Bergedorf: Ehemaliger Stadtkommandant verhaftet!

Bergedorfer Zeitung, 21. Juli 1919

Der Schuhmacher Peter Bartsch, „der bekanntlich in den ersten Tagen der Novemberrevolution hier auch als Stadtkommandant aufgetreten war“, war in Haft genommen worden; nicht wegen seiner Revolutionsaktivitäten, sondern weil ihm, der „schon seit langem im Ruf eines professionellen Hundefängers steht“, vorgehalten wurde, sich einen fremden Hund angeeignet und diesen verkauft zu haben. Als Hundehändler hatte Bartsch schon während des Krieges Anzeigen in der BZ geschaltet (siehe den Beitrag Kriegsbrauchbare Hunde), ebenso danach (Anzeige in der BZ vom 22. November 1918), und wenn damals nicht klar war, ob er die Hunde auch ihres Fleisches wegen haben wollte, so ist nach diesem Artikel jeder Zweifel ausgeräumt: das in seiner Wohnung gefundene in Pökelsalz eingelegte Pudelfleisch belegt, dass er (auch) auf Hundefleisch aus war, das er vermutlich (anders bezeichnet) in den Handel brachte.

Aber genau diese Pudel-Geschichte weckt Zweifel an der Darstellung, denn woran erkennt man ohne DNA-Analyse, die es ja noch nicht gab, dass es das Fleisch eines Pudels war und nicht das einer anderen Hunderasse? Und verstärkt werden diese Zweifel durch den letzten Satz, wonach Bartsch „bekanntlich“ als Stadtkommandant aufgetreten war, denn in der BZ-Berichterstattung aus „den ersten Tagen der Novemberrevolution“ tauchte weder der Name Bartsch auf noch die Bezeichnung „Stadtkommandant“ o.ä, auch keine von Bartsch gezeichneten Bekanntmachungen. Merkwürdig.

Was aus Bartsch wurde, ist unbekannt, denn die BZ schrieb nichts über eine Anklage, eine Gerichtsverhandlung oder einen Strafbefehl. In den Hamburger Adressbüchern für 1919 und 1920 ist er mit der Anschrift Bahnstraße 21 (heute Reetwerder) verzeichnet, aber 1921 nicht mehr. Ob er da auf den Hund gekommen war oder anderenorts als Schuster bei seinen Leisten blieb?

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Von Zigarren und Seifenblasen

Bergedorfer Zeitung, 19. Juli 1919

Für Raucher waren die Zeiten offenbar immer noch schlecht, und die hier beschriebene Zigarre stank sicher besonders kräftig zum Himmel: sie enthielt einen Briefumschlag, der mit Sicherheit nicht zu den im Krieg zugelassenen „Tabakersatzstoffen“ zählte (siehe den Beitrag Bergedorfs Tabakfabrik braucht Buchenlaub).

Die BZ identifizierte den Hersteller aufgrund der Firmenadresse auf dem Couvert als einen „früheren Zigarrenmacher und jetzigen Inhaber eines bekannten Kaffeerestaurants“, nannte aber keinen Namen, was in der Bevölkerung Spekulationen und bei den Kaffeehausbetreibern Unruhe ausgelöst haben wird.

Bergedorfer Zeitung, 21. Juli 1919

Der Inhaber des Schloß-Kaffees fühlte sich zu einer Stellungnahme genötigt: er habe mit dem „Zigarrenschwindel“ nichts zu tun. Die definitive Aufklärung, wer der Biedermann war, blieb die BZ schuldig.

Bergedorfer Zeitung, 19. Juli 1919

Aber nicht nur Rauch wurde in die Luft gepustet, sondern auch Seifenblasen, was dem Verfasser des eingesandten Artikels märchenhaft vorkam: sie erinnerten ihn an seine Kinderzeit, was ihn „nach allem Trübsal“ froh stimmte – ob die von ihm angeführte alte Lebensweisheit „Es kehrt alles wieder!“ so kurz nach Kriegsende wirklich optimistisch in die Zukunft deutete?

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Die geplatzte Bürgermeisterwahl

Bergedorfer Zeitung, 9. Juli 1919

Es war nicht das heute gelegentlich zu beobachtende politische Sommertheater in der Saure-Gurken-Zeit – es ging immerhin um die Wahl des Bürgermeisters der Stadt Bergedorf.

Seit dem Wechsel von Dr. Walli nach Hamburg (siehe den Beitrag Walli macht Karriere) hatte der besoldete Ratmann Wilhelm Wiesner (SPD) kommissarisch das Bürgermeisteramt wahrgenommen. Die SPD-Fraktion in der Stadtvertretung wollte das Provisorium nun durch die Wahl Wiesners zum Bürgermeister und die Erweiterung des Magistrats beenden – doch sie stieß auf Widerstand.

Zwar wurden Anträge auf Vertagung bzw. Überweisung (siehe den Beitrag zur Eingemeindung)  abgelehnt, aber dann verließen die Vertreter der Bürgerlichen und der USPD den Sitzungssaal und somit war das Anwesenheitsquorum von zwei Dritteln unterschritten: die Sitzung war geplatzt, die Wahl fiel aus.

Der Berichterstatter erwartete, dass es bald zu einer neuen Sitzung kommen würde: sie „dürfte vielleicht“ Klarheit bringen – allzu hohe Erwartungen hegte er also nicht.

In der Tat folgte die nächste Sitzung zügig: Ratmann Wiesner berief sie für den 15. Juli ein und wies vorsorglich darauf hin, dass bei erneuter Beschlussunfähigkeit eine dritte Sitzung folgen werde, in der das Erscheinen der Mehrheit ausreiche (Bekanntmachung in der BZ vom 11. Juli).

Bergedorfer Zeitung, 16. Juli 1919 (Auszug)

 

Die Schlagzeile des Berichts über die zweite Sitzung lautete: „Die Bürgermeisterwahl vertagt“ (BZ vom 16. Juli), und im Verlauf der Sitzung wurde auch klar, worum sich der Streit zwischen der SPD und den anderen Fraktionen drehte: die SPD wollte ihre Mehrheit im Magistrat sichern, die anderen wollten genau dies verhindern. Nach längerer Debatte wurde mit Hilfe der Stichstimme des Vorsitzenden (Ratmann Bauer) beschlossen, einen Ausschuss einzusetzen, der sich mit der Bürgermeisterwahl und der Sitzverteilung im Magistrat befassen sollte.

Das war natürlich nicht im Sinne der SPD – sie wollte dann zumindest die sofortige Wahl der Ausschussmitglieder, doch die Nicht-Sozialdemokraten spielten auf Zeit und lehnten den SPD-Antrag ab. Erst im September (BZ vom 10. September) wurden die Ausschussmitglieder bestimmt – vorerst blieb alles, wie es war.

Also doch Sommertheater?

 

 

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Die USPD Bergedorf und der Schleichhandel

Bergedorfer Zeitung, 12. Juli 1919

„Namens der U.S.P., Ortsgruppe Bergedorf,“ gab Carl Seß im „Sprechsaal“ der BZ eine Erklärung ab: seine Partei würde es „entschieden mißbilligen“, dass Arbeitslose, darunter auch USPD-Mitglieder, gegen Bezahlung durch die Landherrenschaft den Schleichhandel überwachten und Hamsterern „die oft unter großer Mühe erlangten Lebensmittel“ wegnähmen.

Bergedorfer Zeitung, 14. Juli 1919

Das stieß auf den Widerspruch zweier anderer Leserbriefschreiber: ein USP-Mitglied namens Beuck, „Kontrolleur der Landherrenschaft über den Schleichhandel“ erklärte, dass die Mitgliederversammlung der USPD einen Antrag im Sinne Seß‘ kurz zuvor abgelehnt habe. Man wäre den Behörden sogar dankbar dafür, dass sie den Schleichhandel unter Beteiligung der USPD bekämpften und dass man nicht den Auftrag hätte, den Eigenbedarfs-Hamsterern alles abzunehmen. Der andere Leserbriefschreiber „P.H.“ begrüßte ebenfalls diesen Einsatz, bei dem die USPD-Leute angeblich zwei Drittel der Kontrolleure stellten.

Ob der ansonsten wortgewandte Seß sich hier nur unklar ausgedrückt hatte? Gegen den Schleichhandel und Lebensmittelwucher war er auch (BZ vom 8. April), aber vielleicht befürchtete er auch eine Vereinnahmung eines Teils der USPD durch die Dankbarkeit gegenüber den staatlichen und kommunalen Stellen. Oder dachte er, dass man es seiner Partei zur Last legen würde, wenn trotz der Kontrollen die Schiebungen andauerten oder bei kleinen Leuten Schwarzmarktware beschlagnahmt würde?

Die Differenzen scheinen tiefgehend gewesen zu sein: im September legte Seß sein Mandat in der Bürgervertretung nieder – das Hamburger Echo, die Zeitung der SPD, gab als Grund ein „Zerwürfnis mit den eigenen Parteifreunden“ an und erwartete, Seß bald in den Reihen der Kommunisten zu sehen (laut BZ vom 17. und 18. September). Jedenfalls blieb Seß politisch aktiv und beteiligte sich als Diskussionsredner an einer DNVP-Veranstaltung, wobei ihn die BZ weiter zur USPD zählte (BZ vom 28. November, siehe auch den Beitrag Es wurde gehol(t)zt).

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Das Kriegerdenkmal der Hansa-Schule

Das Kriegerdenkmal vor der Giebelwand der Aula der Hansa-Schule (Abbildung aus Ohly, S. 17)

Bergedorfer Zeitung, 10. Juli 1919

 

Die Hansa-Schule ließ 1919 zum Gedenken an ihre Kriegstoten (6 Lehrer und 176 ehemalige Schüler) das oben abgebildete Denkmal errichten, das zwischen Aula und Straße stand. Den Entwurf hatte der Bergedorfer Architekt Hermann Distel, Nachbar der Schule, gefertigt. Das Denkmal, das inzwischen vergessen und von Gesträuch überwuchert war, wurde 1969 nach Brand und Abriss der Aula entsorgt (siehe hierzu den Aufsatz von Wolfgang Böge und Günter Hartmann in 100 Jahre Hansa-Schule, S. 17-46, hier S. 36).

Nicht nur das Denkmal sollte an den Krieg erinnern: in der Eingangsrotunde wurde später eine Bronzetafel mit den Namen der Gefallenen angebracht. Nach dem Brand 1969 wurde sie – nach kurzer Kontroverse – an einer Seitenwand des Erdgeschossflurs gegenüber der Tafel für die im II. Weltkrieg Gefallenen angebracht.

Der Entwurf für die Gedenktafel zum I. Weltkrieg hierfür stammte vom Kunstgewerbehaus Hulbe – der verstorbene Lederkünstler Georg Hulbe hatte wenige Straßen entfernt gewohnt (Hochallee, heute Pfingstberg; siehe den Beitrag Das Villenviertel und Georg Hulbe) – die Kosten von 11.000 Mark für die bronzene Tafel wurden über Spenden gedeckt (Vgl. Ferdinand Ohly, S. 46f., Böge/Hartmann, a.a.O., S. 36f.).

Die Ernsthaftigkeit der Trauer soll nicht bestritten werden, aber die Art des Gedenkens war durchaus politisch rückwärts gewandt: das „Gedächtniszimmer“, das Ohly einrichten ließ (bis dahin Lehrersprechzimmer, Ohly, ebd., S. 40), zeigte nicht nur Fotografien der Kriegstoten, sondern auch das Bildnis des Kaisers und eine lorbeerumkränzte Büste Hindenburgs (BZ vom 27. März). Die Kriegsopfer würdigte man, den abgesetzten/abgedankten Kaiser und den ehemaligen Oberbefehlshaber verehrte man, die Revolution verdrängte man. (Wie lange das Zimmer bestand, ist unbekannt – nicht einmal Wolfgang Böge, dem ich für seine Hilfe danke, wusste dies.)

Was mit dem Kaiserbild geschah, soll in einem weiteren Beitrag über die Bergedorfer Bilderstürmerei geschildert werden, der für den 5. August vorgesehen ist.

 

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Die Bahnen, die Fahrpreise und die Klassenkonflikte

Bergedorfer Zeitung, 7. Juli 1919

Die Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn hatte ihre Fahrpreise gegenüber der Vorkriegszeit verdreifacht und dies mit der „ständigen Steigerung der Betriebsausgaben“ begründet. Darob herrschte Missstimmung, wie die BZ formulierte, auch weil es keine Reduzierungen für Schulausflüge mehr geben sollte.

Überraschend kann diese Erhöhung eigentlich nicht gewesen sein: eingetretene Lohnerhöhungen, gestiegene Kohlen- und andere Materialpreise (siehe z.B. BZ vom 4. Juni, 15. Juli und 13. August) hatten die Ausgaben erhöht, während die häufigen Zugausfälle wegen Kohlenmangels (siehe z.B. BZ vom 19. Februar, 10. April und 1. November) die Betriebseinnahmen reduzierten, nicht aber die Fixkosten. Dennoch bezweifelte die BZ, dass die neuen Tarife gerechtfertigt waren, denn die Staatsbahn verkaufte ihre Fahrkarten deutlich günstiger, und der Journalist wunderte sich, dass die Hamburger Finanzdeputation die neuen BGE-Preise genehmigt hatte.

Bergedorfer Zeitung, 12. Juli 1919

Sogar die Hamburger Bürgerschaft befasste sich mit dem Thema. Sie nahm einen Antrag des Geesthachter Abgeordneten Käckenhoff an (siehe die Wiedergabe seiner Rede rechts), der darauf hinwies, dass diese Preispolitik im Widerspruch zu den städtischen Entwicklungszielen der Besiedlung des Landgebiets stand. Der Beschluss des Parlaments änderte aber nichts, denn zuständig für die Genehmigung der Tarife war eben die Finanzdeputation.

Für 1918 schüttete die BGE noch eine fünfprozentige Dividende aus, aber für 1919 erwartete sie trotz Preiserhöhung einen Verlust, der nach dem eingesehenen Geschäftsbericht auch tatsächlich eintrat.

Bergedorfer Zeitung, 14. Juni 1919

Bei der Staatsbahn, die die Strecke Bergedorf – Hamburg betrieb, gab es durch die offenbar wirklich günstigen Preise ein anderes Problem: in der (teureren) 2. Klasse herrschte Gedränge, während die „Holzklasse“ (3. Klasse) freie Plätze aufwies, wie sich ein Leserbriefschreiber beschwerte, der wohl schon länger Bahnkunde in der besseren Kategorie war und sich nun von Menschen umgeben sah, die sich „bei den augenblicklichen Riesenlöhnen“ auch die 2. Klasse leisten konnten – diesen legte er nahe, doch zu den nicht ausgelasteten Holzbänken zurückzukehren – der Gedanke, dass ja auch er die Klasse wechseln könnte, kam ihm nicht.

Die Hamburger Hochbahn sollte übrigens klassenlos werden, obwohl der Zweite Bürgermeister Otto Stolten (SPD) die Bürgerschaft wegen des Einnahmeausfalls von 420.000 Mark vor einem solchen Beschluss gewarnt hatte: „Wenn es doch mit uns so schlecht steht, kann man nicht immer auf Prinzipien verweisen. Wenn unsere Kasse eines Tages ganz leer sein wird, können wir überhaupt nichts mehr machen.“ Das Parlament ließ sich nicht umstimmen (BZ vom 22. Mai), aber bis zur Umsetzung des Beschlusses dauerte es noch eineinhalb Jahre, wie auf einer Seite zur Geschichte der Hamburger Hochbahn nachzulesen ist. Die Hochbahn ersetzte dann peu à peu die Polster- durch Holzsitze, und alle Menschen wurden drittklassig.

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Zuzugssperre statt Wohnungsbau

Bei Knappheit eines Gutes steigt in einem marktwirtschaftlichen System dessen Preis. Was passiert aber, wenn der Preis reguliert ist und nicht der Knappheit entspricht?

In Bergedorf waren Wohnungen knapp, Mieterhöhungen bedurften der Zustimmung der Stadt (siehe die Beiträge Mietschlichtung und Wohnungsnot und Die Wohnungsmieten und die Parteipolitik), der Wohnungsbau kam nicht voran (siehe den Beitrag Der verzögerte Wohnungsbau an der Brunnenstraße). Die Lage auf dem Wohnungsmarkt hatte sich durch Kriegsrückkehrer und Familiengründungen sogar verschärft: mehrfach waren im Frühjahr Geldprämien für Wohnungsvermittlungen geboten worden, doch nicht einmal für ausgelobte 500 Mark Erfolgsprämie gab es Angebote (BZ vom 17. und 18. Juni).

Weiteren Verschlechterungen wollte man nun administrativ entgegentreten.

Bergedorfer Zeitung, 3. Juli 1919

Der Demobilmachungskommissar (und Hamburger Senator) Dr. Max Schramm erließ eine Verordnung, die de facto auf eine Zuzugssperre für Bergedorf hinauslief: nur mit Genehmigung des Magistrats sollte ein Zuzug „von auswärts nach Bergedorf“ möglich sein, aber diese Genehmigung konnte u.a. versagt werden, „wenn durch den Zuzug die Unterbringung der einheimischen Bevölkerung oder ihre Ernährung gefährdet werden würde.“ Man kann davon ausgehen, dass das Bergedorfer Wohnungsamt diese Klausel für eine restriktive Behandlung von Anträgen nutzte.

Allein: lange hatte die Zuzugssperre nicht Bestand: „Ein Zuzugsverbot, zunächst für Bergedorf, sei vom Reichsarbeitsministerium abschlägig beschieden“, berichtete die Zeitung aus einer Sitzung der Hamburger Bürgerschaft (BZ vom 18. September). Der Versuch, dieses dann für ganz Hamburg zu verhängen, scheiterte ebenfalls: „Der Wohnungskommissar, Senator von Berenberg-Goßler, teilte … mit, daß die Eingaben des Senats bei dem Reichsarbeitsministerium betreffs des Zuzugsverbots mit der Begründung abgelehnt worden sind, der Freizügigkeit keinen Hemmschuh anzulegen.“ (BZ vom 25. September)

Das Problem des Wohnungsmangels bestand also fort.

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Die Sülzeunruhen – wegen Dünger für Ochsenwärder?

Bergedorfer Zeitung, 27. Juni 1919

Bergedorfer Zeitung, 27. Juni 1919

Hamburg war wieder einmal im Belagerungszustand – und diesmal war Bergedorf explizit einbezogen. (Wer sich fragt, warum die sehr ländlichen Gebiete Hohendeich (in Ochsenwärder) und Holake (in Kirchwärder) ebenfalls genannt wurden, sollte alle in der Bekanntmachung genannten Orte auf einer Landkarte markieren: sie bildeten die Grenzen des Belagerungsgebiets.)

Bergedorfer Zeitung, 30. Juni 1919

Der Einmarsch des Militärs nach Hamburg (auch durch Bergedorf, wo aber wohl keine Truppen verblieben) erfolgte aufgrund der sogenannten Sülzeunruhen, die in der Magisterarbeit von Sven Philipski (Online-Link) detailliert und fundiert geschildert werden (besonders S. 55ff.): als in Hamburg ein Fass der Lebensmittelfabrik Heil & Co. auf der Straße platzte, ergoss sich eine übelriechende Masse auf die Straße, und als von Augenzeugen behauptet wurde, es handle sich um Sülze, die verkauft werden sollte, entlud sich die Wut der rasch wachsenden Menge vor der Fabrik erst gegen den Fabrikanten Heil und dann gegen die einschreitende Polizei. Die Unruhen weiteten sich immer mehr aus, das Rathaus wurde beschossen und gestürmt, es gab zahlreiche Tote. Schließlich befahl Reichswehrminister Noske dem Generalmajor von Lettow-Vorbeck,  mit 10.000 Soldaten in Hamburg Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, denn man befürchtete eine „zweite Revolution“.

Folgt man Philipski, so waren es Hunger und Frustration, die die Unruhen antrieben, nicht der Wille zum Umsturz – Joachim Paschen hingegen spricht davon, dass sich KPD und USPD die Unruhen zunutze machen wollten und „die zweite Revolution des Hamburger Proletariats“ (S. 174) anstrebten, kann dies aber letztlich nicht eindeutig belegen. Ursula Büttner (Online-Link) (S. 94-96) verweist zwar auf gesteigerte Agitation der KPD in den Wochen vor den Unruhen, schreibt aber auch, dass von den eingetretenen Ereignissen „die Parteileitungen [von KPD und USPD] … ebenso überrascht [wurden] wie die Sicherheitsorgane“ (S. 96).

Angesichts der Präsenz des Militärs, seiner Straßensperren und -kontrollen, Waffenrazzien, Verhaftungen etc. ist das Ausbleiben weiterer Unruhen nicht überraschend – an der Versorgungslage änderte sich aber nichts.

Heil, der auch tatsächlich Sülze herstellte, wurde im Oktober zu drei Monaten Gefängnis und 1.000 M Geldstrafe verurteilt – unter Anrechnung der Untersuchungshaft (BZ vom 27. Oktober). Das Fass mit den verdorbenen Abfällen, dessen Fall vom Wagen alles ausgelöst hatte, war „für Bauern in Ochsenwerder als Dung bestimmt“ (Philipski, ebd., S. 55) gewesen. Nach der heutigen Düngemittelverordnung wäre das sicher unzulässig.

 

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Es wurde gehol(t)zt

Bergedorfer Zeitung, 1. Juli 1919

Es war 1919 nicht der einzige Auftritt des Friedrich Carl Holtz in Bergedorf, der dort im rechten Spektrum offenbar besondere Sympathien genoss: nach dem hier wiedergegebenen Vortrag beim Deutschnationalen Jugendbund wurde der Antisemit und Antidemokrat wiederholt in die Stadt eingeladen: am 23. Juli sprach er vor den Mitgliedern des Kampfgenossen- und Militärvereins „Germania“ erneut über „Die Schäden der November-Revolution“ (Anzeige in der BZ vom 19. Juli), am 27. November zog er in einer öffentlichen Versammlung der DNVP seine „Revolutionsbilanz“ (Anzeige in der BZ vom 25. November).

Geht man nach der Berichterstattung, nahmen seine Reden in Bergedorf von Mal zu Mal an Schärfe zu: die Jugendlichen sollte „tapfere Bekenner deutschen Wesens und wahre Verfechter des nationalen Gedankens“ werden, hieß es im Juni. Einige Wochen später geißelte er „scharf das Treiben der Unabhängigen und Kommunisten“, forderte das Bürgertum und alle anderen Volksschichten zum Zusammenschluss für den „Wiederaufbau des daniederliegenden Vaterlandes“ auf: sie sollten „gemeinsam Front machen gegen die unlauteren Elemente, die den Rest unseres staatlichen und wirtschaftlichen Lebens vollends zu zertrümmern suchen“. Das Fazit des Berichts lautete: „Die Ausführungen fanden lebhaften Beifall.“ (BZ vom 24. Juli)

Im November nahm er dann auch SPD und DDP unter Feuer: „Aus allem, was die Regierung tut, spricht der Haß gegen das Bürgertum“, und für den Fall „einer zweiten Revolution von links“ kündigte er an, dass dann „das Bürgertum … sich seiner Haut wehren“ (BZ vom 28. November) werde – eine unverhohlene Drohung mit der Militärmacht der Freikorps.

Die November-Veranstaltung war öffentlich – und große Teile des Publikums protestierten gegen Holtz‘ Thesen: „Ruhe trat erst wieder ein, als die Leitung erklärte, … als zweiten (sic!) Redner dem Mehrheitssozialisten Urban (Hamburg) das Wort zu geben.“ Dieser machte dann die Deutschnationalen für den Krieg verantwortlich und verlangte (ähnlich wie Carl Seß, 1919 für die USPD in die Stadtvertretung gewählt) dass die „Sabotage des Bürgertums“ aufhören müsse. Das Fazit des Berichts lautete: „Bei der Zusammensetzung der Versammlung durften alle Redner des Abends sich lebhaften Beifalls erfreuen.“ (BZ vom 28. November)

Abschließend eine Klarstellung: Friedrich Carl Holtz (1882-1939) war Herausgeber der Wochenzeitung Hamburger Warte, und für Alfred Dreckmann (S. 53f.) war er auch der Gemeindepastor von Altengamme. – Das ist schlicht falsch: der Pastor hieß Friedrich Heinrich August Holtz und lebte von 1870 bis 1933. Dieser engagierte sich vor allem im Verein für Vierländer Kunst und Heimatkunde (Neuer Schlosskalender Folge 11 (2012), S. 31 f.) und schrieb Heimatkundliches: neben einer  Darstellung der Altengammer Kirche (S. 167-193) den kurzen Aufsatz Von Sitte und Brauch in den Vierlanden.

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Eisenbahnknoten Geesthacht?

Bergedorfer Zeitung, 20. Juni 1919

Hatten Geesthachts Nachbardörfer Düneberg und Krümmel durch Pulverfabrik und Dynamitwerke bis Kriegsende für Wachstum und Beschäftigung gesorgt, so war der wirtschaftliche Absturz nach Kriegsende viel tiefer als andernorts. Dem wollte man durch den Bau mindestens einer neuen Bahnstrecke begegnen: Geesthacht sollte ein Knotenpunkt im Eisenbahnverkehr werden.

Seit 1907 bestand die Bahnverbindung nach Bergedorf, und mit der bereits im Bau befindlichen Hamburger Marschbahn sollte eine Direktverbindung nach Hamburg-Rothenburgsort hinzukommen, wie es im Artikel hieß. Vor allem aber wollte man eine Verbindung in das Herzogtum Lauenburg hinein, denn bis dahin gab es nur den Schienenweg Richtung Hamburg und die nach Kriegsende stillgelegte Krümmelbahn. Die „Dörferbahn“ nach Schwarzenbek bzw. Büchen erschien dabei weniger attraktiv als eine Strecke nach Lauenburg, die dort eine Anbindung an die Hamburg-Berliner Bahn bekommen sollte.Da die am ehesten realisierbare Trasse eine Elbquerung bei Geesthacht erforderte, hätte es über die Kleinbahn Niedermarschacht- Winsen Anschluss ins Hannöversche gegeben sowie bei Hohnstorf-Lauenburg die Verbindung mit der Lüneburg-Lübecker Bahn. Auch hätte laut Meldung diese „Elbuferbahn“, wie man sie nennen könnte, eine Entlastungsmöglichkeit für die vorhandene Strecke Hamburg-Berlin geboten, was sehr laienhaft-optimistisch erscheint.

„Jedenfalls verdient diese Angelegenheit die größte Beachtung“, schrieb die BZ, und in den folgenden Monaten waren die Kommunalpolitiker der Lauenburgischen Gemeinden damit gut beschäftigt, wie aus zahlreichen Berichten der BZ hervorgeht, die BGE erteilte sogar einen Planungsauftrag für die Strecke nach Lauenburg (BZ vom 13. September). Letztlich war’s für die Katz: weder die „Dörferbahn“ wurde gebaut noch die „Elbuferbahn“, und auch nach Krümmel fuhren lange Jahre keine Züge mehr. (In) Geesthacht blieb das Abstellgleis.

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