Die Kochkiste – ein echtes Heinzelmännchen

Bergedorfer Zeitung, 3. Mai 1918

Was diese ungenannte Inserentin bzw. diesen ungenannten Inserenten dazu brachte, eine „Heinzelmännchen“-Kochkiste zu verkaufen, weiß man nicht – aber Abnehmer werden sich schnell gefunden haben, wenn der Preis stimmte.

Hauptzweck einer Kochkiste war die Einsparung von Energie beim Kochen: nicht nur Kohle war rationiert (siehe den Beitrag Keine Kohle, kein Gas, aber große Kälte), seit August 1917 musste auch der Kochgas-Verbrauch auf 90 Prozent des Vorjahreswerts gesenkt werden, wenn man Strafzahlungen (50 Pfennig pro Kubikmeter) vermeiden wollte – es drohte sogar die Absperrung des Anschlusses. Bei dieser (zunächst als geringfügig erscheinenden) Einsparverpflichtung, die immer auf den Vorjahresmonat berechnet wurde, muss man berücksichtigen, dass es 1917 tagelang gar kein Gas gegeben hatte und dann nur stundenweise Lieferung (BZ vom 13. und 14. August 1917). Da war jede Möglichkeit der Verbrauchsreduzierung willkommen, zumal die Gaspreise zum 1. Mai 1918 wieder gestiegen waren (auf 24 Pfennig pro Kubikmeter in Bergedorf, in Geesthacht ab Juli auf 21 Pfennig für Kochgas und 25 Pfennig für Leuchtgas, BZ vom 20. April und 4. Juli 1918).

Bergedorfer Zeitung, 14. September 1914

Das Funktionsprinzip einer Kochkiste wird auf einer Seite des Heimatvereins Teltow sehr anschaulich erklärt; man findet dort auch Abbildungen einer Heinzelmännchen-Kochkiste, von der es sogar eine Spielzeugversion gab. Ein ähnliches Produkt war die „Moha-Kochkiste“ (Link zu einer Abbildung), die Johannes M. Chr. Schütt in Bergedorf neben dem „Heinzelmännchen“ anbot (BZ vom 30. Juli 1918). Die Schlichtversion war die selbstgebaute Kochkiste, die die Zeitung schon 1914 empfohlen hatte.

Auch heute findet man im Internet Bauanleitungen für Kochkisten, die als Isoliermaterial statt Heu meist Styropor o.ä. empfehlen. Noch einfacheres Nach- bzw. Fertiggaren und Warmhalten ist unter einer Bettdecke möglich.

 

 

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Jugend 1918: Züchtigung per Leserbrief

Bergedorfer Zeitung, 4. Mai 1918

Wie kann man „Pöbel in Glacéhandschuhen“ züchtigen? Mit einem Leserbrief? Das versuchte jedenfalls „Kn.“, weil er und seine Mitreisenden in der Bahn sich von einer Gruppe Jugendlicher belästigt fühlten: die waren erst zu laut und zeigten sich dann so ungeschliffen und rüpelhaft, dass man zunächst vermutete, es wären Pulverarbeiterinnen und -arbeiter (!), was aber offenbar durch die Kleidung der jungen Leute widerlegt wurde.

Der Leserbriefschreiber nannte dies einen „ganz seltenen Einzelfall“, doch andererseits hätte er „in der Bahn unglaublich viele Rücksichtslosigkeiten und Ungeniertheiten bei unserer Jugend“ erlebt und Erwachsene, die nicht dagegen vorgingen. Zwar fehle in der jetzigen Zeit oft „die väterliche Aufsicht im Hause“, doch könne man den Krieg allein für den Mangel an Kinderstube nicht verantwortlich machen.

Der Leserbrief scheint nichts bewirkt zu haben, aber vielleicht waren es ja andere Personen aus „dieser Kriegsjugend“, die wenige Wochen später durch ihr Verhalten auffielen: „halbwüchsige Burschen mit ihren ‚Bräuten‘“ trieben mit Gebrüll, Geschrei, Gekreisch und Gelächter bis ein Uhr nachts am Kaiser-Wilhelm-Platz und im Schlosspark ihren Unfug, und dagegen müsse die Polizei vorgehen, meinte der BZ-Redakteur (BZ vom 27. Mai 1918).

Nach Ansicht eines Hamburger Rechtsanwalts, der sich auf ein Urteil aus Jena berief, hätte sogar jedermann Maßnahmen ergreifen können: die Allgemeinheit habe ein Recht auf Zucht und Ordnung und daraus abgeleitet das Recht, Kinder anderer Leute zu züchtigen (BZ vom 25. Juni 1918). Wahrscheinlich dachte er dabei nicht an Leserbriefe.

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Die staatsbürgerlichen Rechte und die Strümpfe der Frauen

Wie weit entfernt man vor hundert Jahren im Deutschen Reich von der Gleichberechtigung der Geschlechter war, zeigen zwei Zeitungsausschnitte vom gleichen Tage.

Bergedorfer Zeitung, 27. April 1918

Wer Strümpfe benötigte, musste sie entweder für viel Geld auf dem Schwarzmarkt erwerben oder einen Antrag stellen, um sie auf Bezugsschein kaufen zu können – insofern bestand Gleichheit zwischen Mann und Frau (nicht aber zwischen arm und reich). Allerdings: eine Frau, die neue Strümpfe oder andere Kleidungsstücke auf Bezugsschein haben wollte, durfte diese nicht selbst beantragen: das war das Privileg des „Familienhauptes“, also in der Regel der Ehemann bzw. bei unverheirateten Frauen der Vater. Nicht zu klären war, ob Frau Martha Schmidt nun erst ihrem Gatten Oskar Schmidt das Antragsformular per Feldpost zusenden musste, damit dieser es ausfüllte und zurückschickte, oder ob sie es in einem solchen Fall selbst ausfüllen und einreichen durfte; genauso offen bleibt nach der Lektüre des Artikels z.B. die Frage, ob unverheiratete elternlose Frauen antragsberechtigt waren. Zweck der Vorschrift dürfte aber nicht primär die Stärkung der patriarchalischen Strukturen gewesen sein, sondern eher das Abwimmeln von Anträgen, um so die Zuteilungsquote zu erhöhen.

Bergedorfer Zeitung, 27. April 1918

Die Minderberechtigung der Frauen gab es auf vielen Gebieten, nicht zuletzt dem der Politik, wie aus der Anzeige des sozialdemokratischen Vereins in Bergedorf hervorgeht: Die Frage, ob „in den staatsbürgerlichen Rechten die Frau dem Manne gleichgestellt werden“ sollte, wollte Wally Zepler in ihrem Referat thematisieren. Es überrascht nicht, dass sie diese Frage mit „Ja“ beantwortete und das Frauenwahlrecht als Notwendigkeit bezeichnete (BZ vom 30. April 1918).

Das Frauenwahlrecht kam 1919 erstmals zur Anwendung und fand sich auch in der Weimarer Reichsverfassung vom August 1919 in Art. 109, Absatz 2: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ Dazu merkte der Verfassungsrechtler Gerhard Anschütz in seinem Kommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs zu Art. 109 an: „Die Vorrechte des Ehemanns gegenüber der Ehefrau (…) bleiben … von dem Prinzip des Abs. 2 unberührt.“ (S. 309f.) Verschiedene „Frauengesetze“ verbesserten zwar die Lage von Frauen, wie Gisela Helwig schreibt, doch einen bedeutenden Fortschritt brachte dann erst wieder das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom Mai 1949, das in Art. 3, Abs. 2 formulierte: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Aber bis zur Änderung aller einfachgesetzlichen Regelungen z.B. im Familienrecht, die der Gleichberechtigung im Wege standen, dauerte es noch Jahrzehnte – bis dahin wurden sicher noch viele Strümpfe verbraucht.

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Der Tod des Gemeindevorstehers und die Folgen für Sande

Bergedorfer Zeitung, 24. April 1918

Bergedorfer Zeitung, 25. April 1918

Den Nachrufen auf Sandes Amts- und Gemeindevorsteher Gustav Maik im redaktionellen Teil wie im Anzeigenteil der BZ (Anzeigen in diesem Beitrag unten) ist wenig hinzuzufügen, und obwohl sein Wirken allgemein anerkannt war, wird mancher gehofft haben, dass nun die Gemeindeleitung wieder in tatkräftige Hände kommen würde: zu tun hatte der Vorsteher mehr als genug.

Schon Anfang 1917 hatte Maik „auf die ständig wachsenden Amts- und Gemeindegeschäfte und auf die immer umfangreicher werdenden Arbeiten der Kriegsfürsorge“ hingewiesen (BZ vom 16. Januar 1917), die u.a. eine Erweiterung der Räume der Gemeinde- und Polizeiverwaltung notwendig gemacht hatten (BZ vom 14. April 1917), denn offenbar hatte auch die Zahl der Verwaltungsmitarbeiter zugenommen – wie groß die Verwaltung der um 7.000 Einwohner zählenden Gemeinde war, ist aus der Bergedorfer Zeitung nicht klar zu ersehen; zum hauptamtlichen Personal zählten der Gemeindevorsteher, mehrere Bureauvorsteher, ein Kassierer, ein Gegenbuchführer, „Hilfskräfte“ und zwei Lehrlinge sowie ab Mitte 1918 eine „schreibgewandte junge Dame“ (BZ vom 16. Januar, 14. April und 17. November 1917 sowie 11. Juni 1918).

Auch wenn die Verwaltung gewachsen war, dürfte sie relativ zu den Aufgaben geschrumpft sein – und seit Monaten fehlte der erfahrene hauptberufliche Administrator Maik an der Spitze. An der eher sporadischen Amtsführung seines Stellvertreters Edmund Siemers (nicht identisch mit dem Hamburger Kaufmann gleichen Namens) gab es massive Kritik (BZ vom 15. Januar und 9. März 1918, siehe auch den Beitrag Lehmige Kartoffeln in Sande), doch Siemers fehlte schlicht die Zeit: er hatte den an seinen Sohn Henry übergebenen Bauernhof wieder übernehmen müssen, als Henry 1915 in den Krieg zog, wie Emilie Günther (S. 16) schreibt.

Der Kritik wollte man mit einer Verwaltungsreform begegnen. Schon im Februar hatte die Gemeindevertretung die Einführung eines „kollegialischen Gemeindevorstands“ beschlossen, durch den die Zahl der Stellvertreter auf vier erhöht werden sollte, um Siemers zu entlasten (BZ vom 20. Februar 1918), doch bedurfte dies der Zustimmung des Kreises Stormarn, die erst sieben Wochen danach eintraf (BZ vom 6. April 1918). Weitere sieben Wochen später konnten die neuen Stellvertreter vereidigt werden (BZ vom 25. Mai 1918), darunter mit Reinhold Krell erstmals ein Sozialdemokrat, und dann wurde unter den vieren gemäß dem Ortsstatut (Wortlaut in der BZ vom 7. April 1918) eine Aufgabenverteilung vorgenommen.

Nun standen also vier Ehrenamtliche der Gemeinde vor, alle ohne Verwaltungserfahrung – wie tatkräftig sie wirkten und was sie bewirken konnten, muss mangels Berichten in der BZ offenbleiben. Jedenfalls sollte das Blatt mit seiner Vermutung, dass „bis zur Wiederbesetzung des Gemeindevorsteherpostens noch geraume Zeit verstreichen dürfte“ (BZ vom 25. Mai 1918), recht behalten.

Bergedorfer Zeitung, 25. April 1918

Bergedorfer Zeitung, 24. April 1918

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Der Raubmörder Martin Ebert und die Revolution in Hamburg

Bergedorfer Zeitung, 16. April 1918

Der „Mord auf dem Gojenberg“ hatte die BZ immer wieder beschäftigt, zuerst am 19. Juni 1916, als sie über den Fund einer bereits verwesten Leiche auf dem Gojenberg berichtete. Die Ermittlungen ergaben, dass es sich um einen Raubmord handelte, und ab Ende Juli 1916 wurde nach dem dringend tatverdächtigen Knecht Martin Ebert gefahndet (BZ vom 1. August 1916), der nach einigen Monaten gefasst werden konnte (BZ vom 14. Dezember 1916). Das Gericht befand ihn (siehe unten) schuldig und verurteilte ihn zum Tode, und auch eine Revisionsverhandlung kam zum selben Ergebnis (BZ vom 25. Juni 1918).

Da Ebert 1915 aus „Friedrichsberg“ ausgebrochen war, war er vor dem Prozess auf seine Zurechnungsfähigkeit untersucht worden, denn Friedrichsberg war damals eine sogenannte Irrenanstalt – siehe die Beschreibung der Irrenanstalt Friedrichsberg von 1869 und das Buch von Reinhard Otto, das auch den Wandel zur heutigen Klinik Eilbek beschreibt.

Bergedorfer Zeitung, 18. April 1918

Die Todesstrafe wurde allerdings nicht vollzogen: als im November in Hamburg die Revolution ausbrach und die Gefangenen von Revolutionären befreit wurden, kam auch Ebert auf freien Fuß, wenn auch nur für kurze Zeit: bereits am nächsten Tag wurde er wieder verhaftet (BZ vom 8. und 9. November 1918). Seine Strafe wurde vom Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates, Heinrich Laufenberg, der in jenen Tagen statt des Senats das Begnadigungsrecht ausübte, in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt (siehe hierzu die Schriften von  Heinrich Laufenberg (S. 19) und Paul Neumann (S. 131)).

Zum „Jubiläum“ der Revolution 1918/19 gibt es ab dem 25. April 2018 im Museum für Hamburgische Geschichte unter dem Titel „Revolution! Revolution? – Hamburg 1918/19“ eine große Sonderausstellung als Teil des Themenjahres Hamburg 1918.1919 – Aufbruch in die Demokratie.

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Die Stahlwindturbinen in Warwisch

„Das Ochsenwärder Feld bildet seit Wochen wieder einen See mit zahlreichen Inseln und Halbinseln“, hieß es am 28. Januar 1918 in der Bergedorfer Zeitung: das vierte Jahr hintereinander litten vor allem Ochsenwärder und Kirchwärder unter hohen (Binnen-)Wasserständen und wünschten sich eine Dampfentwässerung wie in dem Gebiet zwischen Dove-Elbe und unterer Bille.

Bergedorfer Zeitung, 20. April 1918

Da überrascht es schon, dass ein Dresdner Hersteller in der Bergedorfer Zeitung für seine Stahlwindturbinen zur Wasserförderung warb, und noch überraschender scheint zunächst, dass er 1917 vier seiner Anlagen in den Kirchwärder Ortsteil Warwisch hatte verkaufen können. Die Erklärung ist aber einfach: auch in der Marsch, die ja platt und eben aussieht, gibt es Höhenunterschiede, und Wasser bewegt sich immer auf den tiefstgelegenen Punkt zu, sodass der eine sich fragt, wie er das Wasser aus dem Land bekommt, während der andere dieses dringend benötigt, um „Missernten in Obst- und Gemüsegärten infolge Trockenheit“ zu verhindern, wie es in der Anzeige hieß. In den (relativ) hochgelegenen Teilen von Warwisch stieß das Angebot denn auch auf Resonanz bei zahlungskräftigen  Gartenbaubetrieben.

Die Anlagen bewährten sich offenbar, denn noch in den 1950er Jahren standen drei von ihnen: eine war von Peter Holster (jun.) in Auftrag gegeben worden, wie Klaus Zeyns und der Holster-Nachfahre Heinz Holster zuverlässig berichten – Peter Holster (sen.) hatte im 19. Jahrhundert den Rhabarber nach Vierlanden gebracht, der den Gärtnern gute Erträge und Einnahmen verschaffte (siehe Torkild Hinrichsen (S. 46ff.) und den Beitrag Kein Zucker für Rhabarber).

Windrad in den Kirchwerder Wiesen, April 2018 (Vergrößern durch Klick auf das Foto)

Ein sehr ähnlich aussehendes Windrad befindet sich einhundert Jahre später in einem anderen Teil Kirchwerders westlich des sogenannten Gleisdreiecks der Bahndämme der Vierländer Bahn und der Marschbahn, und auch dieses dient der Bewässerung – aber nicht wie in Warwisch zur landwirtschaftlichen Ertragssteigerung, sondern zur Vernässung der Flächen am Ostrand des Naturschutzgebiets Kirchwerder Wiesen. Die auf dem Foto im Hintergrund zu sehenden Windkraftanlagen befinden sich jenseits der Elbe auf niedersächsischem Gebiet, aber auch in den Vierlanden und den Marschlanden stehen solche Anlagen zur Stromerzeugung, die die historischen (Korn-)Windmühlen auf der Riepenburg, in Reitbrook und Altengamme und die Kirchtürme der Region zwergenhaft erscheinen lassen, von den historischen Feldentwässerungs-Windmühlen ganz zu schweigen: letztere prägten lange Jahre durch ihre schiere Zahl in manchen Bereichen (an der Gose-Elbe und der unteren Bille) das Landschaftsbild, wie eine Karte von ca. 1890 auf der Internetseite des Förderkreises Rettet die Elbe und ein Foto auf Simone Vollstädts Internetseite zeigen. Die letzte dieser Mühlen wurde von Ochsenwärder zum Freilichtmuseum Rieckhaus transloziert.

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Die Luxuspferde und das Erwerbsleben

Bergedorfer Zeitung, 19. April 1918

Alle Pferde sollten in die Kriegswirtschaft, hatte das stellvertretende Generalkommando schon im Vorjahr verordnet – nun verschärfte es die Regelung: die Tiere waren „dem Erwerbsleben zuzuführen“, Luxuspferde durfte es nicht mehr geben, nur noch Gebrauchspferde – angesichts des Pferdemangels in Landwirtschaft und Transportwesen (siehe den Beitrag Von Pferden, Fuhrwerken und der Verwaltungsstruktur) nachvollziehbar.

Wer aber meinte, dass wirklich alle Pferde betroffen waren, sah sich getäuscht, denn wenig später genehmigte der Hamburger Senat die Abhaltung von Rennen auf der Trabrennbahn in Farmsen (BZ vom 29. April 1918), und die „Derby-Woche“ der Galopper auf der Horner Rennbahn dauerte sogar zwei Wochen, wobei „Marmor“ nach dem Sieg im Großen Preis von Hamburg auch das deutsche Derby gewann (BZ vom 17. Juni und 1. Juli 1918).

Man kann natürlich sagen, dass die Rennpferde durch Siegerpreise im Erwerbsleben standen, wenn auch in dem ihrer Besitzer, die ihre Tiere offenbar auch renntüchtig füttern konnten, obwohl schon seit mehr als zwei Jahren Hafer nur an Arbeitspferde ausgegeben werden durfte (BZ vom 16. Februar 1916). Aber die rigorosen Verordnungen ließen offenbar (und vermutlich nicht zufällig) eine Lücke für das Herren-Hobby Pferdesport, der wohl noch kriegswichtiger war als alles andere und eben kein Luxus.

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Die Dungmassen auf der Vierländer Bahn

Die Vierländer Bahn transportierte nicht nur Personen, sondern auch Güter, insbesondere landwirtschaftliche Güter, worauf schon in den Beiträgen Kein Zucker für Rhabarber und Der Krieg als Förderer des Straßenbaus hingewiesen wurde; siehe dazu auch Rolf Wobbe, Chronik der Vierländer Eisenbahn.

Nicht alle beförderten Güter rochen gut: Die Ausfuhr der Vierlande – vor allem Gemüse und Blumen – wird überwiegend angenehme Gerüche verbreitet haben, die nötige Einfuhr weniger, denn neben Sand kam vor allem Mist ins Landgebiet, sehnsüchtig erwartet von den Bauern, die den Mist als Dünger brauchten.

Bergedorfer Zeitung, 5. April 1918

Im Frühjahr 1918 scheint es (endlich wieder, siehe den Beitrag Von Landwirtschaft und Sommerzeit) größere Mengen tierischer Düngemittel gegeben zu haben, wie ein Vergleich der Anzeigen in der BZ von 1917 und 1918 ergibt, jeweils vom Frühlingsanfang bis Ende April: 1917 wurden in drei Anzeigen insgesamt 6,5 Fuder bzw. Waggons Dung angeboten, für 1918 ergaben die elf Anzeigen 52 Fuder, Waggons bzw. Schiffsladungen – die Zahl mag auch höher gelegen haben, weil 1918 in manchen Annoncen ohne Quantifizierung schlicht „Ladungen“ angeboten wurden.

 

Bergedorfer Zeitung, 9. April 1918

Da nun aber Eisenbahnwaggons eine höhere Ladekapazität als Pferdewagen hatten, konnte ein Bauer in der Regel nur auf ein oder zwei Wagen umsetzen, die verbleibende Menge wurde vom Waggon auf den Frachtbahnsteig geschaufelt und dort zwischengelagert, was zu Problemen führte: ein hoch aufgeschaufelter Misthaufen beginnt nach kurzer Zeit, sich durch das Eigengewicht auszubreiten, und wenn der Abstand zum Ladegleis am Anfang ausreichend schien, so war er doch offenbar in einigen Fällen zu gering, ein Teil der „Dungmassen“ rutschte auf das Gleis, und mehrfach entgleisten Bahnwaggons auf dem Schiet.

Mist.

Aktualisierung 20.04.2018:
Da es damals in Kirchwärder zwei Straßen mit dem Namen Querweg gab, konnte nur mit Hilfe von Rolf Wobbe und Einsichtnahme in die 1911 festgestellten Planunterlagen der Vierländer Bahn Klarheit gewonnen werden, dass das in der Anzeige genannte „Anschlußgleis Querweg E“ am Norderquerweg gelegen haben muss: am Bahnhof Kirchwärder-Nord ist in den Plänen ein Ladegleis und eine Ladestraße verzeichnet, am Süderquerweg nicht – ein Ladegleis am Süderquerweg gab es erst später.

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Die Siegesfeiern am Kriegerdenkmal

Bergedorfer Zeitung, 10. April 1918

Nun sollten auch in Bergedorf Siegesfeiern abgehalten werden, wenn es „bedeutende Siege auf dem Schlachtfelde“ gegeben hatte. Im Monat zuvor hatte man auf Befehl des Kaisers einen militärischen Erfolg mit Flaggenschmuck bejubelt (BZ vom 25. März 1918), jetzt also wollte man derartige Ereignisse „mit dem Gesang patriotischer Lieder und einer kurzen Ansprache“ würdigen, denn die Kirchenglocken, deren Läuten in früheren Kriegsjahren Siege verkündeten (siehe den Beitrag Siegesfreude und Opferwilligkeit), waren ja für Kriegszwecke eingeschmolzen worden (siehe den Beitrag Von Kampfglocken und Friedensglocken).

Der zweite Absatz des Artikels zeigt, dass der Initiator und der Vorbereitungsausschuss der aktuellen Kampagne das Ganze durchführen wollten, weil „die Begeisterungsfähigkeit stark abgeflaut“ war und sie hofften, dass solche Gemeinschaftserlebnisse dem entgegenwirken würden, was wiederum gut zu der Aktion passte, die im Beitrag Plakatierte Propaganda: „Gegen England“ dargestellt wurde. Über die organisierenden vier Schulleiter und den Chef der Jugend-Kompanie Georg Raven ließen sich bestimmt auch Teilnehmer für solche Veranstaltungen mobilisieren – aber wenn denn Feiern stattfanden, fand die BZ sie nicht berichtenswert, und allzu oft sollten ja sowieso keine Siege mehr vermeldet werden, nicht einmal unbedeutende.

Denkmal am Reinbeker Weg

Die Siegesfeiern sollten „am Kriegerdenkmal“ stattfinden, womit nur das für die Gefallenen des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 errichtete gemeint sein kann. Heute werden nicht allzuviele Bergedorfer dieses Denkmal kennen, das seit bald 150 Jahren am selben Ort steht und aktuell ziemlich zugewachsen ist: am unteren Ende des Reinbeker Wegs in der Grünanlage, wie auf der Karte 1875 (als „Monument“ bezeichnet) und der Karte 1904 („Denkmal“, gegenüber der Kirche St. Marien) zu sehen ist.

Auf dem Sockel des Steins sind die drei Bergedorfer Toten der etwa sechsmonatigen Kriegshandlungen aufgeführt. Zum Vergleich: allein im April 1918 erschienen in der Bergedorfer Zeitung elf Todesanzeigen für Bergedorfer Militärangehörige. In den ersten Kriegsjahren las man fast nur Formulierungen wie „starb den Heldentod fürs Vaterland“ – im April 1918 bei nur noch fünfen; dreimal hieß es „fiel dem (grausamen) Krieg zum Opfer“. Betrachtet man alle Traueranzeigen für Soldaten in diesem Monat, also auch die der umliegenden Gemeinden, so überwogen die, die den Tod eines Menschen in den Vordergrund stellten und nicht Ehre und Vaterland. Das ist ein deutliches Zeichen für eine geänderte Einstellung.

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Die BGE und die Bahnsteigsperren

Bergedorfer Zeitung, 3. April 1918

Bahnsteigsperren kennt man heute nur noch aus anderen Ländern – vor einhundert Jahren waren sie in Deutschland absolut üblich, und auch die Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn führte sie gut elf Jahre nach der Betriebsaufnahme schließlich auf ihrer Stammstrecke ein. Die Abbildungen bei  Jürgen Opravil (S. 49) zeigen nicht nur den Sperrzaun, sondern auch mehrere der Häuschen, in denen Bahnbeamte zwecks Fahrkartenkontrolle auf Fahrgäste warteten.

Es dürfte für die BGE kein Problem gewesen sein, diese Neuerung zu finanzieren, denn sie hatte im vorangegangenen Geschäftsjahr gute Gewinne erwirtschaftet und die Dividende auf zwölf Prozent erhöhen können (BZ vom 1. Oktober 1917) – kein Wunder bei dem hohen Fahrgastaufkommen, und außerdem hatte man zum 1. April die Tarife für Expressgut- und Gepäckfracht, für Hunde und Monatskarten heraufgesetzt (nicht aber für Schüler-Monatskarten und Arbeiter-Wochenkarten, BZ vom 18. März 1918).

Bergedorfer Zeitung, 23. März 1918

Ob die Einstellung von Schaffnerinnen mit den Bahnsteigsperren zusammenhing, ist nicht sicher. Zumindest dürften die Frauen eher auf der Strecke der (ruhigeren) Vierländer Bahn eingesetzt worden sein; in den von Geesthacht nach Hamburg durchfahrenden Zügen der Pulverarbeiter mussten sogar „Zugordner“ eingesetzt werden (BZ vom 11. Mai 1918).

Wenn auch die Bahnsteigsperren verschwunden sind, so gibt es doch zumindest in Hamburg und München immer noch Bahnsteigkarten, wie das Hamburger Abendblatt kürzlich berichtete – es wird sie auch bei der BGE gegeben haben.

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