Die Zahlen waren erschütternd, und heute sind sie es noch viel mehr: jährlich starben 360.000 Säuglinge und Kleinkinder, und so stellte sich die Kaisertochter Herzogin Viktoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg als Schutzherrin eines vaterländischen Hilfswerks zur Verfügung, das die „Kindersterblichkeit durch Förderung des Kleinkinderschutzes“ verringern wollte: in Bergedorf sollten die Spenden der Warteschule zugutekommen.
Die Sterblichkeit von Säuglingen und Kleinkindern sollte, wie es in der Anzeige hieß, „auf die Ziffern Englands und Frankreichs“ herabgedrückt werden, die offenbar um ein Drittel niedriger lagen – und es ist schon bemerkenswert, dass hier die Hauptkriegsgegner als Vorbilder genannt wurden! Ohne eine königliche Hoheit als Schutzherrin hätten die Zensurbehörden und die Selbstzensur der Presse die Veröffentlichung eines solchen Vergleichs sicher unterbunden.
Auch aus Bergedorfer Sicht war das Anliegen berechtigt: die in der Statistik des hamburgischen Staates (div. Tabellen in den Heften XXVII und XXXI) genannten Zahlen zeigen eine dramatische Entwicklung: die Zahl der Lebendgeborenen in der Stadt Bergedorf hatte sich von 336 (1914) auf 201 (1916) und 171 (1917) etwa halbiert. Ebenfalls war die Zahl der Totgeborenen zurückgegangen (von 9 in 1914 auf 4 in 1916 sowie 3 in 1917), und die Säuglingssterblichkeit lag hier in den Kriegsjahren bei 8,3% (1914), 13,6% (1915), 7,0% (1916), 8,7% (1917) sowie 14,1% (1918), also unter den Werten für Hamburg insgesamt (siehe die Diagramme bei H. Meyer-Delius) – aber einhundert Jahre später wird die Säuglingssterblichkeit nicht mehr in Prozent, sondern in Promille angegeben und liegt jetzt bei 3,3 pro Tausend (siehe Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung). Damals war die Zukunft eines neugeborenen Kindes in mehrfacher Hinsicht düster.
Bei den Kindern sah es kaum besser aus: die Zahl der 1- bis 15jährig Gestorbenen in Bergedorf sank von 27 (1914) über 18 (1915) auf 12 (1916), um dann auf 65 in 1917 zu steigen und wieder auf 13 in 1918 zu fallen.
Aus diesen Bergedorfer Zahlen lässt sich nicht erkennen, dass die „Säuglings- und Kleinkinderspende“, die ja ausschließlich der Warteschule zufließen sollte, eine Verbesserung der Lage erreichte. Möglicherweise wäre der in Sande eingeschlagene Weg ein besserer gewesen: der dortige Vaterländische Frauenverein stellte eine „für Säuglings-Fürsorge besonders ausgebildete Schwester“ ein, die großenteils von Firmen und der Gemeinde finanziert wurde (BZ vom 16. August 1917). Zusätzlich wurde eine Mutterberatungsstunde durch den Arzt Dr. Behrends eingerichtet – eine Aufgabe, die in Bergedorf eventuell der Amtsphysikus Dr. Berkhan innehatte, aber entsprechende Meldungen gab es bis dato nicht.