Bürgermeister gewählt, aber nicht bestellt

Bergedorfer Zeitung, 4. Oktober 1919

Endlich klappte es: Bergedorf bekam einen neuen Bürgermeister: von den 28 abgegebenen Stimmen erhielt am 3. Oktober 1919 der bisherige besoldete Ratmann Wilhelm Wiesner 20, es gab eine Nein-Stimme und sieben Enthaltungen (BZ vom 4. Oktober). Ob die Hoffnung der BZ, Wiesner möge „nutzbringend und ersprießlich für die Stadt Bergedorf und ihre Gesamteinwohnerschaft“ wirken, ehrlich gemeint war oder eine verklausulierte Mahnung zur Überparteilichkeit sein sollte?

Sein Amtsvorgänger Paul Walli war als Senatssyndikus nach Hamburg gewechselt (siehe den Beitrag Walli macht Karriere) und Wiesner hatte als Ratmann die Führung der Amtsgeschäfte übernommen; ein erster Wahlversuch war geplatzt, da von den bürgerlichen Stadtvertretern die Bürgermeisterfrage mit der Magistratswahl und der Sitzverteilung im Magistrat verknüpft worden war (siehe den Beitrag Die geplatzte Bürgermeisterwahl), womit die Bürgerlichen schließlich scheiterten, da die DDP, folgsamer Koalitionspartner der SPD, deren Forderungen ablehnte und zur Belohnung einen der Magistratssitze erhielt (BZ vom 4. Oktober).

Nun war Wiesner gewählt, aber er konnte nicht bestellt werden, denn das Gesetz betreffend die Einführung hamburgischer Organisationen und Gesetze an Amt und Städtchen Bergedorf vom 30. Dezember 1872 schrieb vor, dass der Bürgermeister „rechtsgelehrt“ sein müsse, und das war Wiesner nicht – laut Bergedorfer Personenlexikon hatte er eine Tischlerlehre absolviert. Formal war die Wahl also ungültig, was die BZ aber nicht davon abhielt, ihn ab sofort als „Bürgermeister“ zu titulieren (BZ vom 6. Oktober), und auch Wiesner selbst zeichnete Bekanntmachungen mit „Der Magistrat. Wiesner, Bürgermeister.“ (BZ vom 13. Oktober) – aber nur dieses eine Mal (wahrscheinlich hatte die Landherrenschaft Einspruch eingelegt); bis zum Jahresende hieß es dann einfach titellos: „Der Magistrat. Wiesner.“ (BZ vom 15. Oktober)

Das Problem wurde dann durch eine Gesetzesänderung gelöst: kurz vor Weihnachten 1919 verkündete der Senat die folgende von der Bürgerschaft beschlossene Änderung: „Für die Stadt Bergedorf besteht der Magistrat aus einem Bürgermeister und mindestens zwei Ratmännern.“ (BZ vom 24. Dezember) Das „rechtsgelehrt“ war also entfallen, das Problem gelöst, der neue Amtsinhaber erhielt ein wirklich schönes Weihnachtsgeschenk: er konnte bestellt werden.

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Bergedorfs Einwohnerwehr: erst auf die lange Bank, dann in die Ablage

Bergedorfer Zeitung, 6. Oktober 1919

Der Vorsitzende des Stadtparlaments, Wilhelm Wiesner, handelte schnell und entschlossen: der zu einem Antrag angemeldete Redner (Kellinghusen) war nicht im Raum – da stellte Wiesner dessen Fehlen fest und schritt in der Tagesordnung voran. Das regte den BZ-Berichterstatter auf: „So fix mit einem Versäumnisurteil ist wohl selbst der paragraphenpeinlichste Richter nie bei der Hand gewesen.“

Wiesner erreichte durch seine Sitzungsleitung, dass der Antrag Kellinghusens auf Schaffung einer Einwohnerwehr vom 25. Juli nicht beraten wurde, was ihm wohl durchaus recht war, denn die hiesige SPD lehnte diese Wehr ab (siehe den Beitrag Einwohnerwehr für Bergedorf?). Kellinghusen dagegen war offenbar vom Pech verfolgt: im August hatte es keine Sitzung gegeben, an der September-Sitzung hatte er nicht teilgenommen, weshalb sein Antrag vertagt worden war – nun also die nächste Verschiebung.

Bergedorfer Zeitung, 11. Oktober 1919

Erfreulicherweise für Kellinghusen gab es im Oktober eine weitere Sitzung, in der sein Antrag endlich debattiert und schließlich an eine eigens eingesetzte Kommission zur weiteren Beratung verwiesen wurde. Die in der Debatte geäußerte Absicht des USP-Vertreters Hauschild, der nach der Mandatsniederlegung von Carl Seß diesen ersetzte, sie zu einer „Beerdigungskommission“ zu machen, ging Ende November in Erfüllung: die Kommission empfahl mehrheitlich die Ablehnung des Antrags, und das Plenum folgte dem Votum des Ausschusses (BZ vom 29. November).

Die Ablehnung der Pläne durch die Bergedorfer SPD überrascht durchaus, denn rund um Bergedorf sah man die Sache anders: für die Hamburger Einwohnerwehr mit 30.000 Mann bewilligte die Bürgerschaft mehrfach sechsstellige Beträge (BZ vom 28. August, 12. September und 13. November). Auch die Nachbargemeinde Sande sprach sich nach langen Beratungen mit SPD-Mehrheit dafür aus – die USP war aus „programmatischen Gründen“ dagegen, während bürgerliche Vertreter befürchteten, dass die Truppe „hauptsächlich aus Mehrheitssozialisten unter Ausschaltung des Bürgertums“ bestehen würde (BZ vom 3. Dezember). In Bergedorf liefen die argumentativen Linien wohl andersherum.

 

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Wohnungsnot und kein Ende

Mit Zwangseinquartierungen sollte die Wohnungsnot nun bekämpft werden, nachdem die  Zuzugssperre für verfassungswidrig erklärt worden war.

Bergedorfer Zeitung, 24. September 1919

Bergedorfer Zeitung, 30. September 1919

 

 

 

 

 

 

 

Zweitwohnungen auf Hamburger Gebiet wurden damit für unzulässig erklärt; sie „gelten als unbenutzt und können vom Bezirkswohnungskommissar in Anspruch genommen werden.“ Und wer in einer großen Wohnung lebte, musste damit rechnen, dass „entbehrliche Teile“ abgeteilt und Wohnungslosen zugeteilt wurden. Freiwerdende Wohnungen musste der Eigentümer melden, und dann erhielt die Gemeinde für acht Tage das Recht, einen Wohnungssuchenden einzuweisen – wenn es dabei Streit über die Miethöhe gab, entschied die Mieteschlichtungsstelle (BZ vom 17. Oktober). Unter Strafe gestellt wurden auch die Zusammenlegung von Wohnungen und deren „Außerstandsetzung“ durch Entfernen von Öfen oder Herden (BZ vom 6. Oktober).

Die administrative Maßnahme sollte praktisch ganz Hamburg betreffen: durch die Formulierung „im Bereich des Vororts-Eisenbahnverkehrs“ gehörte die Stadt Bergedorf unzweifelhaft dazu, aber die Auslegung erfolgte offenbar großzügig: nicht nur das von der BGE, einer Privatbahn, erschlossene Geesthacht wurde dazu gezählt, sondern auch z.B. Ochsenwärder, das lediglich Aussicht auf einen Bahnanschluss hatte (siehe den Beitrag Die Hamburger Marschbahn und BZ vom 5. Dezember).

Meldungen über Wohnungsmangel gab es aus allen Gemeinden der Vierlande, in denen auch die Zwangseinquartierung eingeführt wurde, am detailliertesten aber aus Bergedorf: „in vielen Fällen“ seien Strafen wegen unterlassener Meldung freier Wohnungen verhängt worden, zudem seien oft Vermietungen an Auswärtige erfolgt, sodass Bergedorfer Wohnungssuchende nicht zum Zuge gekommen seien. Der Magistrat untersagte den Abbruch von Wohnhäusern, ihre Zweckentfremdung und die Zusammenlegung von Wohnungen (BZ vom 25. November), mit dem Bau zusätzlicher Wohnungen ging es aber nicht voran.

BZ, 1. Dezember 1919

BZ, 3. Dezember 1919

Erstaunlicherweise berichtete die BZ nicht über Proteste gegen die neuen Regelungen, obwohl sie sonst dem Grundeigentümerverein und seinen Anliegen breiten Raum widmete, aber beliebt waren eingewiesene Mieter wohl nicht: zum Jahresende häuften sich Anzeigen, in denen möblierte Zimmer angeboten wurden (wohl, um die Belegung der Wohnung zu steigern), und Wohnungssuchende stellten klar, dass sie nicht irgendwelche dubiosen Wohnungslosen waren.

Der Erfolg des dichterischen Problemlösungsbeitrags ist fraglich:

Bergedorfer Zeitung, 11. Oktober 1919

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„Durchaus befriedigend“: nur 11 Prozent der Schulkinder unterernährt

Bergedorfer Zeitung, 24. September 1919

„Durchaus befriedigend“ nannte der Kreisarzt den Ernährungszustand der Kinder in Besenhorst, obwohl sechs Prozent der Kinder unter sechs Jahren und sogar 11 Prozent der Schulkinder „unzureichend“ ernährt waren – laut Zeitung „ein wider Erwarten günstiges Ergebnis nach diesen mageren Jahren“, was aber vielleicht auf eine mildere Beurteilung des Arztes „als in Friedenszeiten“ zurückzuführen sei. Die angeführten häufigsten Krankheiten können wohl zumindest partiell durch schlechte Ernährung erklärt werden.

Vergleichbare Angaben für Bergedorf und die anderen Gemeinden des Betrachtungsraums waren in der BZ nicht zu finden, aber man kann aus einer Reihe von Meldungen schließen, dass es dort mindestens genauso schlimm stand: so stellten die Elternräte der Stadtschulen fest, „daß in diesem Jahr nach Meinung der Ärzte, der Pädagogen und der Eltern der Gesundheitszustand der Kinder unter den heutigen Ernährungsverhältnissen mehr leidet als bisher“ (BZ vom 30. Mai 1919).

Immerhin: in Bergedorf gab es seit 1917 ein „warmes Schulfrühstück“ (ein halber Liter Suppe zu 10 Pfg., BZ vom 15. Mai 1917), und trotz der Klagen über Zusammensetzung und Qualität (BZ vom 22. und 30. Mai 1919) nahmen 800 Kinder dieses Angebot, das die Stadt mit 120.000 Mark bezuschusste, in Anspruch (BZ vom 22. und 23. Mai 1919). Ob die Zahl zurückging, als der Preis für die nicht-bedürftigen Kinder auf 25 Pfg. erhöht wurde (BZ vom 30. Mai 1919), ist nicht bekannt, aber zu vermuten.

Wie unzureichend die regulären Rationen waren, ging aus einem Bericht über die 217 in Erholungsheime verschickten Kinder hervor, wonach zu den Bergedorfer Rationen und den Lebensmitteln, die die Heime stellten, pro Woche und Kind 500g Mühlenprodukte, 175g Zucker, und 40g Margarine aus Bergedorf hinzukamen (BZ vom 7. August 1919). Das war dann vielleicht „durchaus befriedigend“.

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Die Schlammschlacht um die Volksbildung

Man war sich einig, dass Volksbildung eine wichtige Aufgabe war, auch darin, dass sie parteipolitisch neutral sein sollte – aber alles weitere war in höchstem Maße streitig zwischen der „Bergedorfer Volkshochschule“ und der „Fichte-Hochschule Bergedorf“, beide in der Gründung begriffen – es gab eine wahre Schlammschlacht, die per Leserbrief im „Sprechsaal“ der Bergedorfer Zeitung ausgetragen wurde.

Bereits im Juli hatte sich ein vorbereitender Ausschuss zur Gründung einer Volkshochschule gebildet. Ihm gehörten je zwei Vertreter des Bergedorfer Lehrervereins, der Bildungskommission der Gewerkschaften und der Öffentlichen Bücherhalle sowie als Vertreter des Magistrats Ratmann Wiesner an. Vielleicht waren es die Vertreter des Lehrervereins, Lorenzen und Zander, die die Gegenbewegung auslösten, als sie erklärten, dass „der jetzt führende Sozialismus sich mit dem Idealismus auf kulturellem Gebiet verbinden“ müsse und ein „geistiger Aufschwung der breiten Masse notwendig“ sei (BZ vom 22. Juli).

Über die beabsichtigte Gründung der konkurrierenden Einrichtung, der „Fichte-Hochschule Bergedorf“ erfuhren die Zeitungsleser erstmals aus einem Sprechsaal-Beitrag Lorenzens. Am Tag darauf kündigte der geschäftsführende Ausschuss der Fichte-Hochschule Bergedorf deren Eröffnungsfeier an (BZ vom 19. September), und wiederum einen Tag später replizierte u.a. (Albert) Zimmermann auf Lorenzens Beitrag:

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1919

Bergedorfer Zeitung, 20. September 1919

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es folgten weitere Sprechsaal-Beiträge (BZ vom 22., 23. und 24. September), in denen man sich gegenseitig vorwarf, eine parteipolitische Einrichtung schaffen zu wollen: hie „Sozialisten“, da „Deutschnationale und Alldeutsche“, aber beide Seiten nahmen für sich in Anspruch, neutral zu sein: die Fichte-Hochschule Hamburg habe sogar Kommunisten unter ihren Hörern (so der bürgerliche Stadtvertreter Dinklage im Sprechsaal der BZ vom 20. September), sie habe mit Parteien nichts zu tun (so Pastor Ditlevsen und Pastor Engelhardt, BZ vom 25. September) – die Volkshochschule Bergedorf konterte, alle ihre Dozenten hätten sich zu „positiver Neutralität“ bekannt und befürworteten die selbständige Urteilsbildung (BZ vom 29. September).

Geht man nach Organisationszugehörigkeiten, kann man in puncto politische Neutralität einige Fragezeichen setzen: im Volkshochschulausschuss waren der Magistratsvertreter Wiesner und die beiden Gewerkschafter klar der SPD zuzurechnen, die Lehrervereinsmitglieder scheinen mit sozialdemokratischen Ideen zumindest sympathisiert zu haben, Lorenzen war laut Ohly (S. 38) auch Mitglied des Hamburger Lehrerrats. Von den Abgesandten der Bücherhalle, Rektor Kreyenberg von einer der Stadtschulen und einem Herrn Köster, waren in der BZ sonst keine politischen Stellungnahmen zu finden; Kreyenberg war allerdings ebenso wie Lorenzen Mitglied der Deutschen Vaterlandspartei gewesen (BZ vom 3. Oktober 1917).

Die Fichte-Hochschule Bergedorf zählte zu ihrem geschäftsführenden Ausschuss (BZ vom 19. September 1919) die Leiterin der Luisenschule, Erna Martens (DVP-Kandidatin zur Bürgerschaft), den Direktor der Hansaschule, Prof. Dr. Ferdinand Ohly (DNVP-Kandidat zur Bürgerschaft) (Anzeigen in der BZ vom 15. März 1919), Eugen Clauß, Pastor Wilhelm Ditlevsen sowie W. C. Gerhard (1917 Mitglied der Vaterlandspartei, BZ vom 3. Oktober 1917) und Dr. Adolf Gramkow – der Letztgenannte tauchte ansonsten in der BZ nicht auf. Der Kaufmann Max J. Dinklage und der Kaufmann Eugen Clauß waren Mitglieder der DNVP (BZ vom 1. August 1919), Clauß auch Funktionär des Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfenverbands (DHV) (BZ vom 1. April 1919), ebenso wie der Sprechsaal-Autor Albert Zimmermann.

Original im Archiv des Museums für Bergedorf und die Vierlande (Rückseite des Programms der Eröffnungsfeier)

Bergedorfer Zeitung, 29. September 1919

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Gegenüberstellung der  Veranstaltungsprogramme zeigt unterschiedliche Schwerpunkte und Ausrichtungen: das breit angelegte Spektrum der Volkshochschule reichte vom Fremdsprachenunterricht über Übungen in Stenographie und Rechnen bis zu Vorlesungen über aktuelle politische Themen, darunter ein Vergleich der alten mit der neuen Reichsverfassung, Literatur und Einführungen in mehrere Bereiche der Wissenschaft bis hin zu Gesundheitsfragen.

Die Fichte-Hochschule dagegen stellte das Germanische bzw. Deutsche in den Vordergrund, schloss dabei auch den Niederländer Rembrandt van Rijn mit seiner „deutschen Kunst“ ein, und beschränkte sich weitestgehend auf historische und literarische Themen: insgesamt ein rückwärts gewandtes Programm, das die völkisch-deutschnationale Haltung der Initiatoren aus DNVP und DHV widerspiegelte. Das kann nicht überraschen, denn die Fichte-Hochschule war eine Gründung der Fichte-Gesellschaft. Letztere wiederum „erstand im Rahmen … der Gesinnungsbildung im Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbande“ und wurde vom DHV mit 500.000 Mark subventioniert, wie Hans Gerber (S. 18, S. 21) schrieb; das Ziel sei, so der Leiter der Hamburger Fichte Hochschule Emil Engelhardt (S. 13), nicht „Wissens-, sondern Wesensbildung“, und dieses Wesen sollte auch klar antisemitisch und antidemokratisch sein, wie in der Studie von Iris Hamel über den DHV nachzulesen ist.

Über mangelnden Zulauf konnten sich laut BZ beide Einrichtungen nicht beklagen: die Volkshochschule meldete 550 Teilnehmer (BZ vom 10. Oktober), die Fichte-Hochschule 517 (BZ vom 27. Oktober).

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(K)eine Filzgeschichte um „Stadt Lübeck“

Die Anschuldigungen waren schwerwiegend, die Zurückweisung des Filz-Vorwurfs war entschieden:

Bergedorfer Zeitung, 20. September 1919

Bergedorfer Zeitung, 23. September 1919

Hatte die SPD Bergedorf ihre neugewonnene Machtstellung genutzt, um der Tochter des SPD-Ratmanns Wiesner an allen anderen Wohnungssuchenden vorbei in einem Dreiecksgeschäft eine Wohnung zu verschaffen – oder hatte Frl. Wiesner ohne Vermittlung des Amtlichen Wohnungsnachweises ihre Jungverheirateten-Wohnung erhalten, wie es in einer amtlichen Stellungnahme hieß?

Der Beschwerdeführer wiederum, laut Hamburger Adressbuch für 1920 der Handlungsgehilfe Eduard Meydag, blieb in einem weiteren Leserbrief bei seiner Darstellung und forderte erneut die Überlassung einer leerstehenden Wohnung im ehemaligen Hotel „Stadt Lübeck“ (BZ vom 25. September). Erfolg war ihm nicht beschieden: noch 1925 war er im Hamburger Adressbuch mit der Anschrift Friedrichstraße 1 zu finden, aber seine Situation hatte sich vielleicht durch den Wegzug der anderen beiden Familien, mit denen er die Zweizimmerwohnung teilte (BZ vom 25. September), verbessert.

Das Hotel „Stadt Lübeck“ gehörte seit 1912 der Stadt Bergedorf, und es war im Krieg und danach für verschiedene kommunale Zwecke genutzt worden (siehe den Beitrag zum Hotel „Stadt Lübeck“ im Kriegsjahr 1915), unter anderem als Verkaufsstelle für „Ia. Schweinefutter (Käseabfall), Pfund 45 Pfg.“ (BZ vom 22. August 1919). Angesichts der bestehenden Wohnungsnot sollte es nun für Wohnzwecke hergerichtet werden.

Bergedorfer Zeitung, 10. September 1919

13.600 Mark bewilligte die Stadt für die Instandsetzung von „Stadt Lübeck“ und zwei weiteren Gebäuden, davon 3.800 Mark für das Erdgeschoss des früheren Hotels, das laut Ratmann Wiesner an die Firma Auer & Co. vermietet wurde, da es sich nicht für Wohnzwecke eignete – der vollständige Name der Firma war „Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt, Auer & Co“, Eigentümer u.a. die Sozialdemokraten Friedrich Paeplow und Heinrich Stubbe, Fehlandtstraße 11 in Hamburg, wo auch das „Hamburger Echo“, die Parteizeitung der SPD, residierte (Angaben laut Hamburger Adressbuch für 1919).

BZ, 25. Oktober 1919

Das hatte schon einen Filzgeruch – ob die Miethöhe angemessen war, lässt sich nicht beurteilen; immerhin schien es, als würde die Stadt ihre Renovierungsausgaben recht schnell refinanzieren können. Doch dieser Geruch verflüchtigte sich einige Wochen später, als die Stadt die angeblich bereits vermieteten Räume öffentlich zur Miete anbot. Über das Ergebnis berichtete die BZ bis Ende 1919 nicht, aber bald roch es wieder, worüber in einem späteren Beitrag zu berichten sein wird.

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Der schnelle Dauerläufer

Bergedorfer Zeitung, 10. September 1919

BZ, 10. September 1919

 

 

 

Die Details sind unklar: der Dauerläufer Bernardini von Hacht trat zu einem Lauf durch Bergedorf an – nach der Meldung im redaktionellen Teil sollte es ein „Wettlauf“ sein, der Annonce nach war es ein „Schnell- und Dauerlauf“, der keine(n) anderen Läufer erfordert; es wäre dann allein eine Frage des Durchhaltevermögens gewesen – und das war jedenfalls gefordert: „durch alle Straßen Bergedorfs“ sollte der Lauf gehen, und wenn er wirklich das gesamte Straßennetz der Stadt ablaufen wollte, hatte der Sportler einiges an Kilometern zurückzulegen, wie die Karte von 1904 erkennen lässt. Einen Ergebnisbericht, der diese Unklarheiten beseitigt und über Erfolg oder Misserfolg Aufschluss gegeben hätte, sucht man in der BZ leider vergebens.

Wenige Tage später folgte die nächste Ankündigung:

Bergedorfer Zeitung, 13. September 1919

BZ, 13. September 1919

 

 

 

 

Von Hacht gegen Geesthacht: Bernardini wollte diesmal gegen einen Geesthachter Radfahrer namens H. Krüger zu einem echten Wettbewerb antreten: das Rennen sollte auf dem Sander Marktplatz stattfinden (gemeint war damit die Fläche, die heute „Lohbrügger Markt“ heißt; den heutigen „Sander Markt“ gab es damals nicht). Ein solches Rundstreckenrennen war natürlich viel zuschauerfreundlicher als ein stadtquerender Lauf, dessen Zielpunkt nicht einmal genannt wurde – offenkundig hatte von Hacht aus der Bergedorfer Erfahrung gelernt und verlangte für dieses Spektakel Eintritt. Um die ausgesetzte Siegprämie von 500 Mark zu refinanzieren, hätte er allerdings 1.667 zahlende Erwachsene oder doppelt so viele Kinder benötigt, was als eher unwahrscheinlich anzusehen ist.

Bergedorfer Zeitung, 15. September 1919

Von Hacht gewann das Duell: er hatte ja auch nur 40 Runden zu absolvieren gehabt, der Radfahrer 60 Runden. Zudem waren die Kurven auf dem langgestreckten Platz offenbar eng ausgelegt, was den Rennradler zusätzlich benachteiligte. Der Läufer von Hacht erhielt also vom Veranstalter von Hacht die schöne Siegprämie.

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Die Bergedorfer Premiere der KPD

Bergedorfer Zeitung, 10. September 1919

Bergedorfer Zeitung, 12. September 1919

 

 

 

 

 

Es war vermutlich die erste Veranstaltung der Kommunistischen Partei Deutschlands in Bergedorf, und auf jeden Fall die erste, für die in der BZ eine Anzeige erschien und über die anschließend berichtet wurde.

Mit Heinrich Laufenberg war ein höchst prominenter Redner angekündigt: vom 11. November 1918 bis zum 20. Januar 1919 war er (als einer der Vertreter der Linksradikalen) Vorsitzender des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrats und wurde von seinen Gegnern als „roter Diktator Groß-Hamburgs“ bezeichnet. Er schloss sich der am 1. Januar 1919 gegründeten KPD an – und nun sollte er nach Bergedorf kommen.

Die Ankündigung sorgte für guten Besuch der Veranstaltung – allein, Laufenberg kam nicht. Statt seiner sprach „ein Herr Dr. Euler“, wie die BZ schrieb. Dessen Identität war nicht zweifelsfrei zu klären: möglicherweise handelte es sich um Dr. Carl Eulert, Vorsitzender der Kommission für das Unterrichts- u. Bildungswesen des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrats (Hildegard Milberg, S. 111) und 1921 als KPD-Mitglied zum Bürgermeister des mecklenburgischen Goldberg gewählt (Volker Stalmann, S. 105).

Der „Bericht“ der Zeitung ist mindestens ebenso sehr Kommentar wie Wiedergabe des Veranstaltungsablaufs: Herr Dr. Euler(t) „predigte … die Lehren des Kommunismus und Spartakismus“, ähnlich wie die USP, die lediglich auf anderem Wege zu „Rätesystem und Diktatur des Proletariats“ kommen wolle. Die anwesenden USP-Vertreter Seß und Boldt sprachen sich angeblich für eine „radikalsozialistische Einheitsfront“ aus, was Euler(t) mit scharfen Worten zurückwies: „Eine Partei, die nicht wüßte, ob sie kalt oder warm sei, könnte man … nicht gebrauchen.“

Es ist unwahrscheinlich, dass diese Veranstaltung der KPD die einzige des Jahres in Bergedorf blieb, aber in der BZ war nichts weiteres zu finden. Laut Alfred Dreckmann (S. 52) gab es spätestens seit 1920 eine Ortsgruppe der KPD – und in dieser fanden sich dann auch Carl Seß und Karl Boldt wieder, die also ihre individuelle Entscheidung zwischen warm und kalt gefällt hatten.

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Fortschritt 1919: Vom „Dienstmädchen“ zur „Hausangestellten“

Einen Tarifvertrag für Hausangestellte hielt „eine Bergedorfer Hausfrau“ wohl eigentlich für unnötig, sogar schädlich für die Hausangestellten. Dem widersprach Anna Standhardt: Fabrikarbeiterinnen hätten ein besseres Los als die in bürgerlichen Haushalten Beschäftigten.

Bergedorfer Zeitung, 3. September 1919

Bergedorfer Zeitung, 6. September 1919

Anna Standhardt sprach für die Ortsgruppe Bergedorf des Verbands der Hausangestellten, die erstmals im April 1919 in der BZ aufgetaucht war: per Anzeige hatte sie alle Hausangestellten aufgefordert, am 1. Mai, dem „Feiertag der Hausangestellten“, die Arbeit ruhen zu lassen und sich in den Demonstrationszug von SPD und Gewerkschaftskartell („unter Nr. 9“) einzureihen (BZ vom 30. April 1919). Nun wurde die Forderung nach einem Tarifvertrag erhoben, auch ein Schlichtungsausschuss für „Streitigkeiten zwischen Herrschaft und Dienstboten“ sollte wegen sich überhäufender Streitfragen geschaffen werden.

Die „Bergedorfer Hausfrau“ war durchaus dafür, eine Hausfrauen-Organisation als Widerpart zum Verband der Hausangestellten zu schaffen, aber sie sah nicht den Verband, sondern die verantwortungsbewussten Hausfrauen als die „wahren Freunde“ der Hausangestellten, da der Verband „das in die Hausgemeinschaft aufgenommene Mädchen in Arbeitszeit und Freiheit zur Fabrikarbeiterin machen“ wolle – die Mädchen verzichteten doch freiwillig auf einen Teil ihrer Freiheit, wie sie in einem weiteren Leserbrief schrieb (BZ vom 11. September 1919). Anna Standhardt wies dies zurück: das Los einer Fabrikarbeiterin sei „ein weit besseres“ als das einer Hausangestellten, und diese Argumentation ist durchaus einleuchtend: für Arbeiterinnen (und Arbeiter) in Industrie, Handel und Gewerbe war der Achtstundentag längst eingeführt, und außerhalb der Arbeitszeit war man frei.

Für Hausangestellte, summarisch Dienstboten genannt, hatte es bis Dezember 1918 die Dienstbotenordnung (online) gegeben, nach der der Ausgang der Bediensteten fast uneingeschränkt im Belieben der Herrschaft stand (§ 11). Regelungen zur Arbeitszeit gab es keine, und bei Streitigkeiten wurde die „Gesindepolizei“ als erste Instanz eingeschaltet – doch die Dienstbotenordnung war vom Arbeiter- und Soldatenrat außer Kraft gesetzt worden (BZ vom 3. Dezember 1918), sodass der danach bestehende Zustand geradezu nach Tarifvertrag und Schlichtungsausschuss schrie.

Der Schlichtungsausschuss kam recht bald: das städtische Arbeitsamt richtete „aufgrund einer Anregung“ eine Schlichtungsstelle mit neutralem Vorsitz und Beisitzern der Hausangestellten- und Arbeitgeberseite ein (BZ vom 11. November 1919); über ihr Wirken berichtete die BZ nicht.

Die bürgerlichen Frauen organisierten sich am 15. Dezember im Hausfrauenverein Bergedorf, der sich neben der „Lösung der Angestelltenfrage“ in Kursen und Veranstaltungen auch mit hauswirtschaftlichen Fragen befassen sollte (BZ vom 11. und 19. Dezember 1919).

 

 

 

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Erdgassuche per Wünschelrute?

Bergedorfer Zeitung, 5. September 1919

Nach eigenen Angaben war der Rutengänger C. P. H. Boldt auf seinem Arbeitsfeld höchst erfolgreich, wenn auch die Darstellung des nebenstehenden Artikels nicht wirklich nachvollziehbar ist: seine Erfolgsmeldungen können sich zumindest nicht auf die Erdgasquelle von Neuengamme bezogen haben, denn dort gab es 1919 bis Ende September keine neuen Bohrungen, und die Bohrungen in Preußisch-Kirchwärder blieben erfolglos.

Die Hamburger Gaswerke hatten jedenfalls großes Interesse an der Ausbeutung der Erdgasquelle, denn durch sie konnten sie den Kohlenmangel und auch die steigenden Kohlenpreise teilweise kompensieren (Bergedorf dagegen hatte ein eigenes Gaswerk, das ausschließlich auf Kohle angewiesen war). Als die geförderte Erdgasmenge zurückging, wurde dies auf Verschmutzung „durch mitgerissene Erd- und Tonteilchen“ zurückgeführt, aber man wollte trotz früherer ergebnisloser Versuche auch neue Bohrungen niederbringen (BZ vom 8. September).

Senat und Bürgerschaft bewilligten die nötigen Mittel in Höhe von 300.000 Mark, aber nach Ansicht des Rutengängers Boldt an der falschen Stelle: man würde auf dieselbe Quelle stoßen (BZ vom 25. und 27. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 13. November 1919

Ob daraufhin dem Experten mit der Wünschelrute gefolgt wurde, wie die BZ zunächst schrieb, oder ob „aufgrund der Ergebnisse und Versprechungen namhafter Wünschelrutengänger sowie auf den Rat bergbaulicher Fachmänner“ hin gebohrt wurde (BZ vom 24. Dezember), ist unklar. So weiß man nicht, wem das Verdienst an der letztlich erfolgreichen Bohrung (BZ vom 31. Dezember) zukam, aber in den Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft wird der Rutengänger jedenfalls nicht erwähnt.

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