Wintersport in Bergedorf und Elbquerung zu Fuß

Der Winter 1916/17 war hart und kalt gewesen, zu Weihnachten 1917 lag Bergedorf unter einer Schneedecke, die Elbe war wieder zugefroren (BZ vom 27. und 31. Dezember 1917) – der Winter von 1918/19 zeigte sich zunächst ausgesprochen mild.

Bergedorfer Zeitung, 3. Februar 1919

Die ersten Schneefälle hatte die BZ erst Ende Januar 1919 gemeldet, „eine ungewöhnliche Erscheinung in diesem merkwürdigen Winter“ (BZ vom 29. Januar 1919), auf den Schnee folgte Frost, dann gab es wieder Schnee. Da konnten sich also die Schlittschuhläufer auf den Eisflächen der Bille und des Schlossgrabens betätigen, und auch ohne Kufen „tummelte sich ein zahlreiches Publikum auf dem Eise“: Eisvergnügen in Bergedorf.

Bergedorfer Zeitung, 6. Februar 1919

BZ, 6. Februar 1919

Dann fiel genug Schnee für den Einsatz von Pferdeschlitten auf den Straßen und von Rodeln auf den Hängen des Bergedorfer Gehölzes und des Gojenbergs, und mancher nutzte die Wetterlage, um Schlitten und Schlittschuhe per Kleinzeige zum Verkauf zu stellen (BZ vom 6. Februar). Mit einsetzendem Tauwetter verschwanden auch diese Annoncen.

Bergedorfer Zeitung, 10. Februar 1919

BZ, 10. Februar 1919

Der Eisgang auf der Elbe hatte die Raddampfer der Lauenburger Dampfschiffe schon längst zur Betriebs-unterbrechung gezwungen (BZ vom 31. Januar), und auch für Schraubendampfer war das Eis bald zu mächtig geworden. Die Eisdecke konnte sich also verfestigen und die Elbquerung war einige Tage lang nur zu Fuß möglich – für den Gastwirt Fölsch vom Zollenspieker eine gute Gelegenheit, Bergedorfer im Winter zu seinem Lokal zu locken. Als es wieder wärmer wurde, kamen die Eisbrecher doch noch zum Einsatz, die Dampfer konnten wieder fahren (BZ vom 14., 17. und 22. Februar), und auch der Schnee wird bald verschwunden sein.

 

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Hausbacken und Garmachen

BZ, 22. Januar 1919

Das Garmachen eines Brotes kostete Geld, wie aus der Anzeige der Bäckerei Kähler aus Kirchwärder hervorgeht – Kähler nahm „hausbacken“ Brot an und verlangte quasi eine Nutzungsgebühr für seinen Backofen. Schon vorher hatten andere Kirchwärder Bäckereien wie Johannsen, Meyns und Ohde diese Dienstleistung per Annonce angeboten.

Altmodisch, bieder, reizlos nennt der aktuelle Online-Duden als Bedeutungen für hausbacken – der ursprüngliche Sinn, der auch vor hundert Jahren noch gebräuchlich war, taucht gar nicht auf: im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wird „hausbacken“ als „für den hausbedarf gebacken, im gegensatz zu dem für den verkauf besser und feiner hergerichteten gebäck“ erklärt, und sie zitieren Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) mit
„seis, wie ihm wolle, keine noth,
hausbacken, tüchtig ist mein brod.“

Selbstgemachtes, also hausgebackenes, Brot, das man vom Bäcker garmachen ließ, wird man in den Kriegs- und Nachkriegsjahren vielleicht sogar bevorzugt haben, denn dann wusste man, welche Zutaten Verwendung fanden, ob der Teig „tüchtig“ war oder mit Kartoffeln (siehe den Beitrag K wie Kartoffel), Steckrüben (siehe den Beitrag zum Steckrübenwinter) oder anderen Substanzen gestreckt. Gerade sogenannte Selbstversorger, also in erster Linie Bauern, werden deshalb im eigenen Hause gebacken haben. Man darf vermuten, dass dabei die Regelungen über die Beimengung von Kartoffeln etc. großzügig ignoriert wurden, was für die Bäcker nicht ohne Risiko war, denn sie sollten auch für die Vorschriftsgemäßheit des zugelieferten Brotteigs haften. Den Bäckern in der Stadt Bergedorf war das zu heiß: sie beschlossen, dass „fortan keinerlei Kuchen oder Brot zum Backen angenommen werden soll“ (BZ vom 14. Januar 1915).

Die in der „Bekanntmachung“ Kählers genannten Brotgewichte von 10, 15 und 20 Pfund erscheinen aus heutiger Sicht immens – aber man muss berücksichtigen, dass zum einen die Haushalte größer waren und es zum anderen sonst nicht viel zu essen gab: die allgemeinen Rationen waren für die Woche vom 26. Januar bis 1. Februar 1919 wie folgt festgesetzt: 2.300 Gramm Brot (oder 1.610 Gramm Mehl), je 30 Gramm Butter und Margarine, 250 Gramm Kunsthonig, 150 Gramm Zucker, 2.500 Gramm Kartoffeln, 60 Gramm Nudeln und 375 Gramm Pferdefleisch mit eingewachsenen Knochen.

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Hamburg im Belagerungszustand – Bergedorf im Konzert

Bergedorfer Zeitung, 23. Januar 1919

Wer gedacht hatte, dass nach der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar alles in geordneten Bahnen verlaufen würde, sah sich getäuscht: über Hamburg wurde am 22. Januar nach heftigen Unruhen der Belagerungszustand verhängt, nachdem – so die Bergedorfer Zeitung – von Spartakisten aufgehetzte Arbeitslose das Gewerkschaftshaus gestürmt,  sich mit Sicherheitsmannschaften des Soldatenrats Schießereien geliefert, diese zum Teil entwaffnet und Polizeiwachen besetzt hatten.

Der Belagerungszustand galt offenbar nur für die Stadt Hamburg, denn in Bergedorf ging das Leben weiter: die BZ sang (im Ausschnitt oben stark gekürzt wiedergegeben) geradezu euphorisch ein Loblied auf das  Bandler-Quartett, dessen Konzert wie geplant am 22. Januar, Beginn 7½ Uhr, stattgefunden hatte. Doch verzeichnete das Blatt „auch hier eine starke Rückwirkung“ der Hamburger Ereignisse:  die Alarmsirene der Feuerwehr wurde ausgelöst – von wem und warum auch immer, jedenfalls wurden die Sicherheitsmänner des Arbeiter- und Soldatenrats Bergedorf-Sande aktiv und besetzten den Bahnhof. Ob deshalb, ob trotzdem, ob unabhängig davon: „Zu irgend welchen Zwischenfällen ist es jedoch nirgendwo in unserer Stadt gekommen.“ Alles andere hätte auch überrascht.

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Wie wurde gewählt? – Die Ergebnisse

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1919 (Die angegebenen Prozentwerte sind nicht ganz nachvollziehbar.)

Die Zusammensetzung der Wählerschaft hatte sich gewaltig geändert (siehe den Beitrag Wie wähle ich?), das Parteiensystem hatte sich teilweise neuformiert (Links zu den Parteien im Beitrag Der Kampf um die Stimmen der Frauen), aber verglichen mit der Reichstagswahl 1912 waren in Bergedorf die Kräfteverhältnisse zwischen dem Lager der Sozialdemokraten und dem der bürgerlichen Parteien praktisch unverändert geblieben.

Bergedorfer Zeitung, 20. Januar 1919

Dennoch lohnt ein genauerer Blick auf die Stadt Bergedorf, die Vierlande, die Marschlande und auch nach Sande und Düneberg-Besenhorst, und deshalb hier die Detailergebnisse.

Die einzelnen Wahllokale Bergedorfs verzeichneten recht unterschiedliche Ergebnisse: im Stimmbezirk 338 war die SPD nur die zweitstärkste Kraft hinter der DVP, dicht gefolgt von der DDP – in allen anderen Stimmbezirken lag die SPD sehr deutlich an der Spitze. Dies spiegelt die im Beitrag über Die Morgen-, Abend- und Nachtbeleuchtung bereits angesprochene soziale Trennung der Wohngebiete: das Wahllokal 338 war das Forsthaus, in dem das Villenviertel die Stimmen abgab (siehe das Straßenverzeichnis der Wahllokale ganz unten), und insofern kann man schon von einem überraschend guten Abschneiden der Sozialdemokraten in diesem Gebiet sprechen, in dem DVP und DNVP ihre besten Ergebnisse erzielten. Die anderen Stimmbezirke waren eher von Arbeiterhaushalten geprägt, und dort erreichten die Sozialdemokraten bis zu 61,2% der Stimmen. Die DDP erhielt in allen fünf Stadtteilen über 20%, die USP hatte das beste Resultat mit 4,8% im Südwesten der Stadt, das Zentrum kam nur im Villenviertel, in dem auch die katholische Kirche lag, über den Rang einer Splitterpartei hinaus. Das beste USP-Ergebnis gab es in Geesthacht mit einem Anteil von 26,5%, aber die SPD lag mit 47,3% deutlich vor ihr.

Auch in den Vierlanden und den Marschlanden lag die SPD fast überall an der Spitze – bemerkenswert sind dabei die Ergebnisse der DVP vor allem in Kirchwärder: der Hamburger DVP-Spitzenkandidat Franz Heinrich Witthoefft, Kaufmann und Präsident der Handelskammer, stammte von dort, und seine Partei hatte die Vierländer aufgefordert, für „Euren Landsmann“ (BZ vom 18. Januar 1919) zu stimmen, was aber bei den Curslackern und Neuengammern weniger verfing. Witthoefft errang den einzigen Sitz der Hamburger DVP in der Nationalversammlung; er nahm auch als Mitglied der deutschen Delegation an den Friedensverhandlungen in Versailles teil, wie Anne Lena Meyer schreibt (in: Olaf Matthes/Ortwin Pelc, Menschen in der Revolution, S. 195-197).

Bergedorfer Zeitung, 20. Januar 1919

Das Spitzenergebnis für die SPD gab es mit 75,5% der Stimmen (USP 5,4%) in Sande. Besenhorst, das vor dem Krieg noch ein Bauerndorf gewesen war, stand (zusammen mit Düneberg) dem mit einem SPD-Anteil von 71,1% nur wenig nach; die USP erreichte hier 3,7%.

Der Spartakusbund war zu den Wahlen nicht angetreten – angesichts einer hohen Wahlbeteiligung von über 90% hätte er wohl kaum nennenswerte Stimmenzahlen erreicht, und die wohl am ehesten zu Lasten der USP. Eine klare Mehrheit sprach sich für einen Reformkurs aus, aber die von der SPD erhoffte sozialdemokratische Mehrheit gab es in der Nationalversammlung nicht: es mussten also Kompromisse geschlossen werden.

Bergedorfer Zeitung, 13. Januar 1919

Die Angabe für das Wahllokal 339 wurde am 14. Januar korrigiert: es befand sich in Grafs Kulmbacher Bierhaus am Brink 2.

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Große Straße 20: keine Goldgrube

BZ, 15. Januar 1919

Das gesamte gut erhaltene Inventar des Friseursalons in der Großen Straße 20 kam unter den Hammer – vermutlich waren Verbindlichkeiten wie z.B. Mietschulden nicht bedient worden.

BZ, 11. Oktober 1918

Erst im Oktober 1918 hatte A. Dellitsch diesen Damen-Salon dort eröffnet, und nach weniger als drei Monaten war Schluss – ein Spiegel der Zeit, aber sicher auch der 1918 deutlich gewachsenen Zahl von Frisiersalons geschuldet.

BZ, 27. Juli 1915

Der Vermieter Wilhelm (Willy) Langneß, von Beruf Goldschmied, wird frustriert gewesen sein: bis März 1914 hatte er im Parterre des Hauses mit Gold- und Silberwaren gehandelt. Seine regelmäßigen Anzeigen in der BZ waren immer anspruchsvoll gestaltet,  doch eine Goldgrube war das Geschäft wohl nicht, denn er verlegte es in die Wohnräume der ersten Etage, um den Laden vermieten zu können (BZ vom 12. März 1914).

Der neue Mieter des Ladens war das Hamburger Musikhaus Prehn, das vorher an der Holstenstraße im Haus der Bergedorfer Bank ansässig gewesen war (BZ vom 12. März und 3. April 1914), den Standort unmittelbar am Bergedorfer Markt aber ein gutes Jahr später aufgab: Kriegszeiten waren offenbar keine guten Zeiten für Musikwaren und Musikalien.

 

 

BZ, 17. August 1915 (erste Anzeige)

BZ, 2. August 1918 (letzte Anzeige)

Langneß‘ dann folgende Suche nach einem neuen Mieter dauerte fast drei Jahre, in der Regel mit drei Annoncen pro Woche.

 

BZ, 16. Februar 1918

Zwar gab es eine Zwischennutzung durch die „Liebesgaben-Annahmestelle vom Roten Kreuz“ (BZ vom 17. April 1916) und später auch durch die Nähstube des Roten Kreuzes, doch da Langneß‘ Vermietungsanzeigen weiterliefen, kann man vermuten, dass das Rote Kreuz hierfür keine oder nur eine geringe Miete zahlte und dafür kurzfristig gekündigt werden konnte.

BZ, 14. März 1917

Langneß war schon 1915 zum Militär einberufen worden (BZ vom 5. Februar 1915). Seine Frau versuchte das „Etagen-Geschäft“ weiterzuführen und durch den Kauf alter Gebisse weitere Einnahmen zu erzielen, fertigte Bauerntrachten für Kinder (z.B. BZ vom 5. Oktober 1916) und bot vogtländische Stickereien an (z. B. BZ vom 17. Februar 1917), auch wurden Reparaturen von Gold- und Silberschmuck ausgeführt (z.B. BZ vom 13. März 1918) – sie unternahm wirklich viel, aber die Einnahmen werden auf bescheidenem Niveau geblieben sein.

BZ, 8. März 1919

BZ, 7. Juni 1919

Nach der Pleite des Friseurs fand sich aber recht schnell ein neuer Mieter für den Laden: der Buchbinder Ingo Fuhr (i. Fa. Chr. Ditlevsen Nachf.) zog von der Großen Straße 19 ins Nachbarhaus, und einige Monate später war auch die erste Etage neu belegt: eine Zahnpraxis zog ein. Wahrscheinlich waren Langneß und Frau zu diesem Zeitpunkt bereits ausgezogen und hatten Bergedorf verlassen; dafür verzeichnete das Hamburger Adressbuch für 1920 erstmals einen Goldschmied W. Langness in der ABC-Straße 6. Er hatte den Krieg also überlebt und konnte wieder in seinem Beruf tätig werden.

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Die Bergedorfer Demonstration für die Zeitung der SPD und die Lohnfortzahlung

1919 gab es weder Internet noch Fernsehen und Radio – Zeitungen, Plakate und Flugblätter waren die einzigen Massenmedien. Wer also Meldungen und Botschaften verbreiten, Menschen beeinflussen wollte, war abgesehen von Mundpropaganda und Kundgebungen auf „Print“ angewiesen. Dem Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat fehlte ein solches von ihm redaktionell beherrschtes Organ, und so gab es mehrfach Versuche, das Hamburger Echo, die Parteizeitung der SPD Hamburg, unter seine Kontrolle zu bringen (siehe auch den Beitrag zur Neujahrsdemo in Bergedorf und Sande).

Gegen diesen erneuten Versuch, aus dem Echo „eine Presse für das gesamte Proletariat“ zu machen (BZ vom 11. Januar 1919), und auch gegen die Besetzung des Gewerkschaftshauses gab es in Hamburg am 10. und 11. Januar massive Proteste bis hin zur vorübergehenden Verhaftung des Ratsvorsitzenden Laufenberg – ein deutliches Zeichen für die zunehmenden Spannungen unter den revolutionären Kräften  (siehe hierzu Christina Ewald, S. 119-121).

Bergedorfer Zeitung, 11. Januar 1919

Selbst im ansonsten ja ruhigen Bergedorf beteiligten sich etwa 1.000 Arbeiterinnen und Arbeiter an dem Protest, wie aus dem BZ-Bericht hervorgeht: mittags zogen sie vom Bahnhof zum Brink, wo der Gewerkschaftsfunktionär und SPD-Ratmann Friedrich Frank, Mitglied der Exekutive des örtlichen Arbeiterrats, „eine Ansprache hielt“ – was genau er sagte, verrät der Bericht nicht.

BZ, 15. Januar 1919

Auch wenn die Veranstaltung wohl zum Teil in der Mittagspause der Betriebe stattfand, so wird sie länger gedauert haben, und wenige Tage später untersagte der Bergedorfer Arbeiter- und Soldatenrat den Arbeitgebern, versäumte Arbeitszeit vom Lohn abzuziehen – in dieser Bekanntmachung wurde auch der Veranstalter der Demonstration genannt: es war der örtliche Arbeiterrat und nicht SPD und/oder Gewerkschaften.

Gut einen Monat später meldete dann die BZ, dass das Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung auf Anfrage des Hamburger Arbeitsamts erklärt habe, „daß der A.- und S.-Rat zum Erlaß von Anordnungen der mitgeteilten Art nicht befugt“ sei (BZ vom 13. Februar 1919). Ob das eine und das andere praktische Auswirkungen in Bergedorf (und Geesthacht, wo aus anderen Gründen am 8. Februar demonstriert wurde, BZ vom 10. Februar) hatte, schrieb die BZ nicht.

 

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„Wie wähle ich?“ – Der Stimmzettel ist mitzubringen!

Bergedorfer Zeitung, 18. Januar 1919

Es war vieles neu bei dieser Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919: weit mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten waren Erstwähler, denn erstmals durften nach dem neuen Reichswahlgesetz vom 30. November 1918 Frauen wählen, die die Mehrheit der stimmberechtigten Bevölkerung stellten. Außerdem war das Mindestalter von 25 auf 20 Jahre herabgesetzt worden und im Gegensatz zum Reichstagswahlrecht 1869 – 1912 (§ 3) waren z.B. Empfänger von Armenunterstützung nicht ausgeschlossen, auch Soldaten durften nun wählen, ebenso in Deutschland wohnhafte Deutsch-Österreicher (Bekanntmachung des Wahlamts Hamburg, BZ vom 15. Januar 1919). Vermutlich werden also nicht nur Frauen diese Anzeige aufmerksam gelesen haben.

Für heutige Wähler überraschend: der Stimmzettel war mitzubringen – jede Partei hatte im Vorfeld der Wahl Stimmzettel verteilt und gab sie für Vergessliche auch vor dem Wahllokal aus (wofür viele Helferinnen und Helfer benötigt wurden, siehe die DVP-Anzeige unten). Ein Schreibstift war dagegen nicht erforderlich, denn der Stimmzettel wurde unverändert in den Wahlumschlag gesteckt und dann abgegeben – Streichungen hätten die Stimme ungültig gemacht.

Im Kaiserreich hatte nur ein einziger Name auf diesem Stimmzettel gestanden, denn in jedem Wahlkreis war nur ein Abgeordneter zu wählen (mit absoluter Mehrheit der Stimmen – wurde diese nicht erreicht, fand eine Stichwahl statt). 1919 gab es weniger Wahlkreise, aber in jedem der Wahlkreise wurden entsprechend der Einwohnerzahl mehrere Abgeordnete gewählt, und zwar nach dem Prinzip der gebundenen Parteilisten. Die Sitze wurden entsprechend den Stimmenanteilen auf die Parteien verteilt (Verhältniswahlsystem): wenn z.B. eine Partei Anspruch auf zwei Sitze hatte, waren die ersten zwei auf der Liste gewählt.

Update 15.01.2019: Auf einen Tweet der Stabi erhielt ich als Antwort den Hinweis, dass nach der Wahlordnung zur Nationalversammlung (§ 42) Streichungen durchaus zulässig waren und der „Wahlwerbeausschuss“ in diesem Punkt also danebenlag. Praktische Folgen hatte eine Streichung aber nicht, da ausschließlich die Gesamtzahl der Stimmen für jeden Wahlvorschlag erfasst wurde, weshalb eine geringere Stimmenzahl für einen einzelnen oder mehrere Kandidaten die Listenreihenfolge nicht veränderte. Formal wäre noch ein weiterer Fehler des „Wahlwerbeausschusses“ anzumerken: eine Stimme war auch dann gültig, wenn sich mehrere gleichlautende Stimmzettel in einen Umschlag befanden – das brachte aber nichts, weil dies (natürlich) nur als eine Stimme gewertet wurde.

Hamburg bildete übrigens zusammen mit Bremen und dem Regierungsbezirk Stade den Wahlkreis 37, in dem 12 Sitze zu vergeben waren.

Wenn damit die Frage „Wie wähle ich?“ beantwortet ist, so bleibt die weitere und genau so wichtige Frage „Was wähle ich?“ – In zahllosen Veranstaltungen in den Wochen vor der Wahl hatten die Parteien Werbung für ihre Kandidaten (und ihr Programm) betrieben, die wohl alle in der Bergedorfer Zeitung angekündigt wurden, was den Anzeigen-Verantwortlichen der BZ Richard Wagner sehr gefreut haben dürfte. Über die Versammlungen wurde in aller Regel so ausführlich berichtet, dass selbst eine Auswahl der Berichte, die ja ausgewogen sein müsste, den Rahmen des Blogs sprengen würde.

Bergedorfer Zeitung, 16. Januar 1919

Dieser Anzeigenblock gibt einen Eindruck des Wahlkampfs, zeigt aber auch, dass nicht alle Veranstalter an Wahlen dachten.

Aus dem am 21. Januar erscheinenden folgenden Beitrag ist dann zu erfahren, wie in der Landherrenschaft Bergedorf gewählt wurde.

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Das Chor- und Vereinsleben normalisiert sich

Bergedorfer Zeitung, 7. Januar 1919

In einem Bericht über die Hasse-Gesellschaft hatte die BZ 1915 geschrieben: „Die Verhältnisse bringen es mit sich, daß der Chor nicht in seinem ganzen Umfang wirken kann; er muß sich in diesem Winter damit bescheiden, mit seinen weiblichen Mitgliedern auf dem Plan zu erscheinen.“ (BZ vom 2. Oktober 1915) Auch in den folgenden Jahren konnte der Chor nur als reiner Damenchor auftreten, aber nach der Rückkehr und Entlassung der meisten Soldaten wollte Chorleiter Carl Grau wieder auf männliche Stimmen zu einem gemischten Chor setzen. Beim Oster-Konzert waren dann die Männer dabei, aber „die Männerstimmen erwiesen sich noch als zu schwach, um die ihnen zufallende Aufgabe restlos erfüllen zu können.“ (BZ vom 5. April 1919). Immerhin: der (Wieder-)Anfang war gemacht.

Eine Wiederaufnahme der Aktivitäten gab es in zahlreichen Vereinen, und (fast) alle hofften sie auf neue Mitglieder, wie die Anzeigen (hier nur eine Auswahl) belegen:

 

 

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Das Nachttelefon in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 3. Januar 1919

Die Fernsprechvermittlung in Bergedorf war seit Jahresbeginn 1919 rund um die Uhr besetzt, sodass die Bergedorfer und Bergedorferinnen nun auch nachts telefonieren konnten, was die Hamburgerinnen und Hamburger schon länger konnten.

Die Initiative zu einer Nachtverbindung war von dem Holzhändler Rudolf Behr ausgegangen, der „mit bestimmten Sprechstellen zur Erhöhung des persönlichen Schutzes“ auch (oder gerade) nachts in Verbindung treten können wollte. Bürgermeister Walli stellte sich (am 19. November) hinter dieses Vorhaben, das er „im sicherheitspolizeilichen Interesse“ befürwortete. Der Postdirektor Friedrichs sah zwei Möglichkeiten, dem Wunsch nachzukommen: er bot die Einrichtung von Standverbindungen zu Polizei und Feuerwehr an, hielt aber die Schaffung einer „nächtlichen Dienstbereitschaft“ der Fernsprechvermittlungsstelle für sinnvoller (BZ vom 26. November 1918), und tatsächlich wurde dann die bessere Lösung realisiert.

In diesen Begründungen spiegelt sich die unsichere Lage der ersten Revolutionswochen – im Januar 1919 war dem BZ-Redakteur dann wichtiger, dass nachts „das Herbeirufen von Hilfe bei Unglücks- und plötzlichen schweren Krankheitsfällen“ erleichtert wurde. Wirkliche revolutionäre Unruhen hatte es in Bergedorf ja auch nicht gegeben.

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Die Neujahrsdemo in Bergedorf und Sande

Bergedorfer Zeitung, 30. Dezember 1918

Der Aufruf der Sozialdemokratischen Vereine und des Gewerkschaftskartells zu einer Neujahrsdemonstration war keine isolierte lokale Aktion: auch in Hamburg und andernorts fanden ähnliche Veranstaltungen statt. Mit diesen Kundgebungen wollte die SPD zeigen, dass der nun ohne USPD-Mitglieder regierende Rat der Volksbeauftragten breite Unterstützung genoss und dass es demokratische Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung geben sollte.

Es waren bewegte Tage: in Hamburg war ein Putsch einer bürgerlichen Gruppe vereitelt worden, der nach einem führenden Konspirateur als Abter-Putsch bezeichnet wurde (BZ vom 9., 10. und 12. Dezember). In Berlin besetzte die Volksmarinedivision die Reichskanzlei; es gab Kämpfe zwischen dieser Volksmarinedivision und Einheiten der Garde, die die Regierung Ebert stützte (BZ vom 24. Dezember), die Räume der SPD-Zeitungen „Vorwärts“ in Berlin und „Hamburger Echo“ wurden von Spartakisten bzw. ihnen Nahestehenden besetzt (BZ vom 27. und 30. Dezember), die Reichskonferenz des Spartakusbundes rief dazu auf, das Zustandekommen der Nationalversammlung „mit allen Mitteln“ zu verhindern (BZ vom 31. Dezember). Da wollte die SPD zeigen, wer die Massen mobilisieren konnte.

Aber auch andere politische Kräfte mobilisierten am 1. Januar 1919 ihre Anhänger, und so konnte die BZ gleich über mehrere Veranstaltungen berichten, wie der unten wiedergegebene Artikel zeigt. Obwohl die genannten Teilnahmerzahlen zugunsten der SPD geschönt scheinen (siehe die Angaben bei Christina Ewald, S. 120), war doch die Kundgebung auf der Moorweide sicher mit Abstand die größte: die „Reformer“ hatten viel mehr Unterstützer auf die Straße gebracht als die „Revolutionäre“.

Während in Bergedorf-Sande alles ruhig verlief, „wie man es von der hiesigen Einwohnerschaft ja von jeher gewöhnt ist“ und die Kundgebung musikalisch begleitet wurde, hatte man in Hamburg offenbar erhebliche Befürchtungen und ließ den Demonstrationszug der SPD nicht nur von Musikkapellen, sondern zusätzlich durch ein „Aufgebot von Sicherheitsmannschaften mit Maschinengewehren bewehrten Lastautos“ begleiten. Es blieb aber alles friedlich, auch bei den Versammlungen der anderen Gruppierungen.

Bergedorfer Zeitung, 2. Januar 1919

 

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