Törichte Auffassungen einfältiger Leute

Bergedorfer Zeitung, 17. März 1916

Bergedorfer Zeitung, 17. März 1916

Die Honoratioren Ochsenwerders waren sich einig: die vierte Kriegsanleihe war nötig und sinnvoll. Gemeindevorsteher W. Jacobsen leitete die gut besuchte Werbeveranstaltung, der Gemeindepastor Rhine sprach eine Stunde lang in diesem Sinne, und der auch für Ochsenwerder zuständige Bürgerschafts-abgeordnete Bieber (von der Fraktion der Rechten, siehe BZ vom 16. März 1916) forderte gleichfalls zur finanziellen Unterstützung der Kriegsanstrengungen auf.
Überraschen kann bei diesem Bericht eigentlich nur, dass offenbar auch Kritiker anwesend waren und ihre Auffassung vortrugen, „daß die Beschaffung weiterer Geldmittel den Frieden verhindere und den Krieg unnötig hinziehe“: eine so fundamentale Ablehnung von Kriegsanleihen wurde ansonsten nur von der SPD-Minderheit geäußert, die sich nicht dem Burgfrieden unterworfen hatte, aber dass diese auch im ländlichen Ochsenwerder Anhänger hatte, war eigentlich nicht zu erwarten.
Dem Bericht nach „widerlegten“ andere Versammlungsteilnehmer diese „törichte Auffassung einfältiger Leute“, und die nachfolgend im Artikel wiedergegebenen Sätze rückten die Kritiker mindestens in die Nähe von Vaterlandsverrätern, und das wiederum kann nicht überraschen.
Anschließend widmete sich die Versammlung praktischen Fragen wie dem Versand von Osterpaketen an „die Krieger unseres Kirchspiels“ und zeigte Verständnis für die Probleme der Post: man wollte die Pakete dann eben nicht zu Ostern versenden, sondern zu einem postfreundlichen Termin.
Und abschließend kam – natürlich – das Thema der in Gartenbau und Landwirtschaft tätigen Kriegsgefangenen wieder zur Sprache (siehe den Beitrag Kriegsgefangene in Ochsenwerder). Deren Zahl hatte sich (siehe BZ vom 5. Februar 1916) mittlerweile von 165 auf 225 erhöht – die erhobenen Forderungen nach weiteren Zuweisungen wurden allerdings zurückgewiesen.

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Von Delikatessenklausel, Passionsgottesdienst und Kriegsanleihe

Bergedorfer Zeitung, 13. März 1916

Bergedorfer Zeitung, 13. März 1916

Nun also sollte es keine Trüffelwurst und keine anderen Wurstspezialitäten für Feinschmecker mehr geben: für diese gab es bis dahin eine Ausnahmeklausel, derzufolge Delikatessen von den Höchstpreisen ausgenommen waren. Man kann sich unschwer vorstellen, wozu die Regelung geführt hatte: die cleveren Wurstmacher stellten bevorzugt diese Sorten her, weil der Gewinn höher war, was wiederum zur Verknappung von schlichten Würsten geführt haben dürfte. Wahrscheinlich hatten die Behörden den Trick erkannt und versuchten durch Abschaffung der Sonderregelung (bei allgemein höheren Preisen) diesem die Grundlage zu entziehen. Ob’s genützt hat?

In diesen Tagen ging es aber nicht nur um die Wurst, sondern auch um die 4. Kriegsanleihe, für die massiv Werbung gemacht wurde, in Bergedorf unter anderem mit einer Großveranstaltung am 13. März (siehe die Ankündigung in der BZ am 7. und den langen Bericht am 14. März 1916) im Colosseum, in der Bürgermeister Walli, Pastor Blunck, Postdirektor Friedrichs sowie Rektor Müller sprachen und betonten, dass diese Kriegsanleihe eine „Volksanleihe im besten Sinne des Wortes“ sei (Walli) und „in den Bergedorfer Schulen Beträge von 1 Mark an entgegengenommen“ würden (Rektor Müller).

Ob schon 1916 Zeichnungsscheine ausgegeben wurden wie der hier gezeigte der Luisenschule, ist hier nicht bekannt.

Bergedorfer Zeitung, 14. März 1916

Bergedorfer Zeitung, 14. März 1916

Werbeveranstaltungen fanden praktisch überall, so auch in Sande statt, und damit niemand in einen Konflikt zwischen Bekenntnis zum Glauben und zum Vaterland geriet, wurde der für den 15. März geplante Passionsgottesdienst schlicht abgesagt. Und die Gemeinde Geesthacht, die durch die Nagelung des Geesthachter Wappens Geld „für die Geesthachter Krieger bezw. deren Witwen und Waisen“ sammelte, steckte die Einnahmen in die Kriegsanleihe, wie aus der vorläufigen Abrechnung hervorging (siehe BZ vom 14. März 1916), denn man wollte es ja sicher und zugleich profitabel anlegen – daraus allerdings wurde nichts, wie im Beitrag Eine sichere Geldanlage nachzulesen ist.

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Kein Homer-Hüt-Laufen im Krieg

Bergedorfer Zeitung, 4. März 1916

Bergedorfer Zeitung, 4. März 1916

Homer-hüt-Laufen war, und das beschrieb der Autor des Artikels zutreffend, eine Aktion der Kinder in der Fastenzeit, und es besteht kein Grund, seine Angabe zu bezweifeln, dass dieses im Jahre 1916 in Ochsenwärder nicht stattfand, aber ansonsten ist der Artikel eher dürftig und in mancher Hinsicht fragwürdig.
Warum „Homer hüt“? An den Dichter der griechischen Antike, falls sie überhaupt je von ihm gehört hatten, dachten die Kleinen sicher nicht. Sie hatten einen kleinen Hammer (plattdeutsch: Homer, Betonung auf der ersten Silbe), mit dem sie an die Haustür aller erreichbaren Häuser schlugen. Sie baten singend um einen kleinen Kloß (lütten Klüt), und zwar möglichst zügig, denn man wollte ja noch zum nächsten Haus. Wenn es aber dauerte, konnte das Lied problemlos fortgesetzt werden – eine Fortsetzung findet man online in De Latücht Nr. 67 (S. 13), und wenn die auch nicht ausreichte, konnte man z.B. noch anhängen:
Een Huus achtern Enn
dor gifft dat ’n Penn.
Ob das Homer-Hüt-Laufen wirklich als altgermanisches Erbgut aus heidnischer Vorzeit die katholische Ära in Norddeutschland überstand und mit Umwidmung in protestantischer Zeit ins 20. Jahrhundert gelangte, wie der Verfasser „L.“ vor hundert Jahren meinte, darf bezweifelt werden – Belege für diese Hypothese ließen sich nicht finden.
Aber egal welchen Ursprungs, der Brauch war (nicht nur) in und um Bergedorf als „Faßlåbendloopen“ einmal weitverbreitet, wie Ernst Finder, Die Vierlande, II. Teil, S. 189f) schrieb: „Am Montag wurde Bergedorf, am Dienstag Neuengamme, am Mittwoch Curslack und Altengamme, am Donnerstag Kirchwärder-Norderseite und am Freitag Kirchwärder-Süderseite besucht.“ Im Raum Billwärder (und damit vermutlich Moorfleet und Allermöhe) waren um 1850 in der Fastnachtswoche sogar Kinder aus Bergedorf und Hamburg unterwegs, um Gaben zu erbitten bzw. zu ersingen (Ernst Finder, Die Landschaft Billwärder, S. 353). Zu jener Zeit hatten die größeren Knaben Rummelpötte, die kleineren Jungen und die Mädchen kleine Holzhämmer, die den Takt für die Gesänge angaben – die Texte sind in den angegebenen Büchern Ernst Finders abgedruckt.
1916 kam der Rummelpott offenbar nicht mehr zum Einsatz, sondern nur noch der kleine Holzhammer, in der Regel vom Vater in kindgerechter Größe eigens zu diesem Zweck hergestellt, sodass sich der Begriff „Homer-hüt-Laufen/-Loopen“ etablierte und bis heute hielt, denn der Krieg bereitete der „alten volkstümlich bedeutsamen Kindersitte“ wirklich nur ein vorläufiges Ende: auch 2016 waren in Kirch- und Ochsenwerder wieder Homer-hüt-Löpers unterwegs, wobei Ganztagsschule und -kindergarten die Zahlen erheblich reduziert haben. Holzhammer und Leinenbeutel haben nur noch wenige: Kochlöffel und Plastiktüte tun’s ja auch. Und sollte heutzutage jemand den Kindern Klüten oder andere Backwaren statt Süßigkeiten anbieten, so würde er sicher in erstaunte Kinderaugen blicken.
Der Autor des Zeitungsartikels könnte übrigens der damalige Ochsenwärder Lehrer W. F. Lembke gewesen sein (vgl. Das Kirchspiel Ochsenwärder im Weltkriege).

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Laue Gewerkschafter in Geesthacht

Bergedorfer Zeitung, 23. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 23. Februar 1916

33 der Geesthachter Gewerkschaftsmitglieder waren nach anderthalb Jahren Krieg bereits gefallen –leider fehlt im Artikel der BZ die Angabe, wie viele Gewerkschaftsmitglieder insgesamt zum Militär eingezogen worden waren.
Der Zuwachs an Arbeitern in Geesthacht, Düneberg und Krümmel schlug sich offenbar nicht in einer steigenden Mitgliederzahl nieder, denn diese wurde nur als „schwankend“ bezeichnet. Die Gründe wüsste man gern, und ebenso sehr die Gründe der „Lauheit“ bei den Gewerkschaftern, und was mit Lauheit hier konkret gemeint war: schlechte Beitragsmoral? mangelndes Engagement in der Gewerkschaftsarbeit? und worin bestand die Gewerkschaftsarbeit angesichts des Burgfriedens, der Streiks zur Durchsetzung von Forderungen ausschloss?
Auch der Bildungsausschuss musste sich Kritik der Delegierten gefallen lassen – offenbar wegen Untätigkeit, denn die Forderung, er möge „etwas [!] zur Bildung und Unterhaltung der hiesigen Arbeiterschaft unternehmen“ war schon sehr deutlich.

Bergedorfer Zeitung, 27. Mai 1916

Bergedorfer Zeitung, 27. Mai 1916

Der Bildungsausschuss nahm die Kritik auf und organisierte Theateraufführungen, die durchaus anspruchsvoll waren: schon im Mai kam im Lokal von H. Mosel „Die Frau vom Meer“ auf die Bühne, präsentiert vom „Ibsen-Ensemble (Internationale Tournee Maria Rehoff)“, wie es auf den Ibsen-Seiten der Norwegischen Nationalbibliothek bezeichnet wird. Eine zweite Aufführung fand im August mit Henrik Ibsens „Rosmersholm“ und derselben Schauspielertruppe statt – vielleicht war der „Baumeister Solness“, ein Stück mit auch sozialkritischer Dimension, gerade nicht im Repertoire.

Auf jeden Fall kam Abwechslung in das Geesthachter Kulturleben, das nun nicht mehr auf Militärkonzerte, vor allem der Kapelle des Wachtkommandos, beschränkt war.

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Hunde sind Mitesser!

Bergedorfer Zeitung, 26. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 26. Februar 1916

Man könnte vom großen Hundestreit zu Bergedorf sprechen, der schon im Vorjahr seinen Niederschlag in der Bergedorfer Zeitung gefunden hatte. 1916 nahm dann die Schärfe der Auseinandersetzung zu.
„Uns wird geschrieben:“ – So leitete die BZ diesen Artikel in den Lokalspalten ein, statt ihn in die Rubrik Sprechsaal, wie damals Leserbriefe genannt wurden, zu stecken, und der ungenannt bleibende Verfasser griff hier in seiner Kritik am herrschenden „Hundekultus“ zu starken Worten: überflüssige Hunde wären „schädliche Mitesser und Verursacher mancher Belästigungen“ – er setzte darauf, „daß der Krieg auch hier wohltätig wirkt“ (was natürlich zu der Frage führt, welche anderen wohltätigen Wirkungen des Krieges ihm vorschwebten). Sein Vorschlag, die Luxus- und Renommierhunde zu Schweinefutter und auch Fell und Haare zu verarbeiten, war schon radikal.

Bergedorfer Zeitung, 25. März 1916

Bergedorfer Zeitung, 25. März 1916

Dies wiederum ließ die Hundefreunde in Bergedorf nicht ruhen – hier die Antwort der Besitzerin eines Pudels, die ihren Tello nicht mit „menschlicher Nahrung“ fütterte, sondern nur mit Kartoffeln (die sie bei genauem Lesen doch essen würde, wenn da nicht der Hund wäre), eingeweichtem Hühnerfutter (dessen Beschaffung in Sande die Gemeinde übernahm, siehe BZ vom 1. April 1916) und den nicht reichlichen Knochen des Mittagstisches. Ihrer Ansicht nach war Bergedorf damals nicht „am Rande einer Hungersnot“ (was andere Bergedorfer mit chronisch knurrenden Mägen anders empfanden).
Von beiden Seiten wurde verbal also mit schwerem Kaliber geschossen, dem jeweiligen Andersdenkenden ein schlechter Dienst am Vaterland attestiert, und es ging hin und her: weitere Sprechsaal-Beiträge zum Thema druckte die BZ am 21. und 23. März, am 26. April, am 15. Mai – da fragt man sich, ob es ein Bergedorfer Schäferhund war, der nach Preußen ent- und der Gemeinde Sande zulief, weil er sich nicht mehr sicher fühlte. Amtsvorsteher (Gustav) Maik war das egal, er wollte den Hund einfach zugunsten der Amtskasse verkaufen, was angesichts der damaligen Finanzlage verständlich ist:

Bergedorfer Zeitung, 2. März 1916

Bergedorfer Zeitung, 2. März 1916

Angesichts der geschilderten Bergedorfer Debatten stimmt eine andere Zeitungsannonce, die am 8. August 1916 in der BZ erschien, misstrauisch: ein nicht namentlich genannter Inserent kündigte für den folgenden Tag beim Gasthof Zur Sonne den „Ankauf von Hunden aller Art“ an – Berichte über Erfolg oder Misserfolg der Aktion gab es keine.

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Die Erweiterung des Krankenhauses

Bergedorfer Zeitung, 17. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 17. Februar 1916

Vorweg eine Lesehilfe für Nicht- und Neu-Bergedorfer: wenn in diesem Zeitungsartikel das Wort „Stadt“ gebraucht wurde, so war damit Bergedorf gemeint, und „Staat“ bezeichnete Hamburg insgesamt. Bergedorf war damals ja auch im rechtlichen Sinn eine Stadt und Teil des „Staats“ Hamburg (siehe Gesetze und Verordnungen für die Stadt Bergedorf, Online-Ausgabe, S. 17 – 27). Manche Bergedorfer gehen auch heute noch in die „Stadt“, wenn sie Bergedorf meinen, ansonsten fahren sie nach Hamburg. Und eine weitere Lesehilfe: die heutige Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hieß damals Finanzdeputation, und diese Bezeichnung ist nach wie vor über dem Eingang des Gebäudes dieser Behörde am Gänsemarkt zu sehen.
Nun zum eigentlichen Thema des Artikels, der Erweiterung des „staatlichen Krankenhauses“ in Bergedorf und der Parlamentsrede des Bergedorfer Bürgerschaftsabgeordneten Wilhelm Wiesner, die nicht von Partei-, sondern von Kirchturmspolitik geprägt war: er beklagte die zu geringe Zahl der Betten, die zudem teilweise von Patienten aus dem „umliegenden hamburgischen und preußischen Gebiet“ wären (wobei er die Plan-Bettenzahl zu niedrig angab, denn es waren 55, siehe 75 Jahre Allgemeines Krankenhaus Bergedorf, S. 7). Vor allem fuchste es ihn, dass Hamburg nicht den von Bergedorf geforderten Quadratmeterpreis für das Grundstück zahlen wollte und Bergedorf die nötigen Straßenbauarbeiten aus der Stadtkasse bestreiten sollte. Trotzdem warb Wiesner um Zustimmung für die Vorlage, die auch tatsächlich beschlossen wurde.

Doch zwischen Beschluss und Umsetzung kann manchmal viel Zeit vergehen: auf dem seit 1916 also bereitstehenden Grundstück (siehe die Abbildung in Kultur- und Geschichtskontor (Hg.), 100 Jahre Bergedorfer Krankenhaus, S. 23) begannen die Bauarbeiten erst 1952 (siehe den Beitrag Das erste Krankenhaus), und erst nach Einweihung des Neubaus (1954) und des Bethesda-Krankenhauses (1953) war der Bettenmangel abgestellt.

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Eine Protestkundgebung bei Bürgermeister Walli

 

Bergedorfer Zeitung, 18. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. Februar 1916

Vermutlich hatte die wirklich ruhige Lamprechtstraße einen solchen Auflauf noch nicht gesehen wie er sich am 17. Februar 1916 dort ereignete, und zwar vor dem Haus Nr. 7, in dem Bürgermeister Walli wohnte (siehe Adressbuch von Bergedorf 1915). Zwar hatte es im Krieg schon „Unruhen“ in Bergedorfs Innenstadt gegeben, die die BZ aber auf zuviel Alkohol (siehe die Beiträge Randale und Milchpanscherei sowie Wüste Vorgänge in Bergedorf) zurückführte; wenn politischer Protest drohte, reagierten die Behörden präventiv mit Veranstaltungsverboten (siehe die Beiträge Feierverbot für Freidenker und Ein Versammlungsverbot), doch jetzt fand erstmals im Krieg etwas statt, was eine eindeutig politische Dimension hatte: eine Protestkundgebung gegen den durch den Krieg ausgelösten Buttermangel (siehe den Beitrag Szenen beim Butterverkauf).
Die ablehnende Haltung des Journalisten, der diesen Bericht verfasste, zu den Protesten ist unschwer zu erkennen. Zwar räumte er die „Butter- und Fettenot“ ein, doch relativierte er diese wenige Zeilen später mit dem Verweis auf den „im Frieden üblich gewesenen überaus großen Verbrauch“ im Ort, der „in der Kriegszeit natürlich nicht weiterhin stattfinden“ könne, und sah dann nur noch einen aktuellen „unvermeidlichen Mangel an Fettstoffen“. Er kam zu dem Ergebnis, dass „derartige Kundgebungen überflüssig“ seien, zumal die Verwaltung alles tue, um die Lage zu verbessern. Nein, auf der Seite der Demonstranten stand er sicher nicht – und wenn er die Menge als „zum Teil aus halbwüchsigen Burschen“ bestehend bezeichnete, so wüsste man gern, wer die anderen Teilnehmer an der Kundgebung waren: die Nachbarn von Bürgermeister Walli werden es nicht gewesen sein, sondern eher die Bewohner der ärmeren Stadtviertel. Und im letzten Satz des Artikels wurden die „unvernünftigen Kundgebungen“ (Warum Plural? Gab es da noch mehr?) schließlich zu „Tumulten“, die unnachsichtig zu verfolgen seien. Und ob es wirklich Rädelsführer gab, die man verfolgen konnte?
Die Stimmung in der Stadt scheint aber stark aufgeheizt gewesen zu sein, denn wenige Tage nach dem öffentlichen Protest kam als Versuch der Beruhigung die öffentliche Verteidigung des Bürgermeisters per Zeitungsannonce, in der ihn die Ratmänner und Bürgervertreter – einschließlich der drei Sozialdemokraten – ausdrücklich für seine Leistungen „auch in der Frage der Volksernährung“ lobten.
Gelöst war das Problem der Butterversorgung damit aber nicht – es wird das Blog weiter beschäftigen.

Bergedorfer Zeitung, 23. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 23. Februar 1916

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Szenen beim Butterverkauf

Bergedorfer Zeitung, 12. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 12. Februar 1916

Wer immer den Bericht über die „Szenen beim Butterverkauf“ geschrieben hat: so anschauliche Artikel fand man damals nur sehr selten in der Bergedorfer Zeitung, und der Gesamttenor ist ein durchaus kritischer, weshalb die Redaktion wohl das Autorenkürzel „-g.“ an den Anfang gesetzt hat. Damit ist der Verfasser zwar nicht identifizierbar, aber es ist klar, dass er nicht zur Redaktion der BZ gehört, und darauf kam es dem für die lokalen Meldungen verantwortlichen Redakteur wohl an.

Es können ja alle Blog-Leserinnen und -Leser überlegen, wie hoch ihr Butter- oder Margarineverbrauch ist, ob sie mit der Wochenration von 125 Gramm pro Person auskommen würden – man darf es, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, bezweifeln. Auch möge man überlegen, was man gemacht hätte, wenn man nichts abbekommen hätte, weil im Februar 1916 ja längst nicht alle versorgt wurden: „Der Bedarf wurde nicht annähernd gedeckt.“

Die Gründe für den Milch- und Buttermangel und mögliche Abhilfe muss man sich aus verschiedenen Ausgaben der Bergedorfer Zeitung zusammensuchen: in einem Artikel vom 25. Februar 1916 wurde darauf hingewiesen, was „für jeden Kenner landwirtschaftlicher Verhältnisse bekannt“ war: viele Kühe stünden von Dezember bis Februar „trocken“, würden also nur wenig Milch produzieren. Im März begönnen die Monate des Kälberwerfens und des Weidegangs, die zu erhöhter Produktion führten – die Problemlösung käme dann von allein. So lange wollte aber der stellvertretende kommandierende General des 9. Armeekorps nicht warten: er verordnete den Landwirten einen Milchlieferungszwang an ihre bisherigen Abnehmer, um ein Ausweichen auf die „Selbstverbutterung“ durch marktwirtschaftlich denkende Bauern ebenso wie den Verkauf nur an Gemeinden, die den Höchstpreis ausschöpften, zu unterbinden (siehe den „Tagesbericht“ der BZ vom 12. Februar 1916).

Bergedorfer Zeitung, 4. Januar 1916

Bergedorfer Zeitung, 4. Januar 1916

In den ersten Tagen des Jahres hatte die Bergedorfer Zeitung einen anderen Vorschlag wiedergegeben, mit dem dem Buttermangel begegnet werden sollte – die Herstellung von „Sparbutter“. Ob dem Projekt Erfolg beschieden war, konnte man der BZ nicht entnehmen – allerdings dürfte kaum eine Hausfrau ihre knappe Butterration dafür aufs Spiel gesetzt haben, denn „Erfahrungen scheinen mit diesem Rezept noch nicht gemacht zu sein“.

Die Butterkrise dauerte jedenfalls an, wie in einem der folgenden Beiträge geschildert wird. Sie nahm sogar noch an Schärfe zu.

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Die Arbeiterzüge der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn

Bergedorfer Zeitung, 5. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 5. Februar 1916

Übervolle Züge kennen die Bergedorferin und der Bergedorfer auch heute, allerdings auf der S-Bahn-Strecke nach Hamburg, denn Richtung Geesthacht gibt es ab Bergedorf nur gelegentlich Verkehr mit einer Museumsbahn, der fahrplanmäßige Verkehr der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn (BGE) wurde 1953 eingestellt. Auf den verbliebenen Teilen der Strecke bietet die Arbeitsgemeinschaft Geesthachter Eisenbahn e.V. einen Museumsbahnbetrieb an, z.T. mit Originalfahrzeugen (siehe die Abbildungen dort).
Im Februar 1916 eröffnete dieser Leserbrief eine erbitterte Debatte: „A. B.“ beklagte die fehlende Heizung, mangelnde Sauberkeit und Instandhaltung der Züge sowie deren Überfülltheit: „zusammengepreßt wie die Heringe“ seien die Fahrgäste – und das ist glaubwürdig. Mehrere Autoren haben sich mit der Geschichte der BGE befasst: Jürgen Opravil, Hans Egon Metzger und Olaf Krüger, und die drei Publikationen ergänzen einander: nach Krüger (S. 100) beförderte die BGE im Geschäftsjahr 1913/14 rund 550.000 Personen, im folgenden 880.000 und 1915/16 dann 1,6 Millionen. Der Bestand an Personenwagen hatte sich laut Opravil (S. 107) von 20 im Jahre 1912 auf 25 im Jahr 1915 und 28 im darauffolgenden Jahr erhöht: der Zunahme des Personenverkehrs um 291 Prozent stand eine Erhöhung der Transportkapazität nur um 25 bzw. 40 Prozent gegenüber. Die zusätzlich beschafften Wagen waren solche der „III. Klasse zur Arbeiterbeförderung“, wie sie bei Metzger (S. 18f.) ebenso abgebildet sind wie die der II. Klasse (S. 16f.), und die Klassenunterschiede waren eklatant: Holzbänke und viele Stehplätze (versus Polstersitze in kleinen Abteilen in der II. Klasse) sorgten für den Massentransport zu den Fabriken in Düneberg und Geesthacht. Unter der fehlenden Heizung mussten die Fahrgäste wohl klassenübergreifend leiden, denn die Heizkesselwagen waren für die Lazarettzüge abgezogen worden (siehe BZ vom 27. Dezember 1915 und wieder am 23. September 1916).
Der Schlusssatz des Leserbriefes öffnet dann eine politische Dimension: „Wir leben im Burgfrieden und Nörgeln ist nicht angebracht, aber hier soll und muß es heißen: Fort mit dem Schlendrian, bessere Zustände für die Fahrgäste!“ Mit anderen Worten: ohne die  Burgfriedensvereinbarung hätte der Briefschreiber es nicht beim Appell zur Besserung per Leserbrief belassen, sondern zu Protesten aufgerufen, und die Bezugnahme auf den Burgfrieden macht es wahrscheinlich, dass der Autor dem gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Lager zuzurechnen ist.

Bergedorfer Zeitung, 9. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 9. Februar 1916

Die Retourkutsche kam wenige Tage später in massiver Form: die BGE bemühe sich, aber es fehle an Bediensteten, und so seien „kleine Mißstände“ unvermeidlich. Dem Beschwerdeführer wurde empfohlen, „den von mir neun Monate im Schützengraben innegehabten Platz zu übernehmen, den er wohl schon nach Verlauf von einigen Tagen gern wieder verlassen möchte, um mit einer anderen Gesinnung nach hier zurückzukehren.“ Mit anderen Worten: Herr A.B. sollte froh sein, dass er nicht an der Front zu sein hatte, wo ihm seine „Gesinnung“ ausgetrieben würde. Dem entgegnete ein weiterer Teilnehmer an dieser Leserbrief-Debatte (siehe BZ vom 9. Februar 1916), dass man sich die Gesinnung, die „solche geradezu ungeheuerlichen Zustände ermöglicht“, merken wolle – da ist der drohende Unterton unverkennbar.
Die Kontroverse im „Sprechsaal“ ging weiter, bis die BZ am 11. Februar 1916 lapidar verkündete: „Wir schließen hiermit die Auseinandersetzungen über diese Angelegenheit.“ Gründe wurden nicht genannt – hatte die Redaktion oder hatte die Zensurbehörde die Befürchtung, dass eine Fortsetzung die Stimmung weiter anheizen würde?
Was bewirkten die Leserbriefe? Nichts. Erst 1917 standen 17 zusätzliche Personenwagen zur Verfügung (Opravil, S. 107), aber die die Fahrgastzahlen stiegen im Geschäftsjahr 1917/18 auf acht Millionen (Krüger, S. 100). Die Heringe wurden noch enger gepackt.

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Verhalten bei Luftangriffen

Bergedorfer Zeitung, 4. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 4. Februar 1916

Dass die Geesthachter Bevölkerung Anfang 1916 vor der Gefahr von Luftangriffen gewarnt wurde, nicht aber die Bergedorfs, ist nur dadurch zu erklären, dass die eigentlichen Ziele feindlicher Flugzeuge, Luftschiffe oder auch Ballons sicherlich die Rüstungsbetriebe in Krümmel und Düneberg gewesen wären. Um diese zu schützen, waren bei Geesthacht Abwehrgeschütze stationiert: im Geesthachter Heimatbuch von 1929 (S. 182f.) heißt es, dass insgesamt 180 Artilleristen zu diesem Teil des Wachtkommandos gehörten – diese Angabe wie auch die genauen Orte der Geschützstellungen durften während des Krieges nicht veröffentlicht werden, obwohl man unterstellen kann, dass die Geesthachter Bevölkerung Bescheid wusste: zwar lag die große Stellung auf dem „Runden Berg“ außerhalb der Ortschaft, aber unbemerkt kann sie genausowenig geblieben sein wie die Stellungen in Besenhorst, Tespe, Marschacht, Hasenthal (zwischen Wiershop und Krümmel) und Horstberg a.d. Elbe (?), die im Geesthachter Heimatbuch genannt werden.

Undatierte Ansichtskarte, wohl frühes 20. Jahrhundert

Runder Berg in Geesthacht. Undatierte Ansichtskarte, wohl frühes 20. Jahrhundert

Die Verhaltensmaßregeln für die Zivilbevölkerung waren eindeutig: schnellstens Schutz suchen, denn nicht nur die Bomben stellten eine Gefahr dar, sondern ebenso „die wieder zur Erde fallenden Geschoßteile des eigenen Abwehrfeuers.“
Nach einer Stichwort-Recherche im online-Zeitungsarchiv der European Library hat es im Ersten Weltkrieg keine Luftangriffe auf Geesthacht und Umgebung gegeben, wohl aber auf die in Württemberg liegende Pulverfabrik Rottweil. Berichte französischer Zeitungen (siehe Le Matin vom 11. August 1916) gaben dabei durchweg die Schäden größer an als deutsche Berichte (siehe z.B. Berliner Zeitung vom 5. März 1915). Das erste Opfer des Krieges ist eben die Wahrheit, wie es schon bei Aischylos hieß.

Schwarzwälder Bote, 11. August 1916

Schwarzwälder Bote, 11. August 1916 (Quelle: Kreisarchiv Rottweil)

Ergänzung am 14.02.2016: Nach Veröffentlichung des vorstehenden Textes gingen hier Ergebnisse einer von Steffen Lippitz vom Kreisarchiv Rottweil vorgenommenen Recherche ein: über die Angriffe auf Rottweil brachte die Lokalzeitung, der Schwarzwälder Bote, an zwei Tagen Meldungen mit der Quellenangabe „Wolffs Telegraphisches Bureau“, wobei die Meldungen aus Paris

Schwarzwäler Bote, 12. August 1916

Schwarzwälder Bote, 12. August 1916 (Quelle: Kreisarchiv Rottweil)

bemerkenswerterweise einen Tag früher gedruckt wurden. Wie groß die Schäden bei diesem und den weiteren Angriffen waren, ist am ehesten dem Bericht der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft/Werk Rottweil (Quelle: Kreisarchiv Rottweil, Signatur A III RO 9442,2 Nr. 2) zu entnehmen, der vom 3. August 1933 stammt – die Vermutung liegt nicht fern, dass dabei schon an den nächsten Krieg gedacht wurde , in dem dann auch die Pulverfabrik Düneberg und die Dynamitwerke Krümmel bombardiert wurden (siehe Industriemuseum Geesthacht).

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