Die Kreuzotter: von der Vertilgung zur Ehrung als Reptil des Jahres

Bergedorfer Zeitung, 14, April 1924

Ob es 1924 in der Landherrenschaft Bergedorf „professionelle“ Jäger von Kreuzottern gab, ist nicht bekannt, aber wer zufällig auf eine „hamburgische“ Kreuzotter stieß und ein geeignetes Instrument bei sich hatte, der wird wohl der Giftschlange nach dem Leben getrachtet haben: 50 Goldpfennig als Prämie waren für die meisten Menschen nicht zu verachten.

Bergedorfer Zeitung, 9. Mai 1924

Preußen war da weniger spendabel und zahlte lediglich 10 Goldpfennig, wobei die staatlichen Forsten vom Jagdgebiet ausgenommen waren. Ob diese Differenz der Prämien dazu führte, dass es zu einer illegalen Ablieferung getöteter preußischer Schlangen in Hamburg (und vermutlich durch Einwohner Hamburgs) kam, ist nicht erforscht.

Die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde e. V. hat die Kreuzotter, deren Bestand in Deutschland „stark gefährdet“ ist, zum „Reptil des Jahres 2024“ erkoren. Man kann aber davon ausgehen, dass die Schlange den für die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts nachgewiesenen „Kreuzotter-Vertilgungsverein“ in  Königsberg  (Pr.). (siehe: Der Zoologische Garten, 40. Jg. 1899, S. 126) überlebt hat.

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Ohrenarzt und Wohnungsamt

Bergedorfer Zeitung, 10. April 1924

„Ich bin der felsenfesten Überzeugung, daß, wenn eines der Mitglieder der Wohnungskommission plötzlich nachts eine akute Mittelohrentzündung bekäme, daß ich anderen tags in Bgd eine Wohnung erhielte – ganz nach meinem Geschmack!“ So beschwerte sich Bergedorfs neuer HNO-Facharzt im Sprechsaal der BZ über das Wohnungsamt (BZ vom 17. April). Trotz einjähriger Bemühungen hatte er in Bergedorf weder eine eigene Wohnung erhalten noch eigene Praxisräume gefunden, seine Patienten behandelte er in der ihm stundenweise überlassenen Praxis eines anderen Arztes (ebd.).

Zwei seiner Patienten hatten zuvor den Sprechsaal genutzt, um sich zu beklagen und um das Wohnungsamt aufzufordern, dem neuen Arzt die benötigten Räumlichkeiten zuzuweisen: mit Wohnung in Bergedorf könne er seine Sprechzeiten ausweiten und damit die „im Wartezimmer geradezu unglaublichen Zustände“, dass viele Patienten wegen Überfüllung stehen müssten, beenden (BZ vom 12., 14. und 16. April).

Das Wohnungsamt zeigte sich, ebenfalls im Sprechsaal, ungerührt (siehe Ausschnitt links unterhalb): die Zustände seien unbekannt, und sollte es sie wirklich geben, sei das nicht zu ändern gewesen. Ein paar Tage später (siehe Ausschnitt rechts unterhalb) warf das Amt Nebelkerzen: man hatte beim Umzug des Finanzamts Bergedorfer „an anderer Stelle“, d.h. in Hamburg, unterbringen können; ihre bisherigen Wohnungen wurden vertragsgemäß auswärtigen Finanzbeamten zur Verfügung gestellt (siehe den Beitrag Das Finanzamt im Kurhaus), wodurch eben keine Linderung der Wohnungsnot eintrat.

Bergedorfer Zeitung, 12. April 1924

Bergedorfer Zeitung, 17. April 1924

 

 

 

 

 

 

Bergedorfer Zeitung, 22. April 1924 (Auszug aus der Stellungnahme des Wohnungsamts)

Eine weitere Stellungnahme des Amtes folgte nach dem Sprechsaal-Artikel des Arztes, aus dem eingangs zitiert wurde, und in dem es u.a. auch hieß, dass er gern eine freigewordene Wohnung in der Ernst-Mantius-Straße übernommen hätte, doch diese sei an „ein alleinstehendes Ehepaar“ vergeben worden. Das wies das Amt zurück, doch ist die Darlegung eher verschwurbelt als verständlich: eine aus drei Personen bestehende Familie erhielt eine Wohnung und machte dadurch zwei Wohnungen frei, wodurch wiederum vier Wohnungen belegt werden konnten.

Bergedorfer Zeitung, 29. Juli 1924

Nach einigen Monaten wendete sich dann doch alles zum Guten: im zweiten Obergeschoss eines Hauses in Bahnhofsnähe wurde am 1. August die Praxis (mit erweiterten Sprechzeiten) eröffnet, und spätestens ab Ende 1924 wohnte Dr. Böwing-Treuding in der Brauerstraße, wie sich aus dem Amtlichen Fernsprechbuch für den Bereich der Oberpostdirektion Hamburg 1925 ergibt.

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Deutschvölkische Töne

Bergedorfer Zeitung, 1. April 1924

Für den unbedarften Leser klang diese Ankündigung eines „Deutschen Abends“ im Colosseum, Bergedorfs größtem Saal, wohl nicht besonders aufregend: ein Vortrag, eine Theateraufführung, musikalische Darbietungen.

 

Bergedorfer Zeitung, 1. April 1924

Schaut man allerdings genauer hin und auch auf die Anzeige auf der letzten Seite des Blattes, ergibt sich ein anderes Bild: die „Vaterländischen Verbände“ als Sammelbecken der antirepublikanischen Rechten hatten engste Verbindungen auch zu den Nationalsozialisten (siehe hierzu den Aufsatz von James M. Diehl und das Online-„Geschichtsbuch Hamburg“) – Hauptzweck der Organisation war sicher nicht die Unterhaltung eines Orchesters.

Die „Festleitung“ hatte J. Kaiser aus Curslack inne, der kurz zuvor die Aktivitäten des örtlichen Jung-Schlageter-Bundes gelenkt hatte, auch der Redner Herbert Volck (Näheres bei Wikipedia) war in Bergedorf kein Unbekannter: er hatte mehrere Veranstaltungen seines „Huttenbundes“ in Neuengamme und Allermöhe durchgeführt (BZ vom 6. und 18. Februar sowie 11. März). Der Berichterstatter der BZ kannte ihn nicht, als er sich in einer Wahlkampfveranstaltung der Bergedorfer „Bürgerliste“ zu Wort meldete (und schrieb seinen Namen falsch), entnahm seinem Wortbeitrag aber, dass er „anscheinend ein Anhänger der deutschvölkischen Richtung“ war. Anderen Gästen der Veranstaltung, laut BZ  Sozialdemokraten, war der frühere Freikorps-Offizier offenbar bekannt: sie empfingen ihn mit Geheul, unterbrachen ihn mit Zwischenrufen wie „Schinder! Blutsauger!“ und erzwangen letztlich den Abbruch der ganzen Veranstaltung (BZ vom 28.Februar). (Angemerkt sei, dass die BZ das Verhalten der SPD-Anhänger „als nackten Terror“ bezeichnete, die rechtsradikalen Worte Volcks aber nicht kommentierte.)

Volck tauchte zwar 1924 nach dem „Deutschen Abend“ in Bergedorf und Umgebung nicht wieder auf, aber seine Vorstellungen blieben – sie wurden dann von anderen propagiert. Über eine Veranstaltung mit Volck (in Blankenese) berichtete das Hamburger Echo am 13. April 1924.

 

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Streik und Streikbrecher in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 1. April 1924

Acht Stunden sind genug, meinten die Arbeiter der Güterabfertigung auf dem Bahnhof der Reichsbahn in Bergedorf, und verweigerten die neunte Stunde – die Bahn berief sich auf die Ende 1923 eingeführte allgemeine Verlängerung der Arbeitszeit (siehe den Beitrag zur Arbeitszeitverlängerung) auf neun Stunden täglich und sprach von Vertragsbruch.

Bergedorfer Zeitung, 3. April 1924

Bergedorfer Zeitung, 7. April 1924

Die Bahn beließ es nicht bei Worten: in Bergedorf wie in anderen Streikorten entließ sie alle Bahnarbeiter und kündigte den Einsatz der Technischen Nothilfe an. Diese übernahm schon am nächsten Nachmittag den Bergedorfer Güterbahnhof  (BZ vom 4. April), konnte aber den Ausfall der regulären Beschäftigten nicht kompensieren und forderte deshalb weitere Verstärkung an – ob die Bergedorfer in der Güterabfertigung oder in der Bahnmeisterei ihren Streikbrecherdienst verrichteten, ließ sich nicht klären. Der Güterverkehr stockte jedenfalls erheblich; zeitweise gab es Annahmesperren (BZ vom 7. April), und nachdem der Tarifkonflikt beigelegt worden war (BZ vom 10. und 11. April), dauerte es noch eine Woche, bis alle Beschränkungen aufgehoben waren (BZ vom 17. April).

Bergedorfer Zeitung, 1. August 1924

Im Sommer gab es für die Ortsgruppe Bergedorf der Technischen Nothilfe dann einen Probealarm, bei dem der „Führer der Ortsgruppe“ (leider kein Name genannt) das Einsatzspektrum der Organisation schilderte: an erster Stelle nannte er „Notarbeiten in lebenswichtigen Betrieben“, worunter man wohl die Streikbrechereinsätze zu verstehen hat. Die weiteren genannten Aufgaben beim Schutz vor und bei der Bewältigung von Katastrophen nimmt heute die Nachfolgeorganisation Technisches Hilfswerk wahr.

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Rundfunksender Bergedorf

Bergedorfer Wasserturm, undatierte Aufnahme, wohl vor 1930

Bergedorfer Zeitung, 31. März 1924

Hamburgs Pech war Bergedorfs Glück: die BZ meldete, dass es aus einer Reihe technischer Gründe in der Großstadt selbst keinen geeigneten Standort für einen Rundfunk-sender gab, wohl aber in der Kleinstadt Bergedorf: hier war es ruhig, es gab keine Störquellen, und die Nutzung des hochgelegenen Wasserturms (Nr. 26 auf der  Karte 1904) zur Antennenbefestigung sparte sicher auch Kosten.

Nicht nur die Sendeanlage sollte nach Bergedorf kommen, sondern alle mit einer Rundfunkanstalt verbundenen Einrichtungen wie Senderaum und Konzerträume, was den Bau entsprechender „Gebäulichkeiten“ erforderte. „Radio Bergedorf“ würde damit „schon in der nächsten Zeit in der Reihe der großen Radiozentralen einen ersten Platz“ einnehmen, vielleicht London oder Paris vergleichbar.

Der Baubeginn stand unmittelbar bevor, das Material für die Antennen war bereits in der Stadt eingetroffen – doch dann meldete das Blatt: „Es ist … schade, daß die Fertigstellung unseres Bergedorfer Rundfunksenders am Wasserturm bis zum 1. April nächsten Jahres hinausgeschoben werden mußte.“ (BZ vom 5. April) Daraus wurde aber genausowenig wie aus dem Projekt des Bunten Bergedorf vom 1. April 1923.

Der Sender siedelte sich in Hamburg an. Die Nordische Rundfunk-Aktiengesellschaft, kurz Norag, nahm am 2. Mai 1924 ihren Sendebetrieb im damaligen Hauptfernsprechamt in der Schlüterstraße auf, worüber die Hamburger Nachrichten am selben Tag schrieben: „Im Parterre befindet sich der schallsichere Aufnahmeraum, in den oberen Stockwerken der Maschinen- und Senderaum und auf dem Gebäude zwischen zwei 28 Meter langen Stangen der Verteiler.“ Die Leistung des Mittelwellensenders betrug 0,7 kW; es gab 896 angemeldete Hörer und vermutlich sehr viel mehr Schwarzhörer – eine knappe Darstellung der Anfangsphase der Norag gibt es online beim Hans-Bredow-Institut, beim  NDR auch ein Audio dazu.

Abgesehen von einer kurzen Existenz eines kommerziellen Senders „Bergedorf Radio“ in den 1980er Jahren konnte sich der Rundfunk in Bergedorf nur auf Seiten der Hörer etablieren. Das werbefreie Hamburger Lokalradio hat seit 1998 sein Sendestudio in Lohbrügge, wird aber von Hamburg aus verbreitet.

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Die schrumpfenden Lehrerkollegien

Bergedorfer Zeitung, 29. März 1924

Es gab mehr Platz in den Lehrerzimmern – in den Klassen wurde es meist enger: zahlreiche Lehrer mussten zum 1. April aufgrund der Verordnung über den Personalabbau den Schuldienst verlassen (siehe auch den Beitrag zu den Entlassungen): sieben Lehrer der Hansa-Schule in Bergedorf schieden aus; drei wurden aus Hamburg nach Bergedorf versetzt. Die verbliebenen Lehrkräfte mussten mehr Unterricht geben, z.T. für zusammengelegte Klassen, und es durften nur zwei statt der nach den Anmeldezahlen erforderlichen drei Realquinten eingerichtet werden (hierzu und zum Folgenden Ferdinand Ohly, S. 57ff.).

Den anderen Schulen erging es nicht besser; an den vier Stadtschulen wurden sechs Lehrkräfte in den (einstweiligen) Ruhestand und fünf nach Hamburg versetzt; die Luisenschule verlor drei durch Versetzung, eine durch Pensionierung, und eine Lehrerin „schied als verheiratete Lehrerin aus“ (BZ vom 31. März) – wenn ihr Ehemann ein „ausreichendes“ Einkommen hatte, bekam sie nicht einmal eine Rente oder Pension, wie sich aus einem vergleichbaren Fall in Sande ergab; dort hieß es zum „Abbau“ der Lehrerin Brüdt: „Weil ihre wirtschaftliche Lage durch die Heirat gesichert ist, ist der Staat nach den gesetzlichen Bestimmungen zu keiner Gegenleistung verpflichtet.“ (BZ vom 2. Mai)

BZ, 28. Februar 1924

BZ, 26. April 1924

Die Entlassungen trafen junge Kräfte, aber auch langjährige Oberlehrer, die „zur Disposition“ gestellt wurden – ob sie die Einkommenseinbußen durch Privatunterricht (Nachhilfe) kompensieren konnten, ist fraglich.

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Das Kirchenjubiläum in Sande

Bergedorfer Zeitung, 18. März 1924

Die Erlöserkirche 1899

Als sie 1899 fertig gebaut war, prägte sie das Ortsbild Sandes: die Erlöserkirche (siehe die Abbildung im Beitrag Die Ferienkolonie in den Sander Tannen). In den folgenden Jahrzehnten näherte sich von der Hamburger Landstraße (heute: Lohbrügger Landstraße) her die zunehmende Bebauung des Orts, wodurch die Kirche ihre Randlage verlor.

Der Einweihungsgottesdienst hatte am 19. März 1899 stattgefunden – am Sonntag, dem 23. März 1924 hätte man dies Jubiläum mit „einer kirchlichen Feier größeren Stils“ feiern können, doch sie unterblieb vorerst. Den Verantwortlichen war nicht nach Jubeln zumute, denn zwei der drei Glocken waren zu Kriegszwecken beschlagnahmt worden, ebenso die Prospektpfeifen der Orgel, sodass der klangliche Teil der Feier sehr schlicht geraten wäre.

BZ, 21. März 1924

Folglich beschränkte man sich auf einen „normalen“ Gottesdienst mit Abendmahl. Der Hinweis, dass die Kirche geheizt sein würde, war auch in den Vorwochen erschienen, aber ein Jahr zuvor war der Regelfall die ungeheizte Kirche, und es bedurfte eines Wohltätigkeitskonzerts, um zumindest für die Konfirmationssonntage Kohlen kaufen zu können (siehe den Beitrag Not vs. Luxus).

 

Bergedorfer Zeitung, 24. März 1924

Wie 1899 bei der Einweihung hielt am Jubiläumssonntag 1924 der Gemeindegeistliche Pastor Marnitz die Predigt, 1924 über Jesu Wort „Welchem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern“ – vermutlich auch in diesem Sinne wurde in der Kirche „von nun an“ eine Sammelbüchse „zur Aufnahme von Gaben zur Wiederherstellung des Glockengeläuts und der Orgel“ aufgestellt, um doch noch „in größerem Stil“ feiern zu können.

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Die Hand- und Spanndienste für die Kirche

BZ, 24. März 1924

Der Dank der Landeskirche und der der Kirchengemeinde Neuengamme war geradezu überschwänglich, und sie hatten auch allen Grund, sich zu bedanken: die Friedhofserweiterung wurde weitgehend in ehrenamtlichem Einsatz durch die Gemeindemitglieder bewerkstelligt.

Bei steigenden Einwohnerzahlen gibt es auch mehr Sterbefälle, und deshalb musste der Friedhof erweitert werden. Da aber die Hyperinflation noch nachwirkte, konnte man mit der nötigen Aufhöhung der Fläche nicht einfach Firmen beauftragen, sondern musste um Freiwilligendienst bitten: „Der Kirchenvorstand hat beschlossen, für diese Arbeit die Kirchengemeinde zu Hand- und Spanndiensten aufzurufen.“ (BZ vom 24. Dezember 1923) Als dieser Appell veröffentlicht wurde, hatten die Hufner bereits zugesagt, mit Pferd(en) und Wagen zu helfen; nun sollten die „kleineren“ Leute der Gemeinde sich zu Handdiensten bereiterklären, also z.B. das von den Gespannen der Bauern angelieferte Material per Schaufel verteilen.

BZ, 21. Juli 1924

Im Frühjahr war die Arbeit offenkundig erledigt, und die Beteiligten konnten stolz auf ihre Leistung sein.  Nach erfolgter Vermessung des Gottesackers begann dann im Sommer der Verkauf der Grabstellen (BZ vom 12. April und 21. Juli), der wohl schleppend verlief: innerhalb der Frist bis zum 4. August gelang es nicht, alle Stellen zu verkaufen. Der Kirchenvorstand inserierte beschönigend, dass wegen der anhaltenden Nachfrage die Verkaufszeit um eine Woche verlängert würde, und es wurde die Zahlung in zwei Raten ermöglicht (BZ vom 4. August).

BZ, 15. August 1924

Der Kirchenvorstand hatte aber entweder die Zahlungsfähigkeit der Gemeindemitglieder oder ihre Zahlungsbereitschaft überschätzt: für die Deckung der trotz der unbezahlten Arbeit entstandenen Kosten mussten alle Gemeindemitglieder (mit sozialen Ausnahmen) herangezogen werden und fünf Mark Friedhofsteuer bezahlen.

Man hätte vielleicht erwarten können, dass sich Protest regte, doch dem war nicht so: bei der turnusmäßigen Wahl des Kirchenvorstands am 30. November gab es keine Gegenkandidaten.

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Waldlauf mit Hindernissen

Bergedorfer Zeitung, 8. März 1924

Der Verfasser des Zeitungsartikels war begeisterter Waldläufer, der seine Sportart in den höchsten Tönen anpries: er sah den Waldlauf als „die schönste Form gemeinsamer Betätigung“ für „leichtgekleidete Läufer“, die „auf schweigenden Waldwegen“ ihre Lungen „bis in die äußersten Spitzen mit reinem Sauerstoff“ füllten und dabei die Chance hatten, den Titel eines Hamburger Waldlaufmeisters zu erreichen, erstmals in Bergedorf.

Die Hinweise des Experten zum richtigen Laufen werden auf jeden Fall dem damaligen Stand der Lauftechnik entsprochen haben; der hier empfohlene „kraftsparende und raumschaffende Sohlenlauf“ war nach der Österreichischen Illustrierten Sport-Zeitung vom 2. Jänner 1925 allerdings nicht unumstritten. Die Tipps zur bestmöglichen Bewältigung von Gefällestrecken und Steigungen waren angesichts des Höhenprofils des Austragungsorts sicher beachtenswert, an hügeligem Gelände und talartigen Einschnitten herrscht(e) im Bergedorfer Gehölz kein Mangel. Austrainierte Sportler werden aber ohne „seitlichen Schräglauf“ ausgekommen sein.

Bergedorfer Zeitung, 10. März 1924

Doch es kam anders als geplant: der Winter war noch nicht vorüber, die Wege im Wald waren „vollkommen vereist“, und so wurde der Start von der Marienburg am Rande der Bille-Niederung zum Waldschloss (NN +41m) verlegt, und als Laufstrecke die „Schwarzenbeker Chaussee“, d.h. die Wentorfer Straße und ihre Fortsetzung in Richtung Schwarzenbek auserkoren. Statt auf schweigenden Waldwegen lief man nun neben einer Hauptverkehrsstraße, an der die Bäume gefällt worden waren (BZ vom 14. Januar 1920). Statt reinen Sauerstoffs gab es für die Sportler also eher Autolärm und -abgase sowie nur sanfte Steigungen.

Bergedorfer Zeitung, 22. März 1924

Auch als vierzehn Tage später die norddeutschen Waldlaufmeisterschaften in Bergedorf stattfanden, war die ursprünglich vorgesehene Strecke noch teilweise vereist und somit „nicht lauffähig“, doch dieses Mal hatte man eine Alternative vorbereitet, die tatsächlich einen Waldlauf mit höherem Anspruchsniveau an die Lauftechnik, nämlich durch das Gehölz und am Gojenberg, beinhaltete. 35 von 39 Startern erreichten das Ziel – die Verhältnisse waren also nicht irregulär (BZ vom 24. März).

Einen Lauf für Frauen gab es übrigens nicht.

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Soziale Not auch in Besenhorst und Geesthacht

Bergedorfer Zeitung, 27. Februar 1924

Bergedorfer Zeitung, 12. März 1924

Wahrscheinlich war die Not in Bergedorfs Nachbarorten Besenhorst und Geesthacht noch verbreiteter: in Bergedorf bedurften über elf Prozent der Bevölkerung der Unterstützung (siehe den Beitrag Die Not der Bevölkerung); Geesthacht verzeichnete unter 5300 Einwohnern „fast 1.700 Leute, die von der Gemeinde erhalten werden müssen“, also beinahe ein Drittel. Für Besenhorst gab es 1924 in der BZ keine Zahlenangaben, doch die Arbeitslosigkeit dürfte noch größer gewesen sein als im angrenzenden Geesthacht: das Wachstum Besenhorsts in den vorangegangenen Jahrzehnten auf geschätzt 1.500 bis 1.600 Einwohner war vor allem durch das Wachstum der Pulverfabrik Düneberg getrieben worden, doch die Massenentlassungen nach Kriegsende bedeuteten schlicht Massenarbeitslosigkeit. Das war in Geesthacht ähnlich und führte sogar zu einem Rückgang der Einwohnerzahl (BZ vom 26. Januar 1924).

Ob der Besenhorster Appell, „für jede verdiente Mark einen Pfennig“ wöchentlich und freiwillig abzugeben, fruchtete, war nicht in der BZ zu lesen. Wenn man bedenkt, dass mit dem so vielleicht mobilisierten Geld „Bedarfsartikel des täglichen Gebrauchs“ verteilt werden sollten, dann klingt die Formulierung, es gebe bereits eine „weit ausgreifende Wohlfahrtspflege“ schönfärberisch.

Auch in Geesthacht reichten „die Geldunterstützungen von der Gemeinde … nicht zum allernötigsten Lebensunterhalt aus“, und die Hilfsaktionen des Frauenvereins, die zu Weihnachten 1923 wohl nicht mehr als 150 Personen zugutekamen, werden auch nur wenig daran geändert haben. Obgleich der Verein „große Wohltätigkeitsfeste, die unendliche Mühe und Arbeit sowie große Unkosten verursachen“, kritisch sah, nutzte er weiterhin diese Form der Geldbeschaffung, z.B. mit einem Wohltätigkeitskonzert „zur Linderung der Not der bedürftigen Alten“ am 5. April (BZ vom 2. April). Ein für den gleichen Tag geplanter Vortrag zum Thema Vermögenssteuer durch Obersteuerinspektor Lindemann vom Finanzamt Bergedorf wurde um einige Tage verschoben (BZ vom 4. April). Nicht allen Geesthachtern ging es also schlecht.

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