Da schien ja alles in Ordnung zu sein: diesem Artikel zufolge war genug da, und die Vorräte sollten noch weiter aufgestockt werden: durchschnittlich ein Zentner Kartoffeln stand pro Kopf der Bevölkerung zur Verfügung, die Stadt Bergedorf wollte weitere nicht unbeträchtliche Mengen hinzukaufen, und es gab ja noch die Kartoffelernte aus dem städtischen Anbau (siehe den Beitrag Mehr Mangel, weniger welsche Worte). Zudem hatte die Stadt „größere Vorräte“ an Gefrierfleisch beschafft.
In Wahrheit war die Versorgungslage kritisch: immer mehr Menschen waren auf die städtischen Volksküchen angewiesen: 840 Portionen wurden täglich ausgegeben (gegenüber 417 im August 1914, siehe den Beitrag Nach einem Jahr), also an mehr als fünf Prozent der Einwohner. Auch dürften in vielen Haushalten die Kartoffelvorräte weit unter dem Durchschnitt gelegen haben und ein Zentner Kartoffeln, d.h. 50 kg, pro Person war sicher nicht viel: der Durchschnittsverbrauch pro Kopf lag 1935/38 bei 176 kg/Jahr, 1950/51 sogar bei 186 kg/Jahr. Der Verbrauch 2011/12 lag mit 65,2 kg/Jahr immer noch deutlich über den genannten 50 kg, obwohl heutzutage viele Alternativen zur Verfügung stehen (siehe die Statistik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz), die es vor hundert Jahren kaum bzw. nur zu hohen Preisen gab: Reis kostete 44 Pfennig das Pfund, Kartoffeln hingegen um 4 Mark pro Zentner gegenüber 3 Mark im Vorjahr (siehe BZ vom 25. November 1914 sowie 9., 16. Oktober und 6. November 1915).
Das im ersten Absatz des Artikels genannte Gefrierfleisch wurde zu 1,42 Mark pro Pfund angeboten (siehe BZ vom 4. November 1915), was in Relation zu den damals gezahlten Löhnen zu setzen ist: die Chemische Fabrik Stobwasser suchte Arbeiter für 52 Pfennige pro Stunde, eine Straßenbaufirma bot 60 Pfennige (siehe BZ vom 24. und 25. September 1915).
Übrigens darf man davon ausgehen, dass dieses Schweinefleisch, das sicher aus dem „Schweinemord“ des Frühjahrs stammte (siehe den Beitrag zur Abfallwirtschaft), im wiederaufgetauten Zustand verkauft wurde: Tiefkühltruhen gab es weder in den Lebensmittelgeschäften noch in den Privathaushalten.
Zu dieser Zeit wurden dem Fleischkonsum durch die Einführung von „Veggie Days“ Restriktionen auferlegt: Handel und Gaststätten mussten an mehreren Tagen in der Woche auf den Verkauf bzw. Einsatz tierischer Produkte verzichten, auch der Postversand wurde eingeschränkt (siehe BZ vom 16. November 1915), und von der „besser bemittelten Bevölkerung“ erwartete der Bundesrat diesen Verzicht auf freiwilliger Basis. Wenn der Zweck der Verordnung war, zu „einer sozialen Verteilung der an sich ausreichenden Fleischvorräte“ zu kommen, dann heißt das im Klartext, dass sich weniger wohlhabende Menschen kein oder kaum Fleisch leisten konnten. Eine bessere soziale Verteilung wäre dann wohl nur durch sinkende Preise aufgrund geringerer Nachfrage zu erreichen gewesen – eine solche Meldung war der Bergedorfer Zeitung aber in der Folgezeit nicht zu entnehmen.