Eine Protestkundgebung bei Bürgermeister Walli

 

Bergedorfer Zeitung, 18. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 18. Februar 1916

Vermutlich hatte die wirklich ruhige Lamprechtstraße einen solchen Auflauf noch nicht gesehen wie er sich am 17. Februar 1916 dort ereignete, und zwar vor dem Haus Nr. 7, in dem Bürgermeister Walli wohnte (siehe Adressbuch von Bergedorf 1915). Zwar hatte es im Krieg schon „Unruhen“ in Bergedorfs Innenstadt gegeben, die die BZ aber auf zuviel Alkohol (siehe die Beiträge Randale und Milchpanscherei sowie Wüste Vorgänge in Bergedorf) zurückführte; wenn politischer Protest drohte, reagierten die Behörden präventiv mit Veranstaltungsverboten (siehe die Beiträge Feierverbot für Freidenker und Ein Versammlungsverbot), doch jetzt fand erstmals im Krieg etwas statt, was eine eindeutig politische Dimension hatte: eine Protestkundgebung gegen den durch den Krieg ausgelösten Buttermangel (siehe den Beitrag Szenen beim Butterverkauf).
Die ablehnende Haltung des Journalisten, der diesen Bericht verfasste, zu den Protesten ist unschwer zu erkennen. Zwar räumte er die „Butter- und Fettenot“ ein, doch relativierte er diese wenige Zeilen später mit dem Verweis auf den „im Frieden üblich gewesenen überaus großen Verbrauch“ im Ort, der „in der Kriegszeit natürlich nicht weiterhin stattfinden“ könne, und sah dann nur noch einen aktuellen „unvermeidlichen Mangel an Fettstoffen“. Er kam zu dem Ergebnis, dass „derartige Kundgebungen überflüssig“ seien, zumal die Verwaltung alles tue, um die Lage zu verbessern. Nein, auf der Seite der Demonstranten stand er sicher nicht – und wenn er die Menge als „zum Teil aus halbwüchsigen Burschen“ bestehend bezeichnete, so wüsste man gern, wer die anderen Teilnehmer an der Kundgebung waren: die Nachbarn von Bürgermeister Walli werden es nicht gewesen sein, sondern eher die Bewohner der ärmeren Stadtviertel. Und im letzten Satz des Artikels wurden die „unvernünftigen Kundgebungen“ (Warum Plural? Gab es da noch mehr?) schließlich zu „Tumulten“, die unnachsichtig zu verfolgen seien. Und ob es wirklich Rädelsführer gab, die man verfolgen konnte?
Die Stimmung in der Stadt scheint aber stark aufgeheizt gewesen zu sein, denn wenige Tage nach dem öffentlichen Protest kam als Versuch der Beruhigung die öffentliche Verteidigung des Bürgermeisters per Zeitungsannonce, in der ihn die Ratmänner und Bürgervertreter – einschließlich der drei Sozialdemokraten – ausdrücklich für seine Leistungen „auch in der Frage der Volksernährung“ lobten.
Gelöst war das Problem der Butterversorgung damit aber nicht – es wird das Blog weiter beschäftigen.

Bergedorfer Zeitung, 23. Februar 1916

Bergedorfer Zeitung, 23. Februar 1916

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