Das auch über Bergedorf regierende Stellvertretende Generalkommando in Altona machte hier mit einem Versammlungsverbot einmal mehr deutlich, wie weit seine Befugnisse über militärische Angelegenheiten hinausgingen. Betroffen war in diesem Falle der „sozialdemokratische Verein“ Bergedorf/Sande und die von ihm geplante interne Veranstaltung zur Lebensmittelteuerung.
Dass es einen beträchtlichen Anstieg der Lebensmittelpreise gab, wird durch zwei Meldungen der Bergedorfer Zeitung – am selben Tag, auf der selben Seite, in der selben Spalte – belegt: die Reichsregierung sah die „leider unvermeidliche Steigerung der Preise für die meisten Lebensmittel“ und wollte zumindest die Kartoffelpreise niedrig halten. Die Stadt Bergedorf kündigte schon einmal an, dass die städtische „Dauerware“ (siehe den Beitrag zur Abfallwirtschaft) zur Neige gehe und bei der nächsten Bestellung mit höheren Preisen zu rechnen sei.
Womöglich befürchtete die „Militärregierung“ in dieser Situation Massenproteste – ganz traute man den Sozialdemokraten trotz des „Burgfriedens“ offenbar nicht. Einige diskriminierende Regelungen waren zwar abgeschafft worden (wohl weil sie völlig unpraktikabel waren: Soldaten wurde erlaubt, in den Läden der „Produktion“ einzukaufen [BZ vom 20. Mai 1915], eine sozialdemokratische Gesinnung bei Militärpflichtigen galt nicht mehr als strafbar [BZ vom 27. April 1915]), aber bei einem Thema, das weite Bevölkerungskreise unmittelbar betraf und erhebliches Protestpotential in sich trug, entschied man sich für das Versammlungsverbot mit dem Ziel des Totschweigens.
Man kann sich vorstellen, dass der „Militärregierung“ dieses Thema unangenehm war – hier hatte sie die Möglichkeit der Unterdrückung, die sie dann nutzte. Erstaunlich ist allerdings, dass wenige Tage später (siehe BZ vom 30. September 1915) der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Stubbe eine Veranstaltung zum selben Thema in Hamburg durchführen durfte.