Die Deutsche Turnerschaft: auf Abgrenzung bedacht

Fußball raus aus den Turnvereinen – das war (salopp gesagt) 1923 das Ziel der Verbandsspitzen der Deutschen Turnerschaft (DT) gewesen: die Fußballabteilungen der Turnvereine sollten ausgegliedert werden und andere Namen erhalten als die Muttervereine (BZ vom 1. Juni 1923). In Bergedorf war vor allem die Bergedorfer Turnerschaft von 1860 betroffen. Ihr ging eine Reihe von Mitgliedern verloren, denen das Fußballspielen wichtiger war als das Turnen (BZ vom 23. September 1924): sie gründeten den „Bergedorfer Fußballklub von 1923“ (BZ vom 26. Oktober 1923), der sich aber nach kurzer Zeit wieder auflöste (BZ vom 12. Januar 1924), denn die Turnfunktionäre machten eine halbe Rolle rückwärts: sie etablierten den „Fußball in der Deutschen Turnerschaft“, also in eigener Verbands- und Funktionärshoheit, und grenzten sich damit vom Norddeutschen Fußball-Verband ab.

Bergedorfer Zeitung, 26. Oktober 1923

BZ, 10. November 1923

 

 

 

 

 

1920 hatte noch der Sport im Vordergrund gestanden: da hatte es eine aus Turnern (vom MTV und von BT 80) und Sportlern (Spiel und Sport Bergedorf) gebildete Bergedorfer Stadtmannschaft gegeben, die zu einem „Städtespiel“ gegen Harburg antrat, das dann wegen Unbespielbarkeit des Platzes beim Stand von 2:1 für Harburg abgebrochen wurde (BZ vom 12. Januar 1920).

Bergedorfer Zeitung, 28. April 1924

Der Bericht über das „Gesellschaftsspiel“ der BT 60 bei Gut Heil Geesthacht wurde vermutlich von einem Turner-Fußballer verfasst, der das fußballerische Spielniveau lobte, doch in den Turnvereinen gab es weiterhin Gegner des Balltretens: sie propagierten Handball, das „in der D.T. eifrig gepflegte deutsche Turnspiel“, auch dieses im eigenen Verband unter dem Dach der Deutschen Turnerschaft (BZ vom 21. Juni 1924). Man schuf sich seinen eigenen Kosmos, denn ebenso wurden Volkstänze, Schwimmen (BZ vom 5. Juli 1924) und die herablassend benannten „volkstümlichen Übungen“ im eigenen Verband praktiziert (der Norddeutsche Fußball-Verband bezeichnete die „volkstümlichen Übungen“ übrigens als Leichtathletik).

Für die Verbands- und Vereinsspitzen der Turner schien die sportliche Betätigung vor allem der Charakterbildung und dem Vaterland dienen zu sollen: in einer Rede betonte der Vorsitzende der BT 60, Otte, dass die Seele der deutschen Turnerschaft „tätiger Gemeinsinn sei, die Willenskraft und Tatenfreude, Hingabe, Aufopferung und sittlichen Ernst zum Wohle des deutschen Volkes und Vaterlandes wecke und fördere.“ (BZ vom 23. September 1924) So grenzte man sich ab, stand aber sportlich im Abseits.

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Erfolgreiche Kleingärtner- und Bauernproteste

Bergedorfer Zeitung, 16. April 1924

Der (damals einzige) Schrebergartenverein für Bergedorf und Sande rief zum Protest auf: „die von den Behörden festgesetzten Pachthöchstpreise“ seien zu hoch. Nicht nur die Schrebergärtner waren davon betroffen, sondern auch die „Kleinpächter“, die auf weniger als fünf Hektar Land wirtschafteten und von den Erträgen ihren Lebensunterhalt ganz oder großenteils bestritten. Die Pachthöhe wurde wesentlich beeinflusst von der Höhe der Grundsteuer, die die Verpächter von Land an ihre Pächter „durchreichten“.

Bergedorfer Zeitung, 19. April 1924

Der Redner des Protestabends kam aus Hamburg, es war der Behördenmitarbeiter Gartenbauinspektor Rosenbaum, und er fand, dass der in Stormarn geforderte Pachtpreis zu hoch sei: Maßstab dürfe nicht die Lage des Grundstücks sein, sondern der (gärtnerische) Ertragswert. Erst wenn das Grundstück zu Bauland geworden sei, dürfe es höher bewertet und mit einer höheren Grundsteuer belegt werden. Damit orientierte sich Rosenbaum an den Vorstellungen der Bodenreformer, deren Ziel es war, durch Gewinnabschöpfung Bodenspekulation zu unterbinden, und in diesem Sinne wurde auch die Protestresolution beschlossen.

In Preußen wie in Hamburg ging es der Politik aber nicht um Bodenreform, sondern um Staatsfinanzen: deswegen war die Grundsteuer ja gerade erhöht worden. In Hamburg galten nun alle unbebauten Grundstücke als Bauland und wurden hoch besteuert (BZ vom 22. Januar), für Scheunen und Ställe galten dieselben Steuersätze wie für Wohngebäude, kurz: die Steuern für die Landwirte seien so hoch, „daß der Bauer bald den ganzen Gaul dem Finanzamt bringen und dann stempeln gehen könne“, wie es ein Bauernfunktionär in einer Versammlung des „Landrings“ formulierte (BZ vom 4. und 11. Februar).

Doch als die Schreber in Sande protestierten, zeichnete sich in Preußen und Hamburg bereits eine Entspannung durch Steuersenkung ab, und das dürfte auch die geringe Teilnehmerzahl im Holsteinischen Hof erklären. In Hamburg verhandelte eine Kommission aus den Landgemeinden (u.a. mit Kirchwärders Gemeindevorsitzendem Heinrich Grube) mit dem Staat und zeigte sich anschließend zufrieden: Es „findet durchweg eine sehr erhebliche Ermäßigung der Grundsteuer statt, die von den mitwirkenden Vertretern des Landgebietes auch als tragbar angesehen wurde. Sämtlichen Grundbesitzern wird eine berichtigte Grundsteuerrechnung in nächster Zeit zugehen.“ (BZ vom 22. April)

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Die Wettervorhersage und die Motorfräse

Bergedorfer Zeitung, 8. April 1924

Im Frühjahr 1924 führte die BZ eine Neuerung ein: bis dahin hatte es nur eine knappe Wettervoraussage für den nächsten Tag gegeben – nun (ab dem 27. März) wurde dem Wetter regelmäßig mehr Platz eingeräumt: die Leser und Leserinnen konnten von da an mittels der Wetterkarte der Deutschen Seewarte auf das Wetter in z.B. Island und Ancona zurückschauen oder sich aus der textlichen „Übersicht“ zeitnäher über Vergangenes informieren. Die zweimalige Nennung Islands hier dürfte eher Verwirrung gestiftet haben, aber laut Wetterkarte war am 7. April in Island Schnee gefallen, und am 8. April waren „kalte Luftmassen … südostwärts vorgestoßen“. Das stand also fest. Für den 9. April (soweit lesbar) wurden im Verbreitungsgebiet der BZ „vereinzelte leichte Niederschläge“ erwartet; die Voraussage für den 10. April lautete u.a. „einzelne meist leichtere Regenfälle“ bei kühlen Temperaturen (BZ vom 9. April).

„April! April! Der weiß nicht, was er will.“ So charakterisierte der mecklenburgische Dichter Heinrich Seidel (1842 – 1906) die Kapriolen des Wetters in jenem Monat: mal Sonne, mal Regen, und: „Oh weh! Oh weh! Nun kommt er gar mit Schnee!“

Schlagzeile des Lokalteils der Bergedorfer Zeitung, 10. April 1924

Bergedorfer Zeitung, 10. April 1924

Das prognostizierte klein bisschen Regen wandelte sich zu einem „äußerst heftigen Schneetreiben“, der nasse Schnee blieb so dick auf den Strom- und Telefonleitungen liegen, dass die Drähte rissen und Masten sich umlegten: Bergedorfs Stromverbraucher, darunter das Eisenwerk und die Bergedorfer Zeitung, waren lahmgelegt, doch am nächsten Tag konnten die Maschinen wieder laufen und die BZ wurde nachgeliefert.

Bergedorfer Zeitung, 22. April 1924

Eine andere Maschine, angetrieben von einem Benzinmotor, konnte in jenen Tagen auch nicht wie geplant eingesetzt werden: die Vorführungen einer Gartenfräse, die u.a. für den 10. April geplant waren, mussten (wohl wegen des schneebedeckten oder aufgeweichten Bodens) um fast zwei Wochen verschoben werden. Berichte über den Erfolg des arbeitssparenden Geräts waren der BZ nicht zu entnehmen, doch es gibt online ausführliche Informationen zur Geschichte der Siemens-Bodenfräsen und Abbildungen dazu; man kann allerdings vermuten, dass es nur für leichtere Böden im Gemüsebau geeignet war – aber die Mechanisierung der Landwirtschaft schritt weiter voran.

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Die Kreuzotter: von der Vertilgung zur Ehrung als Reptil des Jahres

Bergedorfer Zeitung, 14, April 1924

Ob es 1924 in der Landherrenschaft Bergedorf „professionelle“ Jäger von Kreuzottern gab, ist nicht bekannt, aber wer zufällig auf eine „hamburgische“ Kreuzotter stieß und ein geeignetes Instrument bei sich hatte, der wird wohl der Giftschlange nach dem Leben getrachtet haben: 50 Goldpfennig als Prämie waren für die meisten Menschen nicht zu verachten.

Bergedorfer Zeitung, 9. Mai 1924

Preußen war da weniger spendabel und zahlte lediglich 10 Goldpfennig, wobei die staatlichen Forsten vom Jagdgebiet ausgenommen waren. Ob diese Differenz der Prämien dazu führte, dass es zu einer illegalen Ablieferung getöteter preußischer Schlangen in Hamburg (und vermutlich durch Einwohner Hamburgs) kam, ist nicht erforscht.

Die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde e. V. hat die Kreuzotter, deren Bestand in Deutschland „stark gefährdet“ ist, zum „Reptil des Jahres 2024“ erkoren. Man kann aber davon ausgehen, dass die Schlange den für die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts nachgewiesenen „Kreuzotter-Vertilgungsverein“ in  Königsberg  (Pr.). (siehe: Der Zoologische Garten, 40. Jg. 1899, S. 126) überlebt hat.

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Ohrenarzt und Wohnungsamt

Bergedorfer Zeitung, 10. April 1924

„Ich bin der felsenfesten Überzeugung, daß, wenn eines der Mitglieder der Wohnungskommission plötzlich nachts eine akute Mittelohrentzündung bekäme, daß ich anderen tags in Bgd eine Wohnung erhielte – ganz nach meinem Geschmack!“ So beschwerte sich Bergedorfs neuer HNO-Facharzt im Sprechsaal der BZ über das Wohnungsamt (BZ vom 17. April). Trotz einjähriger Bemühungen hatte er in Bergedorf weder eine eigene Wohnung erhalten noch eigene Praxisräume gefunden, seine Patienten behandelte er in der ihm stundenweise überlassenen Praxis eines anderen Arztes (ebd.).

Zwei seiner Patienten hatten zuvor den Sprechsaal genutzt, um sich zu beklagen und um das Wohnungsamt aufzufordern, dem neuen Arzt die benötigten Räumlichkeiten zuzuweisen: mit Wohnung in Bergedorf könne er seine Sprechzeiten ausweiten und damit die „im Wartezimmer geradezu unglaublichen Zustände“, dass viele Patienten wegen Überfüllung stehen müssten, beenden (BZ vom 12., 14. und 16. April).

Das Wohnungsamt zeigte sich, ebenfalls im Sprechsaal, ungerührt (siehe Ausschnitt links unterhalb): die Zustände seien unbekannt, und sollte es sie wirklich geben, sei das nicht zu ändern gewesen. Ein paar Tage später (siehe Ausschnitt rechts unterhalb) warf das Amt Nebelkerzen: man hatte beim Umzug des Finanzamts Bergedorfer „an anderer Stelle“, d.h. in Hamburg, unterbringen können; ihre bisherigen Wohnungen wurden vertragsgemäß auswärtigen Finanzbeamten zur Verfügung gestellt (siehe den Beitrag Das Finanzamt im Kurhaus), wodurch eben keine Linderung der Wohnungsnot eintrat.

Bergedorfer Zeitung, 12. April 1924

Bergedorfer Zeitung, 17. April 1924

 

 

 

 

 

 

Bergedorfer Zeitung, 22. April 1924 (Auszug aus der Stellungnahme des Wohnungsamts)

Eine weitere Stellungnahme des Amtes folgte nach dem Sprechsaal-Artikel des Arztes, aus dem eingangs zitiert wurde, und in dem es u.a. auch hieß, dass er gern eine freigewordene Wohnung in der Ernst-Mantius-Straße übernommen hätte, doch diese sei an „ein alleinstehendes Ehepaar“ vergeben worden. Das wies das Amt zurück, doch ist die Darlegung eher verschwurbelt als verständlich: eine aus drei Personen bestehende Familie erhielt eine Wohnung und machte dadurch zwei Wohnungen frei, wodurch wiederum vier Wohnungen belegt werden konnten.

Bergedorfer Zeitung, 29. Juli 1924

Nach einigen Monaten wendete sich dann doch alles zum Guten: im zweiten Obergeschoss eines Hauses in Bahnhofsnähe wurde am 1. August die Praxis (mit erweiterten Sprechzeiten) eröffnet, und spätestens ab Ende 1924 wohnte Dr. Böwing-Treuding in der Brauerstraße, wie sich aus dem Amtlichen Fernsprechbuch für den Bereich der Oberpostdirektion Hamburg 1925 ergibt.

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Deutschvölkische Töne

Bergedorfer Zeitung, 1. April 1924

Für den unbedarften Leser klang diese Ankündigung eines „Deutschen Abends“ im Colosseum, Bergedorfs größtem Saal, wohl nicht besonders aufregend: ein Vortrag, eine Theateraufführung, musikalische Darbietungen.

 

Bergedorfer Zeitung, 1. April 1924

Schaut man allerdings genauer hin und auch auf die Anzeige auf der letzten Seite des Blattes, ergibt sich ein anderes Bild: die „Vaterländischen Verbände“ als Sammelbecken der antirepublikanischen Rechten hatten engste Verbindungen auch zu den Nationalsozialisten (siehe hierzu den Aufsatz von James M. Diehl und das Online-„Geschichtsbuch Hamburg“) – Hauptzweck der Organisation war sicher nicht die Unterhaltung eines Orchesters.

Die „Festleitung“ hatte J. Kaiser aus Curslack inne, der kurz zuvor die Aktivitäten des örtlichen Jung-Schlageter-Bundes gelenkt hatte, auch der Redner Herbert Volck (Näheres bei Wikipedia) war in Bergedorf kein Unbekannter: er hatte mehrere Veranstaltungen seines „Huttenbundes“ in Neuengamme und Allermöhe durchgeführt (BZ vom 6. und 18. Februar sowie 11. März). Der Berichterstatter der BZ kannte ihn nicht, als er sich in einer Wahlkampfveranstaltung der Bergedorfer „Bürgerliste“ zu Wort meldete (und schrieb seinen Namen falsch), entnahm seinem Wortbeitrag aber, dass er „anscheinend ein Anhänger der deutschvölkischen Richtung“ war. Anderen Gästen der Veranstaltung, laut BZ  Sozialdemokraten, war der frühere Freikorps-Offizier offenbar bekannt: sie empfingen ihn mit Geheul, unterbrachen ihn mit Zwischenrufen wie „Schinder! Blutsauger!“ und erzwangen letztlich den Abbruch der ganzen Veranstaltung (BZ vom 28.Februar). (Angemerkt sei, dass die BZ das Verhalten der SPD-Anhänger „als nackten Terror“ bezeichnete, die rechtsradikalen Worte Volcks aber nicht kommentierte.)

Volck tauchte zwar 1924 nach dem „Deutschen Abend“ in Bergedorf und Umgebung nicht wieder auf, aber seine Vorstellungen blieben – sie wurden dann von anderen propagiert. Über eine Veranstaltung mit Volck (in Blankenese) berichtete das Hamburger Echo am 13. April 1924.

 

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Streik und Streikbrecher in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 1. April 1924

Acht Stunden sind genug, meinten die Arbeiter der Güterabfertigung auf dem Bahnhof der Reichsbahn in Bergedorf, und verweigerten die neunte Stunde – die Bahn berief sich auf die Ende 1923 eingeführte allgemeine Verlängerung der Arbeitszeit (siehe den Beitrag zur Arbeitszeitverlängerung) auf neun Stunden täglich und sprach von Vertragsbruch.

Bergedorfer Zeitung, 3. April 1924

Bergedorfer Zeitung, 7. April 1924

Die Bahn beließ es nicht bei Worten: in Bergedorf wie in anderen Streikorten entließ sie alle Bahnarbeiter und kündigte den Einsatz der Technischen Nothilfe an. Diese übernahm schon am nächsten Nachmittag den Bergedorfer Güterbahnhof  (BZ vom 4. April), konnte aber den Ausfall der regulären Beschäftigten nicht kompensieren und forderte deshalb weitere Verstärkung an – ob die Bergedorfer in der Güterabfertigung oder in der Bahnmeisterei ihren Streikbrecherdienst verrichteten, ließ sich nicht klären. Der Güterverkehr stockte jedenfalls erheblich; zeitweise gab es Annahmesperren (BZ vom 7. April), und nachdem der Tarifkonflikt beigelegt worden war (BZ vom 10. und 11. April), dauerte es noch eine Woche, bis alle Beschränkungen aufgehoben waren (BZ vom 17. April).

Bergedorfer Zeitung, 1. August 1924

Im Sommer gab es für die Ortsgruppe Bergedorf der Technischen Nothilfe dann einen Probealarm, bei dem der „Führer der Ortsgruppe“ (leider kein Name genannt) das Einsatzspektrum der Organisation schilderte: an erster Stelle nannte er „Notarbeiten in lebenswichtigen Betrieben“, worunter man wohl die Streikbrechereinsätze zu verstehen hat. Die weiteren genannten Aufgaben beim Schutz vor und bei der Bewältigung von Katastrophen nimmt heute die Nachfolgeorganisation Technisches Hilfswerk wahr.

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Rundfunksender Bergedorf

Bergedorfer Wasserturm, undatierte Aufnahme, wohl vor 1930

Bergedorfer Zeitung, 31. März 1924

Hamburgs Pech war Bergedorfs Glück: die BZ meldete, dass es aus einer Reihe technischer Gründe in der Großstadt selbst keinen geeigneten Standort für einen Rundfunk-sender gab, wohl aber in der Kleinstadt Bergedorf: hier war es ruhig, es gab keine Störquellen, und die Nutzung des hochgelegenen Wasserturms (Nr. 26 auf der  Karte 1904) zur Antennenbefestigung sparte sicher auch Kosten.

Nicht nur die Sendeanlage sollte nach Bergedorf kommen, sondern alle mit einer Rundfunkanstalt verbundenen Einrichtungen wie Senderaum und Konzerträume, was den Bau entsprechender „Gebäulichkeiten“ erforderte. „Radio Bergedorf“ würde damit „schon in der nächsten Zeit in der Reihe der großen Radiozentralen einen ersten Platz“ einnehmen, vielleicht London oder Paris vergleichbar.

Der Baubeginn stand unmittelbar bevor, das Material für die Antennen war bereits in der Stadt eingetroffen – doch dann meldete das Blatt: „Es ist … schade, daß die Fertigstellung unseres Bergedorfer Rundfunksenders am Wasserturm bis zum 1. April nächsten Jahres hinausgeschoben werden mußte.“ (BZ vom 5. April) Daraus wurde aber genausowenig wie aus dem Projekt des Bunten Bergedorf vom 1. April 1923.

Der Sender siedelte sich in Hamburg an. Die Nordische Rundfunk-Aktiengesellschaft, kurz Norag, nahm am 2. Mai 1924 ihren Sendebetrieb im damaligen Hauptfernsprechamt in der Schlüterstraße auf, worüber die Hamburger Nachrichten am selben Tag schrieben: „Im Parterre befindet sich der schallsichere Aufnahmeraum, in den oberen Stockwerken der Maschinen- und Senderaum und auf dem Gebäude zwischen zwei 28 Meter langen Stangen der Verteiler.“ Die Leistung des Mittelwellensenders betrug 0,7 kW; es gab 896 angemeldete Hörer und vermutlich sehr viel mehr Schwarzhörer – eine knappe Darstellung der Anfangsphase der Norag gibt es online beim Hans-Bredow-Institut, beim  NDR auch ein Audio dazu.

Abgesehen von einer kurzen Existenz eines kommerziellen Senders „Bergedorf Radio“ in den 1980er Jahren konnte sich der Rundfunk in Bergedorf nur auf Seiten der Hörer etablieren. Das werbefreie Hamburger Lokalradio hat seit 1998 sein Sendestudio in Lohbrügge, wird aber von Hamburg aus verbreitet.

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Die schrumpfenden Lehrerkollegien

Bergedorfer Zeitung, 29. März 1924

Es gab mehr Platz in den Lehrerzimmern – in den Klassen wurde es meist enger: zahlreiche Lehrer mussten zum 1. April aufgrund der Verordnung über den Personalabbau den Schuldienst verlassen (siehe auch den Beitrag zu den Entlassungen): sieben Lehrer der Hansa-Schule in Bergedorf schieden aus; drei wurden aus Hamburg nach Bergedorf versetzt. Die verbliebenen Lehrkräfte mussten mehr Unterricht geben, z.T. für zusammengelegte Klassen, und es durften nur zwei statt der nach den Anmeldezahlen erforderlichen drei Realquinten eingerichtet werden (hierzu und zum Folgenden Ferdinand Ohly, S. 57ff.).

Den anderen Schulen erging es nicht besser; an den vier Stadtschulen wurden sechs Lehrkräfte in den (einstweiligen) Ruhestand und fünf nach Hamburg versetzt; die Luisenschule verlor drei durch Versetzung, eine durch Pensionierung, und eine Lehrerin „schied als verheiratete Lehrerin aus“ (BZ vom 31. März) – wenn ihr Ehemann ein „ausreichendes“ Einkommen hatte, bekam sie nicht einmal eine Rente oder Pension, wie sich aus einem vergleichbaren Fall in Sande ergab; dort hieß es zum „Abbau“ der Lehrerin Brüdt: „Weil ihre wirtschaftliche Lage durch die Heirat gesichert ist, ist der Staat nach den gesetzlichen Bestimmungen zu keiner Gegenleistung verpflichtet.“ (BZ vom 2. Mai)

BZ, 28. Februar 1924

BZ, 26. April 1924

Die Entlassungen trafen junge Kräfte, aber auch langjährige Oberlehrer, die „zur Disposition“ gestellt wurden – ob sie die Einkommenseinbußen durch Privatunterricht (Nachhilfe) kompensieren konnten, ist fraglich.

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Das Kirchenjubiläum in Sande

Bergedorfer Zeitung, 18. März 1924

Die Erlöserkirche 1899

Als sie 1899 fertig gebaut war, prägte sie das Ortsbild Sandes: die Erlöserkirche (siehe die Abbildung im Beitrag Die Ferienkolonie in den Sander Tannen). In den folgenden Jahrzehnten näherte sich von der Hamburger Landstraße (heute: Lohbrügger Landstraße) her die zunehmende Bebauung des Orts, wodurch die Kirche ihre Randlage verlor.

Der Einweihungsgottesdienst hatte am 19. März 1899 stattgefunden – am Sonntag, dem 23. März 1924 hätte man dies Jubiläum mit „einer kirchlichen Feier größeren Stils“ feiern können, doch sie unterblieb vorerst. Den Verantwortlichen war nicht nach Jubeln zumute, denn zwei der drei Glocken waren zu Kriegszwecken beschlagnahmt worden, ebenso die Prospektpfeifen der Orgel, sodass der klangliche Teil der Feier sehr schlicht geraten wäre.

BZ, 21. März 1924

Folglich beschränkte man sich auf einen „normalen“ Gottesdienst mit Abendmahl. Der Hinweis, dass die Kirche geheizt sein würde, war auch in den Vorwochen erschienen, aber ein Jahr zuvor war der Regelfall die ungeheizte Kirche, und es bedurfte eines Wohltätigkeitskonzerts, um zumindest für die Konfirmationssonntage Kohlen kaufen zu können (siehe den Beitrag Not vs. Luxus).

 

Bergedorfer Zeitung, 24. März 1924

Wie 1899 bei der Einweihung hielt am Jubiläumssonntag 1924 der Gemeindegeistliche Pastor Marnitz die Predigt, 1924 über Jesu Wort „Welchem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern“ – vermutlich auch in diesem Sinne wurde in der Kirche „von nun an“ eine Sammelbüchse „zur Aufnahme von Gaben zur Wiederherstellung des Glockengeläuts und der Orgel“ aufgestellt, um doch noch „in größerem Stil“ feiern zu können.

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