Orden und Ehrenzeichen

Bergedorfer Zeitung, 3. Oktober 1918

Viel Aufhebens machte die Bergedorfer Zeitung wahrlich nicht von der Verleihung der Rote-Kreuz-Medaille (3. Klasse) an den Mittelschullehrer Hermann Berndt. Vermutlich war er, der hier die „Hilfe für deutsche Kriegsgefangene“ organisierte, der letzte Bergedorfer Empfänger dieser Auszeichnung: bald nach der Revolution verkündete die preußische Regierung, dass ab sofort keine Orden und Ehrenzeichen mehr vergeben würden (BZ vom 24. Dezember 1918). Das betraf auch die vom deutschen Kaiser und preußischen König gestiftete Rote-Kreuz-Medaille.

Nur wenige Bergedorfer hatten 1918 diese Medaille erhalten: der Führer der örtlichen Kolonne des Roten Kreuzes, A. Morgenbesser, die Leiterin der Luisenschule, Erna Martens, und der in Bergedorf wohnhafte Pastor Ditlevsen von der deutschen Seemannsmission, dazu aus Sande der dortige Zugführer der Kolonne des Roten Kreuzes sowie die Witwe des Amts- und Gemeindevorstehers Gustav Maik und die Kochschwester Marta Ohl (BZ vom 15. und 19. Februar, 20. März, 3. September und 2. Oktober).

Andere Orden wurden sehr viel häufiger vergeben: das Eiserne Kreuz (1. und 2. Klasse), das es nicht nur für Soldaten, sondern auch für Zivilisten gab. Das Ende 1916 gestiftete Verdienstkreuz für Kriegshilfe (BZ vom 7. Dezember 1916) erhielten 1917 alle Direktoren der Pulverfabrik Düneberg und der Dynamitwerke Krümmel sowie einige langjährige Arbeiter dort, insgesamt über dreißig Personen (BZ vom 1. Oktober 1917). 1918 gingen zwanzig Exemplare dieses Verdienstkreuzes allein in die Stadt Bergedorf, u.a. an den Schriftleiter Wilhelm Bauer der Bergedorfer Zeitung, den Bankdirektor Ludwig E. Bausewein und (natürlich) an Erna Martens, aber auch an weniger prominente Personen wie die Telegraphengehilfin Bertram oder den Gerichtsschreiber Hoppe. Weitere zehn gingen nach Sande, u.a. an sechs Werkmeister bzw. Arbeiter der Munitionsfabrik Weiffenbach in Sande (BZ vom 22. März, 13. Juni, 17. August, 6. und 27. September).

Warum wurde Berndt nicht schon früher für seinen unermüdlichen Einsatz geehrt? Vielleicht hatte er sich das falsche Tätigkeitsfeld gesucht: in den Augen der Regierenden war es verdienstvoller, für die Finanzierung des Kriegs, die Unterstützung der heldenhaften Kämpfer, zu werben als Geld zu sammeln für deutsche Kriegsgefangene, unter denen womöglich Feiglinge oder gar Deserteure waren (siehe hierzu den Aufsatz von Annette Becker im von Jochen Oltmer herausgegebenen Sammelband über Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs).

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Marode Brücken über Brookwetterung und Bille

Bergedorfer Zeitung, 26. September 1918

Gleich zwei für Bergedorfs Verkehr wichtige Brücken waren gesperrt: die Brücke über die Brookwetterung im Zuge der Neuen Straße (jetzt: Neuer Weg) mag heute nicht sehr bedeutend erscheinen, aber vor einhundert Jahren war die Neue Straße eine Hauptverbindung in die Vierlande. An den Reparaturkosten mussten sich die Vierländer Gemeinden Curslack und Altengamme beteiligen. Wie lange die Arbeiten dauerten, war der BZ nicht zu entnehmen: weder im redaktionellen Teil noch in den Bekanntmachungen war hierzu etwas zu finden.

Die 1900 erbaute Brücke, Blickrichtung billeabwärts

Ernst-Mantius-Brücke (1906), Blickrichtung billeaufwärts

 

 

 

 

 

 

Die im Jahr 1900 erbaute hölzerne Ernst-Mantius-Brücke über die Bille (Abbildung rechts mit freundlicher Genehmigung des Kultur- und Geschichtskontors Bergedorf), die Hauptverbindung zwischen Villenviertel und Bahnhof, war schon seit über 10 Monaten für den Wagenverkehr gesperrt (Bekanntmachung in der BZ vom 8. November 1917). Das Geld für den Neubau, 25.000 Mark, war im städtischen Haushalt bereitgestellt (BZ vom 8. Januar 1918), doch der Realisierung stand der Krieg im Wege.

Die 1923 erbaute Brücke, Blickrichtung billeaufwärts (Aufnahme 1929 oder später)

Erst 1923 war der Neubau fertiggestellt, und er erwies sich als deutlich dauerhafter als der Vorgänger. Ob aber die nun 95jährige Brücke ihren hundertsten Geburtstag feiern kann, ist nicht sicher, denn in der Antwort auf die Anfrage eines Bürgerschaftsabgeordneten von 2016 gibt der Senat die „theoretische Nutzungsdauer“ mit 70 Jahren an. Allerdings sind die Haushaltsmittel für Baumaßnahmen an Brücken so gering, dass die Bergedorfer Zeitung am 2. August 2018 titelte: „Dutzende Bergedorfer Brücken sind Sanierungsfälle“. Zum Glück ist die Ernst-Mantius-Brücke praktisch länger nutzbar als theoretisch.

Die Karte von 1904 zeigt übrigens beide genannten Brücken – auf der Karte von 1875 fehlt (natürlich) die Ernst-Mantius-Brücke, ebenso die 1891 errichtete Friedrichsbrücke über den Schleusengraben, deren Unterbau 1917 hatte erneuert werden müssen (BZ vom 2. Juni 1917).

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Geld verdienen mit Bucheckern?

Bergedorfer Zeitung, 28. September 1918

Alle sollten sammeln: Schüler und Schülerinnen, die vaterländischen Vereinigungen, Lazarette, Erholungsheime und Privatpersonen, und sie sollten Geld erhalten: 1,65 Mark pro Kilo Bucheckern, wovon allerdings „ein gewisser Prozentsatz für die Aufsicht beim Sammeln, die Abgabevermittlung usw. in Abzug“ zu bringen war (BZ vom 12. Oktober). Über den pekuniären Anreiz hinaus sollte es einen kulinarischen geben: man erhielt einen Bezugsschein für Öl auf sechs Gewichtsprozent der abgelieferten Baumfrüchte. Das „vorzügliche Speiseöl“ sollte die Fettration „erheblich aufbessern“.

Reich konnte man damit aber nicht werden: das stellvertretende Generalkommando, das sich mit Offizieren, Mannschaften, männlichen und weiblichen Angestellten drei Tage lang beteiligte, brachte pro Tag 50 Pfund nach Hause (BZ vom 12. Oktober), erwirtschaftete also 41,25 Mark täglich – doch man weiß nicht, wie viele Personen daran beteiligt waren (und ob der Betrag überhaupt ausbezahlt oder ob patriotisch gespendet wurde).

Bergedorfer Zeitung, 26. Oktober 1918

Der Sammelappell wurde erhört: die Bergedorfer wie die Sander Schulen beteiligten sich, auch in den wegen der zweiten Welle der Grippeepidemie mehrfach verlängerten Herbstferien. Warum die Elisabethschule nicht mitmachte, war der Zeitung nicht zu entnehmen; möglicherweise waren zu viele Lehrerinnen, die die Aufsicht führen sollten, erkrankt.

Das Sammeln von Bucheckern ist eine mühsame Tätigkeit, auch in einem guten Bucheckern-Jahr. Umso erstaunlicher die Mengen, die abgeliefert wurden: die Bergedorfer Schulen brachten 4.602 kg zusammen, die Privat-Sammlungen in Bergedorf und Umgegend ergaben rund 8.500 kg, die Sander Schulen kamen auf reichlich 8.000 kg (BZ vom 19. und 27. November sowie 2. Dezember), obwohl dort nur 1,60 Mark pro Kilogramm gezahlt wurden (BZ vom 1. Oktober). Ob die aus dem Krieg zurückgekehrten arbeitslosen Soldaten, denen die BZ das Bucheckern-Sammeln als „sehr lohnende Beschäftigung“ empfahl (BZ vom 23. November), überhaupt noch etwas fanden?

Jedenfalls werden sich viele Familie über die zusätzliche Einnahme gefreut haben – und auch über das Anrecht auf Bucheckernöl (60 Gramm Öl für ein Kilogramm Bucheckern), das allerdings nicht billig war: ein Pfund sollte 7,70 Mark kosten (BZ vom 2. Dezember). Als Bratfett konnte (und kann) man es allerdings nicht verwenden – heute wird es als Salatsauce und zu Pilzgerichten empfohlen, wie verschiedene Internetseiten zeigen.

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Kriegsbrauchbare Hunde

Bergedorfer Zeitung, 10. September 1918

Nicht zum ersten Male wurden „Besitzer kriegsbrauchbarer Hunde“ aufgefordert, ihre Tiere als (kostenlose) Leihgabe dem Heer zur Verfügung zu stellen, und „im Erlebensfalle“ sollte nach Kriegsende die Rückgabe erfolgen.

Hunde kamen in vielen Verwendungen zum Einsatz: als Zug- und Packtiere, Wach- und (Sanitäts-)Spürhunde, als Telefonkabelleger und als Meldehunde (Rainer Pöppinghege, S. 82 – 86). Man weiß nicht genau, wie viele Hunde das Kriegsende erlebten: nach einem Artikel der Frankfurter Neuen Presse von 2014 wurden von 30.000 Militärhunden 20.000 verwundet oder getötet.

Bergedorfer Zeitung, 21. September 1918

Für solche Kriegsaufgaben kamen nur größere Hunde(rassen) in Frage – ein P. Bartsch in Bergedorf wollte dagegen „Hunde aller Rassen“ kaufen. Was er damit vorhatte, schrieb er nicht – aber man kann einen üblen Verdacht äußern: die Hunde wurden geschlachtet und zu Lebensmitteln für Menschen verarbeitet – das Schlachten von Hunden war laut Wikipedia bis 1986 in Deutschland legal; nur wenn es als Fleisch eines anderen Tieres (Rehkeule, Kalb- bzw. Hammelfleisch) zum Verkauf gestellt wurde, war dies (wegen Betrugs) strafbar. Über derartige Betrugsfälle in Altona und Hamburg berichtete die BZ mehrfach (BZ vom 19. Januar 1916, 9. Mai 1917 und 5. Juni 1918).

In anderen Gegenden des Reichs scheint der Hundeverzehr kein Tabu gewesen zu sein: die BZ berichtete, dass in Zwickau der Vorkriegspreis für Hundefleisch von 45 bis 50 Pfennig pro Pfund auf 3,75 Mark gestiegen war, und in Breslau hatte die Zahl der Hundeschlachtungen von 19 im Jahr 1913 auf 154 im Jahr 1918 (bis zum 19. August) zugenommen (BZ vom 20. April und 31. Oktober 1918). Sogar im Bereich der Landherrenschaft Bergedorf gab es zumindest einen Fall: in den Mitteilungen der Landherrenschaften (28. Januar 1918, Bekanntmachung Nr. 53) fand sich eine Tabelle über die „Schlachtvieh-, Fleischbeschau und Trichinenschau im hamburgischen Landgebiet“ im letzten Quartal 1917: in Geesthacht hatte es eine Hundeschlachtung gegeben.

Ob die Rückgabe der überlebenden Hunde nach Kriegsende geklappt hat? Jedenfalls wurde eine entsprechende Aktion angekündigt.

Bergedorfer Zeitung, 2. Dezember 1918

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Der Tag des legalen Hamsterns

Bergedorfer Zeitung, 23. September 1918

Hamstern erlaubt – das war gleichsam das Motto dieses Verkaufstags in der Bergedorfer Turnhalle in der Schulstraße, und diese Gelegenheit nutzten viele Bergedorferinnen und Bergedorfer ausgiebig und räumten alle Verkaufsstände.

Bei einer vergleichbaren Aktion im Vorjahr war ein „geringer Rest“ an Waren verblieben, und die Einnahmen betrugen 1.985,65 Mark (BZ vom 24. September und 24. Oktober 1917). In diesem Jahr kamen 5.313,35 Mark in die Kasse, und diese Einnahmesteigerung kann nicht allein durch höhere Preise erklärt werden. Die Zwangsbewirtschaftung von Obst dürfte eine große Rolle gespielt haben, denn die Erzeuger mussten ihre Äpfel, Birnen und Zwetschgen an vom Hamburgischen Kriegsversorgungsamt bestellte Aufkäufer abliefern, und die Früchte gelangten erst über Großhandel und Kleinhandel an den Verbraucher, der dann wohl in der Regel den Höchstpreis (z.B. Tafeläpfel und -birnen 0,55 Mark pro Pfund, siehe BZ vom 12. und 31. August 1918) bezahlen musste.

In der Turnhalle hielten sich die Preise „in mäßigen Grenzen“, was den Absatz sicher beförderte. Insgesamt werden die Veranstalterinnen (u.a. Frau Rektor Kreyenberg, Fräulein Martens (die Leiterin der Luisenschule), Frau Dr. Thomsen (Bergedorfer Frauenverein) und Frau Bürgermeister Dr. Walli (BZ vom 19. September 1918)) zufrieden gewesen sein und sich auch über die 250 Mark für ein „von Frau Ollerich gestiftetes Oelbild“ gefreut haben.

„Frau Ollerich“ hat vermutlich eines ihrer eigenen Bilder gespendet – leider weiß man nicht, ob es von Hedwig oder von Anna stammte. Künstlerinnen waren beide; nachfolgend ein Beispiel für eine Arbeit Annas:

Ansichtskarte nach Motiv von Anna Ollerich, gelaufen 1929

 

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Die unbenannte Seuche

Bergedorfer Zeitung, 11. September 1918

Bergedorfs „erwachsene Jugend“ sollte durch einen Film über „die Geissel der Menschheit“, „die Seuche“ aufgeklärt und davor gewarnt werden – die BZ-Leser und -Leserinnen werden gewusst haben, was gemeint war, obwohl beide Begriffe für sich genommen nicht eindeutig sind (Stefan Winkle hat ein ganzes Buch über die Geißeln der Menschheit, eine Kulturgeschichte der Seuchen, geschrieben). Thema des Films war die Syphilis.

Es war schon der vierte Aufklärungsfilm, den das Hansa-Kino den Bergedorfern in den Kriegsjahren  zeigte und der sich hiermit befasste: für die ersten drei Filme wurde mit ausführlichen Inhaltsangaben geworben – „Die schwarze Gasse“ begann pikanterweise mit einem Vorspiel, und diese drei Filme waren laut Anzeige sogar mit der Unterstützung des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten herausgegeben worden (BZ vom 17. Oktober 1917, 18. März und 17. April 1918). In der Werbung für die ersten zwei Filme („Es werde Licht“, Teil I und II) wurde an die Eltern appelliert, ihren Söhnen und Töchtern den Film zu zeigen, „gerade in der heutigen Zeit, in der es darauf ankommt, dass die Gesundheit unserer Jugend geschützt wird“ (BZ vom 16. Oktober 1917). In der Annonce für den zweiten Teil sollten offenbar die Töchter ggf. ihrem Schicksal überlassen werden – jedenfalls hieß es an dieser Stelle, es komme darauf an, „dass die männliche Jugend geschützt wird“ (BZ vom 18. März 1918). Die männliche Jugend war ja eben kriegswichtig, und offenbar breitete sich die Krankheit in der Heimat weiter aus – unter Soldaten lag die Zahl der neuen Fälle angeblich unter dem Wert der letzten Friedensjahre, was als Erfolg der getroffenen Maßnahmen (siehe hierzu den Beitrag über das Tabuthema Geschlechtskrankheiten) gewertet wurde (BZ vom 17. August 1918).

Das Drehbuch für „Die Schiffbrüchigen“ hatte angeblich zwei dramatische Vorlagen, die sich beide mit der Syphilis befassten, Henrik Ibsens „Gespenster“ und Eugène Brieuxs „Die Schiffbrüchigen“ – dass Brieux Franzose war, war offenbar kein Hindernis. Den französischen Originaltitel von Brieuxs Theaterstück, „Les Avariés“, kann man durchaus als „Die Schiffbrüchigen“ übersetzen, aber man hätte auch „Die Syphilitiker“ nehmen können: das Dictionnaire Electronique des Synonymes der Universität Caen nennt „syphilitique“ als eines der Synonyme von „avarié“.

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Der Preis für die schlechtesten Schützen

Bergedorfer Zeitung, 16. September 1918

Sollten die schlechtesten Schützen der Bergedorfer Schützengesellschaft besonders geehrt werden – oder war es eine „vergiftete“ Auszeichnung, die sie erhalten sollten? Da der Zeitungsbericht das Motiv des Stifters des Preises nicht nannte, kann man nur spekulieren: vielleicht wollte Heinrich Pinnau die weniger guten Schützen ermuntern, sich am Preisschießen zu beteiligen, denn Übung macht bekanntlich den Meister – vielleicht war es aber auch als kleine Gemeinheit gedacht, denn so wurden die Letztplatzierten ins Licht gerückt und dem Gespött ihrer Schützenbrüder ausgesetzt; nur die Totalversager, die nicht einmal die Scheibe getroffen hatten, konnten sich unauffällig ins Gehölz verdrücken.

Das traditionell im Schießthal abgehaltene Schützenfest der Bergedorfer Schützengesellschaft war jedenfalls durch das Vermächtnis des verstorbenen Mitglieds Heinrich Pinnau um eine Attraktion reicher geworden. Die Gewinner des von Pinnau gestifteten Preises werden nicht wesentlich reicher geworden sein: das Vermächtnis betrug 500 Mark, die Ehrung sollte aus den Zinsen erfolgen, und da die Zinsen 1918 bei 4 bis 4,5 Prozent lagen, standen wohl 20 bis 22,50 Mark für die zwei „Sieger“ zur Verfügung, die mit der Inflation 1923 auf ein kaum  noch messbares Wertniveau sanken.

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Die schrumpfende Fortbildungsschule

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1918

In weiten Teilen ist dieser Zeitungsartikel nur eine Paraphrase des Berichts von 1916 über Die Fortbildungsschule Bergedorf: kaum Lehrlinge in den Bauberufen, Abwanderung von Jugendlichen als Arbeiter in die Pulverfabrik, Verspätungen und Versäumnisse beim Schulbesuch etc.

Aber: die Zahl der Maschinenbaulehrlinge hatte 1917/18 stark zugenommen und war „in fortwährendem Steigen begriffen“, während sie 1915/16 „etwa dieselbe geblieben“ war – die Metallindustrie Bergedorfs war also im Aufschwung, wobei man unterstellen darf, dass dies mit „Kriegsarbeit“, also Rüstungsaufträgen, zu tun hatte (siehe den Beitrag Granatendrehen und andere Kriegsarbeit in Bergedorf und Sande).

Doch konnte dieser Zuwachs im Maschinenbau den Rückgang in den anderen Bereichen nicht wettmachen, die Schülerzahl schrumpfte: hatte sie im Winter 1914/15 noch bei 370 gelegen, so lag sie im folgenden Jahr nur noch bei 300 und ging dann im Winter 1917/18 auf 242 Schüler zurück. Damit war fast wieder das Niveau des ersten Winters 1903/04 erreicht, in dem man 213 Schüler der Fortbildungsschule verzeichnet hatte (BZ vom 1. Juli 1915 und 3. Juni 1916).

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Hoopter Hooligans auf dem Zollenspieker

Bergedorfer Zeitung, 9. September 1918

Es war wirklich ungeniert, was die jungen Burschen aus Hoopte und Stöckte vom Südufer der Elbe da auf dem Zollenspieker trieben, und es zeigt nebenher noch zweierlei: einmal, dass auf dem „Spieker“ immer etwas los war (siehe den Beitrag zu Bahlmanns Gasthaus), und dann, dass eine Anordnung des stellvertretenden Generalkommandos, nach der Boote gegen unbefugte Benutzung zu sichern seien, offenbar nur teilweise umgesetzt wurde: zwar waren die hier betroffenen Boote mit Schloss und Kette versehen, aber Ruder sowie Riemen oder Segel waren offenbar nicht entfernt worden (vgl. den Beitrag Schleichhandel zu Wasser), was den „Överelvschen“, die die „Wirtshausfreuden“ suchten, die Querung der Flusses ermöglichte.

Ob die Empfehlung des Verfassers des Artikels, den Hooligans eine „tüchtige Tracht Prügel“ zu verabreichen, wirklich so radikal war, kann man in Frage stellen: nach Erzählungen mittlerweile verstorbener Vierländer kam es damals sowieso häufig zu Prügeleien zwischen den Jugendlichen von Nord- und Südufer der Elbe, meistens wegen der Mädchen, aber manchmal auch „nur so“.

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Bettstroh für Sande

Bergedorfer Zeitung, 31. August 1918

Bettstroh !!!??? Für die Prinzessin auf der Erbse wäre das jedenfalls nichts gewesen, und es ist so weit entfernt von der heutigen Vorstellungswelt, dass hier etwas ausgeholt werden muss, denn der Aufbau eines Bettes war früher anders als heute, wenn auch nicht so vielschichtig wie im Märchen H. C. Andersens.

Auf dem Lande waren mindestens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Butzbetten gebräuchlich, wie man sie heute z.B. im Freilichtmuseum Rieck-Haus ansehen kann: fest eingebaute Bettschränke, die meist durch Schiebetüren den Einstieg ermöglichten. Auf einer Bretterlage, 40 -60 cm über dem Fußboden, kam das Bettstroh zu liegen, entweder als Strohsack oder als lose Strohschüttung, darauf (mindestens) ein federgefülltes Unterbett, Unterpfühle (Kissen), darüber ein Betttuch, darauf Oberpfühle und die ebenfalls federgefüllte Bettdecke, wie es bei Thorsten Albrecht (S. 180 – 183) heißt. In den Vierlanden gab es sogar zwei Sorten Stroh im Bett, wie Ernst Finder (Band 1, S. 255) schrieb: die untere Lage, „Schoof“ genannt, war härter als das oben liegende „Wiepenstroh“. Ein- bis zweimal im Jahr wurde das Stroh erneuert.

Butzbetten wird es auch in Sande gegeben haben, doch nur in den älteren Häusern. Da die überwiegende Zahl der Häuser dort erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand, werden die meisten Einwohner schon in freistehenden Betten geschlafen haben, die vielleicht bei einigen sogar in eigenen Schlafkammern standen.

Zwar heißt es bei Albrecht, dass Bettstroh durch andere Unterlagen im Bett am Ende des 19. Jahrhunderts „fast vollständig“ verdrängt worden war, doch das dürfte nur in bürgerlichen Haushalten der Fall gewesen sein. Für Arbeiter, von denen es in Sande viele gab, und andere Unterbürgerliche war der Strohsack die Standardausstattung (wohl eher mit Woll- als mit Federdecke) – bei Thorsten Albrecht (Abb. 156, S. 146) ist eine Anzeige eines  Versandhändlers  von 1907 wiedergegeben, in der nicht nur eiserne Bettstellen für Arbeiter angeboten werden, sondern auch Strohsäcke (ohne Füllung). Ob es in Sande mehr eiserne oder mehr hölzerne Bettstellen gab, ist unbekannt – ein entscheidender Vorteil der Eisenbetten war, dass sich im Gestell keine Bettwanzen verstecken konnten, die gern die Ritzen der Holzbetten besiedelten und nächtens von den Schlafenden Blut sogen. Anderes Ungeziefer wie Flöhe und Läuse bevorzugte den Strohsack bzw. das Federbett. Die fehlende oder mangelhafte Betthygiene lässt Albrecht in diesem Zusammenhang von „Bettfauna“ (S. 191 – 199) sprechen, zu der auch Mäuse zählen konnten. Ob die Tierchen auch die „bezugsscheinfreien Steppdecken aus Papiergarnüberzug mit Abfallfüllung“ besiedelten, die die Reichsbekleidungsstelle im November anbot (BZ vom 4. November), ist unbekannt.

Strohsäcke waren nicht nur unhygienisch, sondern auch unbequem. Albrecht zitiert aus einer Schrift von 1783: „Sie [die Strohsäcke] sind schwer und lassen sich nicht gut hantieren. Sie sind nicht eben genug zu einem Bettlager; denn wenn man das Stroh darin aufschüttelt, so kommt das meiste in die Mitte zu liegen, wo es einen Berg macht, dahingegen die Seiten abhängig sind: und wenn auch die Schwere des Körpers das Stroh wieder aus einander drückt, so glitschet es unten hinweg, und macht eine Höhle im Bette. …. Da auch immer etwas von dem Strohe klein wird, und hindurch sticht, so werden die Zimmer unreinlich“ (S. 181).

Man brauchte nicht Prinzessin zu sein, um in solch einem Bett (das in der Regel obendrein geteilt werden musste) nicht gut zu schlafen, auch nicht, wenn es endlich frisches Stroh gab.

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