Der Jahresbericht des Vorsitzenden des SPD-Distrikts Bergedorf, Wilhelm Wiesner, ist vor allem interessant in dem, worüber er nicht berichtete: die Spaltung der SPD in zwei Parteien.
Der Mitgliederbestand der Distrikts war um etwa 8,5% gesunken, weniger als im „sozialdemokratischen Verein für den dritten Hamburger Wahlkreis“, zu dem auch die Landherrenschaft Bergedorf gehörte: dort waren es knapp 12,5% (siehe BZ vom 5. Juni 1917). Zumindest ein Grund für den Rückgang könnte gewesen sein, dass sich die den Krieg ablehnende oppositionelle Minderheit in der SPD abgespalten und im April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands gegründet hatte, aber auf Gründe für den Mitgliederschwund und auf die USPD überhaupt ging Wiesner nicht ein.
In Bergedorf scheint die Spaltung der SPD schlicht kein Thema gewesen zu sein, auch in einem Folgeartikel am 22. Juni kein Wort dazu – oder lag die Nicht-Berichterstattung daran, dass exklusiv der Bergedorfer Ratmann Wiesner seinen bürgerlichen Ratmannskollegen, den BZ-Redakteur Bauer, mit den Informationen über die SPD versorgte? Aus Geesthacht dagegen war mehrfach über die innerparteiliche Opposition (die sich bei mehreren Versammlungen sogar durchsetzen konnte) berichtet worden, und dort war die Spaltung erfolgt (siehe BZ vom 25. Januar, 14. März, 5. April und 16. Mai 1917): nach der Darstellung von August Ziehl (S. 25) schlossen sich sofort 70 SPD-Mitglieder der neugegründeten Organisation an, darunter auch Ziehl – nach einer Meldung des General-Anzeigers für Hamburg-Altona vom 30. Mai 1917, die offenkundig aus (mehrheits-)sozialdemokratischer Feder stammte, waren es „wie verlautet rund 30“. Wiesners späterer Auftritt bei der Geesthachter Rest-SPD scheint konfliktfrei verlaufen zu sein (siehe BZ vom 18. Juli 1917), und zur Rede des Reichstagsabgeordneten Karl Hildenbrand bei den Bergedorfer Genossen über „Neuordnung und Reichstag“, in der er die Beschlüsse der sozialdemokratischen Fraktion u.a. zu den Kriegskrediten verteidigte, schrieb die BZ am 29. Juli 1917: „Dem Vortragenden wurde allseitiger Beifall zuteil und eine Diskussion nicht beliebt.“
Es muss aber auch in Bergedorf zu einer USPD-Gründung gekommen sein, denn bei der ersten Wahl nach Kriegsende am 13. April 1919 wurden laut Alfred Dreckmann (S. 10) u.a. zwölf Bürgervertreter der SPD und zwei der USPD gewählt (von insgesamt 25).
Noch eine kurze Anmerkung: die BZ widmete den Bergedorfer Sozialdemokraten jetzt deutlich mehr Raum – ein Indiz dafür, dass die SPD (im Gegensatz zur USPD und zu deren linkem Flügel Spartakusbund) nun zumindest partiell als stabilisierendes Element in der Politik gesehen wurde, was auch aus dem hier wiedergegebenen Artikel erhellt: über die örtliche „Friedensagitation“ der SPD wurde berichtet, dass sie 2.823 Unterschriften erbracht hatte – im Vorjahr hatte es hierzu nur die Meldung gegeben, dass SPD-Veranstaltungen zum „Friedenswillen im Volke“ vom stellvertretenden Generalkommando verboten worden waren, siehe den Beitrag Jugend unter Kontrolle.
Und eine weitere Anmerkung: die von Wiesner genannten Zahlen über den Sozialstatus der Einberufenen erklären, warum die SPD in Bergedorf keine Kampfwahl zur Bürgervertretung wollte: sie hätte ihr Ergebnis wohl nicht verbessern können, und so sprach sie sich für die Verschiebung der Wahl aus – siehe hierzu auch den Beitrag Das Wahlrechtsreförmchen in Bergedorf.