Ein Erfolg für die Sozialdemokraten

Bergedorfer Zeitung, 4. Dezember 1915 (gekürzt)

Bergedorfer Zeitung, 4. Dezember 1915 (gekürzt)

Nicht die „Landhausklausel“ soll hier näher betrachtet werden obwohl sie noch im späten 20. Jahrhundert das Rechtsinstrument war, das das Bergedorfer Villengebiet vor unpassenden Bauten schützen sollte, sondern die Berichterstattung über die Kriegsteuerungszulage, die nicht mehr nur an verheiratete Bedienstete der Stadt (siehe den Beitrag Bergedorfs Stadtparlament …) gezahlt werden, sondern nun auf Ledige ausgedehnt werden sollte.

Sicher war die Lohnerhöhung um 25 Pfennige am Tag den Empfängern willkommen, aber ein Mehr von 3,3 bis 5,5 Prozent dürfte ihre Lage nicht entscheidend verändert haben (siehe den Beitrag Geprüfte Preise). Und wenngleich die Stadtvertretung den weitergehenden Antrag des sozialdemokratischen Stadtvertreters (und späteren Bergedorfer Bürgermeisters) Wiesner ablehnte, so ging sie doch auf den Kompromissantrag seines Fraktionskollegen Otto ein, der den Ärmsten der „working poor“ im Dienste der Stadt unter die Arme griff und die wegen der kürzeren Arbeitszeit im Winter geringeren Löhne auf das Niveau der Sommerlöhne hob. Ein solcher (Teil-)Erfolg der Sozialdemokraten war damals durchaus nicht selbstverständlich, denn die Mehrheitsverhältnisse in der Stadtvertretung waren andere, wie im Beitrag Der Rückblick auf das Jahr 1914: Bergedorf nachzulesen ist.

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Heimarmee: die Hausfrau als Soldatin

Bergedorfer Zeitung, 26. November 1915

Bergedorfer Zeitung, 26. November 1915

Ein konkreter Bergedorf-Bezug ist diesem Artikel nicht zu entnehmen – dennoch stand er an der ersten Stelle des „Tagesberichts“, womit immer die Meldungen aus Bergedorf und Umgegend überschrieben waren. Auf jeden Fall sollte er in Bergedorf Wirkung erzielen, wenn diese auch durch die Setzfehler im ersten Absatz beeinträchtigt gewesen sein dürfte.
Adressaten des Artikels waren zahlungskräftige Hausfrauen: so wohlhabend, dass sie offenbar Butter in solchen Mengen kaufen konnten, dass der Verzicht auf ein viertel Pfund Butter pro Tag empfohlen werden konnte (Zu den Butterpreisen siehe den Beitrag Geprüfte Preise.). Nach Ansicht des Autors würde eine solche Ersparnis „den Buttermarkt beeinflussen“ – manche Hausfrauen allerdings versuchten, den nicht nur durch Höchstpreise, sondern auch durch Knappheit gekennzeichneten Buttermarkt mittels Zahlung (verbotener) „Lieferzuschläge“ auf ihre Art zu steuern (siehe BZ vom 8. November 1915).
Auch der Milchkonsum sollte für „die Säuglinge, die stillenden Mütter, die Kranken und die kleineren Kinder“ reduziert werden – wenn für diese genug Milch da wäre, wäre „aller Not ein Ende“ gemacht.
Wenn die Hausfrau aus besseren Kreisen sogar noch abgelegte Kleidungsstücke an Soldatenfrauen und –witwen oder Kriegswaisen weitergab, dann war sie eine echte Soldatin der weiblichen Heimarmee, wie (laut Barbara Guttmann) Kaiserin Auguste Viktoria die Hausfrauen nannte.

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Petroleum, Gold und Waschseife: Not macht erfinderisch

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1915

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1915

Düstere Zeiten im doppelten Sinne: zwar gab es in der Stadt Bergedorf vor hundert Jahren schon elektrischen Strom und auch Gas – doch nicht jeder Haushalt konnte sich diese bequeme Art der Energieversorgung erlauben. Auf dem Lande fehlten die modernen Beleuchtungsmittel völlig, und so kamen nach wie vor vielfach Kerze, Talglicht und Petroleumlampe zum Einsatz, wenn es um die nötige Beleuchtung ging.
Petroleum war aber – wie so vieles im Krieg – knapp, und so ist es nicht überraschend, dass im November 1915 Rationierungsmaßnahmen ergriffen wurden: schon Wochen vorher hatten die Billwerder Bauern geklagt, dass sie wegen des Petroleummangels nur bei Tageslicht dreschen konnten (siehe BZ vom 6. November 1915) – nun sollten sie eine Monatsration von fünf Pfund Petroleum erhalten und hatten eventuelle Mehrbedarfe auf dem freien Markt zu decken.

Bergedorfer Zeitung, 22. Oktober 1915

Den freien Markt gab es tatsächlich, allerdings zu entsprechenden Konditionen: der Hamburger Händler F. Machunsky konterkarierte alle Versuche der Goldgeldsammlung (siehe Die Lazarett-Ausflüge – und: Goldgeld lacht) mit seiner Anzeige, dass er gegen Goldgeld auch Sonderwünsche erfüllen könnte (höchstwahrscheinlich konnten das auch andere). Wer nicht (mehr) über dieses Zahlungsmittel verfügte, könnte sich eher für den Spiritus-

Bergedorfer Zeitung, 25. Oktober 1915

Glühlichtbrenner interessiert haben, den die „Ewige Lampe“ als preisgünstige Alternative anpries (siehe BZ vom 25. Oktober 1915). Andere kreative Händler boten offenbar Koppelgeschäfte an, die prompt von den Landherrenschaften untersagt wurden, siehe die folgende Bekanntmachung. Die Platzierung der Annonce für elektrische Taschenlampen dürfte zufällig gewesen sein:

Bergedorfer Zeitung, 2. Dezember 1915

Bergedorfer Zeitung, 2. Dezember 1915

Die kurze Bekanntmachung des Bergedorfer Magistrats ist auch beachtenswert: „Heimarbeiter usw.“ sollten ihre Petroleumkarten in Empfang nehmen. Über die Gruppe der Heimarbeiter ist in der lokalhistorischen Literatur nur wenig zu finden: nach Harald Richert (S. 105 – 114) gab es sie auf jeden Fall in der Tabakverarbeitung. Hinter dem „usw.“ verbargen sich „Bedürftige ohne Strom- und Gasanschluss“, wie einer weiteren Anzeige des Magistrats zu entnehmen war (siehe BZ vom 24. November 1915).

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Der Krieg wird langweilig

AK Noyon 1915 Text AK Noyon 1915

„Wenn nur der Krieg erst zu Ende wäre, denn es wird langweilig“, schrieb Carl Garbers aus Kirchwärder-Warwisch am 6. Oktober 1915 auf dieser Karte aus dem nordfranzösischen Noyon. Garbers gehörte zum 3. Bataillon des Reserve-Infanterie-Regiments 76 (siehe den rechteckigen Stempel), in dem zahlreiche Hamburger (und somit auch Bergedorfer, Vierländer, Marschländer und Geesthachter) dienten.

Bergedorfer Zeitung, 11. November 1915

Bergedorfer Zeitung, 11. November 1915

Warum wurde ihm langweilig? Weil er keine der im nebenstehenden Artikel genannten Gewaltmärsche mehr zu machen hatte? Weil die verlustreichen Gefechte seines Regiments in der Gegend von Noyon vorerst beendet waren und „nur“ noch der Stellungskrieg tobte? Oder gehörte er vielleicht gar nicht zu den Soldaten im Schützengraben, sondern zu einer rückwärtigen Versorgungsabteilung?

Die Verluste, die die „76er“ in der Schlacht bei Noyon erlitten hatten, waren schwer: nach Angaben von Hugo Gropp, der nach Kriegsende im Auftrag des „Vereins ehemal. Angehöriger Reserve 76 e.V.“ seine eigenen und Kriegserinnerungen anderer 76er zusammenstellte und veröffentlichte, betrug die Gefechtsstärke des Bataillons bei der Mobilmachung 3.000 Soldaten aller Ränge und Dienstgrade – am 19. September 1914 lag die Zahl bei nur noch 1.670 (S. 15, S. 39). Auch in der Folgezeit des „langweiligen“ Stellungskriegs in der Nähe Noyons tauchten immer wieder Namen von Regimentsangehörigen in den Verlustlisten in der Bergedorfer Zeitung auf.

Über die Lage der französischen Zivilbevölkerung in Noyon erfährt man bei Gropp fast gar nichts; die Stadt wird vor allem als Durchmarschstation genannt und als „O.-U.“, d.h. Ortsunterkunft, was ja alles wenig bedrohlich klingt. Die Menschen in Noyon werden dies anders erlebt und empfunden haben, denn auf einer Internetseite der Stadt Noyon anlässlich einer Ausstellung zum 100. Jahrestag des Kriegsbeginns heißt es:

„Bereits am 30. August 1914 rückten die deutschen Armeen in Noyon ein und verließen es erst wieder am 17. März 1917. Während dreißig Monaten wurde Noyon zu einem Befehls- und Einquartierungszentrum der deutschen Truppen mit ihren Hospitälern und Militärmagazinen. Dreißig Monate, während derer Noyon ein Teil des deutschen Reichs geworden war, gekennzeichnet von Schreckensherrschaft, regelmäßigen Bombardierungen, täglichen Truppendurchmärschen, immer größer werdenden Entbehrungen.“ (eigene Übersetzung)
Langweilig?

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Kartoffeln, Gefrierfleisch und Veggie Days

Bergedorfer Zeitung, 3. November 1915

Bergedorfer Zeitung, 3. November 1915

Da schien ja alles in Ordnung zu sein: diesem Artikel zufolge war genug da, und die Vorräte sollten noch weiter aufgestockt werden: durchschnittlich ein Zentner Kartoffeln stand pro Kopf der Bevölkerung zur Verfügung, die Stadt Bergedorf wollte weitere nicht unbeträchtliche Mengen hinzukaufen, und es gab ja noch die Kartoffelernte aus dem städtischen Anbau (siehe den Beitrag Mehr Mangel, weniger welsche Worte). Zudem hatte die Stadt „größere Vorräte“ an Gefrierfleisch beschafft.
In Wahrheit war die Versorgungslage kritisch: immer mehr Menschen waren auf die städtischen Volksküchen angewiesen: 840 Portionen wurden täglich ausgegeben (gegenüber 417 im August 1914, siehe den Beitrag Nach einem Jahr), also an mehr als fünf Prozent der Einwohner. Auch dürften in vielen Haushalten die Kartoffelvorräte weit unter dem Durchschnitt gelegen haben und ein Zentner Kartoffeln, d.h. 50 kg, pro Person war sicher nicht viel: der Durchschnittsverbrauch pro Kopf lag 1935/38 bei 176 kg/Jahr, 1950/51 sogar bei 186 kg/Jahr. Der Verbrauch 2011/12 lag mit 65,2 kg/Jahr immer noch deutlich über den genannten 50 kg, obwohl heutzutage viele Alternativen zur Verfügung stehen (siehe die Statistik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz), die es vor hundert Jahren kaum bzw. nur zu hohen Preisen gab: Reis kostete 44 Pfennig das Pfund, Kartoffeln hingegen um 4 Mark pro Zentner gegenüber 3 Mark im Vorjahr (siehe BZ vom 25. November 1914 sowie 9., 16. Oktober und 6. November 1915).
Das im ersten Absatz des Artikels genannte Gefrierfleisch wurde zu 1,42 Mark pro Pfund angeboten (siehe BZ vom 4. November 1915), was in Relation zu den damals gezahlten Löhnen zu setzen ist: die Chemische Fabrik Stobwasser suchte Arbeiter für 52 Pfennige pro Stunde, eine Straßenbaufirma bot 60 Pfennige (siehe BZ vom 24. und 25. September 1915).
Übrigens darf man davon ausgehen, dass dieses Schweinefleisch, das sicher aus dem „Schweinemord“ des Frühjahrs stammte (siehe den Beitrag zur Abfallwirtschaft), im wiederaufgetauten Zustand verkauft wurde: Tiefkühltruhen gab es weder in den Lebensmittelgeschäften noch in den Privathaushalten.

Bergedorfer Zeitung, 29. Oktober 1915

Bergedorfer Zeitung, 29. Oktober 1915

Zu dieser Zeit wurden dem Fleischkonsum durch die Einführung von „Veggie Days“ Restriktionen auferlegt: Handel und Gaststätten mussten an mehreren Tagen in der Woche auf den Verkauf bzw. Einsatz tierischer Produkte verzichten, auch der Postversand wurde eingeschränkt (siehe BZ vom 16. November 1915), und von der „besser bemittelten Bevölkerung“ erwartete der Bundesrat diesen Verzicht auf freiwilliger Basis. Wenn der Zweck der Verordnung war, zu „einer sozialen Verteilung der an sich ausreichenden Fleischvorräte“ zu kommen, dann heißt das im Klartext, dass sich weniger wohlhabende Menschen kein oder kaum Fleisch leisten konnten. Eine bessere soziale Verteilung wäre dann wohl nur durch sinkende Preise aufgrund geringerer Nachfrage zu erreichen gewesen – eine solche Meldung war der Bergedorfer Zeitung aber in der Folgezeit nicht zu entnehmen.

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Geesthachts musikfreudiges Wachtkommando

Bergedorfer Zeitung, 29. Oktober 1915

Bergedorfer Zeitung, 29. Oktober 1915

Schlichte Lustbarkeiten waren in der Kriegszeit höchst unerwünscht und daher nicht erlaubt – aber findige Menschen wussten, wie man an eine Genehmigung kam: das Zauberwort hieß „Wohltätigkeit“.

Ein solches Wohltätigkeitskonzert ließ das „Wachtkommando Geesthacht“ in der Zeitung ankündigen, denn dieses hatte eine eigene Militärkapelle und auch einen Gesangschor (siehe BZ vom 15. November 1915). Nicht nur in Geesthacht trat es immer wieder auf, sondern auch in den Nachbarorten, z.B. in Zollenspieker (siehe BZ vom 17. Januar 1916). So brachte man Abwechslung in den militärischen Alltag, der Bewachung von Pulverfabrik und Dynamitwerk hieß, und erhielt vermutlich auch das eine oder andere Freigetränk zufriedener Zuhörer, die sich über Abwechslung im nicht-militärischen Alltag freuten.
Geesthacht WKdo 1915Ob die hier wiedergegebene Ansichtskarte das Wachtkommando Geesthacht zeigt, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden, denn es gibt keine Geesthacht WKdo 1915 TextErläuterung zu der Fotografie – aber der Absender war der Gefreite Schmidt 15 vom Landsturm-Ersatz-Bataillon „z.Z. Geesthacht“, der über Wacheschieben und Kirchgang schrieb und Frau (und Tochter?) fragte, warum er von ihnen keine Post erhalten habe, ob sie (seine Frau) so viel zu nähen habe, dass sie nicht habe schreiben können. Unter der Anschrift Grovestraße 19 I in Hamburg 22 verzeichnete das Hamburger Adreßbuch ab 1916 über das Kriegsende hinaus einen „Carl Schmidt, Beamt.“ Man darf also vermuten, dass der Landsturm-Gefreite Schmidt 15 den Krieg überlebte.
Das Wachtkommando Geesthacht bestand laut Bergedorfer Zeitung vom 30. Oktober 1914 bei seiner Einsetzung aus 36 Mann und drei Unteroffizieren vom 9. Pionier-Bataillon, die im Ort untergebracht werden sollten – wann die Ablösung durch das Landsturm-Ersatz-Bataillon erfolgte oder ob es andere Veränderungen gab, war der Zeitung nicht zu entnehmen; vielleicht war dies ein militärisches Dienstgeheimnis.

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1915

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1915

Anlässlich eines anderen Wohltätigkeitsabends, quasi en passant, hatten die Leser der BZ schon zuvor erfahren, dass seit kurzem in Obermarschacht, also auf dem Südufer der Elbe südöstlich von Geesthacht, ein „Ballon-Abwehr-Kommando“ stationiert war, d.h. eine Einheit, die Dynamitwerk und Pulverfabrik vor Luftangriffen schützen sollte. Ob das der Feind wissen durfte?

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Geprüfte Preise

Bergedorfer Zeitung, 21. Oktober 1915

Bergedorfer Zeitung, 21. Oktober 1915

„Der unsinnigen Preistreiberei auf dem Buttermarkte mußte halt geboten werden“, schrieb die Bergedorfer Zeitung am 19. Oktober 1915 in einem Artikel über die provisorische Festsetzung eines Höchstpreises für Butter durch das Stellvertretende Generalkommando in Altona, und nur zwei Tage später gab es dann den Bericht über die Einsetzung einer Preisprüfungskommission für das Gebiet der Landherrenschaften Bergedorf, Marschlande und Geestlande, was in allen Teilen des Reichs geschah, um von nun an die örtlichen Abweichungen von den reichsweiten Grundpreisen (nicht nur für Butter, sondern auch z.B. für Reis, Kohlen und … und …) festzulegen.
Die Butterpreise waren in der Tat geradezu explodiert: von 1,15 Mark pro Pfund (Anzeige Butter-Scharnberg, BZ am 27. Juni 1913) über 1,25 Mark (Anzeige Meyerhold, BZ am 25. April 1914) und 1,65 Mark (Anzeige Meyerhold, BZ am 28. Mai 1915) auf 3,20 Mark pro Pfund (redaktionelle Meldung, BZ am 19. Oktober 1915). Die nun durch den Höchstpreis erzwungene Preissenkung auf 2,50 Mark (Anzeigen Meyerhold, BZ am 22. und 26. Oktober 1915) war sicher spürbar – dennoch dürfte Butter für viele Familien unerschwinglich geblieben sein. Die günstigere Margarine war im Preis ähnlich gestiegen und unterlag auch bald dem Höchstpreissystem (siehe BZ vom 28. Oktober 1915).
Der Preisprüfungskommission für das hamburgische Landgebiet gehörten außer den drei staatlichen Vertretern Mumssen, Engels und Walli drei Landwirte an (Busch, Stubbe, Brügmann), zwei Kaufleute (Möller, Buhk), ein Schlachtermeister (Selmer), ein Hotelier (Timmermann), ein Zigarrenhändler (Otto) und ein Parteisekretär (Wiesner) – die beiden letztgenannten waren sozialdemokratische Mitglieder der Bergedorfer Stadtvertretung und sollten hier offenbar in die Mitverantwortung genommen werden (Berufsangaben aus Hamburger Adressbuch 1915).

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Hotel „Stadt Lübeck“ im Kriegsjahr 1915

BZ15IV0016 Stadt Lübeck

Bergedorfer Zeitung, 16. Oktober 1915

In beiderstädtischer Zeit war „Stadt Lübeck“, das Pendant zu „Stadt Hamburg“, die „lübsche“ Herberge in Bergedorf gewesen, in der zur Zeit der Lübisch-Hamburgischen Doppelherrschaft über Bergedorf und die Vierlande die Lübecker Senatoren Quartier nahmen, wenn sie zur „Visitation“ in Bergedorf waren. Die Senatoren waren allerdings nicht die hochrangigsten Gäste in diesem Hause: hier nächtigten 1682 der Große Kurfürst, 1838 König Ernst August von Hannover und 1848 Kronprinz Wilhelm von Preußen, wie aus Zu Gast in Bergedorf (dies auch die Quelle für die weiteren Angaben) und Das alte Bergedorfer Stadtbild zu erfahren ist.
1915 aber diente das (1912) von der Stadt Bergedorf angekaufte Gebäude einem profaneren Zweck, nämlich als Zentrale der Kriegsfürsorge Bergedorf: Volksküche (für einen Teil des Volks, s.u.), Waren- und Milchausgabestelle sowie Kriegsschreibstube des Bergedorfer Frauenvereins.

Autor des Zeitungsartikels oben war wohl Gustav Weitkamp (siehe den Beitrag Von altem Zopf und Hütefässern), dem sich hier eine Gelegenheit bot, seine „patriotische“ Einstellung auszubreiten – ob er in seinen Ausschmückungen eine Stimmung beschrieb oder diese hervorrufen bzw. verstärken wollte, sei dahingestellt, aber dass er als Kriegsziel nur noch ein „Durchhalten bis zum ehrenvollen Frieden“ angab, zeigt deutlich, dass die Hoffnung auf einen Siegfrieden geschwunden war.

Lesenswert ist der Artikel wegen der Details, die Weitkamp en passant erwähnte: die Zahl der ausgegebenen Essensportionen an Soldatenfamilien war erneut gestiegen (720 pro Tag gegenüber 571 im Juli, siehe den Beitrag Nach einem Jahr), für weitere bedürftige Personen gab es nur die Küchenreste. Der während des Krieges eingerichtete Knabenhort hatte seine Existenz der zunehmenden Erwerbsarbeit von Frauen zu verdanken. Und nie zuvor hatte die Bergedorfer Zeitung die Zahl der Bergedorfer genannt, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren: es waren „über hundert“.
Erstmals erwähnt wurde „Stadt Lübeck“ anlässlich eines Verkaufs im Jahre 1557; die nachfolgend wiedergegebene Ansicht war die der lübschen Herberge (nach 1645), in der die fürstlichen Reisenden nächtigten.

Stadt Lübeck 1850Der vordere Teil wurde 1883 durch einen Neubau ersetzt, dem eine insgesamt nur kurze Lebensdauer beschieden war, ab 1919 als Jugendheim des Arbeiter-Jugendbundes, denn 1928 erfolgte der Abriss für die im Zeitungsartikel so genannte „Verbreiterung des Kuhbergs“, des schmalen Gässchens zwischen „Stadt Lübeck“ und „Stadt Hamburg“, tatsächlich der Ausgangspunkt der sogenannten „Durchbruchstraße I“, der heutigen Vierlandenstraße (Siehe hierzu Die Zerstörung von Alt-Bergedorf).

Heliocolorkarte um 1905 -

Heliocolorkarte um 1905 – vorn rechts „Stadt Lübeck“, dahinter „Stadt Hamburg“; dazwischen ist die Einmündung des Kuhbergs zu erahnen.

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Schützengräben und Freibier an der Elbe

Bergedorfer Zeitung, 11. Oktober 1915

Bergedorfer Zeitung, 11. Oktober 1915

Die 4. Kompagnie des Ersatz-Bataillons des Reserve-(Infanterie-)Regiments Nr. 76, also bestehend aus Soldaten, die erst kürzlich eingezogen worden waren und nun auf ihren Frontdienst vorbereitet wurden, sollte in Overwerder den Bau von Schützengräben lernen – dort, wo 1914, wenige Wochen vor Kriegsbeginn, mehrere Militäreinheiten das Übersetzen über die Elbe geübt hatten (siehe den Beitrag Kriegsspiele).
Das Gelände zwischen Elbstrom und Elbdeich lag zwar relativ hoch und bei Normaltiden teilweise oberhalb der Flutgrenze, aber im Oktober konnte (und kann) die Flut schon höher auflaufen, was den Bau von Unterständen sicher erschwert hätte – das wiederum hätte dem Ausbildungszweck durchaus entsprochen, denn das Regiment war an der Westfront zeitweise im schlammnassen Flandern eingesetzt (siehe z.B. die Darstellung bei Hugo Gropp).
Bei dieser „kleinen Felddienstübung“ ging es wohl eher gemütlich zu: zwar übte man das Zeltaufschlagen, doch man fuhr dann – nach genossenem Bier – lieber mit dem Liniendampfer zur Kaserne in Hamburg, um dort zu nächtigen, sich zu erholen und erst am zweiten Tag die Unterstände zu bauen.

Ansonsten diente (und dient auch heute noch) Overwerder der Erholung, wie schon die Bezeichnung „Freibad“ im Zeitungsartikel erkennen lässt: der Arbeiter-Wassersport-Verein für Hamburg und Umgegend gegründet 1909 e.V. hatte nach Auskunft seines früheren Vorsitzenden Horst Jagemann nachweislich schon 1915 dort Flächen gepachtet, auf denen in den Sommermonaten 7 m² große Hütten mit Klappwänden errichtet wurden, die in der „Hochwassersaison“ beim Verpächter eingelagert wurden. Die heutigen Hütten sind deutlich größer, und obwohl sie hochwassergefährdet sind (siehe die Fotoseiten des AWV09), bleibt das Gebiet ein beliebter Ort für Freizeit und Ferien.

Ob es im Oktober 1915 zu Begegnungen zwischen den Soldaten und Mitgliedern des aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen AWV kam und wie diese verliefen, ist nicht überliefert.

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Sande: „unhaltbare Zustände“ beim Brot

Bergedorfer Zeitung, 2. Oktober 1915

Bergedorfer Zeitung, 2. Oktober 1915

Immer wieder berichtete die Bergedorfer Zeitung über die Versorgung mit Brot – und vor allem in Sande scheinen die Zustände besonders schlecht gewesen zu sein: so wurde in einer Sitzung der Gemeindevertretung das Brot als „kaum zu genießen“ bewertet und die Forderung nach gegenseitigem Brotverkehr mit Bergedorf erhoben (siehe BZ vom 14. August 1915), da auch die Menge des ja sowieso rationierten Brotes (siehe den Beitrag Wenn Brot knapp ist …) nicht ausreichte (siehe BZ vom 11. und 31. August 1915). Am 11. September meldete die Zeitung dann, dass der Gemeindevorsitzende Maik bekanntgab, es gebe nunmehr gegenseitigen Brotverkehr zwischen dem Staat Hamburg und dem Kreis Stormarn und somit auch zwischen Bergedorf und Sande – aber da irrte Gustav Maik, wie aus dem  Artikel oben hervorgeht. Besonders ärgerlich war dies für die ca. 400 Sander Mitglieder der Konsumgenossenschaft Produktion (siehe BZ vom 26. August 1915): die „PRO“ hatte ihren Laden in Bergedorf, und dort durften eben nur die Bergedorfer Genossen Brot kaufen. Die beschriebenen organisatorischen Änderungen, die die „unverantwortliche Handlungsweise einzelner Personen“ (BZ vom 29. September 1915) abstellen sollten, wirkten sich aber offenbar positiv aus, denn am 22. November druckte die BZ die Kurzmeldung, dass das Brot in Sande „jetzt vorzüglich“ sei.

Bergedorfer Zeitung, 2. Oktober 1915

Bergedorfer Zeitung, 2. Oktober 1915

Auch in Bergedorf blieb Brot ein Thema – hier wiederum war man offenbar schlechter versorgt als in der Stadt Hamburg, wie aus dem nebenstehenden Artikel hervorgeht. Die Zusatz-Brotkarten für „erwerbstätige Personen, welche anstrengende körperliche Arbeit“ (so der Wortlaut der Bekanntmachung, siehe BZ vom 1. Oktober 1915) verrichteten, werden bei der schmalen Wochenration von vier Pfund Brot bei den Empfängern sicher willkommen gewesen sein.
Nicht zu finden war eine Meldung der BZ, dass es doch noch zur gegenseitigen Anerkennung der Brotmarken zwischen Sande und Bergedorf kam, aber vermutlich war es so, denn mit dem Herzogtum Lauenburg wurde eine solche Vereinbarung getroffen (siehe BZ vom 30. Oktober 1915).

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