Bergedorfs Schule ohne Schule für die praktisch Tüchtigen

Bergedorfer Zeitung, 23. Juni 1919

Vor dem Krieg hatte nur ein Drittel der Volksschüler ohne Sitzenbleiben die Schule absolviert, bei Fürsorgezöglingen waren es sogar nur sechs Prozent – dem wollte der erfahrene Hamburger Lehrer August E. Krohn mit seinem Konzept der Heimschule begegnen: er wollte „den Sitzenbleibern Anerkennung ihrer Tüchtigkeit durch rohe, praktische Arbeit in einem ‚ländlichen Wirtschaftsbetrieb‘ vermitteln, in dem … diese Sitzengebliebenen durchaus – wenn auch als kleine Arbeiter – also ernsthaft und gewollt nach Maßgabe ihrer Kräfte und Fähigkeiten mittätig sein sollen, womöglich aufbauend. Die Erfahrung hat schon immer gezeigt, daß auch Sitzengebliebene es im Leben zu etwas bringen können. … Also Schulstube, Schultische, Schulbuch, Schularbeit, Schulfach, Lehrplan, Stundenplan, das alles gibt es in der Heimschule nicht, nur Arbeit, nichts als Arbeit. Damit ist dann die Heimschule ganz ohne Schule und nichts als Wirtschaft, und die Sitzengebliebenen stehen plötzlich mitten in dem emsigen Schaffen eines lebenswahren Wirtschaftsbetriebes“ (August E. Krohn, Meine Heimschule, S. 26 – 30).

Den Versuch war es wert, befanden der Bergedorfer Lehrerverein (BZ vom 19. Februar) sowie Magistrat und Bürgervertretung (BZ vom 1. März): am 1. April wurde die Heimschule im Bergedorfer Versorgungsheim an der Rothenhauschaussee eröffnet; auch die ehemalige Blohmsche Ziegelei (vormals Biehlsche Ziegelei, siehe Martin Pries, Die Ziegeleien im Raum Bergedorf, S. 24-27) gehörte zum Gelände der Heimschule (BZ vom 3. April).

Der schnell ausgebrochene Kompetenzstreit mit dem städtischen Verwalter des Heims führte dazu, dass Krohn und die vier anderen Lehrer sich mit den Kindern an die Grundsanierung der verfallenen „Zieglerkaserne“ auf der anderen Straßenseite machten, was ja durchaus im Sinn des pädagogischen Konzepts war, und noch 1919 erfolgte der Umzug, wohl zur Zufriedenheit aller Beteiligten.

Doch das nächste Problem ließ nicht lange auf sich warten, wie Krohn schrieb (ebd., S. 47ff.): die Stadt Bergedorf wollte sich die getätigten Ausgaben vom Staat zurückerstatten lassen, was der Senat aber verweigerte. Erst nachdem Krohn mit geliehenen 30.000 Mark die Bergedorfer Forderung erfüllt hatte, gab es einen neuen Pachtvertrag, allerdings nur für das Blohmsche Gelände – das Versorgungsheim ging wieder an die Stadt.

Von Dauer war auch die neue Konstruktion nicht: nach weiteren drei Jahren kam das endgültige Aus für die Heimschule am Standort Bergedorf – die Liebe der Stadtväter zu dem pädagogischen Experiment war längst erloschen, was auch an Krohn und seinem Umgang mit den Behörden gelegen haben mag.

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Wie weiter in Bergedorf: Eingemeindung oder nicht?

Bergedorfs Eigenständigkeit im Staate Hamburg war nicht mehr haltbar – darin waren die politischen Kräfte einig gewesen in Bergedorf, vor dem Krieg und im Krieg. Hauptgründe dafür waren das Einspruchsrecht des Landherrn, der Bergedorfer Interessen den Hamburgischen unterordnete, die steuerliche Benachteiligung gegenüber den Hamburgern und die Stadtfinanzen mit beträchtlicher Verschuldung (BZ vom 16. März 1918).

Mit der Einigkeit in dieser Frage war es nach dem Krieg vorbei, denn Bergedorfs SPD (gefolgt von der DDP) sah die Lage nun anders, was auch Magistrat und Bürgervertretung beschäftigte:

Bergedorfer Zeitung, 11. Juni 1919

Bergedorfer Zeitung, 13. Juni 1919

Sowohl vor den SPD-Mitgliedern als auch in der Stadtvertretung sprach sich  Ratmann Friedrich Frank dafür aus, die Eingemeindung noch einmal zu überdenken: die Verhältnisse hätten sich ja geändert, die Rechte des Landherrn würden eingeschränkt werden, die Groß-Hamburg-Frage sei immer noch offen und „für Bergedorf als selbständiges Gemeinwesen von Bedeutung“.

Die Mitgliederversammlung der SPD stimmte dem zu und forderte eine „einmalige größere finanzielle Beihilfe Hamburgs, um die Selbstverwaltung aufrechterhalten zu können“, was ein düsteres Bild auf Bergedorfs Finanzen wirft.

Von Interesse ist hierbei auch das SPD-Votum für eine „baldmöglichste“ Bürgermeisterwahl, was doch überrascht: ein eingemeindetes Bergedorf hätte weder Bürgermeister noch Magistrat und Bürgervertretung gehabt. So muss die „Offenhaltung“ der Eingemeindungsfrage als vorgeschoben interpretiert werden, denn es macht ja keinen Sinn, einen Bürgermeister nur für einige Wochen oder Monate zu wählen: nach dem Ausscheiden von Bürgermeister Walli (siehe den Beitrag Walli macht Karriere) sah die SPD nun die Chance, das Amt mit dem sozialdemokratischen Ratmann Wiesner zu besetzen, und diese Chance wollte man sich nicht entgehen lassen.

Die Sitzung der Stadtoberen verlief erst harmonisch: die zurückgetretenen Ratmänner Bauer (Bürgerliche), Cohn (DDP) und die Sozialdemokraten Frank, Otto und Storbeck wurden einstimmig wiedergewählt – doch dann wurde es kontrovers: der USPD-Vertreter Seß vermutete „persönliche Interessenpolitik“ hinter dem Sinneswandel der SPD, Kellinghusen als Vertreter der Bürgerlichen warnte gerade angesichts der in seinen Augen zerrütteten Finanzen vor einer Änderung der 1918 beschlossenen Position, „nachdem man bis jetzt förmlich nach der Eingemeindung geschrien habe.“

In der Sache wurde an diesem Abend nicht entschieden, aber einmütig „zur weiteren Bearbeitung der Angelegenheit ein Ausschuß … eingesetzt“.

Fortsetzung folgt.

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Mit Kegelkugeln auf Eierjagd

BZ, 13. Juni 1919

60 Eier erhielt der beste Kegler, 45 für den zweitbesten gab es bei diesem Turnier, und die ausgelobten Preise waren offenbar attraktiv, denn in den folgenden Wochen gab es zahlreiche Nachahmer in den Vierlanden, aber auch in Sande und Bergedorf (Anzeigen in der BZ vom 20. und 26. Juni, 4., 8., 10., 12. und 23. Juli). Meistens bestand der Siegespreis aus 50 oder 60 Eiern, und meist konnte sich der Gewinner des Trostpreises über zehn Eier freuen, in einem Fall gab es nur ein einziges Ei (BZ vom 10. Juli), aber immerhin …

Man kann unschwer erkennen, dass die Zeit der Zwangsbewirtschaftung von Eiern (siehe hierzu den Beitrag Neue Eierablieferungsauflagen) vorüber war; sie war zwar im Februar noch bekräftigt und in Bergedorf das Ablieferungssoll erhöht worden (BZ vom 3. und 13. Februar), doch dann durch eine Verordnung des Reichsernährungsministers vom 21. März aufgehoben worden (BZ vom 2. April).

BZ, 8. Juli 1919

Die Höchstpreise blieben allerdings in Kraft, wenn auch nur auf dem Papier: hatten Eier vorher im Schleichhandel 1,10 bis 1,20 Mark gekostet, so musste man nun im Laden 1,30 Mark zahlen, sogar 1,60 Mark pro Ei wurde gefordert (BZ vom 4. und 16. April). Da bei zwei Preiskegel-Veranstaltungen Geld zu gewinnen war (70 bzw. 80 Mark, siehe BZ vom 8. und 12. Juli), kann man schlussfolgern, dass der Wert eines Eis deutlich über einer Mark lag.

Das bereitete Probleme: der „Ausschuß für Sammel- u. Helferdienst des Kreises Stormarn“ appellierte an die Hühnerhalter, ihre Eier an in den Schulen (also auch in Sande) eingerichtete Eiersammelstellen zu verkaufen, für 50 Pfennig pro Stück zuzüglich 5 Pfennig Sammellohn für die Kinder: wegen der „unerschwinglichen Preise“ auf dem freien Markt sei sonst die Belieferung von „Kranken, Kindern und Unbemittelten“ nicht möglich (BZ vom 8. und 20. Mai). Die Preisentwicklung bot der Bergedorfer SPD Anlass, generell vor den Marktmechanismen zu warnen (BZ vom 20. Mai).

Die Lage entspannte sich nicht: aus Altengamme wurde gemeldet, dass die Gemeindeschwester „ermächtigt ist, die von der Gemeindevertretung für Kranke gesammelten Eier zu vermitteln und wolle man sich dieserhalb mit ihr in Verbindung setzen“ (BZ vom 9. September). Weitere zwei Monate später machte die Landherrenschaft bekannt, dass sie für Kranke zwei „konservierte Auslandseier“ beschafft hatte: Kleinverkaufspreis 1,50 Mark pro Stück.

 

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Die Elbvertiefung und die Folgen – damals und heute

Bergedorfer Zeitung, 4. Juni 1919

1919 war und 2019 ist der Tideeinfluss auf die Dove- und die Gose-Elbe ein Thema, und auch die Elbvertiefung spielte damals und spielt heute eine wichtige Rolle.

Gose-Elbe und Dove-Elbe sollten 1919 „reguliert“ werden: durch Wasserbaumaßnahmen wollte der Senat die Schiffbarkeit dieser beiden Seitenarme der Elbe verbessern. Damit war der Verfasser des Leserbriefs, der sich als „Halligbewohner im Gebiet der Dove und Gose-Elbe“ bezeichnete, durchaus einverstanden, denn auch Schleusen sollten gebaut werden, die einen konstanten Wasserstand ermöglichten und somit das halligtypische „Landunter“ verhinderten. Die Landwirtschaft konnte sich freuen.

Die geplante Kostenbeteiligung an den Maßnahmen lehnte der Halligbewohner allerdings ab: für ihn war die Regulierung nur eine überfällige Entschädigung für Nachteile, die durch Hamburgs Politik der Elbe hervorgerufen wurden, wie er meinte – die Vertiefung der Unterelbe, die Verlegung der Dove-Elbe-Mündung („Kaltehofe-Durchstich“) und der Ausbau des Köhlbrands in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wären ursächlich dafür, dass die Flut in Dove- und Gose-Elbe jetzt mehr als einen Meter höher aufliefe als zuvor: „Wer schädigt, muß entschädigen, ist doch ein altes Gebot.“

Die Entschädigungsfrage sei hier ausgeblendet – die Regulierung erfolgte in den 1920er Jahren vor allem durch den Bau der Reitschleuse (Gose-Elbe) und der Dove-Elbe-Schleuse, die die Oberläufe beider Flüsse dem Tideeinfluss entzogen. Die Unterläufe wurden erst 1952 in Tatenberg durch Abdämmung und Schleuse tideunabhängig.

2019 wird debattiert, ob Dove- und Gose-Elbe wieder der Tide ausgesetzt werden sollen: mittels einer Machbarkeitsstudie soll geklärt werden, ob die Verschlickung des Hauptstroms der Elbe (nach einer weiteren Fahrrinnenvertiefung) durch die (Wieder-)Öffnung der Altarme für Ebbe und Flut bei Tatenberg reduziert werden kann, wie das Hamburger Abendblatt schreibt.

Sollte dies machbar sein und auch gemacht werden, werden „Halliglagen“ wie die des Leserbriefschreibers sicher von Vorteil sein.

Exkurs:

Gose- und Dove-Elbe sind Nebenarme der Elbe; sie durchziehen die Vierlande und die Marschlande  von Südosten her und fließen unterhalb (also westlich) Reitbrooks zusammen. Bereits im 14. bzw. 15. Jahrhundert wurden beide durch den Bau von Deichen im Osten der Vierlande vom Oberwasser abgetrennt; nach Hamburg hin blieben sie offen und schiffbar – seit allerdings der Tideeinfluss im 16./17. Jahrhundert das Gebiet erreichte, fielen diese Arme zeitweise trocken (siehe hierzu den Aufsatz von Carsten Weide, S. 22-47, hier S. 31f.).

 

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Einmalig Schokolade oder Kakao

Bergedorfer Zeitung, 5. Juni 1919

„Einmalig“ sollte es für Kinder zwischen dem dritten und vierzehnten Lebensjahr Schokolade oder Kakao geben – eine seltene Delikatesse, denn während des Krieges war Deutschland ja von Importen weitgehend abgeschnitten gewesen. Nach dem Krieg konnte wieder importiert werden, aber nur gegen Devisen, und Devisen waren knapp.

Wie und wann die „einmalige Verteilung von Schokolade und Kakao“ in Bergedorf und am Brookdeich, der damals noch zu Curslack gehörte, erfolgte, schrieb die BZ leider nicht, auch über das Antragsverfahren war nichts zu finden – wahrscheinlich erfuhren die Bergedorferinnen und Bergedorfer dies alles über die in der Stadt aufgestellten Bekanntmachungskästen. Man darf aber vermuten, dass es keine prinzipiellen Unterschiede zum übrigen Gebiet der Landherrenschaft gab: die Erziehungsberechtigten der Kinder zwischen dem dritten und vierzehnten Lebensjahr dort mussten sich bei einer amtlichen Stelle melden und erhielten besondere Karten. Dann hieß es warten, denn weder der Zeitpunkt der Verteilung noch die Menge stand fest, ebenso wenig die Abgabestelle.

Bergedorfer Zeitung, 2. Juli 1919

Die Abgabe sollte laut Bekanntmachung „demnächst“ erfolgen – im heutigen Sprachgebrauch würde man darunter wohl „in den nächsten Tagen“ nach Ende der Anmeldefrist verstehen, aber so schnell ging es damals nicht: erst ab dem 6. Juli sollte die Verteilung in den angegebenen Geschäften erfolgen. Die Menge war nicht üppig: pro Kind erhielt man zu einem nicht genannten Preis 80 Gramm.

In der relativ dicht besiedelten Stadt Bergedorf wird man die eher kurzen Wege wohl gern auf sich genommen haben – in den Vierlanden hatte man kilometerweit zu laufen: da könnte der Kalorienverbrauch der Fußmärsche den Nährwert der Schokolade schon überstiegen haben. Den Kindern zuliebe wird aber kaum jemand auf die Delikatesse verzichtet haben, und das Laufen war man ja gewohnt: in Zollenspieker fand die Ausgabe von Milchkarten am 3. Juli, der Brotkarten am 5. Juli, und der besonderen Milch-, Nähr- und Säuglingskarten am 7. Juli statt (Bekanntmachung in der BZ vom 2. Juli 1919). Verwaltungstechnisch war das wohl einfacher – für die „Bezugsberechtigten“ sicher nicht.

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Kunst in und um Bergedorf, aber nicht revolutionär

Ein gutes halbes Jahr nach Kriegsende regte sich in Bergedorf wieder das Kunstleben, aber von der Avantgarde der Nachkriegszeit waren Hans Förster und Georg Greve-Lindau weit entfernt.

Bergedorfer Zeitung, 28. Mai 1919

Anlässlich des 50. Todestages von Hans Förster widmete ihm das Altonaer Museum eine große Ausstellung, zu der eine Begleitpublikation erschienen ist, deren Abbildungen einen Überblick über sein Schaffen bieten. Im Text der Publikation schreibt die Kuratorin Verena Fink: „Als Maler folgte er nicht dem künstlerischen Zeitgeist wie Expressionismus oder Neue Sachlichkeit und war deswegen nicht sehr gefragt.“ (S. 19)

In einem Verzeichnis Hamburger Künstler von 2013 heißt es über Förster: „Er gilt als bedeutender Schilderer des Hamburger Landlebens, insbes. der Vierlande, in großformatigen farbigen Holzschnitten. … Sie zeigen weniger graphische als malerische Werke, wie ihre japanischen Vorbilder sowie Nachwirkungen des Jugendstils.“ (Der neue Rump). Nicht nur in den Vierlanden sind Försters Werke heute noch bekannt und geschätzt. Auch schriftstellerisch war Förster tätig, z.B. mit dem Buch Malerische Marschen, für das er auch die Illustrationen, u.a. Alt-Bergedorf-Motive, fertigte. Die Welt des 20. Jahrhunderts blendete er weitgehend aus.

Bergedorfer Zeitung, 2. Juni 1919

Georg Greve-Lindau, 1912/13 Träger des Villa-Romana-Preises, war im Krieg Offizier gewesen; er kam 1918 nach Bergedorf, bezog laut BZ-Artikel eine Atelier-Wohnung kurz vor der Grenze nach Wentorf. Bald verlegte er seinen Wohnsitz um wenige hundert Meter weiter an die Hamburger Landstraße in Wentorf, wie sich aus den Hamburger Adressbüchern ergibt, die ihm allerdings einige Jahre lang fälschlicherweise den Vornamen Paul zuschrieben.

Der BZ-Redakteur Theodor Krein war von der Ausstellung jedenfalls begeistert: „Rückhaltlos kann man sich hier an einer Kunst des Impressionismus und des Expressionismus laben“ (BZ vom 6. Juni), was ein wenig überrascht: sowohl Der neue Rump (S. 156) als auch das Allgemeine Künstler-Lexikon (Bd. 61, S. 521f.) sehen ihn (nur) als Impressionisten.

Greve-Lindau hatte im Raum Bergedorf in späteren Jahren weitere Ausstellungen: noch im selben Jahr präsentierte er Graphiken (BZ vom 29. November und 1. Dezember), 1925 folgte eine Ausstellung in Bergedorf, und auch lange nach seinem Wegzug (1936) blieb er für die hiesigen Kunstfreunde präsent: 1961 in Bergedorf und 2001 in Wentorf waren seine Bilder öffentlich zu sehen (Allgemeines Künstler-Lexikon, ebd.), und man kann vermuten, dass dabei auch Wentorfer Motive gezeigt wurden.

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Neue Infrastruktur für die Vierlande und die Marschlande: Ruin oder blühende Landschaften?

Auch nach Ende des Krieges war die Versorgung der Großstadt Hamburg mit Lebensmitteln unzureichend – das wollte man durch die „Aufschließung“ der Marschlande und der Vierlande ändern: die Gemüseproduktion sollte gesteigert werden.

Gemüse muss aber nicht nur erzeugt werden – es muss zum Verbraucher gelangen, und das war ein Problem: die Marsch war „arm an befestigten Straßen“, in regenreichen Zeiten waren „Wagentransporte … so gut wie unausführbar“, wie es in einer Senatsmitteilung an die Bürgerschaft hieß (S. 521), und die Seitenarme der Elbe waren nur eingeschränkt schifffahrtstauglich, weil schmal und flach:

Elbdeich in Altengamme, frühes 20. Jahrhundert

Dove-Elbe bei Curslack, frühes 20. Jahrhundert

 

Die Verkehrsinfrastruktur wollte der Senat nun ausbauen: die Hamburger Marschbahn war ja bereits im Bau; insgesamt vier neue Straßen sollten als Zuwegungen zu den Marschbahn-Haltestellen geschaffen werden. Verschiedene Straßen sollten gepflastert und neue Straßen parallel zu den vorhandenen Deichen angelegt werden, um dort Gemüsebaubetriebe anzusiedeln. Als Gemüseland waren diese Flächen aber nur durch ein ebenfalls neu zu schaffendes Be- und Entwässerungssytem (siehe hierzu den Beitrag Die Stahlwindturbinen in Warwisch) nutzbar. Den Transport auf Dove- und Gose-Elbe wollte man durch „Regulierung“ dieser Seitenarme erleichtern, was Thema eines folgenden Beitrags sein wird.

Bergedorfer Zeitung, 28. Mai 1919

Insgesamt sollte das eine Menge Geld kosten: in einer Besprechung mit den Vorstehern der betroffenen Gemeinden schätzte der Landherr Senator Heinrich Stubbe die Kosten für alle Maßnahmen auf 85 Millionen Mark (BZ vom 24. Mai). Die Hälfte davon sollten die Grundeigentümer der Vier- und Marschlande aufbringen, und das rief parteiübergreifenden Protest der Landgemeinden auf den Plan, die nicht Wachstum und Aufschwung vorhersahen, sondern Entvölkerung und Ruin. Diesen Befürchtungen wiederum hielt ein Vertreter der Finanzbehörde entgegen, dass die Kosten ja noch gar nicht feststünden – ob das die Gemüter beruhigte, darf man bezweifeln – und alles zum Vorteil der Landbewohner geschehe: „Sie hätten in erster Linie den Nutzen.“ (BZ vom 30. Mai)

In der Bürgerschaftssitzung am 27. August wurde dann die Senatsvorlage „betreffend Straßenbauten im marschländischen Landgebiet“ beraten. Man begrüßte allseits die geplanten Baumaßnahmen, allerdings nur im Prinzip; die Kostentragung blieb umstritten. Am Ende wurden die beantragten 10.151.940 Mark für 46,639 Kilometer Straßenbau bewilligt und man „verwies den übrigen Teil der Vorlage an einen Ausschuß.“ (BZ vom 28. August) Über die finanzielle Beteiligung der Landgemeinden konnte dort wirklich in aller Ruhe beraten werden, denn die Abgabe sollte erst nach Fertigstellung der Straßen ab dem Steuerjahr 1926 erhoben werden (Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft im Jahre 1919, S. 521-527).

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Gleiches Baderecht für Frauen!

Bergedorfer Zeitung, 21. Mai 1919

In ihren politischen Rechten waren seit der Revolution die Frauen den Männern gleichgestellt – nicht aber im Recht auf Schwimmbadbenutzung, worüber sich die Leserbriefverfasserin „F.P.“ beschwerte. Dass den Männern mehr Zeit zur Verfügung stand und die im Beitrag Die Badesaison eröffnet geschilderte Ungleichbehandlung also die Revolution überdauert hatte, machte sie hier gar nicht zum Thema, sondern ihr ging es darum, dass die Verteilung der Stunden in der geschlechtergetrennten Badeanstalt geändert werden sollte: die Frauen-Zeiten lagen am Vormittag und frühen Nachmittag, sodass berufstätige Frauen sie praktisch (außer sonntags) nicht in Anspruch nehmen konnten, und sie versah ihre Forderung mit einer politischen Spitze: die Regelung stehe im Widerspruch zu „den Bestrebungen der Verwaltung auf sozialem Gebiete“, junge Mädchen sähen dies „als eine große Zurücksetzung“.

Bergedorfer Zeitung, 24. Mai 1919

Mehrere Männer reagierten: ein W. Möller schlug vor, an zwei Wochentagen die Nachmittagsstunden zwischen Damen und Herren zu vertauschen  und die Badezeit für die Männer dann abends zu verlängern (BZ vom 24. Mai), wogegen sich ein Herr Germer entschieden wandte, der „auch nicht zu Gunsten der Frauen“ auf Sonnenschein beim Baden verzichten wollte. Er machte gleich zwei Alternativvorschläge: entweder neben der vorhandenen Anlage ein reines Damenbad zu schaffen – oder wie in anderen Städten ein Familienbad zu errichten: „Für Prüderie ist in heutiger Zeit kein Platz mehr!“ Das könnte manche entrüstet haben.

Bergedorfs Verwaltung hielt sich offenbar bedeckt: in der BZ waren in diesem Jahr keine Meldungen über Änderungen von Zeiten oder gar Erweiterungsmaßnahmen zu finden. Das benachbarte Sande dagegen hatte bereits im Frühjahr mit dem Bau einer Gemeinde-Badeanstalt begonnen, auch, um damit die Arbeitslosigkeit zu verringern  (BZ vom 10. Februar, 29. März und 10. April). Aber im Juni kam es zum Stillstand der Arbeiten: dem „Ausstich des Billufers“ musste der Staat Hamburg zustimmen, und das zog sich hin (BZ vom 17. und 23. Juni). Wie letztlich entschieden wurde, berichtete die BZ 1919 nicht – deshalb kann man davon ausgehen, dass die Badesaison in Sande ohne die neue Einrichtung verlief. Den Betreiber der privaten Sander Badeanstalt dürfte es gefreut haben.

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Walli macht Karriere – Bergedorfs Bürgermeister geht

Bergedorfer Zeitung, 22. Mai 1919

Für die Hamburger war es wichtiger, dass die Bürgerschaft durch die „Aufhebung der zweiten Wagenklasse“ die klassenlose Hochbahn schuf – für die Bergedorfer war es die Beförderung ihres bisherigen Bürgermeisters Dr. Paul Walli zum Senatssyndikus. Schon vorher hatte er Abwanderungsgelüste gezeigt, wie im Beitrag Walli will weg zu lesen: damals hatte man ihn mit Geld und sicher auch guten Worten zum Bleiben bewegen können, aber er engagierte sich zunehmend auch auf Landesebene und wurde 1917 zum Bürgerschaftsabgeordneten gewählt (siehe den Beitrag Bürgermeister Walli geht fremd). Bei der Bürgerschaftswahl 1919 war er (als Kandidat der DDP) wieder erfolgreich – nun wechselte er von der Parlamentsseite des Rathauses auf die Seite der Exekutive. Die Bürgerschaft musste zustimmen, weil Walli Wert darauf legte, dass seine Bergedorfer Pensionsansprüche vom Staat Hamburg übernommen würden (BZ vom 19. Mai 1919).

Angesichts der Mehrheiten im Bergedorfer Stadtparlament hätte man erwarten können, dass es nun sehr zügig zur Wahl eines Walli-Nachfolgers aus den Reihen der SPD gekommen wäre, aber es trat eine Art von Schwebezustand ein: nicht nur wegen seiner hohen Verschuldung, sondern auch wegen der die Entwicklung hemmenden Kompetenzen der Landherrenschaft hatten Magistrat und Bürgervertretung noch während des Krieges die Eingemeindung der Stadt Bergedorf beantragt. Mit der Eingemeindung wäre dann das Amt des Bürgermeisters ebenso entfallen wie der Magistrat und die Bürgervertretung, Bergedorf wäre ein aus der Zentrale des Stadtstaats verwalteter „Vorort“ Hamburgs geworden.

Der Antrag überdauerte den Krieg und die Revolution: die Finanzdeputation (heute: Finanzbehörde) stimmte ihm zu (BZ vom 1. März 1919), ebenso sprach sich Hamburgs Zweiter Bürgermeister Otto Stolten in einer öffentlichen SPD-Versammlung in Bergedorf dafür aus (BZ vom 8. April 1919) – doch nun regte sich dagegen plötzlich Widerstand, und so landete das Problem auf einer  längeren Bank, worüber noch zu berichten sein wird.

Vorerst (ab dem 1. Juni) wurde das Bürgermeisteramt entsprechend dem Ortsstatut stellvertretend durch den besoldeten Ratmann Wilhelm Wiesner (SPD) wahrgenommen (BZ vom 4. Juni 1919).

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Der umkämpfte Sportplatz

Bergedorfer Zeitung, 14. Mai 1919

Um den Bau neuer Sportanlagen wurde in Bergedorf mit äußerst harten Bandagen gekämpft.

Bergedorfs meistgenutzter Sportplatz (damalige Terminologie: Spielplatz) war der städtische Frascatiplatz mit zwei Feldern, über deren Zustand mehrmals im „Sprechsaal“ der BZ Klage geführt wurde: „Das Laufen und Spielen ist tatsächlich der vielen Unebenheiten und Löcher wegen mit großen Gefahren verknüpft.“ (BZ vom 8. April) Der Platz würde „bei trockenem Wetter mit den darüberhinstreichenden Sandwolken, bei feuchtem Wetter mit den Wassertümpeln dem Vorübergehenden ein Grausen einflößen“ (BZ vom 30. April), auch „tummeln verschiedene Pferdehalter ihre Pferde immer noch“ dort (BZ vom 15. Juni).

Die Sportvereine waren einig und richteten gemeinsam (Männerturnverein von 1860, Bergedorfer Turnerschaft von 1880, Spiel und Sport Bergedorf und auch die dem Arbeitersportverband angehörende Freie Turnerschaft Bergedorf-Sande) einen Antrag an die Stadtväter, mit Hilfe sogenannter „Demobilisierungsgelder“ (d.h. Zuschüssen des Reichs) eine neue, große Sportanlage zu schaffen (BZ vom 25. April), und sie luden zu einem öffentlichen Vortrag eines Turninspektors Carl Möller aus Altona ein (Anzeige in der BZ vom 8. Mai).

In ihrem Bericht über die Veranstaltung in der Aula der Hansa-Schule zeigte die BZ zunächst ausführlich viel Sympathie für das Anliegen, war aber hinsichtlich der Finanzierung skeptisch. Mit wenigen Sätzen wurde im Schlussabsatz des Artikels die Argumentation Möllers wiedergegeben, und auch der Hausherr der Hansaschule, Prof. Dr. Ohly, wurde genannt: er erhob  „einen flammenden Protest gegen den Vergewaltigungsfrieden der Entente“ und ließ abschließend „Deutschland über alles“ singen.

Bergedorfer Zeitung, 14. Mai 1919

Da war es vorbei mit der Einigkeit, wie der noch in der selben Ausgabe abgedruckte Leserbrief des SPD-Ratmanns Friedrich Frank belegt – er fühlte sich von Ohly (und den bürgerlichen Vereinen) missbraucht. Dies wiederum stieß bei Ohly auf Unverständnis: er „habe absichtlich alles vermieden, was Andersdenkende verletzen könnte“ (Leserbrief in der BZ vom 15. Mai). Ob Ohly sich nun selbst einen Kinnhaken verpasst hatte oder ungewollt in eine linke Gerade Franks gelaufen war, sei dahingestellt.

Als der Antrag der Sportvereine von Magistrat und Bürgervertretung beraten wurde, warnte die SPD vor den Kosten von angeblich einer Million Mark und sorgte dafür, dass der Antrag einer eigens eingerichteten Kommission überwiesen wurde (BZ vom 4. Juni). Dort scheint das Thema begraben worden zu sein, denn zwei der Vereine ergriffen im Herbst andere Maßnahmen: „Spiel und Sport“ kaufte 30.000 Quadratmeter Land für eine Sportanlage an der Marienburg in Wentorf (BZ vom 28. Oktober), und im November begann die Bergedorfer Turnerschaft mit der Sponsorensuche für den Erwerb eines Vereinsgeländes (BZ vom 5. November). Die Hoffnung auf neue städtische Spielplätze hatten sie aufgegeben.

Um Bergedorf herum waren die Gemeinden sportfreundlicher: in Sande wurde im Mai als „Notstandsarbeit“ mit dem Bau eines Spielplatzes begonnen (heutige Sportanlage Sander Tannen) und am 21. Septemberdie Einweihung gefeiert (BZ vom 14. Mai und 22. September). Die Geesthachter Gemeindevertretung beschloss sogar den Bau von zwei Spielplätzen, ebenfalls als „Notstandsarbeit“ (BZ vom 20. Juni), das kleinere Besenhorst wollte sich mit einem begnügen (BZ vom 9. September). Bergedorf im Abseits.

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