Schwindel mit Garn und andere verwickelte Probleme

Bergedorfer Zeitung, 20. August 1918

Kriminelle Energie macht vor nichts Halt, auch nicht vor der Fälschung von Nähgarn: für „teures Geld“ konnte man Nähzwirn kaufen, aber mit Ausnahme des Anfangs war auf der Rolle nur „ein in raffinierter Weise angesponnenes Papiergarn“, nahezu wertlos, da leicht reißend.

Der Bedarf an Nähgarn wird 1918 recht hoch gewesen sein: bevor man in Kleidung aus Papiergarngewebe herumlief, versuchte man einen Riss zu nähen oder einen Flicken auf eine defekte Stelle zu setzen. Das ging aber nur, wenn man Garn hatte, und da war das nächste Problem.

Und noch ein Problem: kam man 1918 kaum an Garn, so kommt man 2018 nur schwer an alle nötigen Informationen: ansonsten erschienen in der BZ die Bekanntmachungen der Landherrenschaften im Wortlaut und darüberhinaus oft auch als redaktionelle Meldung, aber hier riss der Faden gleich mehrfach: in Sachen Garn verwiesen die Landherren zweimal darauf, dass in den „Mitteilungen der Landherrenschaften“ eine Bekanntmachung zu finden sei – mehr nicht (BZ vom 13. Juli und 21. September), und die BZ verzichtete auf eine redaktionelle Berichterstattung, über die sich die Leser und Leserinnen sicher gefreut hätten. Die „Mitteilungen“ konnten eingesehen werden (im Staatsarchiv Hamburg, nicht im Museum für Bergedorf und die Vierlande – dazu unten eine Anmerkung), aber völlige Klarheit brachte das auch nicht: in den „Mitteilungen“ fand man zwar Details über den Kreis der Berechtigten sowie die zu empfangene Ration und dass der Zeitraum der Verteilung „noch bekanntgegeben“ werden sollte (z.B. Mitteilungen der Landherrenschaften Nr. 7/1918 vom 18. Februar, Bekanntmachung Nr. 96), doch dazu folgte dann keine offizielle Bekanntmachung.

Man könnte vermuten, dass nur angekündigt, aber nicht verteilt wurde, doch ganz so war es nicht: im Mai erhielten Verarbeitungsbetriebe der Textilwirtschaft Baumwollnähfäden (BZ vom 18. Mai), in Hamburg sollte im Juni 1918 eine allgemeine Ausgabe stattfinden (BZ vom 1. Juni), und das Kaufhaus Schwarz in Zollenspieker inserierte, dass Nähgarn und Zwirn gegen erhaltene Bezugskarte abgeholt werden könnten (BZ vom 26. Juli). In Besenhorst (auf Nähgarnkarte) und Sande (auf Fettkarte) erhielten Schwerarbeiter im August eine Zuteilung (BZ vom 3. und 5. August 1918). Darüber hinaus wird es weiteres Nähgarn für „Verarbeiter“ (z.B. Schneider) gegeben haben, denn im zweiten Halbjahr 1918 tauchten vermehrt Anzeigen auf, in denen Näherinnen gesucht wurden, u.a. vom Bergedorfer Frauenverein zum Nähen von Militärhemden (BZ vom 9. Oktober).

Bedarfsdeckend war das aber offenbar nicht: für die Leinennähzwirnration musste man in Besenhorst 15 Pfennig bezahlen, für 200 Meter Baumwollnähfaden in Sande 33 Pfennig (BZ vom 3. August und 6. April). Auf dem Schwarzmarkt wurden angeblich 17 Mark gefordert (BZ vom 23. September), wobei die Fadenlänge außer in Sande ungenannt blieb.

Die nächste in der BZ gefundene offizielle Information zum Thema kam vom Magistrat der Stadt Bergedorf, aber erst nach der Abdankung des Kaisers und nach der Revolution: vom 19. Januar bis 19. Februar 1919 sollte die Ausgabe erfolgen (BZ vom 22. Januar 1919). In der offiziellen Bekanntmachung der Landherren hatte es kurz vorher geheißen: „Das durch die Bekanntmachung der Landherrenschaften vom 20. September 1918 für die Verteilung im zweiten Kalenderhalbjahr 1918 angekündigte Nähgarn … beginnt erst jetzt einzutreffen.“ (Mitteilungen der Landherrenschaften Nr. 2/1919 vom 13. Januar, Bekanntmachung Nr. 96)

Bergedorfer Zeitung, 4. Juli 1918

So musste sich 1918 mancher wohl auf das Sammeln von Brennnesseln verlegen, denn für getrocknete Stängel sollte es Geld geben und zusätzlich „einen Wickel Nähfaden“ – allerdings bestand dieser aus Brennnesselmischgarn (BZ vom 18. Juni), über dessen Halt- und Belastbarkeit hier keine Erkenntnisse vorliegen.

Anmerkung:
Von dem Jahrgang 1918 der „Mitteilungen der Landherrenschaften“ gibt es laut Bibliothekssystem Hamburg nur zwei öffentlich zugängliche Exemplare. Das eine befindet sich im Staatsarchiv Hamburg, das andere gehört zum Bestand des Museums für Bergedorf und die Vierlande – aber seit der Renovierung und Umgestaltung des Dachetage des Bergedorfer Schlosses ist es nicht mehr zugänglich: die Bibliothek hat jetzt weniger Platz, und deshalb ist ein erheblicher Teil des Bestands auf unbestimmte Zeit „eingelagert“ und kann nicht genutzt werden.

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Hagenbecks Tierhandel – vom Zoo in den Kochtopf?

Bergedorfer Zeitung, 15. August 1918

Carl Hagenbeck schaltete im August 1918 fünf sehr ähnliche Anzeigen in der BZ, in denen er Tiere von seinem Kleintierhof zum Verkauf stellte. Die meisten werden nach Besitzerwechsel über kurz oder lang im Kochtopf oder in der Bratröhre gelandet sein. Den Angora-Katzen könnte dieses Schicksal erspart geblieben sein, auch den „Pfauen in voller Pracht“: im Vorjahr war einem Bergedorfer aus der Wachsbleiche „ein Paar Pfaue“ entflogen, von denen einer von einem Anwohner der Großen Straße gleich wieder eingefangen worden war (BZ vom 28. Mai 1917) – vielleicht wollte der Pfauenfreund ja seinen Bestand vergrößern.

Gründe für das Verkaufsangebot wurden nicht genannt, aber die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass es an Futter mangelte, denn nach einem Bericht des Hamburger Abendblatts von 2007 verendeten bei Hagenbeck 1918 mehrere Tiere wegen der schlechten Versorgungslage.

Nicht nur Kleintiere wurden verkauft, wie das Tiroler Volksblatt am 13. April 1918 schrieb: „In Zwickau kommt jetzt Kamelfleisch zum Verkauf. Es stammt von den Mehari-Kamelen der Hagenbeckschen Tierschau, die im März dort auftrat. Damals verkaufte die Leitung der Hagenbeck-Schau die Tiere wegen Futtermangels an eine Großschlächterei, die sie noch einige Wochen verpflegte und dann schlachtete. Von den größten Tieren wurden je 3 bis 4 Zentner Fleisch gewonnen.“ (In der BZ war diese Meldung erst am 20. April zu finden.)

Auch der Hamburger Senat kaufte 1916 und 1918 bei Hagenbeck: (mindestens) vier Kamele und vier Büffel, die als Zugtiere in der Landwirtschaft des (Kriegs-)Gefangenenlagers Hahnöfersand eingesetzt und nach Kriegsende an Hagenbeck zurückverkauft wurden, wie Sebastian Merkel in der Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Band 103 (2017), S. 96 – 100 schreibt (mit Foto der Tiere bei landwirtschaftlichen Arbeiten, S. 96).

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Fleischlos, aber mit Fleischgeschmack

Bergedorfer Zeitung, 11. August 1918

„Ohsena“, ein Fleischextrakt-Ersatz eines Altonaer Herstellers, sollte es leichter machen, die bereits mehrfach angekündigten „fleischlosen Wochen“ zu überstehen. Woraus dieses Ersatzlebensmittel „ohne Fett, ohne Fleisch“ bestand, ist der Anzeige nicht zu entnehmen – vielleicht auch gut so.

Vier vegetarische Wochen sollte es von August bis Ende Oktober geben, in denen es statt 200 Gramm Fleisch drei Pfund Kartoffeln extra geben sollte (BZ vom 3. und 17. August 1918). In diesen Wochen war den Schlachtern der Fleischverkauf untersagt; die „Inhaber von Rüstungsfleischmarken sowie Krankenkostmarken für Fleisch“ hatten ihre Rationen jeweils in der Vorwoche abzuholen (BZ vom 14. August 1918) – nicht jeder musste also auf Fleisch verzichten.

Die Reduzierung der Fleischmenge begründete ein Vertreter des Kriegsernährungsamtes in einer Versammlung der Bergedorfer Gewerkschaften damit, dass diese Schonung des Rindviehbestands notwendig sei, um „die Butter- und Milchversorgung nicht zu gefährden“ (BZ vom 14. August 1918) – ob man bei einer Butterration von 30 Gramm pro Woche (BZ vom 17. August 1918) von gesicherter Versorgung sprechen kann?

Bergedorfer Zeitung, 6. April 1915

Zurück zu „Ohsena“ – 1915 hatte derselbe Anbieter seinen „Ochsena-Extrakt“ angeboten, und das könnte ein echter Fleischextrakt gewesen sein, wenn auch deutlich weniger fleischhaltig als der „englische Liebig-Fleischextrakt“, auf den er sich in seiner Anzeige berief (Link zu einem Aufsatz über Die Geschichte von Liebigs Fleischextrakt). Nebenher kann man durch den Vergleich der beiden Anzeigen auch sehen, dass Lebensmittel nicht nur durch Ersatzmittel abgelöst wurden, sondern dass die Geldentwertung davor nicht Halt machte.

„Ohsena“ hatte zwar (siehe Anzeige oben) eine Zulassung der Ersatzmittelstelle Schleswig-Holstein für das gesamte Reichsgebiet, doch endeten die Annoncen vorerst am 30. August 1918. Am folgenden Tag berichtete die Zeitung, dass 700 „Ersatznährmittel vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen werden mußten“. Eventuell war Ohsena davon betroffen – als im Dezember die Firma Mohr ihre Anzeigen wieder aufnahm, hatte sie die Rezeptur geändert: ihr „Fleischextrakt Ohsena“ sei mit 40 Prozent Eiweißgehalt ein hervorragender Fleisch-Ersatz (BZ vom 22. Dezember 1918). Auf eine vollständige Angabe der Inhaltsstoffe wurde aber verzichtet, und vielleicht war auch das gut so.

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Erntezeit = Felddiebzeit

Jahreszeitlich bedingt nahmen wie im Vorjahr (siehe den Beitrag Kein Bett im Kornfeld) die Felddiebstähle wieder zu, ebenso die Versuche, sie zu unterbinden.

Unter anderem hatten Geesthacht und Sande wieder Feldhüter eingestellt (BZ vom 6. Mai und 9. Juli), auch das Bergedorfer Eisenwerk für das ihm gehörende Ackerland in Sande (BZ vom 11. Juli), und Billwärder an der Bille setzte Dienstpflichtige im Vaterländischen Hilfsdienst dazu ein (BZ vom 24. August). Ganz ungefährlich war die Arbeit nicht: in Sande wurde ein Feldhüter verprügelt, in Geesthacht sogar einer durch einen Schuss verletzt (BZ vom 2. Juli und 25. September).

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1918

Aber nicht jeder wollte sich auf offiziell bestallte Kräfte verlassen, wie die nebenstehende Anzeige belegt – ob der Einsatz von Fußangeln und Selbstschussanlagen legal war, ist eine wohl negativ zu beantwortende Frage. Jedenfalls war Krögers Besorgnis um seinen Weizen nicht unbegründet: es gab Meldungen aus Geesthacht, Kirchwärder und Neuengamme, dass dort Getreideähren von Dieben geschnitten wurden, und in Bergedorf wurden mehrere Frauen gefasst, die „ganze Garben Getreide nach Hause“ schaffen wollten (BZ vom 1., 21. und 10. August 1918).

Feldhüter und Polizei hatten durchaus Erfolge vorzuweisen: in Geesthacht verhaftete ein Polizist acht Kartoffeldiebe auf einmal (BZ vom 9. August), im nahegelegenen Escheburg waren es 15 Felddiebe in einer Nacht (BZ vom 30. Juli), und bei einer Polzeirazzia in Geesthacht wurden 25 Personen beiderlei Geschlechts festgenommen und in die Arrestzellen eingeliefert – bei „einer Anzahl anderer Personen“ konnten nur die Personalien festgestellt werden, da die beiden Arrestzellen voll belegt waren (BZ vom 25. September).

Felddiebstahl sollte nach einer Verordnung des Stellvertretenden Generalkommandos auf jeden Fall strafrechtlich verfolgt werden (BZ vom 8. August). Ob dies in jedem Fall geschah, ist fraglich: in diesem Zeitraum berichtete die BZ nur über einen Prozess: hier wurden wegen Gartendiebstahls Haftstrafen verhängt. Für illegalen Handel mit 30 Zentnern Roggen hielt das Schöffengericht Bergedorf dagegen eine Geldstrafe für angemessen. Die Großen ließ man also laufen.

Bergedorfer Zeitung, 1. August 1918

Bergedorfer Zeitung, 8. August 1918

 

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Fahrradbereifung aus Papier

Bergedorfer Zeitung, 3. August 1918

Haltbar, regenfest, reparaturfrei, geräuschlos, rostfrei – die „Deutsche Papier-Radbereifung“ sollte nun die Probleme lösen, die Radfahrer seit 1916 wegen der Beschlagnahme der Gummibereifung hatten (siehe den Beitrag Radfahren ohne Bereifung – oder mit Ersatz). Fahrberichte oder Testergebnisse brachte die BZ nicht, sodass hier die zugeschriebenen positiven Eigenschaften nur unkommentiert dargestellt werden können.

Der Handel mit gebrauchten Fahrrädern blühte im Sommer 1918: allein im August gab es ein knappes Dutzend Kleinanzeigen von Bergedorfern, die Räder zum Verkauf stellten, und da all diese Anzeigen nur einmal erschienen, ist zu vermuten, dass sie schnell einen Käufer fanden.

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1918 (auch 30. Juli und 10. August)

Ein Geesthachter allerdings musste sein Herrenfahrrad dreimal inserieren (30. Juli, 2. und 10. August), obwohl es über eine (damals nicht selbstverständliche) Freilaufnabe verfügte – ob die Holzbereifung oder der geforderte Preis von 60 Mark den Verkauf erschwerten, bleibt ungeklärt.

Neue Fahrräder bot den Anzeigen nach nur der Bergedorfer Händler Riege an, der aber andere Waren in den Vordergrund stellte, die Fahrradhändler Falke und Willhoeft hatten ihr Sortiment offenbar komplett umgestellt:

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Kranke Preußen zahlen mehr

Bergedorfer Zeitung, 31. Juli 1918

Im Staatskrankenhaus Bergedorf (wie in allen Hamburger Krankenhäusern) wurden Nicht-Hamburger stärker zur Kasse gebeten: sie zahlten nun die Hälfte mehr als Bergedorfer und Hamburger für ihre Verpflegung.

Die Kostgeldsätze waren, wie es im Artikel heißt, „abgeändert“ worden, d.h. sie waren erhöht worden. Das genaue Ausmaß der Erhöhung kann nur per Analogieschluss ermittelt werden: die Hamburger Adressbücher gaben lediglich die Verpflegungssätze für die Allgemeinen Krankenhäuser St. Georg, Eppendorf und Barmbek wieder, für die Bergedorfer (und die Cuxhavener) Klinik waren keine Angaben zu finden. Teurer wurden sie alle, und der Zuschlag für kranke Preußen bestand auf jeden Fall seit 1914 (siehe z.B. Hamburger Adressbuch 1919 – auch für die Vorjahre sind die Angaben jeweils im Abschnitt V unter „Gesundheitswesen“ zu finden.).

In den drei genannten „staatlichen Krankenanstalten“ in Hamburg gab es vier „Verpflegungsklassen“: 1914 musste ein Hamburger (bzw. seine Krankenversicherung) in der untersten Kategorie 2,50 Mark pro Tag zahlen, ein Nicht-Hamburger 3,50 Mark. Die Sätze wurden 1915 erhöht auf 3 Mark bzw. 5 Mark und 1918 auf 4 Mark bzw. 6 Mark – in der teuersten Klasse ging es von 12 über 15 auf 20 Mark (für Auswärtige von 15 über 20 auf 30 Mark). Die beiden teuersten Klassen scheint es in Bergedorf nicht gegeben zu haben; die für Bergedorf genannte Tariferhöhung in der untersten und zweituntersten Klasse entsprach aber genau den Hamburger Steigerungen.

Dass in Bergedorf 1918 Klasse 4 zu Klasse 3 und Klasse 3 zu Klasse 2 wurde, entsprach ebenfalls der Änderung in Hamburg. Daraus auf bessere Verpflegung zu schließen, scheint unangebracht – es gab nur neue Bezeichnungen.

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Die Bekleidungsfrage geklärt: 40 Millionen Meter Stoff für die Zivilbevölkerung

Bergedorfer Zeitung, 27. Juli 1918

In diesen Wochen verging kaum ein Tag, an dem die BZ nicht die „Bekleidungsfrage“ thematisierte. Dabei ging es nicht um Mode, sondern schlicht um die allernotwendigsten Textilien, wie zuletzt in den Beiträgen Für Bettwäsche keine Bezugsscheine mehr und Die „freiwillige“ Anzugabgabe aufgezeigt wurde: nun sollte Kleidung aus echtem Stoff (von Sonnenvorhängen etc.) statt aus Papiergarngewebe hergestellt werden, Papiergewebe sollte die abgenommenen Stoffvorhänge in Behörden, Schulen usw. ersetzen, und die Menschen sollten in umgearbeiteten Vorhängen herumlaufen. Vielleicht war das sogar besser als Papieranzüge oder -kleider.

Bergedorfer Zeitung, 31. Juli 1918

Neben dieser Not- und Mangelwirtschaft gab es aber auch die „feine“ Schneiderei, die z.B. das Kaufhaus Hermann Kröger, Zollenspieker, in diesen Tagen wieder aufnahm. Der Herren- und Damenschneider C. Speer, Holtenklinke, bot neben „Modernisieren und Kehren“ auch Neuanfertigungen an (BZ vom 27. Juli): wenn man Stoff hatte, der nicht der Beschlagnahme unterlag, war damit gutes Geld zu verdienen: der Preis für einen bürgerlichen Herrenanzug vom Schneider hatte „im Frieden“ bei 100 Mark gelegen – jetzt war er auf bis zu 1.000 Mark gestiegen (BZ vom 24. Juli).

Bergedorfer Zeitung, 26. Juli 1918

Wie arg die „Bekleidungsfrage“ drückte, lässt sich gut aus einem Leitartikel der Bergedorfer Zeitung ablesen: üblicherweise befassten sich die Leitartikel mit hoher (Kriegs-)Politik, aber der Leitartikel vom 26. Juli behandelte dieses Alltagsproblem: natürlich wurde die Heeresverwaltung dafür gelobt, dass sie die Ausstattung der Soldaten sicherstellte, selbst wenn der Krieg noch Jahre dauern würde, die für die textile Versorgung der Zivilbevölkerung maßgeblichen Stellen hingegen hätten versagt, weil sie von einer kurzen Kriegsdauer ausgegangen wären.

Diese Argumentation muss auch bei damaligen Leserinnen und Lesern heftiges Stirnrunzeln verursacht haben: der Glaube an den schnellen Sieg war 1914 allgemein verbreitet (Vgl. Herfried Münkler, S. 266 und 290), und deshalb fehlte es ja schon im Herbst 1914 an warmer Kleidung für die Soldaten, die durch diverse Sammelaktionen (siehe z.B. die Beiträge Warme Unterkleidung …, Liebesgaben und Feldpost und Kriegsversicherung und -strumpf) der Zivilbevölkerung ausgestattet werden mussten.

Bemerkenswert ist der Artikel auch deshalb, weil der Autor davor warnt, auf baldige Verbesserung der Lage nach Kriegsende zu zu hoffen, denn mit Lieferungen aus „den Ländern der Angelsachsen“ sei nicht sofort zu rechnen, doch die „Zellulonfaser aus Holz“ könne eine große Zukunft haben. So oder so sei das Vorkriegs-Preisniveau passé.

 

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Der Hamsterhandel 1918

Bergedorfer Zeitung, 25. Juli 1918

Wenn der Kohlrabi nicht zum Kunden kommt, muss der Kunde sich eben zum Kohlrabi (Höchstpreis im Kleinhandel: 42 Pfg/Pfd, ohne Kraut, siehe BZ vom 14. Juli 1918) aufmachen, und so hielten es 1918 „täglich einige tausend Hamburger jeden Geschlechts und Alters“: sie hamsterten in den Anbaugebieten in den Vierlanden und den Marschlanden, was angesichts der miserablen Versorgungslage gut zu verstehen ist.

Nach Ansicht des Verfassers hingegen war das Hamstern volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, war eine „unerhörte Verschwendung von Mühe, Zeit und Geld“, führte zu unnötigem Verkehr und zu „planlosen“ Einkäufen bei den Gärtnern und Bauern. Allerdings hatte nach seinem Eindruck die Hamstersaison bereits ihr Ende erreicht, nicht nur wegen „behördlicher Maßnahmen“ (siehe dazu den Beitrag Das Landgebiet militärisch abgeriegelt), sondern auch, weil die Hamburger Bevölkerung „gute Einsicht“ zeigte und „vernünftiger Überlegung“ zugänglich war.

Die Einschätzung des Autors kann nicht geteilt werden, denn wer Hunger und Lebenserfahrung hat, lässt sich mit einer volkswirtschaftlichen Argumentation kaum dazu verleiten, der „guten und zweckmäßigen Kriegsversorgung“ zu vertrauen: nach dem Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“ wird man (im doppelten Wortsinn) gehandelt haben.

Ein Indiz dafür, dass die Hamstertouren bis in den Herbst hinein andauerten, sind die Fahrpläne der Lauenburger Dampfer, die noch häufiger verkehrten als im Vorjahr: bis zu neun Fahrten täglich gab es zwischen Hamburg (Stadtdeich) und Ochsenwärder – Zollenspieker – Hoopte, hinzu kamen die vier bis fünf täglichen Fahrten der „Fortuna I“ und „Fortuna II“ der Oberelbischen Dampfschiffahrt-Gesellschaft (BZ vom 12. Juni, 19. September, 4. Oktober und 5. November 1918). Erst im Spätherbst wird es wieder „still und ruhig auf den Deichen und Landstraßen“ geworden sein und nicht schon Ende Juli.

 

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Platin und Saphire aus kaiserlicher Hand

Bergedorfer Zeitung, 22. Juli 1918

Das war ein wertvolles und edles Geschenk der Kaiserin an den Bergedorfer Wilhelm Dettmer (laut Bergedorfer Adressbuch 1915: Fischhandlung, Bahnstraße 2): als Dank für seine Dienste als Krankenpfleger Ihrer Majestäten erhielt er ein Paar Manschettenknöpfe mit Platin-Kronen und Saphiren. Es gab sie also weiterhin, die schönen bzw. teuren Dinge des Lebens, zumindest bei Hofe – ansonsten sollten Edelmetalle und -steine ja zur Kriegsfinanzierung abgegeben werden (siehe den Beitrag Das Gold in Ochsenwärder).

Wie Wilhelm Dettmer an den kaiserlichen Hof gekommen war, ließ sich nicht feststellen (auch nicht, was aus den Manschettenknöpfen wurde). Die „freiwillige Krankenpflege“ stellte im Ersten Weltkrieg ca. 40 Prozent des Sanitätspersonals; sie unterstand einem „Kaiserlichen Kommissar und Militärinspekteur“, der wiederum seine Anweisungen vom Chef das Sanitätswesens erhielt. Die freiwillige Krankenpflege rekrutierte sich aus verschiedenen Organisationen: den Ritterorden, dem Roten Kreuz, verschiedenen Genossenschaften und Vereinen und umfasste ca. 213.000 Personen, darunter 101.000 Männer. Einsatzgebiete waren die Heimat, die Etappe, teilweise auch Operationsgebiete und die Kolonien (siehe hierzu und zum folgenden einen Aufsatz von Astrid Stölzle und auch die Dissertation von Astrid Stölzle). Viele der Mitglieder der Organisationen hatten sich – in Erwartung eines kurzen Krieges – für die Dauer des Krieges zum Dienst verpflichtet, das Rote Kreuz hatte zugesagt, die Hälfte seines „Personalbestands“ zur Verfügung zu stellen.

Die ausgebildeten Krankenschwestern und Hilfsschwestern erhielten seit Kriegsbeginn erheblich mehr Lohn als Männer, die meist schlechter ausgebildet waren: 33,50 Mark (Ende 1918 maximal 135 Mark) zu 23,40 Mark im Monat, beide Geschlechter bei freier Verpflegung und Unterkunft. Endlich ein Bereich, in dem höhere Qualifikation der Frauen auch zu höherem Lohn führte.

So war Wilhelm Dettmer also nur Geringverdiener. Er musste sich mit dem kaiserlichen Geschenk abfinden, dürfte aber immerhin der einzige Bergedorfer gewesen sein, der im Krieg so ausgezeichnet wurde.

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Zwischen Torten, Butterstreckung und Küchenabfällen

Mentrup’s Etablissement (vormals Bahlmanns Gasthaus ), wohl 1920er Jahre – an der Landungsbrücke der Lauenburger Dampfer „Freya“

Bergedorfer Zeitung, 21. Juli 1918

Am Wochenende war eigentlich immer etwas los bei Bahlmann auf dem Zollenspieker, manchmal (wie an diesem Sonntag) mit Musik – die Hauptattraktion für Sonntagstouristen werden aber die anderen Angebote gewesen sein: Mittagessen (etwa ohne Marken?), Kaffee (vermutlich nur Ersatzkaffee), vier verschiedene Torten und selbstgebackener Kuchen. Nach Mangel an Nahrungsmitteln sah das nicht aus.

Bergedorfer Zeitung, 22. Juli 1918

Doch das war nur die eine Seite der Wahrheit, die schwarzmarktgefütterte. Die offiziellen Rationen blieben so knapp, dass sich die BZ wieder einmal bemüßigt fühlte, einen Vorschlag zur Butterstreckung abzudrucken (siehe hierzu auch den Beitrag Szenen beim Butterverkauf) – bei einer Butterration von 30 Gramm pro Woche (Pfund 4 Mark) und 40 Gramm Margarine (Pfund 2 Mark) konnte man durch Hinzufügen von Wasser eine „Volumvergrößerung“ erreichen, sogar mit Zusatznutzen: „Dem Gaumen wird durch den Genuß der Butteremulsion (Buttercreme) ein angenehmer Kitzel bereitet, während der Magen von dem Betruge nichts merkt.“ Zweifel sind da angebracht.

Küchenabfälle können durchaus als Wohlstands-, wenn nicht gar als Verschwendungsindikator gelten, wie eine kürzlich im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erstellte Studie zeigt: danach „produzierte“ jeder Haushalt 2016/17 knapp 48 kg „vermeidbare“ und 56,2 kg „nicht verwertbare Lebensmittelabfälle“ (S. 10ff.).

Bergedorfer Zeitung, 26. Juli 1918

Hatte der Bergedorfer Frauenverein 1915 noch dazu aufgerufen, Küchenabfälle für die Tierfütterung zu sammeln (siehe den Beitrag Abfallwirtschaft), so stellte sich die Lage 1918 anders dar: vermeidbare Küchenabfälle gab es kaum noch, und der Rest (z.B. Erbsen- und Bohnenschoten, die äußersten Kohlblätter) war so nährstoffarm, dass er nur als „Beifutter und nur als solches in Verbindung mit anderem Futter den Tieren gereicht werden kann.“ Dass Brot- und Fleischreste im Abfall fehlten, kann niemanden überraschen – Brot und Fleisch hatten keine Chance, liegengelassen zu werden. Und auch Bahlmanns Torten werden bis auf den letzten Krümel verzehrt worden sein.

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