Äußerst knapp nur wurde berichtet, dass die Geesthachter Sozialdemokraten „nach ausgedehnter Debatte“ dem Gemeindevorstand „Vorschläge“ für eine bessere Lebensmittelversorgung unterbreiten wollten, was auch geschah: der Gemeindevorsitzende Brügmann verlas in der Sitzung der Gemeindevertretung ein entsprechendes Schreiben der SPD (siehe BZ vom BZ 30.09.16). Man kann daraus zweierlei schließen: erstens, dass die Sozialdemokraten weder im Gemeindevorstand noch in der Gemeindevertretung vertreten waren und dort Anträge stellen konnten, und zweitens, dass es auch in Geesthacht Versorgungsschwierigkeiten gab.
Es ging der SPD dort aber nicht nur ums Essen – in der SPD-Versammlung eine Woche zuvor hatte der grundsätzliche Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Kriegskredite und der Burgfriedenspolitik im Vordergrund gestanden: der gerade zum Landesdelegierten gewählte „Herr Sowa“ dürfte der örtliche Vorsitzende Karl Sowa gewesen sein, „Genosse Dr. Hertzfeld“ der Reichstagsabgeordnete Dr. Josef Herzfeld (siehe das ParlamentarierPortal des Zentrums für Historische Sozialforschung): Sowa vertrat hier offenbar die Linie der SPD-Mehrheit, während der Reichstagsabgeordnete Herzfeld zur aus der SPD-Reichstagsfraktion ausgeschlossenen Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft gehörte, die die Burgfriedenspolitik ablehnte – der Vorstand der Geesthachter SPD hatte Herzfeld nicht als Redner zugelassen, und eine Protestresolution hiergegen wurde von den anwesenden Mitgliedern ohne Debatte beschlossen, was zeigt, dass der Kurs der SPD-Führung hier kritisch gesehen wurde (siehe zu diesem Thema auch August Ziehl, S. 20ff). Dennoch: bei der Delegiertenwahl war Sowa erfolgreich.
Dieselben Themen behandelte der sozialdemokratische Verein in Sande, und hier steuerte der Vorsitzende (Reinhold) Krell wohl einen Kompromisskurs und hoffte, dass es wieder zu einem „Zusammenarbeiten aller Parteigenossen“ kommen würde. Krell hatte seine Mitglieder offenbar hinter sich, denn sie wählten ihn zum Delegierten.
Die Unzufriedenheit über die Lebensmittelversorgung führte zu „einer längeren Aussprache“, doch gab es keine Protestbeschlüsse: die SPD war durch Krell und andere im Lebensmittelausschuss der Gemeinde vertreten und man konnte den Genossen „die nötigen Aufklärungen“ geben – oder anders gesagt: sie stand in der Mitverantwortung, und Kritik wäre Kritik an den eigenen Leuten gewesen.
Bei den Sozialdemokraten in Bergedorf war die Lebensmittelversorgung dem Zeitungsbericht nach einziges Thema einer Versammlung: Bürgervertreter Wiesner bemängelte einige politische Entscheidungen auf der Reichsebene, die zu Knappheit an Kartoffeln und Brotgetreide geführt hätten, war aber in Hinblick auf die Brotversorgung durchaus optimistisch, und auch sonst war seine Kritik im Ton eher gedämpft und kaum Bergedorf-spezifisch – zu dieser Zeit liefen nämlich Verhandlungen unter den Stadtvertretern über die nachzuwählenden Ratmänner (siehe den Beitrag Kommunalpolitik 1916: Hohler Weg und weniger Ratmänner), und da Wiesner gern gewählt werden wollte, hätte ihn markig geäußerte Empörung sicher eine Reihe von Stimmen der bürgerlichen Stadtvertreter und damit auch die Wahl gekostet. Innerparteilich brauchte sich Wiesner, der auch zu einem der Delegierten für die SPD-Reichskonferenz bestimmt worden war (siehe BZ vom 12. September 1916), offenbar weniger Sorgen um Zustimmung zu machen.
Schöner Bericht über die unterschiedlichen Positionen der regionalen SPD während des Ersten Weltkriegs! Die Bergedorfer SPD war schon immer etwas gemäßigter – was bis heute so geblieben ist.