Kein Homer-Hüt-Laufen im Krieg

Bergedorfer Zeitung, 4. März 1916

Bergedorfer Zeitung, 4. März 1916

Homer-hüt-Laufen war, und das beschrieb der Autor des Artikels zutreffend, eine Aktion der Kinder in der Fastenzeit, und es besteht kein Grund, seine Angabe zu bezweifeln, dass dieses im Jahre 1916 in Ochsenwärder nicht stattfand, aber ansonsten ist der Artikel eher dürftig und in mancher Hinsicht fragwürdig.
Warum „Homer hüt“? An den Dichter der griechischen Antike, falls sie überhaupt je von ihm gehört hatten, dachten die Kleinen sicher nicht. Sie hatten einen kleinen Hammer (plattdeutsch: Homer, Betonung auf der ersten Silbe), mit dem sie an die Haustür aller erreichbaren Häuser schlugen. Sie baten singend um einen kleinen Kloß (lütten Klüt), und zwar möglichst zügig, denn man wollte ja noch zum nächsten Haus. Wenn es aber dauerte, konnte das Lied problemlos fortgesetzt werden – eine Fortsetzung findet man online in De Latücht Nr. 67 (S. 13), und wenn die auch nicht ausreichte, konnte man z.B. noch anhängen:
Een Huus achtern Enn
dor gifft dat ’n Penn.
Ob das Homer-Hüt-Laufen wirklich als altgermanisches Erbgut aus heidnischer Vorzeit die katholische Ära in Norddeutschland überstand und mit Umwidmung in protestantischer Zeit ins 20. Jahrhundert gelangte, wie der Verfasser „L.“ vor hundert Jahren meinte, darf bezweifelt werden – Belege für diese Hypothese ließen sich nicht finden.
Aber egal welchen Ursprungs, der Brauch war (nicht nur) in und um Bergedorf als „Faßlåbendloopen“ einmal weitverbreitet, wie Ernst Finder, Die Vierlande, II. Teil, S. 189f) schrieb: „Am Montag wurde Bergedorf, am Dienstag Neuengamme, am Mittwoch Curslack und Altengamme, am Donnerstag Kirchwärder-Norderseite und am Freitag Kirchwärder-Süderseite besucht.“ Im Raum Billwärder (und damit vermutlich Moorfleet und Allermöhe) waren um 1850 in der Fastnachtswoche sogar Kinder aus Bergedorf und Hamburg unterwegs, um Gaben zu erbitten bzw. zu ersingen (Ernst Finder, Die Landschaft Billwärder, S. 353). Zu jener Zeit hatten die größeren Knaben Rummelpötte, die kleineren Jungen und die Mädchen kleine Holzhämmer, die den Takt für die Gesänge angaben – die Texte sind in den angegebenen Büchern Ernst Finders abgedruckt.
1916 kam der Rummelpott offenbar nicht mehr zum Einsatz, sondern nur noch der kleine Holzhammer, in der Regel vom Vater in kindgerechter Größe eigens zu diesem Zweck hergestellt, sodass sich der Begriff „Homer-hüt-Laufen/-Loopen“ etablierte und bis heute hielt, denn der Krieg bereitete der „alten volkstümlich bedeutsamen Kindersitte“ wirklich nur ein vorläufiges Ende: auch 2016 waren in Kirch- und Ochsenwerder wieder Homer-hüt-Löpers unterwegs, wobei Ganztagsschule und -kindergarten die Zahlen erheblich reduziert haben. Holzhammer und Leinenbeutel haben nur noch wenige: Kochlöffel und Plastiktüte tun’s ja auch. Und sollte heutzutage jemand den Kindern Klüten oder andere Backwaren statt Süßigkeiten anbieten, so würde er sicher in erstaunte Kinderaugen blicken.
Der Autor des Zeitungsartikels könnte übrigens der damalige Ochsenwärder Lehrer W. F. Lembke gewesen sein (vgl. Das Kirchspiel Ochsenwärder im Weltkriege).

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