Große Politik in Bergedorf: Die Friedensresolution und die Deutsche Vaterlandspartei

Bergedorfer Zeitung, 26. September 1917

„Siegfrieden“ oder „Verständigungsfrieden“? Im September 1917 erreichte diese Debatte Bergedorf. Im Juli 1917 hatte der Reichstag mit einer Mehrheit aus Sozialdemokraten, Linksliberalen und Zentrum gegen die Stimmen der Konservativen und Nationalliberalen eine Friedensresolution beschlossen, die „einen Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker“ anstrebte. Zahlreiche Gegner einer solchen Politik fanden sich in der Deutschen Vaterlandspartei zusammen, die einen Siegfrieden mit Annexionen (u.a. Flanderns) erreichen wollte.

Bergedorfer Zeitung, 3. Oktober 1917

In Bergedorf bildete sich eine Ortsgruppe der Vaterlandspartei, die den Hansaschullehrer Prof. Dr. Venzmer zu ihrem Vorsitzenden wählte. Berthold Venzmer war 1914 einer der Unterzeichner des Aufrufs zur Gründung einer Jugendwehr in Bergedorf gewesen (siehe den Beitrag Heldentod und Jugendwehr); über seine beiden Vorstandskollegen in der Partei können keine gesicherten Angaben gemacht werden. Der Schriftführer „A. Zimmermann“ könnte aber durchaus identisch sein mit dem Vorstandsmitglied des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbands gleichen Namens, der 1916 im „Sprechsaal“ der BZ einen Leserbrief veröffentlicht hatte (BZ vom 11. Dezember 1916). Ein M. Dinklage wurde als ein Vertreter der Hausbesitzer in die Mietschlichtungsstelle gewählt (BZ vom 28. September 1917).

Die Mitgliederzahl der Ortsgruppe stieg rasch weiter an: in der Anzeige waren neben den drei Vorständen 66 Mitglieder aufgeführt, durchweg Angehörige der „besseren Kreise“ (Kaufleute, Ärzte, Schulleiter, Pastoren usw.), keine Frauen, keine Sozialdemokraten, kein Mitglied des Magistrats und nur eines (Rud. Behr) der Bürgervertretung. Der Mitgliedsbeitrag lag übrigens mit 1 M pro Monat deutlich über dem der SPD, die von Männern 40 Pf im Monat forderte (1918 erhöht auf 60 Pf, Frauen 15 und dann 25 Pf, siehe BZ vom 29. Januar 1918).

Bis zu der ersten öffentlichen Versammlung der Vaterlandspartei in Bergedorf sollte aber noch reichlich Zeit vergehen: am 25. November referierte Venzmer dann im eher kleinen, aber „voll besetzten“ Saal des Hotels Stadt Hamburg über „Englands Weltpolitik“ und hatte die „lebhafte Zustimmung“ seiner Zuhörer (BZ vom 26. November 1917).

Bergedorfer Zeitung, 11. Oktober 1917

Auch Bergedorfs „Liberaler Verein“ nahm an der öffentlichen Debatte teil: er rief zum Besuch einer Versammlung über „Krieg und Frieden“ mit dem Reichstagsabgeordneten Friedrich Naumann in „Sagebiels Etablissement“ (Hamburg) auf, über die die BZ sehr knapp berichtete, dass er vor „tausenden“ Teilnehmern die Friedensresolution des Reichstags verteidigte (BZ vom 13. Oktober 1917). Einige Wochen später sprach auf Einladung derselben Bergedorfer Liberalen Dr. Paul Rohrbach in Baumanns Gesellschaftshaus: er stellte geopolitische Überlegungen in den Mittelpunkt, die von einem Verständigungsfrieden recht weit entfernt lagen, und erhielt dafür den Beifall seiner Zuhörer (BZ vom 15. Dezember 1917) wie wohl zuvor auch Naumann. Der BZ-Journalist monierte jedoch, dass Rohrbach sich über die Zukunft Belgiens und Polens nicht klar geäußert hätte.

Und die SPD? Sie wollte am 8. Oktober in Hamburg eine öffentliche Versammlung zur Friedensfrage durchführen, die vom Stellvertretenden Generalkommando zunächst verboten wurde (BZ vom 6. Oktober 1917), aber einige Tage später doch stattfand: der Reichstagsabgeordnete Hermann Müller (Wahlkreis Reichenbach) sprach bei Sagebiel vor 6.000 Personen zum Thema „Frieden und Freiheit“ und wandte sich explizit „gegen die Vaterlandspartei und deren Förderung durch die Behörden“ (BZ vom 11. Oktober 1917). In Bergedorf und Geesthacht gab es anscheinend keine öffentlichen SPD-Versammlungen hierzu (vielleicht waren sie untersagt worden), doch in Zollenspieker durfte am 9. Dezember der Reichstagsabgeordnete Heinrich Stubbe über „Verständigungsfrieden und Volksrechte“ sprechen, was die Bergedorfer Zeitung zwar ankündigte (BZ vom 6. Dezember), worüber sie aber nicht berichtete.

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1917

Auch der Sander Bürgerverein wurde aktiv und lud für den 29. Dezember ins Restaurant Wagas ein: Richard Döring (evtl. der stellvertretende Verbandsvorsteher des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbands, siehe Neue Hamburger Zeitung vom 26. April 1917) sollte dort zum Thema „Die Ursachen des Weltkrieges und der kommende Friede“ sprechen. Als Fazit seiner Rede zitierte er Hindenburg: „Der Segen Gottes ruhte 1917 auf unseren Waffen, er wird 1918 unsere gerechte Sache zu einem guten Ende führen.“ (BZ vom 4. Januar 1918).

Die größte Veranstaltung in diesem Quartal hielt jedoch die Vaterlandspartei im Conventgarten und in den zwei größten Sälen bei Sagebiel am 14. Dezember ab: es sprach der Parteivorsitzende Großadmiral Alfred von Tirpitz, und seiner Rede widmete die BZ am 15. Dezember mehr als eine halbe Seite, und das zeigt, wo die politische Sympathie der Zeitung lag.

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50 Jahre katholische Gemeinde in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 22. September 1917

Über die (Bau-)Geschichte der katholischen Gemeinde Bergedorfs wurde bereits in dem Beitrag Die Kirche St. Marien berichtet, und der Zeitungsartikel hier bestätigt den 30. Juni 1867 als Datum des ersten nachreformatorischen katholischen Gottesdienstes in Bergedorf. Die BZ druckte nicht nur diesen Vorbericht zu den Feierlichkeiten, sondern auch einen ausführlichen Nachbericht, in dem die Festreden (teils mit, teils ohne Bezug auf den Krieg) mit jeweils wenigen Sätzen angeführt wurden (BZ vom 24. September 1917).

Fast wäre es nicht zu diesem Bergedorfer Jubiläum gekommen, wie Hans Kellinghusen in seiner „Geschichte der katholischen Gemeinde in Bergedorf 1867 – 1917“ schrieb (S. 2 – 4): der Missionsvikar Heinrich Merten hatte Gottesdiensträume in Sande angemietet, doch auf der Grundlage eines noch gültigen dänischen Gesetzes wurde vom Amt Reinbek die Abhaltung eines katholischen Gottesdiensts dort untersagt, und Merten wich nach Bergedorf aus. Auch hier gab es anfangs Probleme: die Bürgervertretung war nicht begeistert von dem Vorhaben und verweigerte ihre Zustimmung zur Nutzung eines Raums der Stadtschule für den Gottesdienst, doch der beiderstädtische Amtsverwalter Daniel Theodor Kaufmann überließ dem Geistlichen (mit Zustimmung der Visitationskonvents der beiden Städte) den großen Saal im Schloss. Als einen Monat später der König von Preußen die Erlaubnis zur Abhaltung von katholischen Gottesdiensten in Sande gab, war es offenbar zu spät, um die Entwicklung zugunsten Bergedorfs noch umkehren zu können.

Das Wachstum der Gemeinde  von „kaum 50“ auf „etwa 1.800 Seelen“ in ihren ersten fünfzig Jahren war sehr beachtlich; die Statistik des hamburgischen Staates nannte allerdings niedrigere Werte: bei den Volkszählungen 1905 (Heft XXIV) und 1925 (Heft XXXII) hatten sich in der Stadt Bergedorf 880 bzw. 1.189 Personen zum römisch-katholischen Glauben bekannt, in der gesamten Landherrenschaft 1.061 bzw. 1.406; 1915 wurde die Konfession entweder nicht erhoben oder nicht publiziert. Die Differenzen der Zahlen dürften durch Bewohner Sandes zu erklären sein.

Zur Gemeinde zählte nicht nur das Waisenhaus St. Elisabeth, das mit 270 Kindern belegt war (BZ vom 24. September 1917) mit seiner „Hausschule“, die auch von Kindern aus Bergedorf und Sande besucht wurde (Kellinghusen, a.a.O., S. 10) – es gab auch ein reges Vereinsleben: ein Männerverein veranstaltete (im „Lauenburger Hof“) regelmäßige Vortragsabende und Vereinsfeste. Ein Elisabethverein (Frauen) und ein Vinzenzverein (Männer) unterstützten die Armen, für Schulentlassene gab es (seit 1908) eine Marianische Jungfrauenkongregation und (seit 1912) einen Jünglingsverein, über deren Aktivitäten in der Bergedorfer Zeitung nichts zu finden war. Man kann vermuten, dass all diese Vereine versuchten, durch christliche Sozialarbeit die staatliche/städtische Passivität auf diesem Gebiet zumindest teilweise zu kompensieren.

Bergedorfer Zeitung, 1. Dezember 1917

Aber wer Fürsorge betreibt, sollte auch die Vorsorge in ganz irdischen Angelegenheiten nicht vernachlässigen: zwei Gerichtsinstanzen und das Reichsgericht als Revisionsinstanz verurteilten die Gemeinde bzw. den Kirchenvorstand zu einer Schadenersatzzahlung an eine Gottesdienstbesucherin, die in der Nebensakristei in die geöffnete Luke zum Heizungskeller gestürzt war. Der Pastor konnte erleichtert klarstellen, dass die Gemeinde versichert war und die Versicherung den Prozess geführt hatte (BZ vom 3. Dezember 1918) – zumindest in dieser Hinsicht war man vorsorglich aktiv geworden und brauchte sich keinem Vorwurf auszusetzen.

Übrigens: Das am Anfang des Zeitungsartikels oben genannte Jahr 1542 als Jahr der Reformation in Bergedorf ist korrekt. Warum sie im Amt Bergedorf erst vierzehn Jahre später als in Hamburg eingeführt wurde, beschreibt Bardo Metzger in dem Buch Kirche zwischen Dorf und Stadt (S. 36 – 53).

 

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Explosion in Sander Fabrik

Bergedorfer Zeitung, 20. September 1917

„Amtlich“ war es also, dass es in der Fabrik von Weiffenbach in Sande eine Explosion gegeben hatte – oder war der Inhalt der Meldung „amtlich“, d.h. von der Zensur, vorgegeben? Das letztere liegt näher, denn eine Internetrecherche beim Online-Zeitungsarchiv der European Library ergab, dass am folgenden Tag zwei Hamburger Zeitungen fast gleichlautend berichteten. Zwar gaben die Neue Hamburger Zeitung und der Hamburgische Correspondent den Namen der Fabrik nicht korrekt wieder (als Weißenburg bzw. Weißenbach), aber zwei der vier Sätze waren wortgleich. Theoretisch könnte es  sein, dass die Hamburger von den Bergedorfern einfach abgeschrieben haben, aber dagegen spricht, dass die BZ den Materialschaden als „bedeutend“ bezeichnete, die Hamburger Blätter hingegen als „unbedeutend“.

Was stellte die Fabrik her und was entzündete sich selbst? Die Bergedorfer wussten, dass dort Munition produziert wurde (siehe den Beitrag Granatendrehen und andere Kriegsarbeit in Bergedorf und Sande), also werden sie geahnt haben, was die Explosion auslöste, und als sie einige Tage darauf in der BZ lasen, dass die Firma „Arbeiterinnen für Hand- u. Hydraulische Pressen“  (BZ vom 24. September 1917) suchte, werden sie nicht überrascht gewesen sein. Die Stellenbesetzung gelang wohl nicht sofort, denn die Anzeige wurde wiederholt, diesmal größer und zweispaltig (BZ vom 2. Oktober 1917). Der Unternehmensgegenstand wurde beide Male nicht genannt.

Bergedorfer Zeitung, 24. September 1917

Bergedorfer Zeitung, 2. Oktober 1917

Es überrascht, dass die Weiffenbach-Meldung überhaupt in der Bergedorfer Zeitung auftauchte und nicht völlig unterdrückt wurde: für die verheerende Explosion mit 115 Todesopfern in einer Pulverfabrik bei Quickborn am 10. Februar 1917 hatte die BZ (im Gegensatz zu den oben genannten Hamburger Zeitungen) nicht eine Zeile übrig. Eine Katastrophe ähnlichen Ausmaßes, die vor Ort nicht zu verschweigen gewesen wäre, scheint es aber im Verbreitungsgebiet der BZ, zu dem ja auch Düneberg und Krümmel gehörten, nicht gegeben zu haben.

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Vom Autokarussell und von elektrischen Bahnen

Bergedorfer Zeitung, 14. September 1917

Ein wenig Spaß und Vergnügen gab es doch noch, allen Widrigkeiten zum Trotz: der Bergedorfer Schausteller Hermann Bade warb für sein am Portici aufgestelltes Karussell, das dem Trend der Moderne folgend nicht mit Pferdchen, sondern mit Autos ausgestattet war und elektrisch angetrieben wurde. Bilder sind leider nicht verfügbar.

Aber wo der eine Spaß haben möchte, steht der andere schon auf der Spaßbremse:

Bergedorfer Zeitung, 8. September 1917

eine Woche vorher hatte der Reichskommissar für Gas und Elektrizität, Prof. Kübler, die „völlige Einstellung einer großen Anzahl elektrischer Bahnen“ gefordert, denn die im Beitrag Keine Kohle, kein Gas, aber große Kälte geschilderte Knappheit an Kohle bestand weiterhin.

Mangels elektrischer Bahnen im Raum Bergedorf konnte Küblers Forderung wohl nur das Badesche Karussell betreffen – der Großraum Hamburg/Altona dagegen war auf diese Bahnen angewiesen, die Millionen von Fahrgästen beförderten: zwar gab es noch „Pferdebahnen“, doch seit ihrer Einführung 1894 verkehrten auf immer mehr wichtigen Linien „Elektrische“ (zur Geschichte der Straßenbahn in Hamburg siehe Horst Buchholz). Die „Stadt- und Vorortsbahn“ feierte 2007 das hundertste Jubiläum des elektrischen Betriebs (zur Hamburger S-Bahn siehe Lothar Nissle) und hatte Anfang 1918 die „Alstertalbahn“ von Ohlsdorf nach Poppenbüttel endlich in Betrieb nehmen können (BZ vom 12.Januar 1918). Die mit Strom aus eigenem Kraftwerk versorgte Hochbahn hatte 1912 die „Ringlinie“ komplettiert und bis 1915 mehrere „Seitenäste“ dazubekommen und konnte im Januar 1918 auch die Strecke Ohlsdorf – Langenhorn eröffnen (zur Hamburger Hochbahn siehe Reinhard Krause). Wenn es bei diesen Verkehrsmitteln Betriebseinschränkungen oder -stilllegungen gab, waren sie durch das Fehlen von Kohle bzw. Koks zur Stromproduktion verursacht.

Ob Bade der Betrieb seines Karussells untersagt wurde, ist nicht festzustellen. Jedenfalls inserierte er am 21. September erneut in der BZ – ob er anschließend zu einem Jahrmarkt weiterziehen konnte, ist fraglich, denn viele Vergnügungsmärkte wurden abgesagt, so in Bergedorf und Sande und sogar der Dom in Hamburg  (BZ vom 16. August und 15. Oktober 1917).

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Die Spende für Säuglings- und Kleinkinderschutz

Bergedorfer Zeitung, 6. September 1917

Die Zahlen waren erschütternd, und heute sind sie es noch viel mehr: jährlich starben 360.000 Säuglinge und Kleinkinder, und so stellte sich die Kaisertochter Herzogin Viktoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg als Schutzherrin eines vaterländischen Hilfswerks zur Verfügung, das die „Kindersterblichkeit durch Förderung des Kleinkinderschutzes“ verringern wollte: in Bergedorf sollten die Spenden der Warteschule zugutekommen.

Die Sterblichkeit von Säuglingen und Kleinkindern sollte, wie es in der Anzeige hieß, „auf die Ziffern Englands und Frankreichs“ herabgedrückt werden, die offenbar um ein Drittel niedriger lagen – und es ist schon bemerkenswert, dass hier die Hauptkriegsgegner als Vorbilder genannt wurden! Ohne eine königliche Hoheit als Schutzherrin hätten die Zensurbehörden und die Selbstzensur der Presse die Veröffentlichung eines solchen Vergleichs sicher unterbunden.

Auch aus Bergedorfer Sicht war das Anliegen berechtigt: die in der Statistik des hamburgischen Staates (div. Tabellen in den Heften XXVII und XXXI) genannten Zahlen zeigen eine dramatische Entwicklung: die Zahl der Lebendgeborenen in der Stadt Bergedorf hatte sich von 336 (1914) auf 201 (1916) und 171 (1917) etwa halbiert. Ebenfalls war die Zahl der Totgeborenen zurückgegangen (von 9 in 1914 auf 4 in 1916 sowie 3 in 1917), und die Säuglingssterblichkeit lag hier in den Kriegsjahren bei 8,3% (1914), 13,6% (1915), 7,0% (1916), 8,7% (1917) sowie 14,1% (1918), also unter den Werten für Hamburg insgesamt (siehe die Diagramme bei H. Meyer-Delius) – aber einhundert Jahre später wird die Säuglingssterblichkeit nicht mehr in Prozent, sondern in Promille angegeben und liegt jetzt bei 3,3 pro Tausend (siehe Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung). Damals war die Zukunft eines neugeborenen Kindes in mehrfacher Hinsicht düster.

Bei den Kindern sah es kaum besser aus: die Zahl der 1- bis 15jährig Gestorbenen in Bergedorf sank von 27 (1914) über 18 (1915) auf 12 (1916), um dann auf 65 in 1917 zu steigen und wieder auf 13 in 1918 zu fallen.

Bergedorfer Zeitung, 6. September 1917

Aus diesen Bergedorfer Zahlen lässt sich nicht erkennen, dass die „Säuglings- und Kleinkinderspende“, die ja ausschließlich der Warteschule zufließen sollte, eine Verbesserung der Lage erreichte. Möglicherweise wäre der in Sande eingeschlagene Weg ein besserer gewesen: der dortige Vaterländische Frauenverein stellte eine „für Säuglings-Fürsorge besonders ausgebildete Schwester“ ein, die großenteils von Firmen und der Gemeinde finanziert wurde (BZ vom 16. August 1917). Zusätzlich wurde eine Mutterberatungsstunde durch den Arzt Dr. Behrends eingerichtet – eine Aufgabe, die in Bergedorf eventuell der Amtsphysikus Dr. Berkhan innehatte, aber entsprechende Meldungen gab es bis dato nicht.

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2.621 Stallhasen in Sande

Bergedorfer Zeitung, 6. September 1917

Endlich einmal Ergebnisse! Regelmäßig erschienen in der BZ die Bekanntmachungen über die Durchführung der vierteljährlichen Viehzählungen (z.B. am 30. August 1917), aber die Ergebnisse verschwieg die Zeitung fast durchgehend. Nun gab es immerhin Zahlen für Sande, die auf den ersten Blick erträglich aussahen.

Genaueres Hinsehen zeigt aber Probleme: die 49 Pferde werden nicht als Reittiere zu sportlichen oder Vergnügungszwecken genutzt worden sein, sondern als Zugpferde im eigentlichen Sinne des Wortes – ein halbes Jahr vorher waren es noch 57 gewesen. Die Zahl der Rinder ging leicht zurück, überproportional die der Milchkühe, was den Mangel an Milch und Milchprodukten weiter verschärfte. Deutlich verringert war die Zahl der Ziegen, hingegen war die der Schweine sogar gestiegen – bei letzteren muss man aber berücksichtigen, dass sie und die anderen tierischen „Fleischlieferanten“ meist im Herbst geschlachtet wurden, was sich in den Zahlen vom 1. September natürlich noch nicht niederschlug. Der Grund für die Herbstschlachtungen war einfach: es gab nicht genügend Futtermittel, um die Tiere ohne nennenswerten Gewichtsverlust durch den Winter zu bringen.

Die Zahlen vom Dezember 1914 (BZ vom 10. Dezember 1914) zeigen einen dramatischen Rückgang während des Krieges: 1914 waren es 91 Pferde, 141 Rinder, 917 Schweine und 52 Ziegen gewesen, der Bestand an Federvieh und Kaninchen wurde damals noch nicht erhoben.

Apropos Kaninchen, die sich 1917 ja wie die selbigen vermehrt hatten: Kaninchenhaltung ausschließlich mit Grünfutter ist möglich, Hühnerhaltung nicht, und Hühnerfutter war teuer und rationiert (35 Pfennig pro Pfund, BZ vom 14. Oktober und 23. Dezember 1916).

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Das Sophienbad Reinbek, die AOK Bergedorf und die Kriegsfolgen

Sophienbad Reinbek, Ansichtskarte, gelaufen 1906

Heute befindet sich in diesem Gebäude das Amtsgericht Reinbek – gebaut wurde es vor 160 Jahren als „Das Sophienbad. Diätische Pflege- und Wasser-Heilanstalt“, wie auf einer Internetseite des Museumsvereins Reinbek nachzulesen ist.

Bergedorfer Zeitung, 3. September 1917

1917 wurde es von einem Verbund mehrerer Krankenkassen erworben, dem mit einem 1/9-Anteil auch die zum 1. Januar 1914 gegründete Allgemeine Ortskrankenkasse Bergedorf angehörte, um darin ein Kur- und Erholungsheim für die Versicherten einzurichten. 30.000 Mark mussten in bar bezahlt werden, hinzukamen 15.000 Mark Umbaukosten (BZ vom 14. September 1917), sodass die Bergedorfer AOK 5.000 Mark aufbringen musste, was für sie aber kein Problem war, denn bisher hatte sie nur Überschüsse erwirtschaftet, die sie einem Reservefonds zuführte und dort in Kriegsanleihen steckte: nach dem Geschäftsbericht für 1916 war der Reservefonds mit 115.490 Mark dotiert – für 115.000 Mark waren Kriegsanleihen gezeichnet worden (BZ vom 30. April 1917).

„Ein weiterer Schritt vorwärts in sozialer Fürsorge“ sei dieser Kauf, so der Bericht. Man darf aber fragen, ob hier wirklich an eine generell bessere Zukunft gedacht wurde, denn dem Geschäftsführer der AOK Bergedorf, Friedrich Tonn, war sehr bewusst, welche zusätzlichen Aufgaben zu bewältigen sein würden: den Krankenkassen drohten noch schwere Tage, warnte er schon nach einem dreiviertel Jahr Krieg (BZ vom 12. April 1915), und Ende 1915 referierte er über „Kriegsbeschädigtenfürsorge“, sprach über „das Fehlen der Körperteile, Versteifungen, Lähmungen, Verkrümmungen, Verbildungen“ bei Kriegsverletzten und „innere Krankheiten, Rheumatismus, Nervenchocks usw.“ bei Kriegskranken (BZ vom 29. November 1915). Er sprach es nicht aus – aber der Kauf des Sophienbads könnte sich bald als Ort der Heilfürsorge und „Arbeitserlernung“ für Rückkehrer aus dem Krieg als richtig erweisen.

 

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Streik in Düneberg und Krümmel

Bergedorfer Zeitung, 11. September 1917

Ungeachtet des Burgfriedens gab es sowohl in der Pulverfabrik Düneberg als auch in den Dynamitwerken Krümmel im Sommer 1917 eine „Arbeitsniederlegung“, wie die BZ in einem in der Mitte des Artikels unauffällig platzierten Satz berichtete. Immerhin: sie berichtete, während andere Streiks in Hamburg nicht einmal erwähnt wurden.

Es waren nicht die mit der unmittelbaren Kriegsproduktion beschäftigten Arbeitnehmer, die streikten, sondern die an den Kriegsbauten tätigen Bauhandwerker und Zimmerer, die zu diesem Mittel griffen.

Der Konflikt hatte im Frühjahr begonnen, als für das Baugewerbe eine reichsweite Teuerungszulage in Höhe von 15 Pfennig pro Stunde eingeführt wurde, auf die allerdings die erste Teuerungszulage von 4 Pfennig angerechnet wurde (BZ vom 30. April 1917), und offenbar wollten die Arbeitgeber die bisher gezahlte „Pulverzulage“ von 11 Pfennig auf diese Erhöhung anrechnen, sodass die Arbeiter nicht mehr Geld in der Tasche gehabt hätten als vorher. Der auf Grund des Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst eingerichtete Schlichtungsausschuss entschied (am 25. Mai) zu Gunsten der Arbeiter, doch die Arbeitgeber weigerten sich zu zahlen, woraufhin es zur Streikdrohung kam, über die die BZ am 9. August berichtete: „Sollten also, so bemerkt … das ‚Hamburger Echo‘, durch die Nichtanerkennung eines Spruches des gesetzlich eingesetzten Schlichtungsausschusses in den nächsten Tagen Differenzen resp. Arbeitseinstellungen vorkommen, so tragen die Verantwortung nicht die Arbeiter, sondern die Arbeitgeber.“

Es kam tatsächlich zum Streik, wie aus dem Artikel vom 11. September hervorgeht, und aus einem Artikel vom 16. August kann man schließen, dass die Arbeit für ein bis zwei Tage ruhte. Es waren nicht die Baufirmen, die nachgaben, sondern die Pulverfabriken, die „ihre Bereitwilligkeit zur Zahlung der strittigen Summe“ erklärten: als „eine ganz neue, außertarifliche Zulage“. Der Stundenlohn für die ca. 2.800 Bauarbeiter, Zimmerer und Metallbauer stieg damit auf 1,27 M (BZ vom 3. August) – sicher ein Spitzenlohn für die damalige Zeit, doch die Erhöhung wird die längst eingetretenen Preissteigerungen kaum ausgeglichen haben.

Gern wüsste man, wie hoch die Löhne der Arbeiter in der Fabrik waren – die einzigen verlässlichen Zahlen findet man bei Karl Gruber (S. 45): demnach lag der Schichtlohn dort am 1. September 1916 für Männer zwischen 4,75 und 9,40 M (Frauen 3,00 – 4,50 M), am 1. September 1918 zwischen 7,50 und 12,25 M (Frauen 5,50 – 11,00 M).

Die hohe Zahl der Bauarbeiter zeigt, wie umfangreich die Fabriken erweitert und umgebaut wurden: nach Gruber (S. 18) wuchs die Gebäudezahl zwischen 1914 und 1918 von 247 auf 475.

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Das Bergedorfer Stadttheater

Bergedorfer Zeitung, 27. August 1917

Für leichte Muse auf der Bühne schien Bergedorf ein besseres Pflaster zu sein als Elmshorn – sonst hätte die Theaterdirektorin Dora Straube den Sitz der Gesellschaft nicht hierher verlegt. In Bergedorf gab es jedenfalls kaum Konkurrenz: Ende 1916/Anfang1917 hatte es im Colosseum zwei Aufführungen durch ein „Neues Bergedorfer Stadt-Theater“ gegeben (BZ vom 21. Dezember 1916 und 25. Januar 1917), das danach aber nicht wieder auftauchte. Über Ostern war in der Stadt ein „Hamburger Zwerg-Künstler-Theater“ aufgetreten (BZ vom 4. April 1917), zweimal hatte „auf Anregung des Arbeiter-Bildungsausschusses“ im Colosseum das Deutsche Volks-Theater Hamburg gespielt (BZ vom 4. April und 19. Mai 1917) und sporadisch erschien das Hamburger Plattdeutsche Theater in Baumanns Gesellschaftshaus (siehe den Beitrag Der Kartoffelkönig von Ochsenwärder sowie BZ vom 2. August und 1. November 1917). Die gelegentlichen Aufführungen von Tourneetheatern in Kirchwärder (bei Fölsch und Bahlmann auf dem Zollenspieker, siehe z.B. BZ vom 23. und 30. März 1917, sowie bei Hüge in Kirchwärder-Nord, siehe z.B. BZ vom 25. August 1917) fielen als Wettbewerber ebenfalls nicht ins Gewicht.

Bergedorfer Zeitung, 19. Juli 1917

Frau Straubes Ensemble war ziemlich beschäftigt: am Eröffnungstag musste es gleich zu zwei Vorstellungen auf die Bühne. In den gut fünf Monaten bis Jahresende wurden um die siebzig Aufführungen für Erwachsene und über zwanzig Kindervorstellungen, meist Grimmsche Märchen, gezeigt. Die Schauspieler hatten immer nur kurze Vorbereitungs- und Probezeiten, denn in der Regel wurden Stücke nur einmal aufgeführt; einzig die Operette „Unter der blühenden Linde“ erlebte drei Wiederholungen. Das Repertoire hatte den Schwerpunkt im Bereich der Operette, aber es gab auch einige Schauspiele (z.B. Ibsens „Gespenster“, die Lustspiele „Die spanische Fliege“ und „Infanterist Pflaume“).

Bergedorfer Zeitung, 22. Oktober 1917

Für alle diese Vorstellungen schaltete Frau Straube Anzeigen in der Bergedorfer Zeitung, und die Zeitung bedankte sich mit freundlichen, oft nichtssagenden Kritiken – Verrisse wie am 2. Januar 1918 blieben die große Ausnahme: „Die Aufführung ließ manches zu wünschen übrig. Wie das in letzter Zeit schon häufig bemerkt werden konnte, verließen sich einige Mitwirkende all zu sehr auf den Souffleur, wodurch das Spiel recht störend beeinflußt wurde.“

Bergedorfer Zeitung, 30. August 1917

Die Bergedorferinnen und Bergedorfer nahmen die Angebote offenbar gut an: mehrfach wurde über ein ausverkauftes Haus berichtet (auch in der BZ vom 29. Oktober und 10. Dezember 1817) und Frau Straube, die den Schauspieler Willy Tholen mit in die Direktion aufnahm, konnte sogar die Vorverkaufspreise von zunächst 1 bis 2 Mark auf bis zu 3 Mark erhöhen. Ob es ihr gelang, die gesuchten Arbeitskräfte und Statisten aus Bergedorf zu finden, ist nicht überliefert.

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Tausche Bergedorf gegen Altona!?

Bergedorfer Zeitung, 18. August 1917

Die administrative Struktur des Staates Hamburg war immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen: im Frühjahr 1917 hatte Bergedorfs Bürgermeister Walli in einer langen Rede die volle Eingemeindung Bergedorfs nach Hamburg gefordert, weil er hoffte, dass damit die Bergedorfs Entwicklung hindernden Eingriffe und Einsprüche der Landherrenschaft beseitigt würden (BZ vom 2. April 1917). Auch die Grenzen des Staates mit mehreren Exklaven, z.B. Geesthacht und dem Amt Ritzebüttel mit Cuxhaven (siehe die Karten bei Wikipedia zum Groß-Hamburg-Gesetz von 1937), waren der Stadtentwicklung nicht förderlich.

Der Krieg konnte die Diskussion über die territoriale und politische Neuordnung nicht stoppen, und die „Vossische Zeitung“ aus Berlin (deren Jahrgang 1917 leider nicht online verfügbar ist) brachte eine originelle Variante ins Spiel: sollte Altona nach Hamburg eingemeindet werden, wären mögliche „Ausgleichsobjekte die Stadt Bergedorf, ein Teil der Vierlande, sowie das Amt Ritzebüttel (Cuxhaven)“. Die Debatte wurde durch die BZ aber gleich für beendet erklärt: an dergleichen denke man in Hamburg nicht – dabei hätte diese Grenzänderung eventuell das Problem der kleinen preußischen Enklaven in Kirchwärder gelöst.

Losgetreten hatte das Thema übrigens der sozialdemokratische altonaische Stadtverordnete Carl Stoll durch einen Aufsatz in der Neuen Hamburger Zeitung vom 28. Juli (Link zum Wortlaut des Artikels), worin er die Eingemeindung Altonas in Hamburg forderte und nicht näher spezifizierte „Kompensationsobjekte“ für Preußen als notwendig ansah. In einem redaktionellen Beitrag vom 15. August (Link zum Wortlaut des Artikels) bezeichnete die Neue Hamburger Zeitung die Ausgleichsdiskussion und Preußens mögliche Haltung dazu als „im wesentlichen Konjekturalpolitik“ (heute würde man wohl Spekulation sagen), erhob aber gegen die Abtretung Bergedorfs keine Einwände.

Gut zwanzig Jahre später wurden durch das erwähnte Groß-Hamburg-Gesetz u.a. sowohl Altona als auch Bergedorf (mit Preußisch-Kirchwärder) nach Hamburg eingemeindet, während (neben anderen Gebieten) das Amt Ritzebüttel und Geesthacht preußisch wurden.

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