Schlechte Zeiten für Mineralwasser

Bergedorfer Zeitung, 6. Oktober 1916

Bergedorfer Zeitung, 6. Oktober 1916

Unter dem Krieg hatten auch Bergedorfs Mineralwasserhersteller zu leiden: Christian Walter Kutzleb ging in Konkurs (in heutiger Terminologie: Insolvenz). Die Gründe der Pleite wurden nicht genannt, aber sie liegen auf der Hand: in Bergedorfs Haushalten wurde das Geld immer knapper, und da seit November 1915 das Haushaltswasser aus dem modernen neuen Wasserwerk am Möörkenweg kam und nach damaligen Maßstäben gute Trinkwasserqualität besaß (siehe BZ vom 30. Oktober und 5. November 1915, siehe auch den Beitrag Wasser für Hamburg), verzichteten sicher viele bisherige Kunden auf das in Flaschen abgefüllte Nass.

In Kutzlebs Konkursverfahren konnten nicht alle Forderungen der Gläubiger befriedigt werden: es kam zu einem Zwangsvergleich (siehe BZ vom 16. Januar 1917). Etwas besser ging es einem anderen Bergedorfer Mineralwasserfabrikanten: mehrfach inserierte Conrad Bernhardt, jeweils mit der Begründung „wegen Einberufung“: im Frühjahr suchte man Abnehmer für Zubehör von Pferdewagen und dergleichen (siehe BZ vom 31. März 1916), im Juli/August dann sollte das ganze Geschäft verkauft werden, was auch sehr schnell gelang: Käufer war der größte Bergedorfer Hersteller Sibbers & Heyden, der laut Anzeige hoffte, den Kundenstamm Bernhardts – und vielleicht auch den Flaschenbestand, siehe den Beitrag Flaschenpfand und Einkochstelle – zu übernehmen. Die Rechte an den Bierflaschen Kutzlebs erwarb übrigens die Bierbrauerei und Destillation von F. C. Röhmer in der Holstenstraße.

Bergedorfer Zeitung, 9. November 1916

Bergedorfer Zeitung, 9. November 1916

Bergedorfer Zeitung, 5. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 5. September 1916

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Die 650. (und letzte) Verlustliste

Bergedorfer Zeitung, 7. Oktober 1916

Bergedorfer Zeitung, 7. Oktober 1916

Fast täglich gab es in der Bergedorfer Zeitung einen Auszug aus der „Verlustliste“ zu lesen, mit Namen der Soldaten, die der Krieg das Leben gekostet hatte, die verwundet worden waren, die vermisst wurden oder die in Gefangenschaft geraten waren. Die 650. Verlustliste führte 46 Namen aus der Umgebung Hamburgs auf, darunter zehn aus der Landherrenschaft Bergedorf und fünf aus Sande/Lohbrügge. Es hatte auch Tage mit längeren und kürzeren Listen gegeben, nicht nur, weil die Kampfintensität wechselte, sondern vor allem, weil die deutschen Einheiten  „lokal rekrutiert“ (Herfried Münkler, S. 414) waren: wenn also z.B. das Reserve-Infanterie-Regiment 76 in Schlachten verwickelt war, gab es eine entsprechend lange Liste in der Bergedorfer Zeitung mit Namen aus dem Heimatgebiet.

Das dürfte – allen militärischen „Erfolgsmeldungen“, die täglich die erste Seite der BZ füllten, zum Trotz – in der Heimat den Glauben an den Sieg geschwächt und die Sorge um die Soldaten verstärkt haben, was der militärischen und politischen Führung natürlich nicht recht sein konnte. So war die 650. Verlustliste die letzte, die die BZ abdruckte, vermutlich auf Anweisung „von oben“.

Wie schon der Vogel Strauß wusste: wenn man den Kopf in den Sand steckt, ist das erkannte Problem nicht mehr vorhanden. Wahr ist das nicht, aber die Siegesmeldungen waren es ja auch meist nicht.

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Erst Freude, dann Trauer bei Bergedorfs Guttemplern

Bergedorfer Zeitung, 27. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 27. September 1916

Guttemplerhaus in Bergedorf (2016)

Guttemplerhaus in Bergedorf (2016)

Die Freude dürfte groß gewesen sein bei Bergedorfs Guttemplern: spätestens seit 1911 waren sie in Bergedorf in der Bleichertwiete 29 ansässig, und zwar im Hinterhaus (siehe Hamburger Adressbuch 1911). Nun konnte der Einzug in einen sehr ansehnlichen Neubau in der Bergstraße 16 erfolgen, wo die Organisation auch einhundert Jahre später noch zu finden ist, wie die 2016 aufgenommene Fotografie zeigt. Der Straßenname hat sich allerdings geändert: die heutige Anschrift ist August-Bebel-Straße 24.

Die Festredner äußerten sich, was nicht überraschen kann, im Sinne der Vereinsziele – ob dabei der Vertreter des Großlogenrats wirklich von „Alkoholgenuß“ sprach oder ob dies nicht eher die Wortwahl des Berichterstatters war, kann hier nicht geklärt werden. Dass Alkoholkonsum Probleme verursachen kann, war ja sogar den Behörden aufgefallen: sie hatten schon 1915 Bergedorf trockengelegt. Und Ende 1915 gab es offizielle Appelle, den Alkoholversand ins Feld zu unterlassen, da zu viel Alkohol die Kriegstüchtigkeit der Soldaten beeinträchtige (siehe BZ vom 16. Dezember 1915). Als Schritt in die richtige Richtung werden die Guttempler auch die Ankündigung der Reichsbranntweinstelle bewertet haben, dass es bis zum Frühjahr 1917 keine Freigabe von Alkohol für Trinkbranntweinzwecke geben werde (siehe BZ vom 10. Oktober 1916).

Bergedorfer Zeitung, 18. Oktober 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. Oktober 1916

Trauer bei den Guttemplern wird drei Wochen nach Bezug des neuen Logenhauses die Nachricht ausgelöst haben, dass ihr Mitglied Otto Kampe in Wolhynien gefallen war – der Nachruf zeigt Kampe als Abstinenzler und Anhänger der Lebensreformbestrebungen des Deutschen Vortruppbundes sowie als engagierten und reformerischen Lehrer an einer Hamburger Hilfsschule, der sich u.a. für die Arbeitsschule einsetzte. Sein Buch über „Hamborger Jungs un Deerns“ mit vielen kleinen Geschichten und Gedichten auf hoch- wie plattdeutsch ist in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vorhanden, und das Stück „Es schneit“ zeigt einen Schulmeister, der wenig wilhelminisch, aber um so menschlicher wirkt. Seine Texte könnten aus alltäglichen Erlebnissen entstanden sein, die seine Schülerinnen und Schüler ihm in schlichter Sprache geschildert hatten – vielleicht hatte er sie aber auch für genau diese verfasst, denn der Untertitel des Buches lautet: „Lustige Geschichten für Heini und Hans und Theo und Paul und Trude und Suse und noch mehr“.

 

 

Autor des mit „W.L.“ gezeichneten Nachrufs war wahrscheinlich Wilhelm Leonhardt, ebenfalls Lehrer und wie Kampe Mitglied des Liberalen Vereins (siehe Bergedorfer Personenlexikon).

 

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Brot ohne Gips, kein Poddern in der Gose-Elbe

Bergedorfer Zeitung, 29. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 29. September 1916

Wie schlimm müssen die Zustände gewesen sein, dass die im Reichsgesetzblatt von 1916 veröffentlichte „Bekanntmachung über die Bereitung von Backware“ vom 26. Mai (S. 413ff.) nur vier Monate später durch weitere Regelungen (S. 1084) ergänzt werden musste?
(Der Link öffnet das Inhaltsverzeichnis des Reichsgesetzblatts 1916, dort können dann die angegebenen Seiten aufgerufen werden.)

Streumehl, auch Trennmehl genannt, darf dem Brot zwar höchstens von außen anhaften (Lebensmittel-Lexikon, S. 1909), aber Gips oder Kreide auf der Brotkruste werden keine Geschmacksverbesserer gewesen sein, und wenn sie in den Teig gelangten schon gar nicht, denn z.B. das Roggenbrot bestand ohnehin zu mindestens 25% aus gequetschten oder geriebenen Kartoffeln (oder Bohnen-, Sojabohnen-, Erbsen, Gersten-, Hafermehl etc.). Womöglich hatten Bäcker nach der Lektüre der angegebenen Vorschrift vom Mai 1916 festgestellt, dass sie durch Einsatz von Gips, Kreide und anderen Mineralien eine kleine Reserve an backfähigem Mehl erwirtschaften konnten, die sich sicher gut, wenn auch unerlaubt, verkaufen ließ.

Bergedorfer Zeitung, 14. Dezember 1916

Bergedorfer Zeitung, 14. Dezember 1916

Dass auch diese Ergänzung der Vorschrift nicht alle Probleme lösen konnte, zeigt eine Meldung vom 14. Dezember 1916, nach der „Fußmehl“ und „Ausklopfmehl“ (die Begriffe sprechen für sich) aus Mühlen und Bäckereien als Viehfutter Verwendung finden sollten. (Die geleerten Mehlsäcke wurden abgeholt und mit Hilfe von Sackausklopfmaschinen wurde dann (Aus-)Klopfmehl gewonnen – für diesen Hinweis bin ich Karin und Klaus-Peter Jendrasik sehr dankbar.)

 

Bergedorfer Zeitung, 3. Oktober 1916

Bergedorfer Zeitung, 3. Oktober 1916

Mit dem Begriff „Poddern“ (auch als Pöddern zu finden) werden nur wenige spontan etwas anzufangen wissen, aber der Kontext der Anzeige macht klar, dass es sich um eine Fischfangmethode handelt: das Hamburgische Wörterbuch erläutert das Wort als Fangmethode für Aale (und Plattfische), bei der Regenwürmer ohne Haken auf eine Schnur gezogen werden. Wie das funktioniert(e), wird bei Blog.angeln.de detailliert beschrieben und gezeigt. Für den Aal mag das eine „schonende“ Methode sein, für den Wurm ist sie es nicht, und übriggebliebene Würmer werden auch nur wenige „in einer Tupperdose im Kühlschrank“ aufbewahren wollen.

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Kaffeeersatz, Fisch auf die Hand und 65.000 Zentner Kartoffeln

Bergedorfer Zeitung, 20. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 20. September 1916

Natürlich war auch Kaffee knapp – wie hätte es anders sein können, schließlich wurde und wird in Deutschland kein Kaffee angebaut, und Importe waren stark beeinträchtigt. Da war es nicht erstaunlich, dass man Ersatzstoffe mobilisierte, denn die gab es aus heimischem Anbau. Schon vor dem Krieg hatte es z.B. Zichorienkaffee und andere kaffeeähnliche Getränke gegeben, die nun eine wahre Hochkonjunktur erlebten. Größter Hersteller war die Firma Heinrich Franck Söhne, aber auch Unternehmen, die bis dahin ausschließlich als Kaffeeimporteure und -röster tätig gewesen waren, stellten sich schnell auf die neuen Rahmenbedingungen ein – beispielhaft sei die Hamburger Firma J.J.Darboven genannt, die einen „durchaus schmackhaften Mix aus Getreide, Zichorien, Milokorn,

Verpackungen von Ersatz-Kaffee aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg

Verpackungen von Ersatz-Kaffee aus dem 20. Jahrhundert, ausgestellt im Kaffeemuseum Burg in der Hamburger Speicherstadt

Zuckerrübenschnitzeln und gerösteten Feigen“ produzierte, der leicht verändert als „Koff“ auch im Zweiten Weltkrieg in den Handel kam (siehe den historischen Überblick auf der Internetsite von J.J. Darboven  http://www.darboven.com/de-DE/Home/J_J_Darboven/Die_Idee ). Über Kaffee allgemein und seine Ersatzmittel erfährt man mehr im Hamburger Kaffeemuseum Burg.

Und auch dieser Markt wurde reguliert, wie aus dem Zeitungsartikel hervorgeht: Mischungsverhältnisse und Höchstpreise wurden festgesetzt, und reiner Bohnenkaffee durfte nur bei Abnahme der gleichen Menge an Kaffee-Ersatzmitteln abgegeben werden (siehe BZ vom 15. Mai 1916), aber immerhin in separaten Tüten. Doch gemahlen sollten nun nur noch Fertigmischungen in den Handel gelangen: der Höchstpreis für zehnprozentigen Mischkaffee lag mit 0,92 Mark pro Pfund deutlich unter dem Preis, der einige Wochen vorher dem Krämer Claus Albers in Kirchwärder-Howe mit 1,60 Mark pro Pfund in Rechnung gestellt worden war – der Verkaufspreis durfte 1,85 Mark nicht überschreiten.

Rechnung Fa. Bruhn an Claus Albers

Rechnung Gebr. Bruhn an Claus Albers vom 15. August 1916

Derartige auf Albers ausgestellte Rechnungen liegen für den Zeitraum August 1916 bis Mai 1917 vor; in Rechnung gestellt wurden ihm insgesamt 40 Pfund Mischkaffee (mit 10 bzw. 25 Prozent Kaffeebohnen) und 139 Pfund „koffeinfrei“ (Einkaufspreis 47 Pfennige, Verkaufspreis ca. 54 Pfennige), bezeichnet als Surrogat, Macafeno, Malzkaffee oder „Frankkaffee“.

Für Freunde des Koffeins, das der in Billwärder geborene Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge 1819 als die anregende Substanz im Kaffee entdeckt hatte, waren das schlechte Nachrichten. Ein Ausweichen auf (teureren) Tee wurde durch entsprechende Regulierungen ebenfalls erschwert (siehe BZ vom 23. Mai 1916).

Bergedorfer Zeitung, 25. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 25. September 1916

Auch Papier war Mangelware: von nun an sollte es in Sande Fisch nur noch auf die Hand geben, wenn man das Einwickelpapier nicht mitbrachte – Ausdruck des herrschenden Papiermangels und der damit einhergehenden Teuerung, worüber sich der Großverbraucher Bergedorfer Zeitung mehrfach beklagt hatte (siehe BZ vom 11. Februar, 15. März, 26. Mai und 28. Juni 1916): alle verbliebenen Zeitungen mussten ihren Umfang reduzieren, viele erhöhten ihre Verkaufspreise – aber die BZ setzte lediglich die Anzeigenpreise herauf (siehe BZ vom 27. März 1916).

Ein Grund für diese „Papierlage“ könnte auch darin gelegen haben, dass ein weiterer Nutzungszweck gefunden worden war: aus Zellstoff- oder Papiergarnen hergestellte Waren, die ebenso wie die nur auf Bezugsschein erhältlichen Web-, Wirk- und Strickwaren „Preisbeschränkungen“ unterlagen (siehe BZ vom 17. Juni 1916; zur Verwendung von Papier und Papiergarnen in der Textilindustrie siehe die Dissertation von Paul Drexler aus dem Jahr 1919).

Bergedorfer Zeitung, 22. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 22. September 1916

An Kartoffeln sollte im Winter 1916/17 aber kein Mangel herrschen: 65.000 Zentner mecklenburgische Erdäpfel waren der Stadt „überwiesen“, d.h. zugeteilt. Wenn man unterstellt, dass diese Menge vom Oktober bis zur nächsten Ernte, also bis Ende Juli 1917 (303 Tage), bemessen war, bedeutete dies bei 15.740 „anwesenden Personen“ (so das Ergebnis der Volkszählung vom Dezember 1916, siehe BZ vom 16. Dezember 1916), dass jeder Bergedorfer täglich 1 Pfund Kartoffeln bekommen sollte, auch die Schwerarbeiter hätten weiter eine  Zulage erhalten können, wenn man unvermeidliche Verluste bei der Lagerung über so einen langen Zeitraum außer Betracht lässt. Immerhin: im Herbst 1915 hatten sich die Vorräte einschließlich geplanter Ankäufe auf nur 20.440 Zentner belaufen, wie im Beitrag Kartoffeln, Gefrierfleisch und Veggie Days nachzulesen ist, sodass man 1916/17 offenbar besser dastand.

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Kyrillische Schrift, Sütterlin und Geheimschrift

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1916

Wer es irgend konnte, sandte seinem Ehemann, Sohn, anderen Verwandten oder Freunden und Vereinskameraden Feldpostpakete an die Front (siehe den Beitrag Liebesgaben und Feldpost), vor allem, um die Verpflegung aufzubessern. So schickte eine Familie vom Ost-Krauel ihren beiden Söhnen wöchentlich ein bis zwei Päckchen ins Feld und dokumentierte dies in einem Oktavheft. Die Söhne ihrerseits bedankten sich regelmäßig für die Sendungen – das Heft und die Briefe sind erhalten geblieben und wurden eingesehen.

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1916

Man konnte auch Kriegsgefangene in Russland mit Paketen bedenken, wobei diese in kyrillischer Schrift zu adressieren waren. Deshalb wird es viele Bergedorfer und Bergedorferinnen gefreut haben, dass ihnen die Gelegenheit gegeben wurde, diese Schrift in einem der Kurse zu erlernen, die der Realschullehrer (F. W. Hermann) Berndt, die treibende Kraft in der „Kolonne vom Roten Kreuz, Hilfe für deutsche Kriegsgefangene, Ortsausschuß Bergedorf“ unentgeltlich anbot: insgesamt sechs Kurse wurden allein 1916 durchgeführt (siehe BZ vom 30. Dezember 1916).

Die Schrift war aber nicht das einzige Problem beim Versand nach Russland: Pakete mussten in Stoff eingenäht werden, denn die Verwendung bedruckten Papiers war unzulässig, unbedrucktes war zu teuer: die Pakete wären „den Adressaten nicht ausgeliefert und diese obendrein noch bestraft“ worden, ebenso bei schriftlichen Mitteilungen darin (siehe BZ vom 13. November 1916). Dies erklärt auch die Anzeige der vom Bergedorfer

Bergedorfer Zeitung, 2. Juli 1916

Bergedorfer Zeitung, 2. Juli 1916

Frauenverein betriebenen „Kriegsschreibstube“, die beim Verpacken und Verschicken half: geeigneter alter Stoff war offenbar knapp und neuer unterlag dem Bezugsscheinsystem für Web-, Wirk- und Strickwaren.

Auch die Engländer hatten besondere Anforderungen: in Sütterlin geschriebene Briefe an in Afrika internierte Deutsche kamen mit dem Vermerk „Lateinische Schrift in deutschen Briefen“ zurück (siehe BZ vom 13. November 1916). Daraus wird den Damen der Kriegsschreibstube weitere Arbeit erwachsen sein, denn zu der Zeit war vor allem die Sütterlinschrift bzw. ihr Vorläufer, die deutsche Kurrentschrift, gebräuchlich und die Schreibunsicherheit wird bei lateinischen Buchstaben noch größer gewesen sein. Dem britischen Zensor kam es aber darauf an, die Briefe lesen zu können: vielleicht ließen sich daraus ja Erkenntnisse für die weitere Kriegführung schöpfen.

Bergedorfer Zeitung, 12. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 12. September 1916

Das befürchteten auch die deutschen Behörden – sie werden die Warnung vor der Verwendung von Geheimschrift und unsichtbarer Tinte in Gefangenenbriefen veranlasst haben, die die Bergedorfer Zeitung druckte, wobei der Redakteur entweder Dinge durcheinanderbrachte oder den logischen Fehler aus der Vorlage übernahm: wenn der Feind zuweilen durch „listige Veranstaltungen“ zu Mitteilungen in Geheimschrift ermunterte, warum sollte er dann die Empfänger derselben bestrafen?

Gewarnt wurde auch vor dem Versand von Städte-Ansichtskarten ins Ausland und an Krieggefangene, da Bilder prominenter Bauwerke dem Feind „wichtiges Material bei geplanten Angriffen, besonders durch Flieger“ böten (siehe BZ vom 2. August 1916).

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Zwischen Spaltung und Burgfrieden: die SPD in Geesthacht, Sande und Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 12. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 12. September 1916

Äußerst knapp nur wurde berichtet, dass die Geesthachter Sozialdemokraten „nach ausgedehnter Debatte“ dem Gemeindevorstand „Vorschläge“ für eine bessere Lebensmittelversorgung unterbreiten wollten, was auch geschah: der Gemeindevorsitzende Brügmann verlas in der Sitzung der Gemeindevertretung ein entsprechendes Schreiben der SPD (siehe BZ vom BZ 30.09.16). Man kann daraus zweierlei schließen: erstens, dass die Sozialdemokraten weder im Gemeindevorstand noch in der Gemeindevertretung vertreten waren und dort Anträge stellen konnten, und zweitens, dass es auch in Geesthacht Versorgungsschwierigkeiten gab.

Bergedorfer Zeitung, 23. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 5. September 1916

Es ging der SPD dort aber nicht nur ums Essen – in der SPD-Versammlung eine Woche zuvor hatte der grundsätzliche Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Kriegskredite und der Burgfriedenspolitik im Vordergrund gestanden: der gerade zum Landesdelegierten gewählte „Herr Sowa“ dürfte der örtliche Vorsitzende Karl Sowa gewesen sein, „Genosse Dr. Hertzfeld“ der Reichstagsabgeordnete Dr. Josef Herzfeld (siehe das ParlamentarierPortal des Zentrums für Historische Sozialforschung): Sowa vertrat hier offenbar die Linie der SPD-Mehrheit, während der Reichstagsabgeordnete Herzfeld zur aus der SPD-Reichstagsfraktion ausgeschlossenen Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft gehörte, die die Burgfriedenspolitik ablehnte – der Vorstand der Geesthachter SPD hatte Herzfeld nicht als Redner zugelassen, und eine Protestresolution hiergegen wurde von den anwesenden Mitgliedern ohne Debatte beschlossen, was zeigt, dass der Kurs der SPD-Führung hier kritisch gesehen wurde (siehe zu diesem Thema auch August Ziehl, S. 20ff). Dennoch: bei der Delegiertenwahl war Sowa erfolgreich.

Bergedorfer Zeitung, 23. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 23. August 1916

Dieselben Themen behandelte der sozialdemokratische Verein in Sande, und hier steuerte der Vorsitzende (Reinhold) Krell wohl einen Kompromisskurs und hoffte, dass es wieder zu einem „Zusammenarbeiten aller Parteigenossen“ kommen würde. Krell hatte seine Mitglieder offenbar hinter sich, denn sie wählten ihn zum Delegierten.

Die Unzufriedenheit über die Lebensmittelversorgung führte zu „einer längeren Aussprache“, doch gab es keine Protestbeschlüsse: die SPD war durch Krell und andere im Lebensmittelausschuss der Gemeinde vertreten und man konnte den Genossen „die nötigen Aufklärungen“ geben – oder anders gesagt: sie stand in der Mitverantwortung, und Kritik wäre Kritik an den eigenen Leuten gewesen.

Bergedorfer Zeitung, 5. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 9. September 1916

Bei den Sozialdemokraten in Bergedorf war die Lebensmittelversorgung dem Zeitungsbericht nach einziges Thema einer Versammlung: Bürgervertreter Wiesner bemängelte einige politische Entscheidungen auf der Reichsebene, die zu Knappheit an Kartoffeln und Brotgetreide geführt hätten, war aber in Hinblick auf die Brotversorgung durchaus optimistisch, und auch sonst war seine Kritik im Ton eher gedämpft und kaum Bergedorf-spezifisch – zu dieser Zeit liefen nämlich Verhandlungen unter den Stadtvertretern über die nachzuwählenden Ratmänner (siehe den Beitrag Kommunalpolitik 1916: Hohler Weg und weniger Ratmänner), und da Wiesner gern gewählt werden wollte, hätte ihn markig geäußerte Empörung sicher eine Reihe von Stimmen der bürgerlichen Stadtvertreter und damit auch die Wahl gekostet. Innerparteilich brauchte sich Wiesner, der auch zu einem der Delegierten für die SPD-Reichskonferenz bestimmt worden war (siehe BZ vom 12. September 1916), offenbar weniger Sorgen um Zustimmung zu machen.

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Wallensteins Lager und die Kientöpperei

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 4. September 1916

Kein anderes lokales Ereignis fand eine so breite Berichterstattung in der Bergedorfer Zeitung wie die Freilichtaufführung von Friedrich Schillers Wallensteins Lager, die an den Vortagen im Schießtal stattgefunden hatte. Das lag nicht an der großen Zahl der Mitwirkenden (über 200 Bergedorfer Amateurschauspieler), nicht an Prof. Ohly, dem Leiter der Hansaschule und Vorsitzenden des Vorbereitungsausschusses, nicht an dem verständnisvollen Entgegenkommen des Stadtbaumeisters Carl Dusi und des Försters Giesemann, nicht an den farbenprächtigen Kostümen, die das Hanseatische Theaterkostüm-Atelier von L. Bode u. Co. in Hamburg gestellt hatte, und nicht an dem wohltätigen Zweck der Aufführung (zugunsten der Bergedorfer Kriegshilfe), sondern es war das Verdienst des Redakteurs Ammenn, der bei der Bergedorfer Zeitung für das Lokale verantwortlich zeichnete: er war Mitglied des Vorbereitungsausschusses und der „Spielleiter“ der Aufführung. Insgesamt elf Artikel bereiteten die Zeitungsleser auf das Ereignis vor (am 1. Juli, am 8., 13., 16., 19., 25., 26., 30. und 31. August sowie am 1. und 2. September 1916).

Immerhin, die hier wiedergegebene Aufführungskritik stammte nicht von Ammenn, sondern war mit „B.“ signiert, und hinter diesem Einzelbuchstaben darf man seinen Kollegen Bauer vermuten, dessen Auflistung von über 30 Namen auf und hinter der Bühne Mitwirkender offenbar einige Unerwähnte zu Beschwerden veranlasste, woraufhin am nächsten Tag weitere Personen genannt wurden. In einem weiteren Artikel nach der letzten Aufführung, u.a. vor Schülern aus Geesthacht und Kirchwärder, lobten sich resümierend die Organisatoren gegenseitig und auch die anderen Beteiligten (siehe BZ vom 11. September 1916), und am 23. Oktober erfuhr man, dass der beachtliche Reinertrag der Aufführungen sich auf 3.079,95 Mark belief.

Bergedorfer Zeitung, 5. September 1916

Bergedorfer Zeitung, 5. September 1916

Überraschung wird dann die Anzeige des Hansa-Kinos ausgelöst haben: sollte die Aufführung verfilmt worden sein und in weniger als einer Woche auf die Leinwand kommen? Weit gefehlt: zwei Tage danach war dem Lokalteil zu entnehmen, dass bei der Aufführung kein Film gedreht worden war, man hatte sogar „Vorsorge getroffen, daß keine kinematographischen Aufnahmen gemacht werden konnten.“ (Siehe BZ vom 7. September 1916.) Hatte hier etwa der Betreiber des Kinos eine gute Geschäftschance gewittert? Seine Anzeige muss Ammenn in seiner schon früher geäußerten Ansicht  bestärkt haben, dass die „Kientöpperei“ das Volk nur verdummen wolle und das Theater nicht viel besser sei (siehe BZ vom 13. August 1916). In die selbe Richtung ging die Kritik in der (gelegentlich erscheinenden) Kolumne des „Lynkeus, der Türmer“ (siehe Goethe): man müsse die „moralische Volksgesundheit“ über die Geldbeutelinteressen der Kientöpper (d.h. der Kinobetreiber) stellen, und deshalb seien die Einschränkungen des Kinobesuchs (siehe den Beitrag Jugend unter Kontrolle) richtig und notwendig, um der „Verwilderung der Jugend“ Einhalt zu gebieten (siehe BZ vom 16. September 1916).

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Die selbstkassierende Sprechstelle

Bergedorfer Zeitung, 31. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 31. August 1916

Der technologische Fortschritt machte vor Bergedorf nicht halt: mitten im Krieg wurde in der Bahnhofshalle die zweite „selbstkassierende Sprechstelle (Fernsprechautomat)“ der Stadt installiert, was die Kommunikationsmöglichkeiten deutlich verbesserte, wenn auch nur für zwölf Stunden am Tag: zwar gab es anderswo schon automatische Vermittlungsstellen und Telefone mit Wählscheiben, aber diese Technologie hatte hier noch keinen Einzug gehalten: die Bergedorfer mussten auf die Dienste der „Fernsprechvermittelungsstelle“ zurückgreifen, deren Personal die Verbindung zum gewünschten Gesprächspartner „zusammenstöpseln“ musste, und das geschah nur zwischen sieben Uhr morgens und sieben Uhr abends.

Bergedorfer Zeitung, 19. Oktober 1916

Bergedorfer Zeitung, 19. Oktober 1916

Der nächste kleine Schritt ließ jedoch nicht lange auf sich warten: nicht einmal zwei Monate später wurden nächtliche Gespräche nach Hamburg möglich (was technisch keine Herausforderung gewesen sein kann: die Vermittlung musste ja nur als letzte Aktion vor ihrem Feierabend die Leitung aus der Bahnhofshalle an die der Vermittlung Hamburg-Altona anschließen). Alle Anschlüsse der Vermittlung in Bergedorf, deren Gebiet von Billbrook im Westen, den Sachsenwald-Gemeinden im Norden, Börnsen im Osten sowie Curslack und Neuengamme im Süden reichte, blieben des Nachts aber stumm. Geesthacht hatte eine eigene Vermittlungsstelle, die auch für Düneberg und Krümmel (und Altengamme) zuständig war. Eine weitere Vermittlungsstelle in der Landherrenschaft Bergedorf saß in Zollenspieker mit der Zuständigkeit für Kirchwärder und den Ost-Krauel – Details sind im „Verzeichnis der Teilnehmer an den Fernsprechnetzen im Ober-Postdirektionsbezirk Hamburg“ (1915) nachzulesen.

Ob der Fernsprechautomat zwischen 19 und 21 Uhr völlig ruhte oder ob (was wahrscheinlicher ist) die Dienstzeit der Bergedorfer Vermittlungsstelle ausgedehnt worden war, konnte man nicht in der BZ lesen. Die Ausgabe des Telefonbuchs von 1918 nennt 21 Uhr als Dienstschluss der Vermittlung.

 

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Gold gab ich für Papiergeld …

Bergedorfer Zeitung, 26. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 26. August 1916

Es war wieder einmal nicht so sehr schnell gegangen in Bergedorf, doch nun sollte es losgehen: die Goldankaufstelle sollte am 1. September eröffnen, und mit dieser Anzeige warb eine Reihe Bergedorfer Honoratioren und Honoratiorinnen dafür, das im Privatbesitz befindliche Gold an das Vaterland zu verkaufen, denn das Reich brauchte dringend Edelmetall: der Goldbestand der Reichsbank war im Juli auf 2,5 Milliarden Mark geschrumpft, und offiziell wurde gesagt, dass die abzugebenden Goldmünzen (600 Millionen Mark waren noch im Umlauf) und Schmuckbestände (geschätzt 2 Milliarden Mark) „für den Friedensschluß und die dann eintretenden vielfachen Anforderungen“ benötigt würden (siehe BZ vom 25. Juli 1916) – tatsächlich wurde das Gold aber zur Kriegsfinanzierung gebraucht, und insofern war die Formulierung der Anzeige, dass man seinen Schmuck dem Vaterlande „opfern“ möge, durchaus zutreffend: ausgezahlt wurden die Einlieferer nämlich in Papiergeld, das immer schneller an Wert verlor.

Bergedorfer Zeitung, 17. August 1916

Bergedorfer Zeitung, 17. August 1916

Man konnte aber für eine Zuzahlung von 2,50 Mark eine eiserne Denkmünze oder Uhr- bzw. Damenkette erwerben (siehe BZ vom 9. Oktober 1916) – und wenn man diese sichtbar trug, wussten alle, dass man seiner patriotischen Pflicht (zumindest partiell) nachgekommen war. Eine entsprechende Aktion hatte es auch gut hundert Jahre vorher in den Befreiungskriegen gegeben, und

Bergedorfer Zeitung, 7. Oktober 1916

Bergedorfer Zeitung, 7. Oktober 1916

im Zweiten Weltkrieg folgte die nächste, wie bei Wikipedia unter Gold gab ich für Eisen nachzulesen ist.

Der Ausschuss, der es als Pflicht jedes Deutschen ansah, sich zu beteiligen, war relativ klein, aber gut besetzt: der Bürgermeister und einer seiner Ratmänner, Erna Martens, die Leiterin der Luisenschule, Frau Dr. Thomsen, Vorsitzende des Bergedorfer Frauenvereins, J. Werner Nath, Vorsteher der Depositenkasse der Deutschen Bank in Bergedorf, und der Geheime Sanitätsrat Dr. med. Hermann Tiedemann (siehe Bergedorfer Adressbuch 1915), alle wohnhaft in den besseren Gegenden der Stadt.

Präzises über den Erfolg der Aktion war der BZ nicht zu entnehmen. Zwar gab es eine Meldung zu den Vergütungssätzen, die je nach Goldgehalt in sieben Stufen bemessen waren: sie lagen zwischen 75 Pfg je Gramm achtkarätiges Gold und 2,70 Mark je Gramm Feingold, wobei die Vergütung des Einlieferers erst nach Ermittlung des Goldgehalts erfolgte (siehe BZ vom 19. Oktober 1916). Auch erfährt man, dass bis zum Ende der Aktion (in Bergedorf am 6. Oktober) 2.600 Gegenstände abgegeben worden waren (siehe BZ vom 7. Oktober 1916), aber weitere Angaben sucht man vergebens.

Zu einigen der benachbarten Gemeinden, die auch ihre Sammelstellen hatten, findet man andere Zahlen: für Schwarzenbek wurden 860,10 M für 565 Gramm und für Aumühle 1510,15 Mark für 852 Gramm genannt. In Sande, wo Rektor Brüdt die Sammelstelle betrieb, kamen 760 Mark zusammen. Dort wurden Ende November 37 Gedenkblätter, 22 Denkmünzen und 10 eiserne Herrenuhrketten ausgegeben (die Damenketten sollten folgen), und die Aktion wurde auch 1917 weitergeführt (siehe BZ vom 19. Oktober, 30. November, 5. und 28. Dezember 1916). Im ländlich-beschaulichen Ochsenwärder sollte sie sogar erst 1917 beginnen, siehe BZ vom 12. Februar 1917.

 

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