Die Wohnungsmangelverwaltung

BZ, 13. Februar 1924

Der Wohnungsmangel in Bergedorf herrschte 1924 weiter: Wohnungsbau hatte es in den Vorjahren nur in bescheidenem Umfang gegeben, und so stand weiter die Mangelverwaltung im Vordergrund, die zunächst mit städtischen Zuzugssperren, dann mit Zwangseinquartierungen, Abriss- und Zweckentfremdungsverboten versuchte, die Lage in den Griff zu bekommen. Einen freien Wohnungsmarkt gab es ausschließlich für privat finanzierte Neubauwohnungen – alles andere ging nur mit behördlicher Zustimmung, und dafür wurde nun eine Verwaltungsgebühr fällig: wenn sich zwei Wohnungsinhaber einig waren, dass sie ihre Wohnungen tauschen wollten, mussten sie aufs Wohnungsamt: dort mussten die beiden Tauschwilligen einen Antrag stellen und jeder 1 Mark zahlen. Dann begann die amtliche Prüfung, ob das Vorhaben genehmigungsfähig war (Wohnberechtigung in Bergedorf? Zahl und Größe der Zimmer in Relation zur Personenzahl? Versteckte oder offensichtliche Mieterhöhung? etc.). Stimmte das Amt schließlich zu, waren von beiden je 4 % der Jahresmiete (abzüglich der bereits gezahlten jeweils 1 Mark) zu entrichten.

BZ, 9. Februar 1924

BZ, 16. Februar 1924

Die Zahl der Tauschanzeigen schien sich durch die rückwirkend zum 1. Februar eingeführte Gebühr nicht wesentlich zu ändern: vor der Bekanntmachung gab es elf Tauschgesuche, am Tage der Bekanntmachung zwei, und danach zwölf.

Warum gelegentlich das Wohnungsamt selbst als Inserent auftrat, ist nicht sicher: aus der Annonce vom 9. Februar kann man schließen, dass das Wohnungsamt versuchen wollte, bestimmte Personen nach Bergedorf zu holen und dafür Wohnungen freizumachen, aus der vom 16. Februar, dass es offenbar im städtischen Interesse lag, jemanden bzw. eine Familie aus Cuxhaven in Bergedorf unterzubringen.

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Von Eisbrücken und Eisstopfungen

Bergedorfer Zeitung, 10. Januar 1924

Auto auf einer Eisbrücke bei Zollenspieker, undatiertes Privatfoto, wohl 1920er Jahre (Sammlung Söhnke Marquardt)

Schon im Januar 1924 hatte es so heftig und dauerhaft gefroren, dass man trockenen Fußes die Elbe queren konnte: unter anderem auf der „Eisbrücke“ beim Zollenspieker herrschte „reger Verkehr über das Eis“ (zum Thema Eisbrücke und Elbfähre unten mehr), doch das Vergnügen wurde bald durch die von aus Harburg operierenden Eisbrecher zunichte gemacht, über deren fortschreitendes Zerstörungswerk die BZ fast täglich berichtete (BZ vom 12., 15., 17., 18., 22. und 23. Januar).

Bergedorfer Zeitung, 18. Februar 1924

Im Februar kam eine neue Kältewelle, erneut fror die Elbe zu, und es wurde gefährlich für die Deiche und die Menschen, die dahinter lebten: beim Zollenspieker schob sich das Treibeis an der Deichböschung hoch, ein großer Schleppkahn lag auf der Höhe der Deichkrone, die Eismassen zerstörten Landungsbrücken der Elbdampfer – sicher beeindruckend anzusehen, aber die „vielfach zerrissene und zerklüftete Eisdecke“ machte das Betreten des Eises höchst risikoreich.

Bergedorfer Zeitung, 19. Februar 1924

Unterhalb des Zollenspiekers, also stromabwärts, gab es mehrere „Eisstopfungen“, d.h. das Eis reichte bis zum Grund des Stroms. Oberhalb dieser Barriere stieg folglich der Wasserstand und die Deiche gerieten in Gefahr – von Freitag bis Sonntag dauerte der Einsatz der Eisbrecher, dann hatten sie es geschafft, das Packeis in Bewegung zu bringen, und die Wassermassen flossen mit dem Treibeis Richtung Hamburg und Harburg.

Die bisher letzte derartige Eisstopfung in der Tideelbe gab es Anfang 1987, auch wieder in der Norderelbe, wie im Buch über den Zollenspieker (S. 92-93) nachzulesen: die Lage war bedrohlich, aber die Katastrophe blieb aus.

Elbbrücken gab es 1924 nur im Bereich Hamburg-Harburg und bei Lauenburg; alle Flussquerungen dazwischen wurden mit Fähren bewerkstelligt, und die Fährpächter hatten nicht nur das Recht, diesen Verkehr zu betreiben, sondern sie mussten – und wenn die Elbe zufror, mussten sie eben Eisbrücken anlegen, wie Hermann Schween, Der Zollenspieker, in: [Begleitbroschüre zur] Jubiläums-Gartenbau-Ausstellung in Zollenspieker vom 9.-12. Sept. 1927, S. 46-48, schrieb. Die Wege über das Eis wurden markiert – ein Foto in Vierlande, Band 2, S. 112, zeigt eine solche Markierung mit Zweigen.

Der Fährmann durfte seit alters her für die Brückenbenutzung etwa den halben Wintertarif verlangen, wie der im Zollenspieker-Buch (S. 116) wiedergegebene Fährtarif von 1721 zeigt. Im Vierlande-Buch schrieb Hermann Timmann (S. 123) über die Fähre Altengamme – Stove in den 1940er Jahren entsprechendes, und eine solche Regelung galt auch für die Fähre Geesthacht-Niedermarschacht (BZ vom 14. März 1921).

Die Begleitbroschüre zur Jubiläums-Gartenbau-Ausstellung ist offenbar in keiner öffentlichen Bibliothek vorhanden. Sie wurde mir genauso wie das Foto des Autos auf dem Elbe-Eis von Söhnke Marquardt aus seiner umfangreichen Sammlung für diesen Blog-Beitrag zur Verfügung gestellt. Ich bin ihm zu großem Dank verpflichtet.

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Geesthacht: ein Trachtenfest zur Stadtwerdung

Bergedorfer Zeitung, 24. Januar 1924

Der Geesthachter Turnverein „Gut Heil“ von 1885 lud alle ein, die Stadtwerdung Geesthachts festlich zu begehen, denn das damals knapp 5.300 Einwohner zählende Geesthacht war per Gesetz zur Stadt erhoben worden (siehe auch den Beitrag Bergedorfs neue Rechtsgrundlage). Es lässt aber zunächst stutzen, dass dies in Form eines Trachtenfestes geschehen sollte.

Vor dem Geesthachter Bürgerverein hatte Wochen zuvor der Bürgerschaftsabgeordnete Käckenhoff über die neue Städteordnung referiert (BZ vom 21. Januar 1924), doch das war eine wohl eher dröge und sachlich-bescheidene Veranstaltung, kein Fest.

Bergedorfer Zeitung, 7. Februar 1924

Manche Geesthachter hätten sich zur Geburt der neuen Stadt zweifellos einen förmlichen Akt, quasi einen erhebenden Staatsakt, gewünscht, doch es gab nichts dergleichen. Vielleicht spiegelte das „Trachtenfest“ mit seinem Bühnenschauspiel diese Wünsche: der Hamburger Bürgermeister (gemeint war sicher der Erste, vermutlich im längst abgeschafften Ornat) hält eine Ansprache, überreicht dem Geesthachter Bürgermeister die Amtskette, den Schlüssel des (imaginären) Stadttores und die relevanten Urkunden, verleiht (entgegen hanseatischer Tradition) Orden und Titel und begrüßt Delegationen Geesthachter Vereine, Berufsgruppen und Einrichtungen (vermutlich in Trachten etc.), und gemeinsam singt man ein patriotisches Lied – das Versmaß ist das des Deutschlandliedes, also wird das auch die Melodie gewesen sein. (Der Text hat zwar nur Vaterlands- und keine Vaterstadtbezüge, wurde aber vermutlich für diesen Anlass geschaffen.)

Man kann davon ausgehen, dass das Fest „programmgemäß“ verlief und die Zeitung deshalb keinen Bericht veröffentlichte.

Bergedorfer Zeitung, 5. Februar 1924

Unabhängig von der Festivitätenfrage blickten in jenen Wochen viele Verwaltungsmänner nach Geesthacht, denn die Bürgermeisterstelle wurde neu ausgeschrieben: es gab 135 Bewerbungen, von denen sechs in die engere Wahl kamen (BZ vom 3. und 10. März). Gewählt wurde mit den Stimmen der Kommunisten und der Bürgerlichen in der Stadtvertretung der Schweriner Ratsassessor Dr. Weltzien. Der bisherige Bürgermeister Dr. Biehl hatte ebenso das Nachsehen wie der Besenhorster Gemeindevorsteher Zimmer (BZ vom 17. März 1924).

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Bergedorfs Gewichts-Schweinegilde

BZ, 8. Februar 1924

Bergedorfer Zeitung, 12. Februar 1924

Die „Gewichts-Schweinegilde von 1856 zu Bergedorf“ bot eine Art Versicherung auf Gegenseitigkeit: kam ein versichertes Schwein zu Schaden, erhielt der betroffene Besitzer eine Entschädigung, sofern er seine monatlichen Beiträge entrichtet hatte. Die Gilde war ein Zusammenschluss von Menschen, die ein oder zwei Schweine im Stall hinter dem Haus hielten und sie dort mästeten, damit die Tiere eines Tages der Ernährung der Familie zugeführt werden konnten.

Solange die Preise stabil blieben, war die Einrichtung sinnvoll, denn das Risiko wurde verteilt: man zahlte vielleicht ein-zwei Jahre ein, und wenn z.B. ein Schwein notgeschlachtet werden musste, erlitt man zumindest keinen Totalverlust.

Dieses Modell hatte die Hyperinflation der Vorjahre natürlich nicht überstanden: durch die Inflation waren die eingezahlten Mitgliedsbeiträge schneller entwertet worden als die Beiträge erhöht werden konnten. Es kosteten im Januar 1923 die kleinsten auf dem monatlichen Bergedorfer Schweinemarkt gehandelten Ferkel (vier bis sechs Wochen alt) 15.000 bis 20.000 Mark (BZ vom 15. Januar 1923), im Oktober 1923 dann 5 bis 7 Milliarden Mark (BZ vom 15. Oktober 1923); nach der Währungsumstellung stiegen die Preise nur noch mäßig, von 15 bis 18 Goldmark (BZ vom 19. November 1923) auf 15 bis 20 Goldmark (BZ vom 21. Januar 1924), was ungefähr den Vorkriegspreisen entsprach (BZ vom 20. Januar 1914) und den genannten Beitrag pro Schwein von 1 Mark im Monat realistisch erscheinen lässt.

Die Mitglieder der Gilde waren vermutlich zumeist Arbeiter oder Handwerker; zumindest auf die Mandatsträger traf das zu, wie sich aus den Namen und Anschriften ergibt, die in der BZ vom 30. Juli 1924 aufgeführt waren und die mit dem Hamburger Adreßbuch für 1924 abgeglichen wurden. Demnach wurden weiterhin Schweine im städtischen Raum gehalten und gehandelt, wobei der Handel nicht nur beim städtischen Schweinemarkt auf dem Brink stattfand, sondern auch bei Händlern in der Neuen Straße, in der Brunnenstraße, am Kuhberg („bei der Kirche“) und jedes Wochenende beim Gasthof zur Sonne an der Ecke Holstenstraße/Kampstraße (siehe die Karte 1904 und diverse Anzeigen in der BZ vom Februar 1924).

Die Gerüche in der Stadt werden damals andere gewesen sein als heute.

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Kleinhandelspreise und Teuerungszahlen 1924

Bergedorfer Zeitung, 1. Februar 1924

Das Statistische Landesamt Hamburg ermittelte kontinuierlich „Preise und Kaufkraft“, auch das entsprechende Reichsamt, und die BZ berichtete.

Die Zahlen von Ende Januar 1924 im Vergleich zur „Vorkriegszeit“, also den Jahren 1913/14, zeigen, dass sich die Preise in den verschiedenen Güterarten durchaus unterschiedlich entwickelt hatten, und wenn es am Ende hieß, dass „1 Goldmark annähernd wieder die Kaufkraft der Friedensmark“ hatte, dann lag es nur an den durch staatliche Regelung auf ein Drittel reduzierten Wohnungsmieten.

Wenn man unter Kaufkraft nicht einfach die Menge der Güter versteht, die man für einen bestimmten Geldbetrag erwerben kann, sondern die Menge der Güter, die mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen gekauft werden kann, dann hatte sich die Lage der meisten Menschen deutlich verschlechtert, denn im Zuge der Währungsreform waren Löhne und Gehälter halbiert worden – folglich sank der ohnehin niedrige Lebensstandard.

Die Teuerungszahl, definiert als „der notwendigste Monatsbedarf einer fünfköpfigen Arbeiterfamilie“ (BZ vom 28. November 1924), belief sich Ende Januar auf 119,07 Goldmark (BZ vom 2. Februar 1924), und am Jahresende lag sie bei 137,66 Goldmark (BZ vom 2. Januar 1925), was nur teilweise auf erhöhte Mieten zurückzuführen war. Vor allem Lebensmittel und Bekleidung waren teurer geworden, während die Preise für Heizmaterial zurückgingen (BZ vom 28. November 1924). Dennoch: die Kosten der Lebenshaltung lagen – mit Ausnahme der Mieten – deutlich über dem Vorkriegsniveau.

„Kein Ende nimmt die Teuerung“, hatte eine Prognose für 1924 gelautet, und sie wurde in der Realität bestätigt – das Tempo der Inflation hatte aber gewaltig nachgelassen.

 

 

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Der Weg aus der Bleiwüste

Bergedorfer Zeitung, 1. Februar 1924

Die Bergedorfer Zeitung war vor hundert Jahren keine „Bild“-Zeitung – der redaktionelle Teil war eine reine Bleiwüste. Gestalterische Abwechslung brachten nur Anzeigen (wie z.B. im Beitrag Prognosen und Fehlprognosen zu sehen). Hamburger Textilhäuser inserierten z.T. aufwändig mit Abbildungen, Vereinsanzeigen waren oft mit dem Vereinswappen versehen – die grafischen Druckvorlagen waren wohl in der Regel vom Anzeigenkunden mitzubringen; über Wichtel-Bilder als Signal für Maskeraden usw. verfügte die BZ anscheinend selbst.

Jetzt also sollte der Weg aus der Bleiwüste angetreten werden, einmal pro Woche, immer am Sonnabend, beginnend am 2. Februar, sollte der BZ gratis die illustrierte Wochenbeilage Wort und Bild beigefügt werden.

Ausgabe 1924-1

Der Untertitel „Bünder Tageblatt (Ennigloher Zeitung)“ darf nicht irritieren: „Wort und Bild“ kam aus einem Berliner Verlag und lag wohl etwa zwanzig deutschen Provinzblättern bei, mit jeweils anderem Untertitel, aber sonst identisch. So darf man nicht auf „Bergedorfensien“ hoffen, aber beim virtuellen Durchblättern des Jahrgangs 1924 wurden immerhin zwei Bergedorfer gefunden: ein Foto zeigt den Afrikaforscher Hans Schomburgk mit einem Zwergflusspferd, und von der in Bergedorf geborenen Schriftstellerin Ida Boy-Ed kann man die Betrachtung über „Alt werden und alt sein“ lesen.

Titelseite der Ausgabe 1924-1

Hinsichtlich des Bildteils muss man sich bewusst sein, dass aktuelle Bilder, insbesondere Fotografien, sonst wohl gar nicht in die Häuser der Leserinnen und Leser gelangt wären. Einen „erstklassigen und aktuellen Bilderdienst“ anzukündigen, war allerdings schon etwas gewagt, denn zu vielen Fotografien in den ersten Ausgaben hätte die Unterzeile „Schwarzer Panther bei Nacht“ gepasst, und andere waren nicht sehr aussagekräftig.

Immerhin, im Laufe des Jahres trat eine sichtbare Besserung ein und die BZ-Leserinnen und -Leser konnten u.a. Portraitfotos bedeutender Personen, Aufnahmen aus aller Welt sowie technischer Neuerungen betrachten, vielleicht auch bestaunen, und sich über die gezeichneten Bildergeschichten amüsieren.

Insgesamt dürfte „Wort und Bild“ für das damalige Publikum einen beachtlichen Unterhaltungswert besessen haben, doch an die Spitze des Fortschritts im Zeitungswesen gelangte die BZ damit nicht. Was technisch und journalistisch möglich war zeigt die „Rundschau im Bilde“, Beilage zum Hamburger Fremdenblatt, mit (auch) örtlichen Ereignissen und Entwicklungen, zudem in einer sehr viel besseren Qualität, wie z.B. im Blog-Beitrag zur Bojewiese zu sehen ist.

In den  Räumen der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg kann man den Jahrgang 1929 von „Wort und Bild“ mit dem Untertitel „Beilage zur Bergedorfer Zeitung“ als Mikrofilm ansehen. Andere Jahrgänge liegen dort nicht vor.
Die hier genutzten Digitalisierungen wurden im Rahmen des vom Land Nordrhein-Westfalen geförderten Projekts Zeitungsportal NRW angefertigt.

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Die Hundesperre

Bergedorfer Zeitung, 24. Januar 1924

Bergedorfer Zeitung, 24. Januar 1924

Die Landherrenschaften Bergedorf und Marschlande reagierten sehr schnell: sie verhängten eine Hundesperre kurz nachdem eine Frau in Ochsenwärder von einem tollwütigen Hund gebissen worden war. Man kann nur hoffen, dass die Frau rechtzeitig in Berlin ankam, um dort mit dem Pasteurschen Serum im Robert-Koch-Institut geimpft zu werden – sonst wäre sie mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Infektion mit dem Virus gestorben. (Zur Tollwut siehe z.B. die FAQ-Liste des Robert-Koch-Instituts.)

Bergedorfer Zeitung, 24. Januar 1924

Um die Ausbreitung der Krankheit zu unterbinden, ordneten die Landherrenschaften gemäß § 40 des Viehseuchengesetzes laut Bekanntmachung die Einsperrung aller Hunde im Gebiet an – im redaktionellen Teil klang es etwas anders: alle Hunde mussten „festgelegt“ werden, also eingesperrt oder angekettet. Wenn Hunde einen Maulkorb trugen, durften sie an der Leine geführt bzw. weiter als Ziehhund eingesetzt werden. Umherstreifende Hunde sollten durch die Polizei erschossen werden.

Bergedorfer Zeitung, 2. Februar 1924

Die Tollwut nahm größere Ausmaße an und bewegte sich von Osten kommend Richtung Hamburg: die erste Meldung dazu kam aus Worth, die nächste aus Geesthacht (BZ vom 8. und 18. Januar), dann Bergedorf mit den Marschdörfern (s.o.) und der Amtsbezirk Sande (BZ vom 2. Februar), die Stadt Hamburg selbst bekam die Hundesperre am 23. Februar (BZ vom 22. Mai).

Immer wieder wurde gemahnt (z.B. durch den Landestierarzt, BZ vom 8. Februar) und auf die Strafen hingewiesen (Tötung des Hundes und Zahlung von 100 Goldmark, BZ vom 2. Februar), aber die Verstöße hörten nicht auf, obwohl sich der Hamburger Tierschutzverein vehement für die behördlichen Anordnungen aussprach: „Je strenger die veterinärpolizeilichen Maßnahmen durchgeführt werden, desto aussichtsreicher ist die Bekämpfung der Krankheit.“ (BZ vom 7. April) Da das aber nicht von allen eingesehen wurde, gab es immer wieder Meldungen über Vorkommnisse: allein im Raum Bergedorf/Curslack wurden im März vier Personen von tollwütigen Hunden gebissen (BZ vom 24. März).

Immerhin: Menschen, die von tollwutverdächtigen Hunden gebissen wurden, brauchten zur Impfung bald nicht mehr nach Berlin ins Robert-Koch-Institut zu fahren – im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek wurde eine Impfmöglichkeit geschaffen (BZ vom 1. März), und dort wurden binnen vierzehn Tagen 24 vermutlich lebensrettende Impfungen verabreicht (BZ vom 24. März).

 

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Das Bergedorfer Telefonbuch

Amtliche Telefonbücher, die eben nur die Fernsprechteilnehmer (und Inserenten) verzeichneten und nicht alle Haushalte, gab es schon lange: das älteste Exemplar des Verzeichnisses der Theilnehmer an der Stadt-Fernsprecheinrichtung in Hamburg in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg datiert auf das Jahr 1888. Darin sind auch die an die Vermittlung in Bergedorf angeschlossenen Teilnehmer aufgeführt: es waren zwölf, davon je zwei in Sande und Reinbek, je einer in Düneberg und Krümmel, von den sechs Bergedorfern saßen vier im Industriegebiet Kamp.

Die Zahl der Anschlüsse nahm rapide zu, nicht nur in Bergedorf, sondern auch in Hamburg: das Telefonbuch von 1922 umfasste über 900 Seiten und war damit schon etwas unhandlich geworden. Noch voluminöser waren die Hamburger Adressbücher, die im Prinzip alle Haushalte und Firmen auflisteten, mit Anschrift, Telefon und ggf. Kontoverbindung. Die Idee eines separaten Fernsprech-Verzeichnisses für Bergedorf und Umgegend schien von daher nicht absurd.

Bergedorfer Zeitung, 28. Januar 1924

Es wäre das erste Bergedorfer Telefonbuch gewesen – wenn es denn geklappt hätte. Die Anzeigenakquisiteure warben mit dem Argument fester Vereinbarungen mit der Bergedorfer Zeitung ebenso wie der Bergedorfer Buchdruckerei von Eduard Wagner – doch diese erklärten all dies für unwahr.

Bergedorfer Zeitung, 28. Januar 1924

Mehrere (Bergedorfer) Geschäftsleute deckten das Finanzkonzept der „Blitz“-Initiatoren auf: nur die erste Zeile einer Eintragung war kostenfrei, für weitere Zeilen waren je zwei Mark zu berappen, und schaut man in die Hamburger Telefonbücher von 1922 und 1925, so stellt man fest, dass tatsächlich fast alle Eintragungen mehrere Zeilen umfassten. Außerdem wäre es wohl ein sehr schmales Bändchen geworden: nimmt man wieder die Hamburger Bücher als Maßstab, so wäre bei 1.000 bis 1200 Teilnehmern alles auf sieben bis 12 Seiten unterzubringen gewesen.

Ein Problem hätte auch dieses Büchlein nicht gelöst, nämlich dass es keine durchgehend alphabetisch sortierte Liste gab, sondern nach den Vermittlungen gegliedert wurde: Teilnehmer z. B. aus Sande, Reinbek, Neuengamme und Curslack waren an die Vermittlung in Bergedorf angeschlossen und dementsprechend in die Bergedorfer Liste intregriert; Altengamme teilweise nach Bergedorf, teilweise nach Geesthacht. Ein Fernsprechanschluss in Kirchwärder konnte entweder über Zollenspieker erreicht werden oder über die Vermittlung in Ochsenwärder.

Das erste eigenständige Örtliche Fernsprechbuch für Bergedorf erschien 1951. Da war das Vermittlungsproblem längst gelöst.

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Der Spielfilm „Mutter“ im Schulkino

Bergedorfer Zeitung, 16. Januar 1924

Nur sehr selten kündigte die BZ im redaktionellen Teil Filme an, die in Bergedorf auf die Kinoleinwand kamen, aber wenn von höchster Stelle, also vom Reichspräsidenten, „volle Zustimmung“ zu einem Film ausgesprochen wurde und es ein zweistündiger Schulfilm war, dann war das schon eine Meldung wert, und der Film sollte „allen Kindern zugänglich“ gemacht werden.

Im Gegensatz zu den (äußerst wenigen) Schulfilmen, die in den Jahren zuvor gezeigt worden waren, sollte dieser nicht Wissen vermitteln, „sondern auf die Gesinnung wirken“, er war also kein Dokumentar-, sondern ein Spielfilm, und das generelle Verbot für Unterachtzehnjährige, Spielfilme (außer Märchenfilmen) im Kino zu sehen (BZ vom 1. September 1920) wurde durch die Reichszensurstelle in diesem Falle aufgehoben, „wegen seines sittlichen Wertes und seiner künstlerischen Artung“ (Echo der Gegenwart vom 6. Oktober 1923).

Bergedorfer Zeitung, 25. Januar 1924

Das „Hohe Lied der Mutterliebe“ sang laut Anzeige der Film, der zu seiner Zeit mit 80 Millionen Zuschauern (Velberter Morgen-Zeitung, 30. Januar 1924) der Blockbuster schlechthin war – trotzdem hat sich nicht eine einzige Kopie davon erhalten, und man muss auf Spurensuche gehen, wenn man etwas über ihn erfahren möchte: die Hauptdarstellerin Mary Carr verkörperte die treusorgende Mutter offenbar so überzeugend, dass sie in weiteren Filmen ebenfalls in dieser Rolle auftrat und den Spitznamen „The Mother of the Movies“ erhielt.

Der Titel des US-Originalfilms von 1920 war „Over the Hill to the Poorhouse“, nach einem Gedicht von William Carleton, das im Internet Archive zugänglich ist. Während das Gedicht am Ende die Mutter im Armenhaus sieht, wird sie im Film letztlich davor bewahrt – in den Worten eines wenig begeisterten Kritikers: „Die Handlung ist durch die Schlagworte: Mutter, Kinder, Vater als Pferdedieb, Sohn übernimmt dessen Rolle, Gefängnis, Ausland, Rückkehr, Verlobung, Versöhnung: Alles in Butter! Schluß! Genügend gekennzeichnet.“ (Westfälische neueste Nachrichten vom 21. August 1924) Freundlicher sahen dies u.a. die Rheinische Volkswacht vom 10. Oktober 1923, der (Bonner) Generalanzeiger vom 21. März 1924 und die Bergheimer Zeitung vom 24. Dezember 1924.

Wie sich der im Artikel genannte „Pendelverkehr“ zwischen den Kinos in Bergedorf und Sande, der die „gleichzeitigen“ Vorführungen im Detail gestaltete, ist unbekannt. Die „8 Akte“ werden 8 Filmspulen entsprochen haben, aber zumindest eine knappe halbe Stunde Zeitversatz muss es gegeben haben, was sich wohl über das „ausgesucht schöne Beiprogramm“ organisieren ließ.

(Anmerkung: die etwas exotisch anmutenden Zeitungen wurden mittels Volltextsuche nach „Mary Carr“ im Deutschen Zeitungsportal gefunden.)

 

 

 

 

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Die abgestreute Rodelbahn und der Mist

Bergedorfer Zeitung, 14. Januar 1924

Es hatte kleinere Unfälle gegeben, und deshalb ließ der Magistrat der Stadt Bergedorf Sand auf die Rodelbahn streuen, um weitere Unfälle zu verhindern. Heute verstreuen (bildlich gesprochen) andere Mist über diese Doktorbahn, worauf im unteren Abschnitt dieses Artikels eingegangen werden soll.

Wenn die Schilderung des Zustands der Bahn im Januar 1924 zutraf, Eis- und Sandflächen im Wechsel, konnte der Magistrat gar nicht anders handeln, denn die Bahn befand (und befindet) sich auf öffentlichem Grund und so bestand ein Haftungsrisiko. Und es wurde auch mit Augenmaß gehandelt: nur „der steile Ablauf“ wurde unbefahrbar gemacht, also vermutlich die ersten 150 m, wo auf ca. 10 m Strecke etwa 1 m Gefälle kommt, was für hiesige Verhältnisse sicher als steil zu bezeichnen ist – der längere und flachere untere Teil blieb offenbar unberührt.

Bergedorfer Zeitung, 17. Januar 1924

Doch „mehrere Rodler“ bestritten die Darstellung der Zeitung: die Maßnahme sei unnötig gewesen, außerdem gebe es bei jedem Sport Unglücksfälle, und nach der Unbrauchbarmachung der Bahn werde nun auf viel gefährlicheren Hängen Schlitten gefahren – den Vorwurf wies die Schriftleitung der BZ zurück und stellte sich hinter den Magistrat, wahrscheinlich nicht zu Unrecht, denn im Herbst 1929 wurde die Bahn zu einer Doppelbahn „entschärft“: zu beiden Seiten und in der Mitte wurden Wälle aufgeworfen, um das Rodeln in geordnete Bahnen zu lenken (BZ vom 28. Oktober 1929), und als dann endlich im Februar 1930 Schnee fiel, herrschte ein so starker Andrang, dass der Schnee bald abgefahren war (BZ vom 18. Februar 1930) – das Problem des abgefahrenen Schnees wurde auch 2024 in der BZ berichtet; Text und Fotos von Wiebke Schwirten belegen dies.

Ob die Doktorbahn im Winter 1924 noch wieder freigegeben wurde, ob es dort oder auf anderen Rodelstrecken in Bergedorf Rodelunfälle gab, meldete die BZ nicht – Schnee jedenfalls fiel bis in den April hinein.

Zwar ist die Rodelbahn weder in der Karte 1875 noch in der Karte 1904 markiert, aber da schon 1885 in der Bergedorfer Zeitung Verkaufsanzeigen für Kinder-Schlitten zu finden waren (10.  Dezember 1885), dürfte das Rodeln im Gehölz ab dem 19. Jahrhundert ein beliebter Sport gewesen sein.

Was man heute (Stand: 20. Januar 2024) im Internet unter dem Suchbegriff „Rodelbahn Bergedorf“ findet, ist zumeist Mist, und auf Mist kann man (je nach Konsistenz) vielleicht ausrutschen, aber nicht rodeln. Beispielhaft sei hier die Seite Bergwelten.com genannt, auf der zu lesen steht: „Die wahrscheinlich längste Rodelbahn der Hansestadt Hamburg gibt es seit den 30er Jahren und liegt im Bergedorfer Gehölz. Sie ist in etwa 1.000 Meter lang und hat ein durchgehend sportliches Gefälle. Die Abfahrt dauert in etwa 20 Minuten und kann natürlich mehrmals, nach erneutem Aufstieg, befahren werden.“ Die Karte dazu zeigt allerdings eine ganz besondere Bergedorfer Rodelbahn: sie verläuft zwar im „Bergedorfer Gehölz“, aber ausschließlich auf Wentorfer Gebiet. Der vorgeschlagene Startpunkt nahe der Marienburg liegt viele Meter tiefer als das Ende nahe der Hamburger Landstraße – die Rodelbahn mag somit für Motorschlitten taugen, aber Motorfahrzeuge sind im Gehölz verboten. Wenn denn die unter „Tourdaten“ gemachten Angaben von jeweils 1.000 Höhenmetern Aufstieg und Abstieg auf 1.000 m Strecke stimmten (was Ortskundige bestreiten), hätte die Bahn in der Tat ein „sportliches Gefälle“ – wie sich das wiederum verträgt mit den Angaben von 1.000 Metern Länge und 20 bzw. 22 Minuten für die Abfahrt, also einem Durchschnittstempo von halsbrecherischen 3 km/h, erklärt der Bergwelten-Rodelexperte nicht.

Die 1.000 m Länge sind z.B. auch bei Wikipedia, bei Ganz-Hamburg.de und bei geheimtipphamburg.de zu finden. Diese drei sehen die Bahn (im Gegensatz zum Bergwelten-Autor) als Abfahrt vom „Doktorberg“, der Geheimtipp hat sogar „viele Kurven“ gefunden, und Ganz-Hamburg.de kennt die passende Busverbindung: mit HVV-Linie 235 bis zur Haltestelle Waldschloss. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass es diese Haltestelle seit Jahren nicht mehr gibt, nur die Haltestelle „Wentorfer Straße (Ost)“, die noch näher zum Doktorberg und damit zur Doktorbahn liegt.

Damit zunächst genug von diesem Online-Mist, denn es gibt auch korrekte und präzise Angaben: auf den vom Bergedorfer Heimatkundigen Gerd Hoffmann initiierten Seiten  Bergedorf-Chronik.de die korrekte Längenangabe (380 m) und Bergedorf-Info.de eine Karte der Lage, letztere auch auf einer Seite von Hamburg.de. Zusammen mit den Daten von geo-online ergibt sich als Schätzung, dass der Start der (fast kurvenfreien) Doktorbahn auf ca. NN + 33 m liegt und der erste, etwa 150 m lange Abschnitt der steilste ist (auf 10 m Strecke 1 m Gefälle), während der weitere Verlauf bis zum Ende bei ca. NN + 8 m eher gemütliches Schlittenfahren ermöglicht.

Damit zurück zum Mist: der neueste derartige Haufen ist gerade wenige Wochen alt, wurde aber schon teilweise abgetragen, zu finden in einer Regionalausgabe Nord des Hamburger Abendblatts: traf man in der ersten Version vom Dezember 2023 dort noch viele gute alte Bekannte: die Streckenlänge von über einem Kilometer, den kurvenreichen Verlauf und die Bushaltestelle Waldschloss, so ist aktuell (nach der Berichterstattung der BZ) nur noch die Angabe der nicht mehr existenten Bushaltestelle zu bemäkeln.

Als sicher darf gelten, dass von den Tausend-Meter-Rodlern keiner jemals die Doktorbahn in Augenschein genommen hat. Einer hat den Mist in die Welt gesetzt, die anderen haben sich draufgesetzt. Ob die das irgendwann merken?

 

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