Erdgassuche per Wünschelrute?

Bergedorfer Zeitung, 5. September 1919

Nach eigenen Angaben war der Rutengänger C. P. H. Boldt auf seinem Arbeitsfeld höchst erfolgreich, wenn auch die Darstellung des nebenstehenden Artikels nicht wirklich nachvollziehbar ist: seine Erfolgsmeldungen können sich zumindest nicht auf die Erdgasquelle von Neuengamme bezogen haben, denn dort gab es 1919 bis Ende September keine neuen Bohrungen, und die Bohrungen in Preußisch-Kirchwärder blieben erfolglos.

Die Hamburger Gaswerke hatten jedenfalls großes Interesse an der Ausbeutung der Erdgasquelle, denn durch sie konnten sie den Kohlenmangel und auch die steigenden Kohlenpreise teilweise kompensieren (Bergedorf dagegen hatte ein eigenes Gaswerk, das ausschließlich auf Kohle angewiesen war). Als die geförderte Erdgasmenge zurückging, wurde dies auf Verschmutzung „durch mitgerissene Erd- und Tonteilchen“ zurückgeführt, aber man wollte trotz früherer ergebnisloser Versuche auch neue Bohrungen niederbringen (BZ vom 8. September).

Senat und Bürgerschaft bewilligten die nötigen Mittel in Höhe von 300.000 Mark, aber nach Ansicht des Rutengängers Boldt an der falschen Stelle: man würde auf dieselbe Quelle stoßen (BZ vom 25. und 27. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 13. November 1919

Ob daraufhin dem Experten mit der Wünschelrute gefolgt wurde, wie die BZ zunächst schrieb, oder ob „aufgrund der Ergebnisse und Versprechungen namhafter Wünschelrutengänger sowie auf den Rat bergbaulicher Fachmänner“ hin gebohrt wurde (BZ vom 24. Dezember), ist unklar. So weiß man nicht, wem das Verdienst an der letztlich erfolgreichen Bohrung (BZ vom 31. Dezember) zukam, aber in den Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft wird der Rutengänger jedenfalls nicht erwähnt.

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Mehr (Fuß-)Bekleidung, weniger Verordnungen

Bergedorfer Zeitung, 30. August 1919

Bergedorfer Zeitung, 1. September 1919

 

 

 

 

 

 

 

Die Nationalversammlung arbeitete nicht nur an der neuen demokratischen Verfassung, sie kümmerte sich auch um Schuhe und sprach sich für das Ende „der Zwangsbewirtschaftung von Häuten, Leder und Lederwaren“ aus (BZ vom 28. August), und so kam es dann auch: der Handel mit Leder wurde freigegeben, was die Aufhebung diverser Verordnungen und die Auflösung mancher Kriegsgesellschaften wie der Schuhwaren-Herstellungs-Vertriebs-Gesellschaften zur Folge hatte. Wenig später wurden dann auch Web-, Wirk- und Strickwaren von der Bezugsscheinpflicht befreit (Bekanntmachung in der BZ vom 6. September).

So ging die Zeit der Ersatzsohlen und Sohlenschoner (siehe den Beitrag Mehr Rindsleder …), der Textilien aus Brennnesseln und Papiergarngewebe (siehe die Beiträge Teure Textilien … und Kaffeeersatz …) offenbar ihrem Ende entgegen. Das war aber nicht das Ende aller Probleme, was am Beispiel der Fußbekleidung näher geschildert werden soll.

Es war mit höheren Preisen zu rechnen: die „Reichsstelle für Schuhversorgung“ teilte mit, dass allein das Leder für ein Paar Schuhe 100 Mark kosten werde, zuzüglich Arbeitslohn das Paar also bei 175 bis 200 Mark liegen werde statt 40 bis 50 Mark, woran wegen des Wechselkursverfalls der Mark auch Importe nichts ändern würden (BZ vom 15. August). Vermutlich bezog sich diese Preiserwartung allerdings auf handwerklich gefertigte Maßschuhe, denn die Kaufhäuser boten deutlich günstiger an:

Bergedorfer Zeitung, 24. Oktober 1919

Bergedorfer Zeitung, 5. November 1919 (Ausschnitt aus einer großen Anzeige von Joh. Biebler)

 

 

 

 

 

Gegenüber November 1915 hatte Biebler die Preise für Herren-Stiefel fast verfünffacht, für Damen-Stiefel mehr als verdreifacht (siehe die Anzeige im Beitrag Barfuß zur Schule), und trotz gestiegener Löhne war dies nicht für jeden erschwinglich, weshalb der Sander Krämer Sahlmann weiterhin Pantoffel- und Schuhhölzer anbot und dabei seine Preise nicht der Inflation anpasste.

BZ, 13. Dezember 1919

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Volkstümliches Turnen in Bergedorf-Sande

Bergedorfer Zeitung, 28. August 1919

Bergedorfer Zeitung, 1. September 1919

 

 

 

 

 

 

 

Nicht nur an Geräten sollte bei diesem Sport- und Spielfest geturnt werden, es sollte auch „volkstümliches Turnen“ geben. Hinter diesem Begriff verbarg sich die frühe Leichtathletik, zu der auch die aufgeführten „Eilbotenläufe“ gehörten, bei denen es sich um Staffelläufe handelte.

Veranstalter war der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB), Austragungsort der Sport- und Spielplatz an den Sander Tannen, noch bevor dieser offiziell eingeweiht wurde (siehe den Beitrag Der umkämpfte Sportplatz). Die Zahl von „etwa 1000 Turnern und Turnerinnen“ erklärt sich daraus, dass es sich um Bezirksmeisterschaften handelte und zahlreiche Vereine aus der näheren und weiteren Umgebung teilnahmen. Ob die Freie Turnerschaft Bergedorf-Sande dabei einen Heimvorteil hatte, geht aus dem Nachbericht nicht hervor, wie überhaupt die Wettkampfergebnisse offenbar nicht an die Zeitung gemeldet wurden: Ziel der Aktivitäten des ATSB war neben der körperlichen Ertüchtigung die Stärkung von Klassenbewusstsein und Solidarität, weniger das Streben nach Leistungen und Rekorden, wie Antje Fenner (S. 44ff.) schreibt. Das Gemeinschaftserlebnis wurde bei diesem Fest gefördert durch einen großen Umzug vom Brink in Bergedorf und durch Sande zum Sportplatz, ebenso durch die Abendveranstaltungen mit Tanz in zwei Sälen in Sande.

Die anderen Bergedorfer und Sander Vereine wie „Spiel und Sport“, „Bergedorfer Turnerschaft von 1880“, der „Männerturnverein“, der „Sander Turnerbund von 1892“ und der „Sander Spielverein von 1908“ blieben der Veranstaltung fern, denn sie waren in der Deutschen Turnerschaft (DT) organisiert und hielten Abstand zum ATSB und dessen Wettkämpfen: bürgerliche Sportler und Sportlerinnen blieben von den Sport treibenden Arbeitern und Arbeiterinnen getrennt, auch wenn die Sportarten im Wesentlichen gleich waren und beide Seiten „volkstümliches Turnen“ praktizierten.

Beim bürgerlichen „Bergedorfer Turn- und Spielfest“ (mit Beteiligung weiterer Vereine aus Hamburg und Umgebung) am 14. und 15. Juni 1919 hatte es eine Vielzahl von Wettbewerben gegeben, deren Ergebnisse die Zeitung ausführlich wiedergab. Hier spielte die Einzel- bzw. Mannschaftsleistung also eine sehr viel größere Rolle, aber das Gemeinschaftserlebnis durfte auch hier nicht fehlen: in zwei Sälen gab es ein abendliches „Kränzchen“ – mit Ehrung der Sieger (BZ vom 8. und 16. Juni).

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Die Rückkehr der Kriegsgefangenen

Bergedorfer Zeitung, 22. August 1919

Bergedorfer Zeitung, 22. August 1919

 

 

 

 

 

Neun Monate nach Kriegsende sollten die Kriegsgefangenen aus England und Frankreich nach Deutschland zurückkehren, und in Bergedorf wollte man ihnen mit Flaggenschmuck und Girlanden einen ehrenden Empfang bereiten. Die Flaggen mussten die Organisatoren der „Kriegsgefangenen-Heimkehr Bergedorf“ allerdings als Leihgabe erbitten; die Girlanden sollten die Schülerinnen der Mädchenschulen und der „Jungmädchenbund“ in der Stadt fertigen.

Es fällt auf, dass in der Anzeige neben Bergedorfer Flaggen um „Flaggen in den alten Reichsfarben“ schwarz-weiß-rot ersucht wurde – die neuen Reichsfarben waren in Art. 3 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 als schwarz-rot-gold festgelegt worden. Ob der Cheforganisator Pastor Behrmann mit dieser Flaggenwahl ein politisches Signal gegen die neuen Farben setzen wollte, muss offenbleiben; zu seiner sonstigen Einstellung hätte es gepasst (siehe den Beitrag Der gut deutschnational-bismarckische Geist in der Jugend). Er hatte aber offenkundig die Erlaubnis der Stadtväter, denn die Abgabe der Flaggen sollte im Stadthaus erfolgen, und das überrascht schon, denn gegen Symbole des Kaiserreichs ging der Magistrat ansonsten entschlossen vor, wie im Beitrag Die Bergedorfer Bilderstürmerei nachzulesen ist.

Flaggen und Girlanden mussten einige Zeit überdauern, bis Gefangene in größerer Zahl eintrafen, denn es gab Schwierigkeiten: die Transportmittel mussten von deutscher Seite gestellt werden, aber „Eisenbahnmaterial“ (Lokomotiven und Waggons) und einsatzfähige Schiffe waren knapp:

Bergedorfer Zeitung, 26. August 1919

Bergedorfer Zeitung, 1. September 1919

 

 

 

 

 

 

So zog sich die Heimkehr über Wochen, teils Monate hin – ein aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassener Soldat vom Ost-Krauel meldete seine Ankunft in Köln am 25. September, von wo aus er „um das Einschleppen von Krankheiten zu verhindern“ in das Durchgangslager Grossporitsch bei Zittau bis ca. zum 1. Oktober verlegt wurde (seine Briefe liegen im Museum für Hamburgische Geschichte und wurden eingesehen). Gegen Jahresende waren noch 3.621 Kriegsgefangene in Lagern der Engländer (BZ vom 23. Dezember) und 500.000 in Lagern der Franzosen (BZ vom 27. Dezember).

 

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Der städtische Kartoffelumtausch

Bergedorfer Zeitung, 23. August 1919

Nur „gesunde, genußfähige Kartoffeln“ durften verkauft werden – aus heutiger Sicht eine Selbstverständlichkeit, vor hundert Jahren offenbar nicht: sonst hätte Bergedorfs Magistrat nicht wiederholt darauf aufmerksam gemacht.

Kranke, nicht verzehrtaugliche Ware durften die Händler im Stadthaus umtauschen, weil Kartoffeln nach wie vor der Zwangsbewirtschaftung unterlagen: die Händler durften Kartoffeln nur von der Stadt beziehen, und deshalb erfolgte die Auswechslung eben auch bei der Stadt.

Bergedorfer Zeitung, 23. August 1919

In welchem Ausmaß der Umtausch vonstatten ging, ist nicht bekannt – aber dass er überhaupt angeboten, ja geradezu beworben wurde, zeigt, dass es jetzt deutlich mehr Kartoffeln gab. Das hatte einige Wochen zuvor noch anders ausgesehen: die Pro-Kopf-Ration, die am Jahresanfang noch bei 5 Pfund à 12 Pfennig pro Woche gelegen hatte, war im Februar auf 4 Pfund zu 12 Pfennig gekürzt worden. Sie blieb auf diesem Niveau, aber im Juni kamen auch ausländische Kartoffeln zum Verkauf: 6 Pfund pro Person und Woche, zu stolzen Preisen von 45 bzw. 40 Pfennig pro Pfund. Mitte Juli stieg der Pfundpreis auf 21 Pfennig, die Ration schrumpfte auf drei Pfund alte Kartoffeln. Dann kam neue einheimische Ware, und bei sinkenden Preisen von 30, 20 und 17 Pfennig stieg die Ration wieder: von 4 über 7 auf 10 Pfund (Auswertung der wöchentlichen Meldungen zur „Lebensmittelversorgung in Bergedorf“, diverse Ausgaben der BZ von 1919). Doch die Freude der Kartoffelesser nahm zusehends ab: am Jahresende war man wieder bei 5 Pfund angelangt.

Die Bekanntmachung zum Umtausch minderwertiger Erdäpfel tauchte übrigens nicht wieder auf.

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Sande bekommt einen Elternrat (oder zwei?)

Bergedorfer Zeitung, 19. August 1919

In Hamburg (und damit auch Bergedorf) waren bereits Ende 1918 an den Schulen Elternräte eingerichtet worden (siehe den Beitrag Die Hansa-Schule in der Revolution) – in Preußen (und damit auch Sande) hatte es sich monatelang hingezogen, aber im August 1919 war die Wahl in Sande vollzogen, und an der Knaben- wie der Mädchenschule wurden sieben SPD- und zwei USP-Vertreter gewählt.

Bergedorfer Zeitung, 7. April 1919

Dabei hatte es im Frühjahr gar nicht nach einer parteipolitischen Auseinandersetzung ausgesehen: SPD und USP gemeinsam hatten zu einer Veranstaltung über „Aufgaben u. Pflichten eines Elternrates“ eingeladen, aber zu einer Wahl kam es bei dieser öffentlichen Versammlung nicht: „Auf Vorschlag der Lehrerschaft wurde noch von der Wahl eines Elternrates abgesehen“ und der Schulvorstand beauftragt, eine „Elternliste“ in Vorschlag zu bringen (BZ vom 9. April).

Bergedorfer Zeitung, 11. Juli 1919

BZ, 15. August 1919

Die Aufstellung einer„Einheitsliste“ gelang aber nicht, wie die weitere Entwicklung zeigte: zunächst nominierte die SPD je neun ihrer Mitglieder als Kandidaten (BZ vom 9. Mai), und nach geraumer Zeit gab es auch eine Liste der USP. Der Schulvorstand ließ beide Listen zu – ob es auch andere Bewerber gegeben hatte, war der BZ nicht zu entnehmen.

Komplettiert wurde der achtzehnköpfige Elternrat durch sechs Vertreter der Lehrerschaft, darunter die beiden Rektoren Brüdt und Dau, die ihre Mandate aber niederlegten, als ihnen klar wurde, dass keiner von beiden zum Vorsitzenden gewählt würde (Rektoren blieben sie gleichwohl). Es wurde überhaupt nur ein Vorsitzender gewählt und ein gemeinsamer Vorstand für beide Schulen (BZ vom 1.  und 2. September), der dann eine „Beratungsstelle“ für schulische Angelegenheiten einrichtete. Auf den folgenden Sitzungen ging es um die Schulspeisung, die schulärztliche Untersuchung und den „Kampf gegen Schundliteratur und Kino“, aber auch um pädagogische Reformen wie die Schaffung einer „Hilfsklasse f. Schwachbefähigte“ und die Einrichtung leistungsdifferenzierter Züge (BZ vom 22. September und 25. November). Über parteipolitische Differenzen in der Elternvertretung wurde nichts berichtet.

Lange Bestand kann aber dieser Elternrat nicht gehabt haben: nach den Ende November erlassenen Bestimmungen der preußischen Staatsregierung musste jede Schule ihren eigenen „Elternbeirat“ haben. Lehrer durften zwar teilnehmen, aber sie waren nicht Mitglied. Da je 50 Kinder ein Elternvertreter zu wählen war, mussten in Sande zumindest Ergänzungs- und Vorstandswahlen zu den dann zwei Räten stattfinden: die BZ errechnete, dass die beiden Schulen 12 bzw. 13 Elternratsmitglieder haben müssten (BZ vom 25. November).

 

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Für den Winter: Heizen mit Torf

Bergedorfer Zeitung, 13. August 1919

Bergedorfs Magistrat rechnete nicht damit, dass es für den Winter ausreichend Kohle, Briketts oder Koks geben würde: er wollte die Bevölkerung stattdessen mit dem traditionellen Primärenergieträger Torf versorgen. Eine Million Soden mit einem achtzigprozentigem Brennstoffanteil sollten „bei günstiger Witterung“ aus dem Horster Moor (nordöstlich der Brookwetterung in Altengamme) gewonnen werden, was nur durch Torfstech-Maschinen und Zweischichtbetrieb zu erreichen war.

„Brenntorf“ war auch in den Vorjahren immer wieder per Annonce angeboten worden: nicht nur von einem Tischler, der in der Nähe des Moors am Horster Damm wohnte (Anzeige in der BZ vom 19. Mai 1918) und vielleicht selbst abbaute, sondern auch von mehreren Kohlenhändlern, z.B. der Firma Lohmeyer aus Bergedorf (u.a. BZ vom 2. Juli 1918), die ihren Torf u.a. aus Bremervörde bezogen. Die Zahl der Anzeigen stieg 1919 erheblich und wohl auch die Mengen, die von auswärts herangeschafft wurden: der Torfabbau hatte Hochkonjunktur.

Die Bergedorfer waren aber reichlich spät dran mit ihrem Torfabbau, der ja in einem regendurchtränkten Moor so gut wie unmöglich ist. Auch taugt nasser Torf nicht als Brennstoff, und da Torf viel Wasser speichert, musste er erst vor Ort gelagert werden, bis er „nur einigermaßen trocken“ war; erst dann konnte er abgegeben werden. Auch die weitere Trocknung wird Wochen, wenn nicht Monate, gedauert haben: nicht umsonst lieferten die Händler ihre Ware meist schon im Juni oder Juli aus.

Torfbrikett, Dachbodenfund in Kirchwerder, vermutlich um 1930

Bergedorf begann mit dem Verkauf in der zweiten Septemberhälfte: nach und nach konnten die Inhaber von Bergedorfer Feuerungskarten 0,5 cbm zum Selbstkostenpreis für 25 Mark erwerben. Das war allerdings der Abholpreis, denn den Transport in die Stadt musste jeder selbst übernehmen (BZ vom 10. und 13. September 1919), was sicher ein Problem war: das hier abgebildete knochentrockene Torfbrikett hat bei einem Volumen von ca. 1,25 Liter ein Gewicht von 488 g – die „Ration“ wird also weit mehr als 200 kg gewogen haben, und die mussten mehrere Kilometer weit bewegt werden: alle Arten von Karren werden in jenen Wochen hochbegehrt gewesen sein.

Insgesamt waren 500 Kubikmeter gewonnen worden – wie sich herausstellen sollte, bei weitem nicht genug. Für 1920 plante der Magistrat einen früheren Beginn der Arbeiten und hoffte auf den zehnfachen Ertrag (BZ vom 3. Oktober 1919).

Übrigens: nicht nur das Horster Moor hatte unter einem solchen Eingriff zu leiden. Für die Torfgewinnung im  Geesthachter Moor hatte die dortige Gemeinde schon 1918 Arbeitskräfte gesucht (BZ vom 6. Mai 1918), und ein Foto von 1930 in der Broschüre Bodenlehrpfad Boberg (S. 40) zeigt, dass auch im Boberger Weidemoor Torf gestochen wurde, was auch schon vorher der Fall gewesen sein dürfte.

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Einwohnerwehr für Bergedorf?

Bergedorfer Zeitung, 11. August 1919

Ob Bergedorf eine eigene Einwohnerwehr bekommen würde, war fraglich, denn die örtliche SPD hatte in einer Mitgliederversammlung beschlossen: „Die von bürgerlicher Seite angeregte Gründung einer Einwohnerwehr [wird] abgelehnt, da eine Notwendigkeit hierfür nicht eingesehen werden kann.“ (BZ vom 8. August) Also warb Rechtsanwalt Kellinghusen, DNVP-Stadtvertreter und Vorsitzender des Bergedorfer Bürgervereins, Freiwillige für die Einwohnerwehr Groß-Hamburgs an.

In Groß-Hamburg sollte die Einwohnerwehr die bestehende Volkswehr ersetzen, von der Reichswehrminister Noske während der Sülzeunruhen sagte, „daß diese Volkswehr ihre Aufgabe nur in einem sehr mäßigen Umfange erfüllt, so lange es ruhig ist, daß sie aber versagt, sobald ernstere Konflikte drohen.“ (BZ vom 30. Juni) Die Einwohnerwehr wurde dem Korps Lettow-Vorbeck unterstellt und durfte Waffen tragen (BZ vom 4. Juli), die Volkswehr wurde größtenteils beurlaubt und musste ihre Waffen an die Regierungstruppen abgeben (BZ vom 30. Juni).

Aufgabe der Einwohnerwehr sollte es sein, die öffentliche Sicherheit im eigenen Bezirk zu gewährleisten und die Polizei- und Regierungstruppen bei der „Verhinderung und Bekämpfung von Diebstählen, Plünderung und Aufruhr zu unterstützen.“ (Verordnung des Korps Lettow in der BZ vom 4. Juli)

Bergedorfer Zeitung, 4. Juni 1919 (gekürzt)

In Bergedorf war ja während der Sülzeunruhen alles ruhig geblieben, und so kann man verstehen, dass die SPD dort keinen Handlungsbedarf zur Erhöhung der inneren Sicherheit sah. Hingegen hatte der Bergedorfer Rechtsanwalt Timm die Befürchtung, dass Hamburger Unruhestifter den Aufruhr in seine Stadt tragen könnten. Die SPD rief er zur Beteiligung an der Einwohnerwehr auf, denn so könne eine gegenrevolutionäre Betätigung der Truppe ausgeschlossen werden.

In einigen Nachbarorten hielt man die Einwohnerwehr auch schon vor den Sülzeunruhen für erforderlich: als erste Gemeinde der Vierlande beschloss Kirchwärder die Aufstellung einer solchen Truppe „für den Fall des Einrückens größerer Banden, die auf Raub ausgehen“ (BZ vom 30. Mai) und verzeichnete binnen sechs Wochen 250 Meldungen. Hier hatte die SPD offenbar keine Bedenken gegen die Einrichtung: drei der sechs „vorläufigen Abteilungsführer“ waren SPD-Gemeindevertreter (BZ vom 11. Juli).

Und auch in Bergedorf war die Sache noch nicht endgültig geklärt: die DNVP-Abgeordneten in der Stadtvertretung reichten einen Antrag auf Errichtung einer Einwohnerwehr ein (BZ vom 25. Juli), worauf zurückzukommen sein wird.

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Selbstjustiz in Spadenland

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1919

Hätte man den Einbrecher, der sich mit vorgehaltenem Revolver den Weg freimachte und dann auf seiner Flucht auf die ihn Verfolgenden mehrfach schoss, vor Gericht gestellt, hätte ihn sicher eine längere Haftstrafe erwartet – die Spadenländer fanden eine andere Lösung: sie verprügelten ihn an Ort und Stelle.

Sicher, man hätte die Polizei rufen können – aber laut Hamburger Adressbuch für 1920 gab es in Spadenland keinen Polizeiposten, man hätte also bei der Polizeistation Ochsenwärder (am Elversweg) anrufen müssen, der Polizist hätte sich per Fahrrad oder zu Fuß auf den Weg machen müssen – da wäre der Dieb längst über alle Felder und Gräben (nicht über alle Berge, die gibt es in der Marsch ja nicht) gewesen.

Also nahmen die Spadenländer die Sache selbst in die Hand, was für ihren Mut und ihre Tatkraft spricht. Das Rechtsstaatsbewusstsein war offenbar weniger ausgeprägt: man hätte den Mann auch zur Polizei nach Ochsenwärder bringen können, wonach Verhaftung, Gerichtsverfahren und Verurteilung sicher gefolgt wären, aber man entschied sich für die sofortige Bestrafung mit Schlägen.

Damit kam der „Verurteilte“ recht billig davon, obwohl er vermutlich seinen Revolver abgeben musste. Das wird er ebenso verschmerzt haben wie das „Jackvull“, das man ihm verabreicht hatte.

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Die Bergedorfer Bilderstürmerei

Bergedorfer Zeitung, 1. August 1919

Die DNVP Bergedorfs war empört: die „Bergedorfer Rathaussozialisten“ hatten die Entfernung der Bilder des Kaisers und der großen Heerführer aus den Schulen verfügt, berichtete der Bürgervertreter und Hansaschuldirektor Ferdinand Ohly: es sei „kindisches Wüten gegen Bilder, die an eine große deutsche Zeit mahnen“, während die Bilder der „Tagesgrößen“ dem Vergessen anheimfallen würden. Als solche Tagesgrößen nannte er den von der Nationalversammlung gewählten Reichspräsidenten Friedrich Ebert und den ebenfalls sozialdemokratischen Politiker Philipp Scheidemann, der am 9. November 1918 die Republik ausgerufen und von Februar bis Juni 1919 die erste demokratisch legitimierte Reichsregierung geführt hatte.

In seiner Wut- und Hohnrede unterlief Ohly allerdings ein Fehler, den die Schriftleitung der BZ meinte korrigieren zu müssen: nur die Herrscherbilder mussten entfernt werden, die der „großen Heerführer“ durften bleiben. Zwar hatte der SPD-Ratmann Friedrich Frank in der Sitzung von Magistrat und Bürgervertretung gefordert, dass auch die Porträts von Hindenburg und Ludendorff zu beseitigen seien, beschlossen wurde aber nur die Entfernung „der Bildnisse und Büsten der früheren Herrschergeschlechter“. Die Väter der Dolchstoßlegende durften demnach also weiter die Schulen schmücken – ob die Hindenburg-Büste im Gedächtniszimmer der Hansa-Schule verblieb (siehe den Beitrag Das Kriegerdenkmal der Hansa-Schule), konnte nicht geklärt werden.

Die Schulleiter weigerten sich übrigens, dem Beschluss der Stadtgremien nachzukommen – da ließ Ratmann Wiesner die Abhängung durch die Schuldiener vollziehen, denen gegenüber er direkt weisungsberechtigt war (BZ vom 4. Oktober).

Das Denkmal für Kaiser Wilhelm I. war von diesem Streit übrigens nicht betroffen: es steht noch heute an seinem Platze.

Ansichtskarte (gelaufen 1912)

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