Die Rückkehr des Religionsunterrichts

Bergedorfer Zeitung, 24. Dezember 1920

Kurz nach der Revolution 1918 war durch eine Verordnung des Arbeiter- und Soldatenrats der Religionsunterricht an den Hamburger Schulen abgeschafft worden – nun wurde er auf freiwilliger Basis wieder eingeführt, was bei den meisten Eltern in Bergedorf auf Zustimmung stieß: etwa 75 Prozent der Kinder an den Stadtschulen wurden fristgemäß angemeldet, und es gingen noch Nachmeldungen ein.

Mehrfach versuchten die evangelische Kirche und Bürgerschaftsfraktionen, diesen Unterricht wieder einzuführen, doch der Senat und die Bürgerschaftsmehrheit hatten dies jeweils verhindert (z. B. BZ vom 6. Februar, 8. und 13. März 1920), obwohl nach Artikel 149 der Reichsverfassung der Religionsunterricht „ordentliches Lehrfach der Schulen“ war – außer an den „bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen“, die auf Antrag der Elternschaft eingerichtet werden konnten, sofern dies den (Regel-)Schulbetrieb nicht beeinträchtigte (Artikel 146 und 149).

Die Auseinandersetzung landete vor dem Reichsgericht, das in einem vergleichbaren Fall (Sachsen) schlicht entschied: Reichsrecht bricht Landesrecht (BZ vom 22. November 1920). Jetzt hatte Hamburg endgültig jeden Spielraum verloren, und der Senat beschloss, sich dem Urteil zu beugen (BZ vom 1. Dezember 1920).

Die Gegner des Religionsunterrichts gaben aber nicht auf:

Bergedorfer Zeitung, 7. Dezember 1920

Bergedorfer Zeitung, 20. Dezember 1920

 

 

 

 

 

Ohne Debatte ging es auch in Bergedorf nicht:

Bergedorfer Zeitung, 21. Dezember 1920

Auf Einladung der Elternräte der Stadtschulen warb der Hamburger Lehrer Henningsen für die weltliche Schule; er fand laut Bericht bei den Sozialdemokraten Struve, Friedrich Frank und Pappenhagen und dem „Unabhängigen“ Seß Unterstützung, während Dr. Schwabe (vermutlich der Oberlehrer  Joh. R. Schwabe, Wentorfer Straße 111, siehe Hamburger Adressbuch für 1920) ihm ebenso widersprach wie der Bergedorfer Lehrer Matthießen. Die Abstimmung der Zuhörer erfolgte mit den Füßen: viele gingen vor Ende der Veranstaltung.

Angesichts der Anmeldezahlen kann man davon ausgehen, dass an allen Stadtschulen, an den höheren Schulen sowieso, im neuen Jahr dieses zugleich alte und neue Lehrfach aufgenommen wurde. Zur Gründung einer weltlichen Schule kam es nicht.

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Von Feuerwehrleuten, -wachen und -meldewesen

Bergedorfer Zeitung, 22. Dezember 1920

Die Polizeireform brachte es mit sich, dass Bergedorf eine ganze Reihe seiner Feuerwehrmänner verlor: die elf Bergedorfer Gemeindepolizisten (ohne die Hilfspolizisten) hatten im bezahlten Nebenamt Feuerwehrdienst versehen, doch ab dem 1. Januar 1921 sollten sie als staatliche Schutzmannschaft fungieren und nicht durch Nebentätigkeiten von ihren polizeilichen Aufgaben abgelenkt werden. Der Stadt Bergedorf fehlten damit zehn Feuerwehrmänner; nur der bisherige Feuerwehrchef, der Polizeiwachtmeister Sager, blieb im neu genehmigten (Neben-)Amt.

Welche Personalstärke die städtische Feuerwehr damals insgesamt aufwies, ist nicht bekannt; aus dem Artikel geht aber hervor, dass weitere Bergedorfer für Löscharbeiten zur Verfügung standen, und außerdem gab es die 1910 gegründete Freiwillige Feuerwehr Bergedorf – Sager würde im Brandfall nicht als einziger zum Einsatz kommen.

BZ, 22. Dezember 1920

Gesucht wurden Männer für die „schnelle Einsatzgruppe“: sie sollten also in der Nähe der Wache wohnen und im Hause tätig sein. Sie sollten auch per „noch festzusetzender Jahresvergütung“ und bei Einsätzen per „ausreichender stundenweiser Bezahlung“ entlohnt werden – ob sich bei derart offenen Konditionen geeignete Bewerber in ausreichender Zahl fanden, muss hier offen bleiben.

links im Bild der 1913 abgebrochene Trockenturm der Feuerwache an der Schlossstraße

Im Jahre 1895 war die Feuerwehr von der Schlossstraße in den eigens errichteten Neubau an der Brauerstraße eingezogen, direkt neben der Mädchenschule (auf der Karte 1904 als Nr. 15 angegeben), doch Hauptnutzer des Gebäudes waren das städtische Bauamt und die Polizei, zudem hatte Wachtmeister Sager hier seine Dienstwohnung. Das Haus wurde 1926 erheblich erweitert und mit einer einheitlichen Fassade versehen (siehe Bergedorfer Schloßkalender für 1928, S. 54). Als es für die spätere Berufsfeuerwehr Bergedorf zu klein wurde, zog diese 1991 weiter in einen Neubau am Sander Damm. In der Brauerstraße (mittlerweile Chrysanderstraße) fand dann die Freiwillige Feuerwehr Bergedorf ihr neues Quartier.

Die im Artikel genannte Feuermelde-Einrichtung war 1902 geschaffen worden (Schlosskalender, ebd.) – möglicherweise handelte es sich dabei um eine Art Feuertelegraph, der beim Betätigen durch ein spezielles Signal der Wache immerhin signalisierte, in welcher Gegend es brannte. Die Telefonnummer 120 für die Feuerwache tauchte erstmals im Verzeichnis der Teilnehmer an den Fernsprechnetzen im Oberpostdirektionsbezirk Hamburg, April 1906 auf.

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Die freiwillige Selbstbesteuerung für die produktive Erwerbslosenfürsorge

Bergedorfer Zeitung, 13. Dezember 1920

Bergedorfer Zeitung, 15. Dezember 1920

 

 

 

 

 

In Bergedorf und Sande war die volle Erwerbslosigkeit weiter gestiegen, die Unterstützungssätze waren niedrig, die Preise schossen in die Höhe, und viele Langzeit-Arbeitslose erhielten gar keine Unterstützung mehr (siehe hierzu Benita Stalmann). Das reichsweite Programm der produktiven Erwerbslosenfürsorge sollte dem entgegenwirken, doch Geld aus Berlin gab es nur, wenn sich auch der Staat (Hamburg resp. Preußen) und die Gemeinden finanziell beteiligten – und an letzterem haperte es: schon im April hatte der Direktor des Arbeitsamts Hamburg in einer Sitzung der Bürgerschaft erklärt, dass Bergedorf seinen Anteil nicht aufbringen könne (BZ vom 11. April)

Bergedorfer Zeitung, 17. Dezember 1920 (Auszug aus dem Plan Wiesners und Krells)

In dieser Situation taten sich die beiden Gemeinden zusammen. Sie wollten eine „freiwillige Selbstbesteuerung“ des Einkommens einführen: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und auch die übrige Bevölkerung sollten sich beteiligen. Nach den Vorstellungen des Bergedorfer Bürgermeisters sollten dann Arbeitslose Flächen an der Rothenhauschaussee und im Bruntschschen Park baureif machen, außerdem das Billeufer aufhöhen (siehe hierzu auch den Beitrag zum Schillerufer). Gemeindevorsteher Krell plante für Sande „eine Straßenverbindung …. nach der geplanten Siedlung Hinschendorf“ (BZ vom 17. Dezember).

Bergedorfer Zeitung, 18. Dezember 1920

In der Versammlung mit den Arbeitgebern stieß das Konzept auf Zustimmung. Einstimmig wurde eine Resolution beschlossen, dass die Anwesenden sich „eifrigst für die produktive Erwerbslosenfürsorge … sich betätigen wollen.“ “ (BZ vom 17. Dezember) Auch die am folgenden Abend durchgeführte Versammlung der Arbeitnehmer sprach sich dafür aus, aber nur mit Mehrheit, wobei die Kommunisten Seß und Boldt zu der Minderheit gehörten, die das Konzept ablehnte, da so „die Verbrüderung von Kapital und Arbeit eine immer innigere“ würde.

Die BZ hatte laut Schlussabsatz große Erwartungen an das Projekt: Sie erhoffte sich nicht nur eine Verbesserung der Lage der Arbeitslosen, sondern auch den „Wiederaufbau und Neuemporblühen unseres örtlichen Wirtschaftslebens“.

Bergedorfer Zeitung, 30. Dezember 1920

Aber nicht alle waren glücklich oder auch nur widerwillig einverstanden: bei einer Versammlung der städtischen Beamten und Angestellten gab es drei Gegenstimmen (BZ vom 16. Dezember). Die Lehrerschaft wollte sich gar nicht beteiligen: sie lag mit der Mehrheit von Magistrat und Bürgervertretung seit Monaten über Kreuz, weil den Bergedorfer Stadtschulen nicht dasselbe Maß an Selbstverwaltung wie den Schulen in Hamburg eingeräumt wurde – nun meinte sie ein Druckmittel zu haben. Und „wegen der großen Notlage der Beamtenschaft“ lehnten auch die Beamten von Post und Amtsgericht das Vorhaben rundweg ab.

Die „freiwillige Selbstbesteuerung“ sollte am 1. Januar 1921 beginnen. Das Thema wird also in diesem Blog eine Fortsetzung finden.

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Der Pulverpatriarch geht

Bergedorfer Zeitung, 20. Dezember 1920

Er war vom ersten Tag an der Chef gewesen: Carl Duttenhofer war als Generaldirektor der Pulverfabrik Düneberg der Verantwortliche für ihren Aufbau und ihren Aufstieg gewesen, machte Geschäfte mit dem Tod. Er erlebte die Stilllegung des Werks nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und schließlich die Umstellung auf „Friedensproduktion“. Nun ging er.

Die BZ war voll des Lobes über ihn, der übrigens in Bergedorf (Wentorfer Straße 66, siehe Adressbuch für die Landherrenschaft Bergedorf 1896) gewohnt hatte: ein wohlwollender, hilfsbereiter Herr, der jeden anhörte und bei dem jeder Unterstützung fand. Das allerdings war nur ein Teil der Wahrheit.

Im Sinne des Artikels kann man positiv sagen, dass im Raum Geesthacht durch die Pulverfabrik direkt und indirekt tausende Arbeitsplätze entstanden (die dann nach Kriegsende größtenteils wegfielen), und dass das Werk beträchtliche Summen für das Wohlergehen der Beschäftigten einsetzte: zum Beispiel konnten die Arbeiterinnen und Arbeiter der Pulverfabrik in den Kriegsjahren Extrarationen zu reduzierten Preisen in der firmeneigenen Konsumanstalt einkaufen (siehe den Beitrag zur Sonderversorgung der Industrie). Ein bei Gruber (S. 43-45) wiedergegebener Bericht der Fabrik über die geschaffenen Wohlfahrtseinrichtungen führt u.a. die Arbeitersiedlungen, „Speiseanstalten“, die Wasch- und Baderäume, die Gestellung von Arbeitskleidung und Fahrgeldvergütung als Leistungen an. All das klingt positiv und wohlwollend-hilfsbereit, aber es lag sicher ebenso im Interesse der Werksleitung, um eine möglichst reibungslose Produktion zu sichern. Diesem Zweck dürften, wenn auch weniger direkt, weitere Einrichtungen wie eine dreiklassige Schule, eine Kinderkrippe, Gottesdiensträume für die evangelische und die katholische Kirche sowie verschiedene Spenden gedient haben.

Andererseits: die Arbeit war gesundheitsschädlich und gefährlich; 1917 zahlte die Firma 160.619,50 Mark als Ausgleich an „in unverschuldeter Weise durch Betriebsunfall arbeitsunfähig“ gewordene Arbeiterinnen und Arbeiter (Gruber, S. 45), und auch tödliche Unfälle passierten (siehe den Beitrag Betriebsstörungen und tödliche Unfälle, auch Gruber, S. 30), über deren Zahl wegen der Zensur nur wenig in Erfahrung zu bringen war.

Nach einer biographischen Notiz zu Carl Duttenhofer auf den Internetseiten der Stadt Geesthacht war er ein „Sozialistenfresser“, der den Arbeitern verbot, Butterbrote in die Fabrik zu bringen, wenn sie in eine sozialdemokratische Zeitung eingeschlagen waren. Das entspricht durchaus dem Klischeebild eines patriarchalischen Industriellen des 19. Jahrhunderts.

Anlage vor dem Verwaltungsgebäude der Pulverfabrik (Foto Angelika Reinert, September 2020)

Auf der eben angeführten Internetseite heißt es auch, dass eine Büste Duttenhofers „heute an der Ecke Düneberger Straße/Am Moor“ steht. Sie stand ursprünglich vor dem Verwaltungsgebäude der Pulverfabrik in der heutigen Lichterfelder Straße, und dort befindet sich noch der Sockel mit Inschrift und den beiden umrahmenden Sitzbänken. Die Büste (ein Werk Prof. Lederers, BZ vom 31. Mai 1921) selbst wurde allerdings bereits vor einem Jahrzehnt gestohlen, wie die Bergedorfer Zeitung am 7. Dezember 2010 meldete.

Sockel der Büste Duttenhofers (Foto Angelika Reinert, September 1920)

Vielleicht spricht sich das ja auch bis in die Internetredaktion des Geesthachter Rathauses herum und führt zu einer Textänderung. Bei der Gelegenheit könnten auch die dort genannten Lebensdaten Carl Duttenhofers korrigiert werden: er lebte nicht 1872-1921, sondern von 1849 bis 1921, sonst wäre er ja als Fünfjähriger Generaldirektor geworden. Das (unerklärliche) Datum 1872 ist übrigens auch auf dem Büstensockel eingemeißelt, aber das wird wohl so bleiben.

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Sande entwaffnet

Die Meldung über Sande vom 10. Dezember klang durchaus beunruhigend – der Folgetag rückte alles zurecht und vermeldete Entwarnung:

Bergedorfer Zeitung, 10. Dezember 1920

Bergedorfer Zeitung, 11. Dezember 1920

 

 

 

 

Zur Erläuterung muss ein wenig Hintergrund beigesteuert werden: schon vor mehr als einem halben Jahr hatten die Entente-Mächte die Auflösung und Entwaffnung der in vielen Orten Deutschlands bestehenden Einwohnerwehren gefordert (BZ vom 9. April), und Anfang August beschloss der Reichstag ein Entwaffnungsgesetz (BZ vom 6. August), auf dessen Grundlage Senator Hense zum Hamburger „Entwaffnungskommissar“ ernannt wurde, der auch für Hamburgs „Umgegend“ zuständig war.

Bergedorfer Zeitung, 25. November 1920

Am 15. September hatte die Waffenabgabe auf den örtlichen Polizeistationen begonnen (BZ vom 9. und 14. September), und sie war durchaus ertragreich: bereits am ersten Tag wurden in Hamburg fünf Minenwerfer und 200 Militärgewehre abgeliefert (BZ vom 17. September). Ab dem 1. November war der Besitz derartiger Kriegsgeräte strafbar: es konnten bis zu zehn Jahren Zuchthaus verhängt werden. Ende des Monats erreichten die angeordneten Durchsuchungen also Bergedorf und Sande.

So kann man gut verstehen, dass der Leiter der Sander Einwohnerwehr Wert auf die oben wiedergegebene Klarstellung legte, damit er nicht in den Ruch kam, strafbar die Abgabe versäumt zu haben.

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Kunst zum Verschenken: die Weihnachtsausstellungen

Die Zeit des Schenkens rückte unerbittlich näher, und manch ein Bergedorfer bildender Künstler hoffte, durch den Verkauf eigener Werke auch selbst Weihnachtsgeschenke kaufen zu können. Ob das gelang, ist nicht bekannt.

Bergedorfer Zeitung, 13. Dezember 1920

Ernst Timm aus Ober-Billwärder hatte seine Ausstellung von Ölbildern, Aquarellen und Zeichnungen bereits am 1. Dezember eröffnet (Anzeige in der BZ vom 30. November) – nun verlängerte er bei erweiterten Öffnungszeiten, und auch im redaktionellen Teil wurde für ihn geworben: „Eine Anzahl dieser Bilder dürften (sic!) als Weihnachtsgeschenke geeignet sein“, schrieb die BZ am 4. Dezember, und in einer weiteren Kritik schrieb der Bergedorfer Frederic de Hase unter anderem, dass „um ein endgültiges Durchsetzen des Künstlers einem gewiß nicht bange zu sein braucht.“ (BZ vom 15. Dezember)

Bergedorfer Zeitung, 3. Dezember 1920

Hatte der nach de Hase „kraftvoll aufstrebende Künstler“ Timm den Weg der Einzelausstellung im Hotel Stadt Hamburg gewählt, so stellten andere gemeinschaftlich im Ausstellungspavillon am Bahnhof aus, den Hermann C. Witt Ende September mit Möbeln, Hausrat und Kunst eröffnet hatte (BZ vom 28. September). Die Künstler hatte Witt per Annonce im November angeworben (BZ vom 6. November).

Ansichtskarte von 1925: „Bergedorf. Blick vom Schleusengraben. Nach einer Federzeichnung von Max Lobusch.“

Von den sich beteiligenden Malern und Graphikern sind heutigen Bergedorfern die Namen Franz Liebisch und vor allem Max Lobusch vertraut (siehe die Kurzbiographien in Gerd Hoffmann/Bruno Hoeft, S. 156f.) – die anderen, Timm eingeschlossen, sind nahezu in Vergessenheit geraten: Anfragen im Museum für Bergedorf und die Vierlande und im Kultur- und Geschichtskontor Bergedorf ergaben totale Fehlanzeige: weder Namen noch Bilder sind in den Datenbanken verzeichnet, ebenso im Bergedorfer Personenlexikon.

Über Ernst Timm war in Erfahrung zu bringen, dass er 1921 (wie auch Karl Bohnsack, Zeichenlehrer an der Hansaschule) einen Kursus „Zeichnen und Malen im Freien“ leitete, der unter der Ägide der Fortbildungsschule der Allgemeinheit (gegen eine Gebühr von 48 Mark) offenstand (BZ vom 26. März 1921). Auch wurde zu einem Fest der Bergedorfer Turnerschaft von 1880 der Festsaal in Baumanns Gesellschaftshaus nach Entwürfen Timms ausgestattet (BZ vom 8. Juni 1921), und in einem frühen Lichtwarkheft (Sonderheft Nr. 2, 1950, S. 10-11) sind zwei eher traditionelle Vierländer Motive aus der Hand Timms abgebildet.

Bergedorfer Zeitung, 9. Dezember 1920

Nicht in Bergedorf dokumentiert, dennoch präsent, ist Martin Irwahn, der in Witts Pavillon eine „Sonderausstellung“ in einem separaten Raum hatte, für die er zusätzlich in einer eigenen Anzeige warb (BZ vom 7. Dezember). Über ihn hieß es in der Kritik von „E.H.“, dass er „kein unbedeutendes Schaffen vor sich haben“ werde, und diese Prognose war durchaus zutreffend, wie man den Angaben zu Irwahn bei Wikipedia entnehmen kann – aus Bergedorfer Sicht besonders nennenswert ist seine Tätigkeit in den frühen 1920er Jahren als Leiter der Malerei der Luxuskartonagenfabrik Max Armbruster, die u.a. handbemalte Bonbonnieren herstellte (Lichtwarkheft Nr. 52, Dezember 1988, S. 41-45).

Im Straßenbild Lohbrügges ist Irwahn mit mehreren Bronze-Skulpturen aus seinen späten Schaffensjahren vertreten, zum Beispiel:

Martin Irwahn: Lesender Knabe (1966), vor Ladenbeker Furtweg 14 (Aufnahme September 2020)

 

 

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Die geschlechtliche Aufklärung durch die Schule

Bergedorfer Zeitung, 7. Dezember 1920

„Die Stellung der Frauen zur Aufklärung über das Geschlechtsleben durch die Schule“, so der genaue Titel des Vortrags, schien die Bergedorferinnen nicht sehr zu interessieren, denn die Zahl der Zuhörerinnen war gering. (Am Rande bemerkt: nicht der Hausfrauenverein, sondern der Bergedorfer Frauenverein hatte zu diesem Abend eingeladen, wie aus der am 13. November in der BZ gedruckten Anzeige hervorgeht.)

Die Rednerin des Abends, Dr. Hedwig Leschke, war vermutlich die im Hamburger Adressbuch 1929 genannte Studienrätin – also  jemand mit Erfahrungen aus der schulischen Erziehungspraxis. Sie befürwortete ein mehrstufiges Wechselspiel bei der Aufklärung von Kindern: die Mutter sollte das „schöne Vorrecht“ haben, damit zu beginnen, die Schule sollte dies aufnehmen und Eltern sowie Lehrer sollten altersgemäß fortsetzen, Zeugung und Begattung eingeschlossen. „Neuland war es, in das wir geführt wurden“, schrieb die Berichterstatterin „-a“: mit Sexualität zusammenhängende Fragen waren zumindest gegenüber Kindern als Tabu behandelt, also eben nicht behandelt worden.

Bergedorfer Zeitung, 20. November 1920

Wenn es um Geschlechtsthemen ging, dann standen Geschlechtskrankheiten im Vordergrund; so auch bei dem Vortrag der Ärztin Dr. Marie Unna, die einige Wochen vorher beim Hausfrauen-Verein Bergedorf vor „zahlreichem Publikum“ referiert hatte; was genau sie mit „Aufklärung und Erziehung zu einfacheren Lebensformen“ meinte, ist unklar, ihre Warnung vor der „Volksgefahr“ der Geschlechtskrankheiten um so deutlicher.

Bergedorfer Zeitung, 25. November 1920

Es dürfte ein Zufall gewesen sein, dass in jenen Wochen auch das Drama „Die Schiffbrüchigen“ von Brieux in Bergedorf auf die Bühne des Colosseums gebracht wurde, das als Film schon 1918 im Hansa-Kino gezeigt worden war; siehe hierzu den Beitrag Die unbenannte Seuche.

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Der Bahnübergang, die Revolution und die Lungenkranken

Bergedorfer Zeitung, 2. Dezember 1920

Die Sperrung einer Fußgängerbrücke über die Gleise der Staatsbahn im Zentrum Bergedorfs war für den Leserbriefschreiber „So.“ eine Folge der Revolution, was doch ein wenig überrascht: könnte es nicht an unterbliebener Unterhaltung der Brücke während der Kriegsjahre gelegen haben?

Das Thema Bahnübergänge bewegte aber auf jeden Fall die Bergedorfer, denn die Schranken der Staatsbahn, die vor hundert Jahren ebenerdig durch Bergedorf fuhr, waren häufig geschlossen, was natürlich zu Verkehrsstaus führte. Fußgängern ging es besser: am Übergang Holstenstraße nordöstlich des Bahnhofs gab es für sie einen Tunnel (auf der Karte 1904 erkennbar), sodass man verzögerungsfrei von Bergedorf nach Sande und auch zurück kam. Am Bahnübergang Kampstraße/Kampchaussee südöstlich des Bahnhofs, also am Hauptweg zum bzw. vom Industriegebiet an der Kampchaussee (heute Kurt-A.-Körber-Chaussee) konnten Fußgänger eine Brücke über die Strecke nutzen, doch diese war wegen Baufälligkeit seit vielen Wochen gesperrt, und so blieb nur das lange Warten an der Schranke. Ob der Schrankenwärter die Schranken hätte häufiger öffnen dürfen, ist nicht zu klären.

Den Sprechsaal-Autor störte aber nicht nur der Zeitverlust, er machte auch Gesundheitsgründe geltend und verwies auf das „große Kinderelend“ und darauf, dass es „auch hier in Bergedorf … nicht an Lungenkranken“ fehle. Dieser Hinweis auf Lungenkranke war vielleicht allgemeiner Natur, aber bezogen auf diesen Ort von besonderer Relevanz, denn am Anfang der Kampchaussee, also ganz in der Nähe, lagen die Kap-Asbest-Werke mit ihrer lungenschädigenden Produktion.

Bergedorfer Zeitung, 13. Dezember 1920

Die Bahn ließ sich mit der Entscheidung, ob es eine Reparatur der Brücke geben würde, jedenfalls Zeit, wie aus diesem Auszug aus einer Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung hervorgeht.

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Von Fischkörben und -dieben

Bergedorfer Zeitung, 29. November 1920

Karl Holster aus Kirchwärder-Howe wehrte sich per Annonce dagegen, dass sein Kahn ohne seine Genehmigung „zum Hamstern oder zu sonstigen Zwecken“ ausgeliehen wurde, denn er befürchtete „polizeiliche Unannehmlichkeiten“.

Bergedorfer Zeitung, 27. November 1920

Wahrscheinlich muss man Holsters Annonce im Zusammenhang mit der Meldung vom vorangegangenen Sonnabend lesen: ein kleines Stück stromab von der Howe waren mehrfach in der Elbe aufgestellte Fischkörbe „ihres Inhalts beraubt“ worden, woraufhin die Fischkorb-Eigner eine Nachtwache aufstellten, der es gelang, die Übeltäter, die „in einem Kahn angefahren kamen“, zu erwischen.

Es ist nicht sicher, ob die Gebrüder E. den Holsterschen Kahn benutzt hatten, aber es spricht einiges dafür – jedenfalls sah er sich zu der oben wiedergegebenen Mahnung veranlasst. Er hätte natürlich auch sein Boot gegen Fremdnutzer sichern können: das war während der Kriegsjahre sogar vorgeschrieben, wie im Beitrag über den Schleichhandel zu Wasser geschildert wurde.

Es wurde also Elbfischerei betrieben, was sogar Diebe anzog. Welche Fische damals in den Fischkörben landeten, ist nicht bekannt. Die fischreiche Elbe hatte jedenfalls schon einiges an Arten eingebüßt, wie Ernst Finder in seiner ausführlichen historischen Schilderung der Elbfischerei in den Vierlanden (S. 181-186) vor knapp einhundert Jahren (1922) schrieb: „Jetzt wird der Stör, der wie der Lachs den verschmutzten Hamburger Hafen meidet und auch nur vereinzelt noch die Süderelbe stromauf zieht, selten gefangen.“ Stör und Lachs verschwanden in den folgenden Jahrzehnten vollends. Ob die aktuellen Programme zur Wiederansiedlung trotz zeitweiliger Sperrung der Fischtreppe bei Geesthacht (im Jahr 2020) erfolgreich sein werden, muss sich zeigen.

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Die nicht gefeierte Eröffnung der Hamburger Marschbahn

Bergedorfer Zeitung, 30. November 1920

Eine Einweihungsfeier zur Betriebsaufnahme der Hamburger Marschbahn gab es nicht – das könnte daran gelegen haben, dass nur Güterzüge mit Sand, Mist und Torf fuhren. Es konnten also keine Honoratioren mitfahren, und feierliche Reden im Odeur eines Mistwagens schienen auch nicht angebracht.

Die offizielle Einweihung erfolgte erst am 12. Mai 1921, wie u.a. bei Olaf Krüger (S. 124) zu lesen ist, denn da wurde der Personenverkehr aufgenommen. Insofern ist der Beitrag zur Hamburger Marschbahn, der auf Krügers Darstellung aufbaute, zu korrigieren.

„Fast täglich“ brachte die Bahn Güter, was der Verfasser der Notiz als „recht regen“ Verkehr empfand, aber (nur) ein Güterzug pro Tag wird kaum wirtschaftlich zu betreiben gewesen sein. Doch die Lieferungen waren in den Vierlanden hochbegehrt: der Sand (vielleicht aus der Gegend um Besenhorst oder vom Gojenberg) diente der Bodenauflockerung für den Gemüsebau, Torf (vielleicht aus den Abbaugebieten zwischen Escheburg und Geesthacht) wurde als Brennstoff eingesetzt, und über „importierten“ Mist und eventuell andere Düngemittel freuten sich Landwirtschaft und Gartenbau sowieso. Die Forderung nach „Brückenwagen“ (heutige Schreibung: Brückenwaagen) erklärt sich daraus, dass diese Massengüter vor allem nach Gewicht gehandelt wurden.

Die „Ausfuhr“ per Marschbahn war sehr viel geringer: „ein Wagen mit Heu“. Das kann nicht überraschen, denn die Bahn fuhr ja nicht in die Millionenstadt Hamburg, sondern nur zwischen Geesthacht und Fünfhausen, sodass es nur wenige potentielle Abnehmer für Wagenladungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse an der Strecke gab.

Der zügige Weiterbau der Strecke über Ochsenwärder nach Billbrook wurde vor allem aus den Marschlanden immer wieder gefordert (siehe z.B. BZ vom 15. Juni und 14., 21. sowie 25. September). Der Autor „B., Tatenberg“ stellte in einem Sprechsaal-Beitrag die Fragen: „Was ist damit erreicht …, den Schwanz der Bahn zu bauen und den Kopf unvollendet zu lassen? … Wo bleibt der eigentliche Vorteil, den die Hamburger durch die schnelle Herbeischaffung von frischem Gemüse erhofften, das doch vorwiegend aus der Gegend von Ochsenwärder kommt?“ (BZ vom 9. Oktober) Der Verfasser war übrigens nicht der Hofbesitzer und ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete Henry Bieber, ebenfalls aus Tatenberg; dieser wies die Argumentation in einer Sprechsaal-Replik angesichts der „traurigen finanziellen Lage unseres Staates“ zurück: der Staat sei „zu allergrößter Sparsamkeit“ gezwungen, und der Weiterbau gehöre nicht zu seinen „allerdringlichsten Aufgaben“, wichtiger sei die künstliche Entwässerung des Gebiets (BZ vom 18. Oktober), worin sich wohl das Hauptproblem seiner Flächen spiegelte.

 

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