes Aussehen“ der Pflanzen im Februar war und ist allerdings keine Garantie für eine gute Ernte.

Preußisch-Kirchwärder war damals eine eigenständige Gemeinde, die aber nicht über ein geschlossenes Gemeindegebiet verfügte, wie man einer Landkarte von etwa 1871 und einer Landkarte von ca. 1924 entnehmen kann: die Flächen sind auf beiden Karten im Nordosten Kirchwärders mit durchbrochenen Linien umgrenzt.

In die dokumentierte Geschichte eingetreten war das spätere Preußisch-Kirchwärder im 14. Jahrhundert, als das Kloster Scharnebeck mehrere Hufen in Kirchwärder und fast alle landesherrlichen Rechte darüber von den Herzögen von Sachsen-Lauenburg erwarb. Nach der Reformation und der Auflösung des Klosters kam das Gebiet in den Besitz der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, von denen wiederum die britischen Könige des Hauses Hannover abstammten, die zugleich weiter Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg blieben, sich 1814 zu Königen von Hannover erklärten, aber 1866 dieses Königreich an Preußen abtreten mussten. So wurden diese Teile Kirchwärders, darunter der bei der Kirche belegene Mönkhof, preußisch, wie bei Johann Friedrich Voigt (S. 93 – 97) und (sehr knapp) bei Ferdinand Ahuis nachzulesen ist, und waren dem Amt Winsen unterstellt. Die Geschichte dieser Gemeinde endete mit dem Groß-Hamburg-Gesetz.

Bergedorfer Zeitung, 22. Februar 1918

Bis dahin allerdings gab es ein reges Eigen- und Gemeinschaftsleben: so hatte man eine eigene Jugendkompagnie (zu der die Jugendlichen „ersucht“ wurden, sich zu melden), deren Führer H. Hüge vom Königlichen Landratsamt (in Winsen) eingesetzt worden war. Es gab den Turnverein Kirchwärder N.S. (Nordseite) von 1899, der dem Turnkreis Winsen angeschlossen war und dessen Vereinslokal Hüge auf preußischem Gebiet lag. Hüge war laut Bergedorfer Adressbuch 1915 nicht nur Gastwirt und Betreiber des Bahnhofsrestaurants Kirchwärder-Nord, sondern auch Gemeindevorsteher und Standesbeamter sowie Krankenkassen-Verwalter. Der Anzeige zufolge hatte er den Gemeindevorsitz 1918 nicht mehr inne, aber sein Gasthaus wird weiter ein Zentrum des sozialen Lebens von Preußisch-Kirchwärder geblieben sein: im Saal fanden häufig Theaterabende, Militärkonzerte (mit einer Kapelle aus Winsen, z.B. BZ vom 29. Juni 1917) und andere Wohltätigkeitsveranstaltungen (des Jungmädchenvereins Seerose aus Kirchwärder-Seefeld, z.B. BZ vom 16. Dezember 1917) statt. Auf preußischem Gebiet stand seit etwa 1750 auch Kirchwärders für mehr als 200 Jahre einzige Apotheke, wie Thorsten Wirsching (S. 12f.) schreibt.

Schornstein im früheren Preußisch-Kirchwärder

Noch heute sind im Straßenbild einige wenige Spuren dieser Teilung Kirchwärders zu erkennen, am Hausdeich und am Kirchenheerweg: nach der im preußischen Teil geltenden (hannöverschen) Bauvorschrift mussten die Schornsteine von Reetdachhäusern mit mehreren Quadratmetern Dachziegeln o.ä. umgeben werden, um die Brandgefahr zu verringern. Im hamburgischen Kirchwärder war das nicht der Fall.

 

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Die Damen des Vaterländischen Frauenvereins Geesthacht

Bergedorfer Zeitung, 12- Februar 1918

227 Mitglieder hatte der Vaterländische Frauenverein für Geesthacht und Umgegend aktuell, wie die Vorsitzende Frau Dr. Ritter berichtete, die Ehefrau des Leiters der Lungenheilanstalt Edmundsthal-Siemerswalde, die sich bestimmt freute, dass „von den benachbarten Fabriken die Damen fast vollzählig dem Verein beigetreten“ waren – wohlgemerkt: die Damen, nicht die nach tausenden zählenden Arbeiterinnen der Pulverfabrik Düneberg und der Dynamitwerke Krümmel.

Aus dem Jahresbericht wird deutlich, wie schwierig die Versorgungslage war: „da Kleidungsstücke und dergleichen nicht zu beschaffen waren“, wurden Bedürftige zu Weihnachten mit Geldgeschenken bedacht – in den Vorjahren hatte man um Spenden von „Lebensmitteln, Äpfeln, Nüssen“ (siehe den Beitrag Bescherung zwischen Spielzeug und Armut) bzw. „um abgelegte Kindersachen, um Äpfel und um noch brauchbare Spielsachen“ gebeten (siehe den Beitrag Was schenkt man bloß zu Weihnachten?): 1917 trennten sich die potentiellen Geber eher von Geld als von Lebensmitteln oder Kleidung, und auch die „eigentliche Friedensarbeit“ des Vereins, die „Austeilung von Milch und sonstigen stärkenden Sachen“ konnte nicht geleistet werden.

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Zweimal „Literarisches“: Johann Brüdt und Albert Zimmermann

Allem Papiermangel zum Trotz: auch um die Jahreswende 1917/1918 erschienen Bücher, und Werke von Schriftstellern aus dem Heimatgebiet wurden in der BZ rezensiert – so auch hier.

Bergedorfer Zeitung, 31. Januar 1918

Johann Brüdt war nicht nur Rektor der Mädchenschule in Sande, der sich vielfältig in seiner Gemeinde engagierte, er war auch Schriftsteller (siehe Bergedorfer Personenlexikon). An ihn erinnert heute der Brüdtweg in Lohbrügge (früher Sande), wenn auch ohne Erklärungstäfelchen unter dem Straßenschild.

Straßenschild

 

Während der Kriegsjahre tauchte der Name Brüdt häufiger in der Bergedorfer Zeitung auf, denn er betrieb für die Gemeinde Sande die Goldankaufstelle (siehe z.B. BZ vom 1. März 1917). Mehrfach druckte die Zeitung seine patriotischen Gedichte (z.B. BZ vom 4. Januar, 16. April und 22. Mai 1915), und Ende 1917 erschien sein Roman „Karsten Holm“ (BZ vom 23. November 1917) – offenbar ein Verkaufsschlager (zumindest im Raum Sande/Bergedorf), denn nach wenigen Monaten schon inserierte der Verlag, dass das Buch „wieder lieferbar“ sei (BZ vom 9. März 1918). Zum Verkaufserfolg wird die Kulisse der Romanhandlung in beträchtlichem Maße beigetragen haben, denn wie die BZ schrieb, spielen große Teile in „Berghausen“, d.h. Sande.

Die Handlung selbst lässt sich gut der Buchkritik der Zeitung entnehmen – die literarische Bewertung fällt einhundert Jahre später weniger euphemistisch aus, und das Fazit, dass der Krieg alles heilt und die Menschen zusammenführt, möchte man auch nicht teilen. Etwas penetrant ist zudem Brüdts glorifizierende Darstellung seines eigenen Standes Volksschullehrer.

Der Lehrer Paulsen, eine der Hauptfiguren, setzt sich – wie übrigens auch der Autor – für den Erhalt der Boberger Dünen ein, und der im Roman geschilderte Sandabbau hat auch tatsächlich stattgefunden, u.a. 1903 – 1907 zur Aufhöhung des Hammerbrooks und von Teilen Billwärders. Der im Roman namenlose Bach in einer „mit Buschwerk bewachsenen Schlucht“ mit dem benachbarten Urnenfriedhof wird die Ladenbek zum Vorbild gehabt haben. Die „Waldstraße“, an der das Holmsche Haus lag, trägt heute den Namen Höperfeld, der geschilderte Weg durch den Kiefernwald in die Dünenlandschaft dürfte mit dem heutigen „Walter-Hammer-Weg“ gleichzusetzen sein. Die Buchillustration des Berghausener Wasser- und Aussichtsturms von Theodor Herrmann auf S. 126 zeigt eindeutig den „Sander Dickkopp“. So lassen sich diese und andere Handlungsorte in Sande identifizieren – eine Entschlüsselung von Romanfiguren als reale Sander Personen (Kaufmann Mohr, der „Fabrikant“, der Förster, der „Professor“, die Lehrerin Anna Fester, …) war aber nicht möglich.

Einige Worte noch zu dem zweiten hier rezensierten Buch: der im Blog-Beitrag Große Politik in Bergedorf genannte Albert Zimmermann schrieb „Vom Eheglück“ und gab nach Ansicht des BZ-Kritikers „eine reiche Fülle guter Ratschläge für den Hausgebrauch“, wobei er nicht mit starken Worten geizte: „Der Mann muß dem festgewurzelten Baume gleichen, an dem sich die anpassungsbedürftige Frauenseele emporranken kann.“ (S. 21) – „Die Natur, nicht etwa Menschensatzung, hat dem Weibe den Mann als Führer gegeben.“ (S. 22) Als Ratgeber kann das Buch aus heutiger Sicht nicht empfohlen werden. Eine nach Zimmermann benannte Straße gibt es nicht, und das freut ein denn ja auch.

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Kein Rübenbier, aber Ersatzbier

Bergedorfer Zeitung, 2. Februar 1918

Es war nicht Fürsorge zugunsten der Biertrinker, die den preußischen Finanzminister dazu veranlasste, das Brauen von Rübenbier zu untersagen, sondern das Spektrum anderer Verwendungen von Runkel- bzw. Zuckerrüben: man brauchte sie zur „Streckung“ von Marmelade (siehe den Beitrag Steckrübenwinter), zur Herstellung von Ersatzkaffee (siehe den Beitrag Kaffeeersatz) und natürlich auch als Futtermittel.

„Bierersatzgetränke“ lagen offenbar im Trend – vermutlich eher bei den Herstellern als bei den Konsumenten. Zwar liegt in der einschlägigen Literatur keine Aufstellung für die Kriegszeit vor, sondern nur eine auf dem Stand vom 15. Juli 1919, nach der 283 Anträge auf Genehmigung von „Bierersatz“ genehmigt und nur 67 endgültig abgelehnt worden waren (G. F. Neubronner, in: Beiträge zur Kriegswirtschaft, Heft 56/57/58, S. 121f.), aber man kann davon ausgehen, dass diese Anträge zumeist im Krieg gestellt worden waren. Welche Stoffe zum Einsatz kamen, bedürfte weiterer Recherche – laut  Harald Schloz (S. 12) hatte es im 19. Jahrhundert Möhren- und Kartoffelbier gegeben, und das Brausteuergesetz von 1872 nannte neben Malz und Schrot auch Reis, grüne Stärke, Stärkemehl und Stärkegummi, Zucker und Syrup sowie „andere Malzsurrogate“ als Rohstoffe zur Bierherstellung. All diese Substanzen waren dann der Brausteuer unterworfen, was den Finanzminister gefreut haben dürfte. Das berühmte Reinheitsgebot fand erst mit der Änderung des Brausteuergesetzes 1906 Eingang in das Reichsrecht, und die alternativen Zusammensetzungen firmierten fortan unter „bierähnliche Getränke“ oder auch „Ersatzbier“.

Bergedorfer Zeitung, 28. Januar 1918

Anfang 1918 wurde der Stammwürzegehalt auf maximal drei Prozent festgesetzt, egal ob „echtes“ Bier oder Ersatzbier, und da der Stammwürzegehalt etwa das Zweieinhalbfache des Alkoholgehalts beträgt (Schloz, a.a.O., S. 16), waren diese Getränke schon fast als alkoholfrei zu bezeichnen, in den Worten des Nahrungsmittelchemikers A. Behre: „Den Genuß von Bier während der Kriegszeit hat man mit Recht als die langsame aber sichere Gewöhnung an das Wasser bezeichnet.“ (Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel 41 (1921), S. 244-259, hier S. 253) Der Zentralausschuss für Inlandsbierversorgung empfahl sogar, den Stammwürzegehalt auf zwei Prozent zu begrenzen, da anders die Versorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet werden könne (BZ vom 13. Dezember 1917), denn die Gerstenkontingente der Brauereien waren mehrfach gesenkt worden (BZ vom 6. August 1915, 8. Februar 1916 und 20. Dezember 1916), laut Christoph Schöne (S. 245) auf 15 Prozent der Vorkriegsmenge ab dem 20. November 1917.

Die gute Nachricht für die Soldaten war, dass sie nicht unter diesen Verschlechterungen leiden sollten. Die gute Nachricht für zivile Biertrinker lautete, dass der Höchstpreis – entgegen dem Trend in allen anderen Bereichen – gesenkt wurde: in Hamburg und Bergedorf hatte er seit Mai 1915 bei 26 Mark pro Hektoliter gelegen (BZ vom 26. April 1915).

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Die Kriegszigarette – Leichter Rauchen!

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1918

Es dürfte in der letzten Januarwoche 1918 einen Ansturm auf den Tabakhandel gegeben haben, denn ab dem 1. Februar sollte eine Zigarette nur noch 0,85 Gramm Tabak enthalten dürfen (hundert Jahre später sind es laut Wikipedia  durchschnittlich 0,7 Gramm).

Tabak gehörte seit Kriegsbeginn zu den Gütern, die gern per Feldpost an Soldaten geschickt wurden, siehe den Beitrag Der Tabaktag, und so „lieferte“ die Kriegshilfe Ochsenwärder zum Weihnachtsfest 1917 neben dem „Stoff zu einem Weihnachtsgrog“ auch Zigarren (BZ vom 26. Dezember 1917).

Da das Heer auch direkt große Tabakmengen orderte, gab es entsprechend weniger für die Zivilbevölkerung, was sich gewiefte Spekulanten zunutze machten, um die ohnehin steigenden Preise weiter hochzutreiben (BZ vom 5. Juni 1917). Es kam hinzu, dass es keine Importe aus den niederländischen Kolonien mehr gab (BZ vom 17. November 1917), und der Tabakanbau in Deutschland konnte den Bedarf nicht decken. Der Versuch, durch leichtere Zigaretten das Problem zu lösen, scheiterte – doch dazu mehr in einem späteren Beitrag.

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1918

Ob der Dieb, der in Hamburg Tabakwaren im Wert von 5.000 Mark stahl, schon von der neuen Verordnung wusste? Jedenfalls wird er gegen weiter steigende Preise keine Einwände gehabt haben.

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Dichter-Abende zur Erholung

Bergedorfer Zeitung, 24. Januar 1918

Gleich eine ganze Veranstaltungsfolge der „Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung“ kündigte die Zeitung hier an: Texte von Hermann Löns, Balladen und Niederdeutsches sollten an drei Abenden präsentiert werden.

Die 1901 gegründete (und 1930 in Konkurs gegangene) Stiftung ist heute nahezu vergessen – in ihrer Zeit spielte sie eine wichtige Rolle im Volksbildungswesen, wie Marcel Müller in seiner ausführlichen Studie schreibt: ihr Hauptziel war es, eher bildungsferne Schichten von Groschenromanen weg- und an gute Literatur heranzuführen. Dazu versorgte sie unterfinanzierte gebührenfreie Bibliotheken mit preisgünstigen Büchern – eventuell gehörte die Sander Volksbibliothek zu den Empfängern, die Bergedorfer Bücherhalle wohl nicht, da sie Leihgebühren erhob. Die Bücher stammten aus günstig erworbenen Restauflagen oder aus dem eigenen Verlag der Stiftung; zumeist handelte es sich dabei um urheberrechtsfreie erzählerische Werke – bei Eingabe des Suchbegriffs „Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung“ auf der Startseite des beluga-Katalogs der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg stößt man auf eine nahezu vollständige Sammlung der 159 im Verlag der Stiftung erschienenen Bände.

Laut Hamburger Adressbuch 1915 war die Stiftung im Hamburger Vorort Groß-Borstel, Woltersstraße 30/32, ansässig, also im Bürgerschaftswahlkreis des Bergedorfer Bürgermeisters Dr. Walli. Ob es Walli war, der diese Stiftungsaktivität veranlasste, muss offenbleiben – der Gründer der Stiftung, Ernst Schultze,  war Bibliothekar (1901-1903) der Hamburger öffentlichen Bücherhalle und später Rektor der Handelshochschule Leipzig, und er wohnte damals ebenfalls in Groß-Borstel (Violastraße 16, heute Köppenstraße).

Allein die „Kriegsbuchabteilung“ verteilte laut Müller 700.000 Exemplare; die im Artikel genannte Zahl von vier Millionen ausgegebenen Büchern wird die erwähnten Restauflagen und Koproduktionen einschließen.

Bergedorfer Zeitung, 28. Januar 1918

Die Veranstaltungen in Bergedorf kamen letztlich nicht zustande: schon wenige Tage nach der Ankündigung wurden sie wegen nicht spezifizierter „technischer Schwierigkeiten“ abgesagt.

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