Weihnachtskringel und Affenzwinger: behördlich verordnetes Bauen

Bergedorfer Zeitung, 19. Oktober 1921

„Dieses Dach hat man mit Dachrinnen derartig versehen, daß es aussieht wie ein Weihnachtskringel“, kritisierte ein von Helga Schmal (S. 83) zitierter Maurermeister, der über einen anderen Neubau urteilte, wegen fehlender Dachüberstände sehe er aus wie „der reine Affenzwinger“. Diese (angeblichen oder wirklichen) Gestaltungsunfälle im Landgebiet waren nicht das Werk überforderter Bauherren oder Baumeister, sondern Folge der Einwirkung der Hamburger Baupflegekommission, über die man sich in den Dörfern der Vierlande wie in denen der Marschlande ärgerte (siehe z.B. BZ vom 19. April, 29. August und 13. September), und nun wollten die Gemeindevertreter gemeinsam dagegen vorgehen.

Alle Bauanträge mussten von dieser Kommission genehmigt werden, die laut Baupflegegesetz das Stadtbild pflegen sollte (siehe Kurt Rauschnabel, Stadtgestalt durch Staatsgewalt?, S. 7), und dabei traf die Kommission ohne Beteiligung der Gemeinden immer wieder Festlegungen, die vor Ort auf Unverständnis stießen: sie machte Vorschriften zur Farbe der Dachziegel (rot), Dachrinnen und Regenfallrohre (grün) und auch zur Gestaltung von Giebelpfosten (Schmal, S. 82), die im Landgebiet heftig kritisiert wurden. Diese Kritik wollte man „an zuständiger Stelle zur Sprache“ bringen, was offenbar auch geschah.

Ende des Jahres gab es eine kontroverse Debatte: in einer Versammlung der Bürger- und Kommunalvereine wurde die Behörde als „bureaukratisch und nörgelsüchtig“ bezeichnet, ihr fehle „eben die rechte Fühlung mit dem Lande.“ Der anwesende Chef des Baupflegebüros, Oberbaurat Hellweg, setzte sich zur Wehr: seine Dienststelle habe „weit eher Grund zu Beschwerden gegenüber dem Bauwesen als umgekehrt“, und wenn Bauten nicht wie genehmigt ausgeführt würden, müssten eben durch die Baupolizei Strafen verhängt werden (BZ vom 16. Dezember).

Das klingt nach einer Fortsetzung des harten Kurses der Hamburger – aber 1922 fand eine Bereisung der Vierlande durch die Kommission statt, über die Kurt Rauschnabel (S. 81) schreibt: „Wenn auch der Interessenkonflikt mit solchen Aktionen nicht ausgeräumt werden konnte, so war die nachfolgende Beurteilung doch von einem größeren Verständnis geprägt.“

Möglicherweise war dieser Teilerfolg ein Ergebnis der „Vereinigung der Landgemeinden“, die ihre Belange gegenüber dem Staat und den Landherrenschaften durchsetzen wollten. Themen gab es jedenfalls genug: Das Spektrum der im Artikel genannten Probleme reichte von der Erhebung der Gemeindesteuern, der Beschaffung von Motorspritzen für die Feuerwehren bis hin zum Teilungsrecht landwirtschaftlicher Grundstücke und zum Dauerthema Abschleusung von Dove- und Gose-Elbe.

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Die Verwahrlosung am Hundebaum

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1921

„Ein täglicher Spaziergänger“ ärgerte sich vor allem über eine marode und daher gefährliche Holztreppe, und da er sowieso am Schreiben war, rügte er in diesem Sprechsaal-Artikel auch gleich den Zustand der „alten Brauerei“, womit er die am Hundebaum gelegene Vereinsbrauerei meinte – das Bierbrauen war dort 1914 eingestellt worden, die Gebäude waren 1918 an den Bergedorfer Maurermeister Franz Meincke verkauft worden (BZ vom 12. Januar 1918), der die Gebäude abbrach, um Ziegel- und Chamottsteine sowie Fußbodenplatten aus Granit verkaufen zu können (BZ vom 29. Juli 1920). Trotz der Knappheit an Baustoffen lag mehr als ein Jahr später immer noch genug herum, um den Spaziergänger zu der Einstufung als „Trümmerfeld“ zu bringen.

Erschien ihm das Gelände der Brauerei unästhetisch, so war seines Erachtens die Holztreppe zwischen Brauerei und Bahnwärterhäuschen aufgrund ihres verwahrlosten Zustands unfallträchtig; daher forderte er die Behörden zum Handeln auf. Die Schriftleitung der BZ verwies aber darauf, dass für diese Treppe der Eisenbahnfiskus, nicht die Stadt Bergedorf, verantwortlich sei.

Bergedorfer Zeitung, 26. Oktober 1921

Das wiederum rief die Bahnmeisterei Bergedorf auf den Plan: Grundeigentümer sei die Stadt, und diese sei daher für die Instandsetzung zuständig. Dem schloss sich der Bürgervertreter Hinrichs an, der die Beamten des Bauamts rügte, weil sie den Missstand „nicht gesehen und gemeldet hätten“ (BZ vom 31. Oktober 1921).

Es spricht einiges dafür, dass die Darstellung der Bahn zutrifft, denn der Bahnwärter hatte eine (bahn-)eigene Treppe von und zu seinem Häuschen, die direkt auf den Bahnübergang zulief. Wie lange es bis zur Instandsetzung dauerte und durch wen sie vorgenommen wurde, meldete die BZ nicht: womöglich hätte sie ihren Einschub im Sprechsaal-Artikel korrigieren müssen. Das Trümmerfeld wird ebenfalls noch geblieben sein.

 

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Ehrenbuch und Baldachin

Bergedorfer Zeitung, 14. Oktober 1921

Bergedorfs Militärvereine riefen ihre Mitglieder auf, sich an der Feier zur Enthüllung des Ehrenmals in der Bergedorfer Kirche mit Orden und Ehrenzeichen zu beteiligen – sie waren ja explizit durch den Kirchenvorstand zur Beteiligung eingeladen worden. Man kann davon ausgehen, dass die in der Anzeige genannte Fahne in den Farben des Kaiserreichs gehalten war, sofern nicht die Banner der Vereine gemeint waren. Aber auch die dürften schwarz-weiß-rot gewesen sein.

 

 

Bergedorfer Zeitung, 15. Oktober 1921

Es war ein neues Kapitel im langanhaltenden Streit um die Gefallenenehrung in Bergedorf, das die von den alten Kräften getragene Kirchengemeinde hier eröffnete: das im Vorjahr von ihr angekündigte Ehrenbuch mit den Namen der Gefallenen lag unter einem drei Meter hohen Baldachin, und alles war aufwändig gestaltet, wie aus der detaillierten Beschreibung der BZ hervorgeht.

Am Tag nach der Einweihung berichtete die BZ ausführlich über die Kanzelansprache Pastor Behrmanns, die Weiherede des Kirchenvorstehers Prof. Ohly, die zahlreichen musikalischen Ummalungen und die abschließenden Kranzniederlegungen. Der Kranz des Kirchenvorstands hatte eine Schleife in schwarz-weiß-rot (BZ vom 17. Oktober).

Das Gedenken an die Gefallenen wird bei vielen Teilnehmern im Vordergrund gestanden haben – für die Veranstalter und die eingeladenen Vereine war es eher eine (politische) Demonstration der Handlungsfähigkeit, die zugleich Kritik an der Stadt ausdrücken sollte, weil diese mit ihren Planungen für ein Denkmal im öffentlichen Raum nicht vorankam.

Es kann daher nicht überraschen, dass der Bürgermeister nicht unter den Teilnehmern war.

 

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Der Kampf um höhere Löhne

Nicht nur um die Arbeiterlöhne der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn gab es 1921 eine Tarifauseinandersetzung – die Preise stiegen rasant, wie z.B. aus dem Beitrag über Milch erkennbar, die Löhne blieben dahinter weit zurück.

Bergedorfer Zeitung, 4. Oktober 1921

Streiks für höhere Löhne gab es im zweiten Halbjahr bei der BGE, den Kutschern, der Holzfabrik und der Faserstoffzurichterei sowie der Stuhlrohrfabrik von Rümcker & Ude (BZ vom 7. September, 21. und 28. Oktober und 18. November); beim Bergedorfer Eisenwerk akzeptierten die Arbeiter das wohl ohne Streik zustande gekommene Schlichtungsergebnis mit großer Mehrheit – in der Betriebsversammlung gab es nur fünf Nein-Stimmen (BZ vom 4. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 12. Oktober 1921

Anders bei der BGE: die Arbeiter lehnten ab, worauf sich Gewerkschaften und Arbeitgeber im Schlichtungsverfahren geeinigt hatten und waren auch mit einem verbesserten Angebot der BGE-Direktion nicht einverstanden, und so kam es zum Streik. Rechtlich gesehen war das ein „wilder“ Arbeitskampf: die Betriebsleitung sah sich an das Abkommen gebunden, dem auf der Verbandsebene ja auch die Arbeitnehmerorganisation zugestimmt hatte – die Arbeiter beeindruckte das zunächst nicht.

Die Streikleitung der Bergedorfer Eisenbahner reagierte sofort, sodass am folgenden Tag ihre Stellungnahme in der BZ zu lesen war:

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1921

Der  Vorwurf des „wilden“ Streiks wurde nicht als unzutreffend zurückgewiesen, aber die Kampfmaßnahme für notwendig erklärt: bisher seien Hungerlöhne gezahlt worden, offenbar schlechtere als im Handwerk und für andere Arbeiter – leider wird nur die vorgesehene Erhöhung um zunächst eine Mark pro Stunde genannt, aber nicht die absolute Lohnhöhe der Bahnarbeiter.

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1921

Man traf sich schließlich wieder am Verhandlungstisch, wohl auf noch höherer Ebene in Berlin. Ein Ergebnis meldete die BZ  nicht – im Anzeigenteil verkündete die BGE einen harten Kurs mit fristloser Kündigung bei Fortsetzung des Streiks. Ob wegen der Drohung oder wegen Nachbesserungen bei der Lohnerhöhung ist unbekannt, aber der Streik ging schnell zu Ende: am 15. Oktober war zu lesen, dass „der Betrieb in vollem Umfange wieder aufgenommen werden konnte.“

Andere Streiks in Bergedorf dauerten vermutlich länger: der Arbeitskampf bei der Faserstoffzurichterei hatte Ende Oktober begonnen – die Tarifeinigung wurde erst einen Monat später erreicht. Der Stundenlohn dort stieg dort für Arbeiter auf 9,75 Mark, für Arbeiterinnen auf 5,50 Mark (BZ vom 2. Dezember). Welche Laufzeit dieser Tarifvertrag hatte wurde nicht angegeben – der beim Eisenwerk sollte bis Jahresende gelten, konnte aber zum 15. November gekündigt werden, wenn eine „merkliche Verteuerung des Lebensunterhalts“ eintreten sollte.

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Das vorsichtige Dienstmädchen

Bergedorfer Zeitung, 7. Oktober 1921

Auch vor hundert Jahren konnte man nicht vorsichtig genug sein, wenn Menschen in angeblich offizieller Funktion an der Tür klingeln – das Dienstmädchen eines Villenhaushalts in der Roonstraße war jedenfalls hellwach: es ließ die Männer nicht in die Wohnung, sondern versicherte sich telefonisch beim Gaswerk, das ihr mitteilte, dass keine Kontrolleure unterwegs seien. Die beiden Männer hatten zwischenzeitlich das Weite gesucht, was ein Indiz für unredliche Absichten sein konnte. Da aber die BZ eine recht präzise Täterbeschreibung druckte, bestand Aussicht, dass ihnen keine Opfer in die Hände fielen: man sollte die beschriebenen Männer der Polizei melden.

Bergedorfer Zeitung, 8. Oktober 1921

Doch das Lob des Dienstmädchens kassierte die BZ am nächsten Tag wieder ein: es habe aus Überängstlichkeit und Nervosität gehandelt: die Männer waren Mitarbeiter des Elektrizitätswerks, einer davon sogar „wohlbestallt“ als Zählerrevisor, und ihr Besuch galt dem Strom-, nicht dem Gaszähler.

Der Tipp der BZ gilt auch heute noch: man lasse sich die Legitimation der Einlassbegehrenden zeigen. Das allerdings schützt nicht vor gefälschten Dienstausweisen.

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Die städtische Badewanne

Bergedorfer Zeitung, 8. Oktober 1921, Bericht über die Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung

Hatte der verdienstvolle Rektor Müller sich eine städtische Badewanne unter den Nagel gerissen, als er aus seiner Dienstwohnung ausziehen musste? Oder suchte man einen Vorwand, um ihm am Zeug flicken zu können?

Ausgangspunkt war, dass Müller seine bisherige Wohnung in der Stadtschule am Brink im Zuge der Umbaumaßnahmen für die Fortbildungsschule abgeben und umziehen musste (BZ vom 27. Mai). Seine liebgewonnene Badewanne, die der Stadt gehörte, zog mit ihm um; er wollte der Stadt dafür eine Wanne aus der neuen Wohnung überlassen.

Öffentlich bekannt wurde das Geschehen in der Sitzung der Stadtvertretung und des Magistrats: auf Anfrage des Sozialdemokraten Friedrich Frank antwortete Bürgermeister Wiesner, ebenfalls SPD, dass Müller rechtswidrig gehandelt habe, auch wenn die städtische Badewanne mittlerweile wieder der Stadt übergeben worden sei.

Bergedorfer Zeitung, 10. Oktober 1921

So ein Verhalten muss man wohl als versuchten Betrug bewerten – aber gegen die Anschuldigung wehrte sich Müllers Sohn, von Beruf Rechtsanwalt, im Namen seines Vaters: von widerrechtlicher Aneignung könne keine Rede sein, das Bauamt habe der Badewannenmitnahme und dem Tausch zugestimmt, nach Aufforderung habe er die Wanne sofort der Stadt zurückgegeben, und außerdem sei die neu bezogene Wohnung in der Brauerstraße ja auch eine Dienstwohnung.

Doch alle Beamten des Bauamts dementierten, dass sie dieser Regelung zugestimmt hätten und Müller habe auch nicht den Magistrat gefragt, erklärte Bürgermeister Wiesner in der nächsten Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung, wiederum auf Anfrage seines Parteigenossen Frank. Bürgerliche Stadtvertreter hingegen folgten offenbar zwischenzeitlich erhaltenen Angaben Müllers: es sei eine von der Stadt als Dienstwohnung angemietete und hergerichtete Wohnung, und schon dem zunächst vorgesehenen Mieter Rektor Kreyenberg sei die Überführung seiner (wohl ebenfalls stadteigenen) Badewanne dorthin gestattet worden (BZ vom 31. Oktober).

Jedenfalls wurde Rektor Müller von den Sozialdemokraten nicht besonders geschätzt:  im Krieg hatte er für die Zeichnung von Kriegsanleihen geworben (BZ vom 14. März 1916) und die Vaterlandspartei unterstützt (BZ vom 3. Oktober 1917), und als ihm per Mehrheitsbeschluss seine Zulage als Leiter zweier Schulen gestrichen wurde (BZ vom 25. Juli 1919), zog er gegen die Stadt vor Gericht und obsiegte (BZ vom 10. Dezember 1919), was ihn sicher bei den neuen Mächtigen nicht beliebter machte. Und dann hatte er sich noch wie die anderen Schulleiter geweigert, die Kaiserbilder aus der Schule zu entfernen (BZ vom 4. Oktober 1919) – die politische Abneigung zwischen Müller und den Sozialdemokraten war offensichtlich ausgeprägt, und vielleicht stand das hinter dem Streit um die Wanne.

Wer ging am Ende der Geschichte baden? Das ist unbekannt. Die Stadtväter und -mütter votierten für die weitere Untersuchung der Angelegenheit durch den Magistrat, aber ein Ergebnis meldete die BZ bis Jahresende nicht.

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Carls Salchows Jubiläum und Wolfgang Borcherts Stuhl

Bergedorfer Zeitung, 28. September 1921

Bergedorfer Zeitung, 5. Oktober 1921

Die (Kirchen-)Gemeinde lud ein, und viele Menschen kamen, um das 25jährige „Ortsjubiläum“ von Carl Salchow zu feiern, ihn als den Leiter der Kirchenschule und Organisten der Gemeinde zu ehren.

BZ, 4. Oktober 1921

Ihm wurden „wertvolle Geschenke“ überreicht, die ein heutiger Lehrer nach den einschlägigen Vorschriften nicht hätte annehmen dürfen. Der Beschenkte bedankte sich artig per Kleinanzeige „für die zahlreichen Beweise der Liebe und Anerkennung“.

Salchow war 1896 von der Altengammer Schule an die Kirchenschule in Kirchwärder gewechselt. Im Leben der Gemeinde war er als Hauptlehrer (d.h. Rektor) und als Organist sicher eine wichtige Persönlichkeit, doch wäre er heute wohl völlig vergessen, wenn nicht eines seiner Kinder, die Tochter Herta, einen bedeutenden Sohn zur Welt gebracht hätte: Wolfgang Borchert, dessen Geburtstag sich am 20. Mai 2021 zum hundertsten Mal jährte.

Aufnahme aus Sammlung Walter Eggers, jetzt im Borchert-Archiv der Staats- und Unversitätsbibliothek Hamburg

Das nebenstehende Foto zeigt Carl Salchow als gewichtigen Herrn links hinter seinen Schülerinnen und Schülern, zusammen mit jungen Hilfslehrern und einer Hilfslehrerin. Einer der Hilfslehrer könnte Fritz Borchert gewesen sein, der spätere Ehemann Herta Salchows – leider ist die Fotografie undatiert, sodass dies nicht sicher ist. Herta und Fritz Borchert heirateten 1914 und zogen nach Eppendorf, wo auch ihr Sohn Wolfgang geboren wurde.

Die Familie Borchert zog in ein künstlerisch-städtisches Milieu, in dem Herta zu schreiben begann. Viele Geschichten in ihrem heimatlichen „Veerlanner Platt“ entstanden und wurden u.a. unter dem Titel Sünnroos im Quickborn-Verlag veröffentlicht. Ihr Roman Barber Wulfen wurde erst posthum gedruckt.

Nach dem frühen Tod ihres Sohnes pflegte Herta Borchert vor allem den Nachlass ihres Sohnes, den sie 1976 als Wolfgang-Borchert-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg übergab. Zu diesem Archiv gehört auch Wolfgang Borcherts Arbeitszimmer, das die Stabi in diesem Jahr in einer „Borchert-Box“ (Online-Link) auch via Internet öffentlich zugänglich gemacht hat.

Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg

In diesem Raum stehen mehrere Objekte mit traditionellen Vierländer Intarsienarbeiten, unter anderem der Stuhl vor Wolfgang Borcherts Schreibtisch. Die Intarsie in der Lehne des Stuhls zeigt den Buchstaben S – vermutlich stammt der Stuhl aus dem Hause Carl und Luise Salchow, aber der Stuhl wird nicht zu den Geschenken zum „Ortsjubiläum“ gehört haben – nach Einschätzung des Kirchwerder Intarsientischlermeisters Rainer Burmester ist das Möbelstück älter.

Anmerkungen:

Die Schreibweise des Vornamens Herta folgt hier der eigenhändigen Eintragung Herta Salchows in einem Poesiealbum von 1909, das der langjährige Besitzer Walter Eggers kürzlich (ebenso wie das Foto) der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg übergeben hat und das nun im Borchert-Archiv das älteste Hand-Schriftzeugnis der späteren Autorin ist.

In diesem Archiv befindet sich auch eine Broschüre von Ada-Verena Gass zu Ursprüngen und Entwicklungen der Familie (als Privatdruck erschienen), die auf den unveröffentlichten Erinnerungen Herta Borcherts „Vergangenes Leben“ (in: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Nachlass- und Autographensammlung) basiert und auf die hier im Blog-Beitrag mehrfach Bezug genommen wurde.

UPDATE 19. Oktober 2021:
Die Hafenfähre Wolfgang Borchert der Hamburger HADAG ist seit heute „schwimmende Ausstellungsdependance“ der Borchert-Box der Stabi, und auch hier gibt es einen Bezug zu Kirchwerder:  die „Wolfgang Borchert“ wurde zwar 1993 beim Oortkaten gebaut, aber die Werft von Heinrich Grube war ursprünglich in Kirchwerder ansässig.

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Kartoffelfeuer und Leuchtfeuer

Bergedorfer Zeitung, 28. September 1921

Die Zeit der Kartoffelernte ist auch die Zeit der Kartoffelfeuer. In früherer Zeit war es bei Landwirten wie bei Kleingärtnern gang und gäbe, Kartoffelkraut zu verbrennen. Das waren keine „mystischen Opferfeuer“, sondern die Verbrennung diente ganz banal dem Zweck, die Übertragung von Kartoffelkrankheiten zu verhindern.

Der Artikel zeigt, dass der Kartoffelanbau damals in den Vierlanden weit verbreitet gewesen sein muss, da man von der Höhe der Wentorfer Straße aus „bis zum fernen Horizont hin“ die Feuer sehen konnte, hinter denen auf dem Gojenberg, der damals ein Revier der Kleingärtner war. Und man konnte nicht nur die Feuer sehen, sondern auch die dichten Rauchschwaden, die diesen entstiegen, denn Kartoffelkraut entwickelt beim Verbrennen vor allem Qualm – und beißenden Geruch, der bis in die Wohnungen in den Außenbezirken stieg. Pottdicht wie heute waren Fenster damals eben nicht.

Bergedorfer Zeitung, 30. September 1921

Anderer Art waren die 1913/1914 gebauten Leuchtfeuer an der Elbe, die wegen des Krieges „gelöscht“ worden waren. Jetzt, mehr als zweieinhalb Jahre nach Kriegsende, sollten sie wieder in Betrieb genommen wurden – bis dahin hatten sie also nur wenige Monate ihrem Zweck dienen können. Sie werden mit Sicherheit mehr Licht als Rauch entwickelt haben, denn sie sollten den Schiffsverkehr in der Dunkelheit wieder sicherer machen. Von den genannten Feuern an der Norderelbe ist heute nur noch das auf der Bunthäuser Spitze vorhanden – die anderen Anlagen (Ortkathen und Spadenland in den Marschlanden) wurden vermutlich im Zuge des Deichbaus nach der Sturmflut von 1962 beseitigt. An den Vierländer Deichen scheint es vergleichbare Einrichtungen nicht gegeben zu haben.

Die vorstehenden Informationen sind einer informativen Internetseite bei web.archive.org entnommen, die Fotos der Marschländer Leuchtfeuer zeigt, vor allem zu der einzig erhaltenen Anlage auf der Bunthäuser Spitze. Sie wurde zwar wie die anderen 1977 offiziell stillgelegt (und durch Radartonnen und -reflektoren ersetzt), aber 1989 renoviert. Heute ist sie ein beliebtes und besteigbares Ausflugsziel.

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Hermann Distels Kriegergedächtnismal für Kirchwärder

Bergedorfer Zeitung, 26. September 1921

Die Denkmal-Weihe in Kirchwärder war sicher für lange Zeit das größte Ereignis im Dorfe: mehr als die Hälfte der Einwohner nahm an der Feier teil. Pastor Graus Rede war weit mehr als Gedenken an die Gefallenen und Zuspruch für die Hinterbliebenen, sie war durchaus politisch.

Mit Kirchwärder hatte nun auch die letzte der Vierländer Gemeinden nach dem Kriege ein Denkmal errichtet (in Bergedorf sollte es noch länger dauern), aber es war auch das aufwändigste, dessen Kosten bereits ein Jahr zuvor auf 50.000 Mark geschätzt worden waren (BZ vom 23. September 1920). Ob die Gestaltung wirklich „im hamburgischen Staatsgebiet erstmalig“ war, muss zumindest in Frage gestellt werden, denn die bescheidenere Altengammer Anlage von 1920 weist mit einem ebenfalls nach innen gewendeten Raum Ähnlichkeiten auf. Der Entwurf des Bergedorfer Architekten Hermann Distel für Kirchwärder bezieht aber explizit die umgebende Landschaft mit ein, wie aus der Abbildung unten hervorgeht.

Entwurf des Denkmals, Ansichtskarte von ca. 1921

Die Grundstruktur der Distelschen Anlage blieb bis heute erhalten, obwohl das Denkmal durch Hinzufügung weiterer Tafeln mit den Namen der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs verändert wurde – die ursprüngliche Inschrift auf der Steinsäule lautete: „Aus der Kirchengemeinde Kirchwärder nahmen 1352 Männer am Weltkriege teil. 236 ließen ihr Leben für Heimat und Vaterland.“  Dieser Text wurde nach 1945 ersetzt durch: „Die Gemeinde Kirchwerder ihren Opfern beider Weltkriege“ (nach Online-Link Kerstin Klingel, S. 95).

Das im Artikel abschließend genannte Ehrenbuch liegt auch heute noch in der Kirche aus. Es ist in einem sehr guten Zustand, im Gegensatz zu den teilweise stark verwitterten Sandsteintafeln des Denkmals.

Ergänzung 2024: Der Förderverein der Kirchengemeinde hat das Ehrenbuch mit der Liste der Kriegsteilnehmer, dem angehängten Teil „Schule und Weltkrieg“ und einordnenden Anmerkungen dazu jetzt reproduzieren lassen. Es kann zum Preis von € 30,- bestellt werden beim
Förderverein St. Severini zu Kirchwerder
Kirchengemeinde Kirchwerder
Fersenweg 537
21037 Hamburg .

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Die Pferdeschwemme wird beseitigt

Bergedorfer Zeitung, 22. September 1921

Im Zuge der Verbreiterung der Mühlenbrücke an der Holstenstraße sollte ein aus dem Mittelalter stammendes Relikt beseitigt werden: die Pferdeschwemme, d.h. ein (vermutlich gepflasterter) Zugang zum Billebecken, über den Pferde zum Tränken oder auch zum Reinigen ans und ins Wasser geführt werden konnten.

Diese Vorrichtung hatte laut BZ „ihre Existenzberechtigung verloren“, musste „dem sich mit Macht bahnbrechenden Verkehr weichen“ – daraus ist zu folgern, dass Motorfahrzeuge einen immer größeren Teil des Verkehrsaufkommens stellten; landwirtschaftlichen Verkehr mit Pferdegespannen gab es offenbar kaum noch.

Die Kartenausschnitte im Beitrag Die Insel am Mühlendamm (Holstenstraße) lassen den Ort der Pferdeschwemme gut erkennen: sie lag am keilförmigen Zipfel im Südosten des Billbassins, das heute meist als Schlossteich bezeichnet wird. (Auf derselben Seite unten zeigt eine Ansichtskarte die Mühlenbrücke vor der Verbreiterung, als das Wasser noch bis unmittelbar an die Brücke ging.)

Man konnte aber nicht einfach die Pferdeschwemme zuschütten, denn über diesen Zipfel erhielt die Kornwassermühle den benötigten Zufluss, sodass hier zunächst eine 24 Meter lange Verrohrung gelegt werden musste, was zu den geplanten Gesamtkosten von 291.000 Mark (BZ vom 4. Juli) sicher beträchtlich beigetragen hat.

Der Straßenzug Holstenstraße – Große Straße – Sachsenstraße mit Serrahnbrücke und Mühlenbrücke war damals die Hauptschlagader des West-Ost-Verkehrs durch Bergedorf. Heute ist sie eine Fußgängerzone mit Radfahrstreifen und einer gepflasterten „Fahrbahn“, die an die früheren Verhältnisse erinnern soll. Sie folgt aber nicht dem historischen Verlauf, denn bis 1921 bot der „Bürgersteig“ vor dem Hause Röhmer (heute Alte Holstenstraße 84) „nur Platz für einen Fußgänger“,  von den Baumaßnahmen des Jahres profitierte er mit einer Ausdehnung auf zwei Meter.

 

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