Ein Versammlungsverbot

Bergedorfer Zeitung, 24. September 1915

Bergedorfer Zeitung, 24. September 1915

Das auch über Bergedorf regierende Stellvertretende Generalkommando in Altona machte hier mit einem Versammlungsverbot einmal mehr deutlich, wie weit seine Befugnisse über militärische Angelegenheiten hinausgingen. Betroffen war in diesem Falle der „sozialdemokratische Verein“ Bergedorf/Sande und die von ihm geplante interne Veranstaltung zur Lebensmittelteuerung.

Dass es einen beträchtlichen Anstieg der Lebensmittelpreise gab, wird durch zwei Meldungen der Bergedorfer Zeitung – am selben Tag, auf der selben Seite, in der selben Spalte – belegt: die Reichsregierung sah die „leider unvermeidliche Steigerung der Preise für die meisten Lebensmittel“ und wollte zumindest die Kartoffelpreise niedrig halten. Die Stadt Bergedorf kündigte schon einmal an, dass die städtische „Dauerware“ (siehe den Beitrag zur Abfallwirtschaft) zur Neige gehe und bei der nächsten Bestellung mit höheren Preisen zu rechnen sei.

Womöglich befürchtete die „Militärregierung“ in dieser Situation Massenproteste – ganz traute man den Sozialdemokraten trotz des „Burgfriedens“ offenbar nicht. Einige diskriminierende Regelungen waren zwar abgeschafft worden (wohl weil sie völlig unpraktikabel waren: Soldaten wurde erlaubt, in den Läden der „Produktion“ einzukaufen [BZ vom 20. Mai 1915], eine sozialdemokratische Gesinnung bei Militärpflichtigen galt nicht mehr als strafbar [BZ vom 27. April 1915]), aber bei einem Thema, das weite Bevölkerungskreise unmittelbar betraf und erhebliches Protestpotential in sich trug, entschied man sich für das Versammlungsverbot mit dem Ziel des Totschweigens.
Man kann sich vorstellen, dass der „Militärregierung“ dieses Thema unangenehm war – hier hatte sie die Möglichkeit der Unterdrückung, die sie dann nutzte. Erstaunlich ist allerdings, dass wenige Tage später (siehe BZ vom 30. September 1915) der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Stubbe eine Veranstaltung zum selben Thema in Hamburg durchführen durfte.

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Von altem Zopf und Hütefässern

Heliocolorkarte um 1905

Heliocolorkarte um 1905

Auf den ersten Blick zeigt diese Ansichtskarte nichts Besonderes, eben nur das Billebassin mit Kirche und Hasse-Haus – aber die unscheinbaren Holzgestelle im ufernahen Wasser (in dieser Ansicht unterhalb des Kirchturms) zählten zu den „Alten Bergedorfer Gerechtsamen“: sie hielten sogenannte Hütefässer, d.h. Holzkästen zur Fischhaltung, und etwas weiter links stand das im folgenden Artikel genannte „Fischerhaus“.

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1915

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1915

1914 verschwanden die Hütefässer (und 1915 werden die früheren Eigentümer ihnen angesichts der Versorgungslage nachgetrauert haben), die zu betreiben bis dahin ein „uraltes“ Privileg mehrerer Grundeigentümer bzw. Pächter gewesen war, und es entfiel auch die Tonne Bier (bzw. ihr Gegenwert in Geld), die der Pächter der Lohmühle in jedem sechsten Jahr an den Staat, d.h. Hamburg, zu liefern hatte.

Solche an ein Grundstück gebundene „Gerechtsame“ waren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit entstanden – die letzten fielen also erst im 20. Jahrhundert, wie auch in der Dissertation von Georg Staunau nachzulesen ist: das vor der Einführung des modernen Grundbuchs für Bergedorf 1886 – 1888 gebräuchliche Stadtbuch wurde nach „Personalfolien“ geführt und enthielt all die alten Zöpfe, deren letzte nun (immerhin später als beim preußischen Militär und in China) abgeschnitten waren.

Der Verfasser des Artikels in der Bergedorfer Zeitung wird mit „W–p.“ angegeben, und nach dem Bergedorfer Adressbuch 1915 kann es sich nur um Gustav Weitkamp gehandelt haben, der dort als Buchdrucker verzeichnet ist und später als Herausgeber und Schriftleiter des von 1925 bis 1936 erschienenen Bergedorfer Schloß-Kalenders fungierte. Ein weiterer Artikel über die Landgewinnung an einem Haus am Blickgraben dürfte ebenfalls der Feder Weitkamps entstammen, wenn auch das Autorenkürzel auf „-p.“ beschränkt ist.

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1915

Bergedorfer Zeitung, 18. September 1915

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Ein Spion!

Bergedorfer Zeitung, 11. September 1915

Bergedorfer Zeitung, 11. September 1915

Bei dem Wort „Spionage“ denkt man ja eher an Mata Hari als an Neu-Besenhorst, und der nahe Geesthacht verhaftete Mann dürfte historisch weniger bedeutend gewesen sein als seine legendäre Kollegin. Doch wer während eines Krieges mit Kamera und Stativ in einem Straßengraben sitzend und falsche Angaben machend aufgegriffen wird, darf sich über einen Spionagevorwurf nicht wundern, zumal die bei ihm gefundenen Fotos von Düneberg und Edmundsthal (heute Teile Geesthachts) ihm vielleicht zur Orientierung und zum leichteren Auffinden der schon mehrfach genannten Pulver- und Dynamitwerke in Düneberg und Krümmel dienen sollten. Das Kamerastativ als Angelgerät zu bezeichnen und die Kamera unter einer Lage Garn zu verstecken kann nicht als hohe Schule geheimdienstlicher Agententätigkeit angesehen werden, und so machte Wachtmeister Kimpel den vielleicht bedeutsamsten Fang seines Lebens – aber eben nur vielleicht, denn eine Folgeberichterstattung fehlt in der BZ.
Allgemein wurden viele Maßnahmen ange- und verordnet, um dem Feind nichts zu verraten: so wurde der Postversand von Ansichtskarten mit dem Bild des Kruppschen Geschütztransportwagens verboten (BZ vom 10. Februar 1915), und wenig später hieß es, alle Motive auf Kriegspostkarten müssten von der Zensur abgesegnet werden (BZ vom 22. April 1915). Auf den Bahnhöfen gab es Aushänge mit „Soldaten, lasst euch nicht aushorchen!“ (BZ vom 5. Juli 1915) und Ende des Jahres stellte das Stellvertretende Generalkommando jegliches Fotografieren und Zeichnen auf öffentlichen Wegen unter Erlaubnisvorbehalt (BZ vom 6. Dezember 1915): schwere Zeiten für Freiluftmaler.

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Die Lazarett-Ausflüge – und: Goldgeld lacht

Bergedorfer Zeitung, 3. September 1915

Bergedorfer Zeitung, 3. September 1915

In einer Hinsicht steht dieser Bericht über eine Sitzung der Ochsenwerder Kriegshilfe und ihre Aktivitäten für viele: insbesondere die Gemeinden des Landgebiets organisierten wiederholt Tagesausflüge für Patienten der Lazarette in Hamburg, die meist wie hier beschrieben verliefen: Dampferfahrt, Kutschfahrt, Einkehr (nicht im meditativen, sondern im gastronomischen Sinne).
Der Appell des Ochsenwerder Pastors Rhine zur Abgabe von Goldgeld ist sicher lesenswert: obwohl schon seit kurz nach Kriegsbeginn dazu aufgefordert worden war, Gold- in Papiergeld einzutauschen, um der Reichsbank die benötigten Devisenreserven zur Verfügung zu stellen (siehe z.B. Bergedorfer Zeitung vom 18. September 1914), trennten sich die Menschen offenbar nur zögerlich vom Edelmetall – vielleicht war das Vertrauen in den Sieg doch geringer als das in die Wertbeständigkeit von Gold, vor allem aber ließen sich laut Pastor Rhine mit dem Goldgeld diverse Vorteile erlangen.

Was genau mag ein „Goldurlaub“ gewesen sein? Der Begriff taucht auch in Joachim Ringelnatz‘ Buch Als Mariner im Krieg auf, was bei der Interpretation aber nicht wirklich weiterhilft. Die gängigen Internet-Suchmaschinen sind eher auf „Golfurlaub“ ausgerichtet …

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Fahnenflucht und Flucht – unklare Schicksale

Bergedorfer Zeitung, 27. August 1915

Bergedorfer Zeitung, 27. August 1915

Wieder aus Sande (siehe den Beitrag Bergedorfs Bille-Bad – und ein Fahnenflüchtiger in Sande) kam die Meldung, dass ein in Bahrenfeld stationierter Soldat sich von seinem Truppenteil „heimlich entfernt“ hatte. Wieder erfährt des BZ-Leser nicht, was schließlich aus dem Mann wurde.

Bergedorfer Zeitung, 25. August 1915

Bergedorfer Zeitung, 25. August 1915

Die erste Meldung der BZ über eine Flucht eines in der hiesigen Landwirtschaft tätigen Kriegsgefangenen kam aus Billwärder an der Bille – aber das kleine Wörtchen „wieder“ in der zweiten Zeile der kurzen Notiz lässt doch stutzen: wie viele andere, über die nicht berichtet wurde, mögen schon früher als Michael Abenschin geflüchtet sein? Welche Gründe hatte jeweils die Flucht? Was wurde aus den Flüchtlingen? Antworten sucht man in der Bergedorfer Zeitung vergeblich. Die Meldung aus Schleswig-Holstein allerdings, dass „zunehmend“ Kriegsgefangene flüchteten und dadurch generell der Einsatz Kriegsgefangener in der Landwirtschaft gefährdet wäre (siehe Bergedorfer Zeitung vom 25. Juni 1915), zeigt, dass offenbar viele Gefangene versuchten, sich dieser Zwangsarbeit zu entziehen und ihre Freiheit zu erlangen.

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Der Krieg und die Verwaltung in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 24. August 1915

Bergedorfer Zeitung, 24. August 1915

Wegen des Krieges wuchsen die Aufgaben der Verwaltung, wie vor allem im Beitrag Nach einem Jahr geschildert. Das Schloss war für einen derartigen Besucherandrang viel zu klein – da war es ein glücklicher Umstand, dass die Hansa-Schule im Vorjahr ihren Neubau bezogen hatte (siehe den Beitrag Bergedorfs Schulen): schon zum Jahresbeginn 1915 war das Stadtbauamt in die ehemaligen Räume der Hansa-Schule an der Wentorfer Straße umgezogen (siehe BZ vom 1. Januar 1915), auch der städtische Kartoffelverkauf wurde dort abgewickelt (siehe BZ vom 12. März 1915), nun folgte die Stadtkasse der bereits dort eingezogenen Auszahlungsstelle der Landherrenschaft für die Familienunterstützung der Kriegsteilnehmer. (Das Obergeschoss nahm einige Monate später dann die Heimatsammlung des Bergedorfer Bürgervereins auf, siehe BZ vom 7. Oktober 1915.)

Der Krieg war aber auch Entwicklungsbremse: das in das Schloss hineingequetschte Amtsgericht (siehe den Beitrag Das Schloss und seine Nutzungen) sollte eigentlich einen Neubau erhalten, doch wegen des Krieges wurde das Grundstück an der Ernst-Mantius-Straße zunächst einmal für den städtischen Gemüseanbau hergerichtet (siehe BZ vom 5. Mai 1915 – dabei wurde übrigens eine Lanzenspitze aus dem Mittelalter gefunden).

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Fahne zu verkaufen – und Knast für Köm

Bergedorfer Zeitung, 11. August 1915

Bergedorfer Zeitung, 11. August 1915

Was mag die Mieter einer Parterrewohnung in der Brauerstraße, also in einer durchaus guten Wohnlage Bergedorfs, dazu bewogen haben, mitten im Krieg eine große schwarz-weiß-rote Fahne per Kleinanzeige zum Verkauf anzubieten? Grenzte es nicht an Defätismus, sich gegen schnödes Geld von diesem Symbol des Deutschen Reichs zu trennen und auf den Flaggenschmuck nach einer Siegesmeldung zu verzichten?
Vielleicht gibt es aber eine andere, weitaus banalere Erklärung für die Anzeige: bei dem Haus Brauerstraße 143 dürfte es sich um einen Neubau gehandelt haben, denn im Bergedorfer Adressbuch 1912 taucht diese Hausnummer nicht auf, und die Mehrheit der im Bergedorfer Adressbuch 1915 genannten acht Mieter war im Bergedorfer Adressbuch 1912 unter anderer Anschrift zu finden. Möglicherweise hatte also einer der Parterre-Mieter feststellen müssen, dass sein vom vorigen Wohnsitz mitgebrachtes Riesenbanner als Fassadendekoration hier einfach ungeeignet war – eventuell gab es auch keinen Fahnenmast – und an einem anderem Haus besser angebracht wäre.

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1915

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1915

Einen Tag Haft für ein Glas Kümmel gab es für den Bergedorfer Wirt Franz Kröger, denn der Ausschank von Spirituosen war in Bergedorf verboten – siehe den Beitrag Bergedorf trockengelegt – das Verbot blieb also länger in Kraft als angekündigt. So ein Verstoß gegen das Gesetz über den Belagerungszustand war demnach gravierend (Höchststrafe: 1 Jahr Haft), eine unerlaubte Tanzveranstaltung, hier: die Übertretung einer Verordnung der zivilen Landherrenschaft, kostete die verantwortliche Wirtin Wilhelmine Jacobs nur eine Geldstrafe von 10 Mark.

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Wüste Vorgänge in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 9. August 1915

Bergedorfer Zeitung, 9. August 1915

Zyniker könnten sagen, dass endlich einmal etwas los war im schläfrigen Bergedorf – doch erfreulich waren die „wüsten Vorgänge“ sicher nicht, und ein genauer Blick auf den Artikel lohnt sich: bei der Massenschlägerei handelte es sich offenbar nicht um ein singuläres Ereignis, denn laut Artikel gab es „wieder einmal“ einen „ungewöhnlichen Menschenauflauf“ – da sollte man eigentlich vermuten, dass solche Vorkommnisse schon häufiger Gegenstand der Berichterstattung gewesen wären, aber weit gefehlt: abgesehen von den im Beitrag Randale und Milchpanscherei in Leserbriefen geschilderten ähnlichen, aber wohl deutlich kleineren Ereignissen war dies der erste derartige Bericht seit Kriegsausbruch. Die Bergedorfer Polizei (die dem Landherrn unterstand und nicht dem Bergedorfer Bürgermeister) glänzte hier wie da durch Abwesenheit und wurde – o Wunder! – dafür nun von der Zeitung, die „den guten Ruf unserer Stadt“ in Gefahr sah, scharf kritisiert.
Durchaus überraschend ist, dass die Vorgänge auf den verbreiteten Suff zurückgeführt wurden, denn dieser war ja durch das kürzlich erlassene Verbot des Handels und Ausschanks von Spirituosen (siehe den Beitrag Bergedorf trockengelegt) durch die Militärbehörden deutlich erschwert worden, was die Zeitung erfreute, denn so konnte die Kritik an der Polizei durch das Lob für das Militär wieder ausgeglichen werden, womit die BZ (in heutigen Begriffen) wieder auf der Seite der political correctness stand.

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Zurück aus der Finsternis – die Hamburger Sternwarte in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 9. August 1915

Bergedorfer Zeitung, 9. August 1915

Als die Astronomen aus Bergedorf und anderen deutschen Städten am 27. Juli 1914 in Hamburg ein Schiff bestiegen, um durch die Nordsee, das Mittelmeer, den Bosporus und das Schwarze Meer bis zur Krim, nach Stary Krym, zu reisen und eine totale Sonnenfinsternis zu beobachten, waren sie sicher guter Dinge und ahnten nicht, welche Odyssee ihnen bevorstehen sollte: als willkommene Gäste der russischen Regierung und der Akademie der Wissenschaften St. Petersburg losgefahren, kamen sie als feindliche Ausländer mit verdächtigen Gerätschaften in Feodossia auf der Krim an, denn der Kriegsausbruch hatte sie überholt. Laut dieses Artikels dauerte es über ein Jahr, bis sie die Heimat wieder erreichten, nicht ohne zusätzliche Drangsalierungen in St. Petersburg kurz vor der Ausreise nach Schweden.
Bei dieser Darstellung setzte die BZ allerdings auf ein kurzes Gedächtnis ihrer Leserschaft, um die bösen Russen richtig schlecht aussehen zu lassen, denn am 21. August 1914, dem Tag der Totalität, hatte sie gemeldet, dass sechs Mitglieder der Expedition nach acht Tagen Haft entlassen worden seien, weitere sieben (darunter einige Frauen) würden als Kriegsgefangene nach Orenburg verbracht. (Schon am 18. August 1914 hatte sie berichtet, dass „die“ Mitglieder der Expedition, also alle, nach einem Telegramm aus Bukarest von dort die Heimreise antreten könnten.) Zurückgehalten wurden nach Jochen Schramm, S. 170 – 172, lediglich die vier männlichen Expeditionsteilnehmer, die zur Landsturm-Reserve gehörten. In den Augen der Bergedorfer Zeitung 1915 war dies wohl eine unnötige Differenzierung.

Letztlich: damit waren alle Teilnehmer dieser Expedition unversehrt zurückgekehrt, was vielen Teilnehmern dieses Kriegs versagt blieb. Die im Artikel genannten Feinmechaniker Schmidt und Gehilfe Gosch von der Hamburger Sternwarte in Bergedorf dürften erfreut gewesen sein, als sie „ihre“ Sternwarte, die heute ein Institut der Universität Hamburg ist, wiedersahen.

Die in den Jahren 1906 bis 1912 vom Millerntor nach Bergedorf verlagerte Einrichtung ist fast vollständig erhalten – die unten wiedergegebenen Ansichten aus dem frühen 20. Jahrhundert entsprechen weitgehend dem heutigen sehenswerten Bild; die beiden Kuppelgebäude im Vordergrund wurden durch Nebengebäude ergänzt. Im Nebengebäude des Lippert-Astrographen befindet sich seit einigen Jahren das Besucherzentrum mit Café.

(Kolorierte Ansichtskarte, wohl nach 1912) große Kuppelgebäude v.l.n.r.: Lippert-Teleskop, 1m-Spiegel-Teleskop, Großer Refraktor (davor Mirenhäuschen), ganz links im Hintergrund: Äquatorial, rechts des Weges: Passagenhaus (nicht mehr existent)

(Kolorierte Ansichtskarte, wohl nach 1912) große Kuppelgebäude v.l.n.r.: Lippert-Teleskop, 1m-Spiegel-Teleskop, Großer Refraktor (davor Mirenhäuschen), ganz links im Hintergrund: Äquatorial, rechts des Weges: Passagenhaus (nicht mehr existent)

Die auf der folgenden Fotografie gezeigten Gebäude stehen (ziemlich hinter Bäumen versteckt) auch heute noch.

(kolorierte Ansichtskarte von ca. 1912), v.l.n.r.: Beamtenwohnhaus, Laborgebäude, Hauptdienstgebäude, Großer Refraktor

(kolorierte Ansichtskarte von ca. 1912), v.l.n.r.: Beamtenwohnhaus, Laborgebäude, Hauptdienstgebäude, Großer Refraktor

Die Bemühungen, die Bergedorfer Sternwarte gemeinsam mit anderen historischen Observatorien als „serielle Bewerbung“ für das UNESCO-Weltkulturerbe anzumelden, dauern an.

Weitere Informationsquellen sind die Homepages des Fördervereins und der Gemeinschaft der Freunde.

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„Nach einem Jahr“

Bergedorfer Zeitung, 31. Juli 1915

Bergedorfer Zeitung, 31. Juli 1915

Georg Deck, verantwortlicher Redakteur der Bergedorfer Zeitung für Kommunales und den Tagesbericht, war nicht zurückhaltend in seiner Bilanz nach einem Jahr Krieg, wobei ich nicht so sehr das Eigenlob meine, das er seinem Blatt aussprach, sondern seine Schilderung der Kriegsbegeisterung in Bergedorf – vor einem Jahr las man’s noch anders, siehe den Beitrag Der Kriegsausbruch – Jubel und Sorgen – und sein Loblied auf den Bergedorfer Bürgermeister Dr. Paul Walli.
Hier schrieb Deck auch über gebrachte und noch zu bringende Opfer, aber in einer Art, die den heutigen Leser die Stirn runzeln lässt: nicht ein einziges Wort über die Kriegstoten und Invaliden, an die Familien, die Vater oder Sohn durch den Krieg verloren hatten oder in Angst davor lebten.

Sicher tat die Stadt viel, um materielle Not zu lindern – Bürgermeister Walli hatte die Kriegsfürsorge Bergedorf schnell auf die Beine gestellt und unter den gegebenen Umständen effizient organisiert, wie aus drei jeweils mehr als eine Spalte langen Artikeln Wallis hervorgeht, die die BZ am 2., 3. und 4. August veröffentlichte und auf die hier nur in ausgewählten Punkten eingegangen werden kann.

Nahrungsmittelversorgung:

Im früheren Hotel Stadt Lübeck und in einem Haus am Pool wurden Volksküchen eingerichtet, in denen als bedürftig anerkannte Personen kostenloses Mittagessen erhielten (August 1914: 417 Portionen, Juli 1915: 571 Portionen täglich). Für diesen 3.472 Personen umfassenden Kreis gab es auch kostenlos Brot und Heizmaterial.
„Zur Behebung der zeitweilig sehr großen Kartoffelnot“ kaufte die Stadt Speise- und Pflanzkartoffeln, unterstützte den privaten Kartoffel- und Gemüseanbau durch Flächen, Düngemittel und Saatgut und betrieb auch selbst Kartoffelanbau (siehe hierzu auch den Beitrag Mehr Mangel, weniger welsche Worte). Die städtische Kartoffelernte auf dem Gojenberg erbrachte immerhin 440 Zentner (BZ vom 3. November 1915).

Arbeitsbeschaffung:

Wie in dem Beitrag Von Kriegsnot und Warmbadeanstalt geschildert, legte die Stadt Notstandsarbeiten auf (Tagelohn 3 M) und errichtete einen städtischen Arbeitsnachweis, der in die Landwirtschaft vermittelte und „die Hauptmasse der Arbeitslosen bei den Explosivstoff-Fabriken in Geesthacht“ unterbrachte, sodass 1915 fast nur Jugendliche unter 16 und Arbeiter über 60 beschäftigungslos waren. Besonders schlecht sah es wohl für weibliche Arbeitssuchende aus: für Schulabgängerinnen wurde nach Ostern 1915 eine (freiwillige) „Haushaltungs-Fortbildungsschule“ eingerichtet, die von 40 Mädchen besucht wurde. (Einige) Frauen hatten im Winter die Möglichkeit eines kleinen Arbeitseinkommens durch Näh- und Strickarbeiten für „Liebesgaben“ im Auftrag des Bergedorfer Frauenvereins gehabt.

Organisation und Finanzierung:

Der „Kriegsfürsorgeausschuss“ bestand aus Mitgliedern der Stadtvertretung und des Magistrats sowie dem Amtsrichter Dr. Seebohm und Frau Dr. Thomsen; er konnte über die Mittelvergabe selbständig entscheiden. In welchem Maße städtische Bedienstete bzw. freiwillige Helferinnen und Helfer die Arbeiten unterstützten, ist der Zeitung nicht zu entnehmen.

Die Stadt stellte 100.000 M zur Verfügung, davon 50.000 M für Notstandsarbeiten – durch Eintrittsgelder bei Wohltätigkeitskonzerten und Sammelaktionen der „Kriegsfürsorge Bergedorf“ waren laut Walli weitere 178.295,99 M sowie größere Spenden an Mehl und Milch verbucht worden (siehe BZ vom 4. August 1915) – in den monatlich per Anzeige in der BZ veröffentlichten Einnahmeabrechnungen der Kriegsfürsorge wurden allerdings nur 116.229,86 M aufgeführt (siehe BZ vom 7. August 1915). Die Differenz ist anhand der Bergedorfer Zeitung nicht aufzuklären (und damals offenbar auch niemandem aufgefallen); eventuell hat Walli hier Sonderaktionen wie z.B. die Kaisersgeburtstagsspende und Reichswollwoche, den 100. Geburtstag Bismarcks und Sachspenden eingerechnet.

Von den Ausgaben in Höhe von 119.231,12 M entfielen 90.281,06 M auf Lebensmittel, Milch und Brot.
Der noch nicht verausgabte Betrag von 59.064,87 M würde nach Einschätzung von Bürgermeister Walli bis in den November hinein ausreichen, aber wegen der Teuerung und des Aufbrauchens der Ersparnisse in vielen Haushalten müsse die nächste Sammlung jetzt folgen – und für diese bat auch Deck um „tatkräftigste“ Beiträge.

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