Von Pferden, Fuhrwerken und der Verwaltungsstruktur

Bergedorfer Zeitung, 3. November 1917

Massive Probleme beklagte (öffentlich!) das Fuhrgewerbe: zu wenig Pferde, zu wenig Futter, um den Transportanforderungen gerecht werden zu können. Viele Pferde waren zu Kriegszwecken eingezogen worden, die verbliebenen Tiere mussten also stärker belastet werden, und da sie aufgrund der schlechten Ernte verringerte Rationen des „Einheitsfutters“ erhielten und auch Heu und Stroh zu knapp waren, drohte das „Pferde-Material“ bald verbraucht zu sein.

Die hier für Sande genannte Zahl von „ungefähr 15“ Pferden überrascht allerdings, denn bei der Viehzählung am 1. September waren dort 49 Pferde gezählt worden (siehe den Beitrag 2.621 Stallhasen in Sande) – diese beachtliche Differenz war nicht aufzuklären. Man sollte deshalb aber nicht die anderen Angaben der Fuhrherren in Zweifel ziehen, denn die mehrtägige Sperrung des Bergedorfer Bahnhofs für Güterwaggons wegen des Mangels an Arbeitsgespannen wurde vom Magistrat bestätigt (BZ vom 8. November 1917), ebenso die Benachteiligung bei der Futterzuteilung.

Ursache für diese Benachteiligung war die Verwaltungsstruktur des Staates Hamburg: in der Stadt Hamburg, dem Kommunalverband Hamburg I, konnten Fuhrbetriebe eine „Futterzulage“ erhalten, die der Kommunalverband Hamburg II, zu dem die Landherrenschaften (also auch Bergedorf) gehörten, nicht erhielt. In der Erwiderung auf die Fuhrherren forderte der Magistrat Bergedorfs, dass „endlich die Benachteiligung Bergedorfs, die wirtschaftlich durchaus ungerechtfertigt ist, ein Ende nimmt“: in der Versorgung mit Gegenständen des täglichen Bedarfs sollte wie in Bremen kein Unterschied zwischen Großstadt und Landgebiet gemacht werden, was der Hamburger Senat zwar im Juni 1916 beschlossen hatte, aber eben nicht einhielt. Proteste bei Landherrenschaft und Kriegsamt zeitigten keinen Erfolg (ebenfalls BZ vom 8. November 1917).

Bergedorfer Zeitung, 8. November 1917

Die Einschränkung der Müllabfuhr in Bergedorf auf einmal wöchentlich brachte eine geringe Entlastung, aber es gab sie immerhin weiter. Die Geesthachter Dampfbäckerei von E. Hackmack dagegen konnte „wegen Einschränkung des Fuhrwerkes“ ihren Brotwagen gar nicht mehr in die Sachsenwald- und andere Dörfer fahren lassen (BZ vom 6. November 1917).

Ob das „Einheitsfutter“ für die Pferde nicht nur knapper, sondern auch teurer wurde? Jedenfalls erhöhten die Fuhrherren von Bergedorf-Sande 1917 gleich zweimal ihre Frachttarife, und das nicht zu knapp.

Bergedorfer Zeitung, 26. Juni 1917

Bergedorfer Zeitung, 17. November 1917

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Frauenwahlrecht und Frauenwelten

Bergedorfer Zeitung, 30. Oktober 1917

Bergedorfer Zeitung, 1. November 1917

 

Das Frauenwahlrecht war in Bergedorf offenbar kein Thema, weder im Jahresbericht des Frauenvereins noch in der „öffentlichen politischen Frauen-Versammlung“, zu der Wilhelm Wiesner eingeladen hatte und bei der Johanna Reitze über „Kriegszeit – Frauenpflichten – Frauenrechte“ sprach (Anzeige in der BZ vom 28. Oktober 1917). Die Ortsgruppe Bergedorf des Vereins für Frauenstimmrecht entfaltete nach den Meldungen und Anzeigen in der BZ keinerlei Initiativen im Sinne des Vereinszwecks, sondern beschränkte sich darauf, die Kriegshilfe und ähnliche Aktivitäten zu unterstützen, und nahm z.B. Anmeldungen für einen Kriegskochkursus entgegen (BZ vom 8. August und 22. November 1914, 18. Februar und 25. März 1915).

In Hamburg dagegen spielten die Frauen in der Wahlrechtsdebatte zumindest eine Nebenrolle: im Juni 1917 hatte der Stadtbund Hamburgischer Frauenvereine, dem auch der Bergedorfer Frauenverein angehörte (siehe den Beitrag Die Frauen und der Vaterländische Hilfsdienst), zusammen mit dem Bund Hamburgischer Hausfrauen eine Petition hierzu eingereicht; eine weitere Eingabe des Hamburg-Altonaer Vereins für Frauenstimmrecht und eine Resolution der SPD-Landesorganisation kamen in der folgenden Bürgerschaftssitzung auf den Tisch. Alle Eingaben wurden der fünfzehnköpfigen „Senats- und Bürgerschaftskommission zur Vorbereitung einer Änderung des Wahlgesetzes für die Wahlen zur Bürgerschaft“ überwiesen (Stenographische Berichte über die Sitzungen der Bürgerschaft zu Hamburg im Jahre 1917, S. 192, S. 213f., S. 242). Der Bericht der Kommission stellte lapidar fest, dass ein Vorschlag zur Gewährung des Bürgerrechts an Frauen keine Annahme fand (Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft im Jahre 1918, S. 882) – doch als die Vorlage die Parlamentssitzung am 6. November 1918 erreichte (Stenographische Berichte … 1918, S. 646), wurde sie vertagt und schließlich von der Revolution überholt.

Die oben wiedergegebenen Artikel sind aber aus anderem Grunde lesenswert, denn sie zeigen zwei Frauenwelten in Bergedorf: die Damen des Frauenvereins waren primär in der Wohltätigkeit aktiv, hier als „Kriegsarbeit“ bezeichnet, und konnten über 30.000 Mark Spenden verbuchen. In der von dem Sozialdemokraten Wilhelm Wiesner organisierten Frauenversammlung mit der ebenfalls der SPD angehörenden Johanna Reitze (BZ vom 2. August 1917) traf sich ein anderer Kreis, der materielle Sorgen hatte: weil die staatliche Unterstützung der „Kriegerfrauen“ (bzw. der Kriegerwitwen und -waisen) und ihrer Familien nicht ausreichte, mussten die Frauen arbeiten, doch wurde ihnen dann die Angehörigenunterstützung gekürzt, sodass sie aufgrund des Lebensmittelwuchers  immer noch Not litten. Die Forderung der Versammlung nach Umverteilung der Kriegsgewinne kann da nicht überraschen.

 

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Die Kriegsbeschädigten in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 29. Oktober 1917

Ein Journalist des 21. Jahrhunderts wäre dieses Thema wohl anders angegangen: er hätte Betroffene gesucht und befragt, auch den Magistrat um Auskunft gebeten – vor einhundert Jahren schien die BZ nur wenig Interesse am Thema „Kriegsbeschädigte“ gehabt zu haben. Über die Gründung der Ortsgruppe des Bundes deutscher Kriegsbeschädigter jedenfalls fiel die Berichterstattung äußerst knapp aus: am 19. Oktober konnte man lesen, dass die Unterstützungskasse des Bundes Deutscher Kriegsbeschädigter ihre Tätigkeit begonnen hatte und dass „demnächst“ ein Mitglied des Bundesvorstandes in Bergedorf über die Ziele des Bundes sprechen würde. Gut eine Woche später, am 27. Oktober, kündigte sie im redaktionellen Teil diese Veranstaltung für den 28. Oktober an, und am darauffolgenden Tag brachte sie die hier wiedergegebene Notiz von dreieinhalb Zeilen Länge.

Das Thema war unangenehm: von Soldaten erwartete man Heldentum, das Eiserne Kreuz oder das Hanseatenkreuz und militärische Siege – wer durch Kriegshandlungen sein Leben verlor, war „auf dem Felde der Ehre gefallen“, wie es oft in den zahlreichen Todesanzeigen hieß. Zu diesen Erwartungen passte es nicht, dass jemand mit einer der „Beschädigungen“ in der Heimat zu sehen war, die der Geschäftsführer der AOK Bergedorf schon 1915 genannt hatte (siehe den Beitrag Das Sophienbad Reinbek, die AOK Bergedorf und die Kriegsfolgen). Die zahlreichen Bergedorfer Wohltätigkeitsveranstaltungen der Monate Oktober und November sollten Geld bringen für Feldlazarette, für Frauen und Kinder aus den Kolonialgebieten, für den Mädchenhort des Frauenvereins, für „Kriegskinder“ sowie für Kinder unbemittelter Eltern, für die Kriegshilfe Bergedorf und für die Warteschule (BZ vom 16. und 27. Oktober sowie vom 13., 15., 27., 29. und 30. November), nicht aber für Kriegsinvalide.

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Das gestohlene Rind im Hower Brack

Bergedorfer Zeitung, 21. Oktober 1917

Das muss für den Gemüsebauer A. ein ziemlicher Schrecken gewesen sein, als er im (auch damals schon weitgehend verlandeten) Hower Brack Gras mähte und auf Teile eines Rindviechs stieß. Statt sich von dem Fleisch zu bedienen, meldete er offenbar seinen Fund der Polizei, und deren Ermittlungen führten zur Aufklärung eines Verbrechens und zur Ermittlung der Täter. Aber hätte es damals schon Tiefkühltruhen in Privathäusern gegeben, wäre vielleicht nie Licht in die Sache gekommen: der Hauptschuldige W. fiel dadurch auf, dass er gepökeltes Fleisch anbot – das Pökeln war nötig, um das Fleisch haltbar zu machen. Der Vorgang dauert mehrere Wochen, und da Pökelfleisch des Rinds bereits angeboten wurde, als A. Teile des Tieres fand, ist es nur zu verständlich, dass er trotz Fleischknappheit auf dieses verzichtete.

Die Namen der Beteiligten wurden zwar nur mit dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens angegeben, aber der Finder wird Claus Albers vom Elbdeich 223 (heute Hower Brack 29), also ein Anwohner des Bracks, gewesen sein, die Wirtin des benachbarten „Lindenhofs“, Elbdeich 225, trug den gleichen Namen (und ein paar Häuser weiter wohnte noch ein „Landmann“ Claus Albers, Elbdeich 241), wie sich aus dem Bergedorfer Adressbuch 1915 ergibt. Bei den anderen (Musiker W., Arbeiter D., Schlachter W.) ist eine so klare Zuordnung nicht möglich.

Bergedorfer Zeitung, 3. Januar 1918

Der Fall kam vor das Amtsgericht Bergedorf – die Anklage wird auf Diebstahl, Schwarzschlachtung und Schwarzhandel bzw. Beihilfe gelautet haben – und die Haupttäter wurden für einige Monate aus dem Verkehr gezogen.

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Das egalitäre Eiserne Buch

Bergedorfer Zeitung, 20. Oktober 1917

Bergedorfer Zeitung, 20. Oktober 1917

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Spendensammler hatten immer wieder neue Ideen, wie sie die Menschen zu Spenden animieren könnten. Die Weihnachtsgabe für die Soldaten sollte 1917 durch ein „Eisernes Buch“, nicht durch Sammlungen und Opfertage, finanziert werden: wer eine Mark gab, durfte sich in dieses Buch eintragen bzw. in eine der Listen, die nach Abschluss der Aktion „zusammengeheftet und dem eisernen Einband einverleibt“ werden sollten.

Damit war die Spende etwas Besonderes: bei einer Straßensammlung gab man Geld und das war’s – mit dem Eisernen Buch war die Beteiligung nachweisbar, wodurch ein subtiler Druck zur Beteiligung ausgeübt wurde. Darüber hinaus sollte das Buch eine „Urkunde für die Nachwelt“ sein, sodass der eigene Name in einer der Listen auch Kindern und Enkeln bewies, dass man seiner patriotischen Pflicht nachgekommen war: „Deine Nachkommen werden es nicht verstehen, wenn Dein Name in dem Ehrenbuch Hamburgs fehlt!“ mahnte die BZ am 6. November 1917.

Überraschend auch, dass jeder Eintrag eine Mark kostete, während z.B. bei den Kriegsnagelungen (siehe den Beitrag Bergedorfs Eisernes Wappen – über weitere Nagelungen schreibt Volkmar Schön) unterschiedliche Preise je nach Nagelgröße verlangt wurden. Im Eisernen Buch standen die Wohlhabenden auf gleicher Höhe mit denjenigen Spendern, für die eine Mark viel Geld war – das war schon egalitär.

Den Initiatoren wird es aber kaum um gesellschaftliche Gleichheit gegangen sein – sie erwarteten durch dieses Verfahren einfach mehr Teilnehmer. Und die potentiellen Großspender konnten ja nicht nur für alle Familienmitglieder zeichnen, sondern (worauf die BZ hinwies) auch Überweisungen in unbeschränkter Höhe tätigen. Vielleicht waren deshalb drei der fünf Bergedorfer Eintragungsstellen in Geldinstituten.

Das Eiserne Buch fand tatsächlich seinen Weg ins Hamburger Staatsarchiv, wo es mit 56 Kilogramm die schwerste Archivalie ist, wie im Archivjournal 02/2016 auf Seite 2 nachzulesen ist.

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55 Paragraphen zum Milchverbrauch

Bergedorfer Zeitung, 13. Oktober 1917

Mehr als eine ganze Zeitungsseite nahm die „Verordnung über die Regelung des Milchverbrauchs in der Stadt Bergedorf“ ein. Sie umfasste 55 Paragraphen – der vollständige Text kann durch Anklicken der kleinen Vorschaubilder unten auf dieser Seite aufgerufen werden.

Ohne eine Milchkarte durfte nach § 17 Satz 1 gar keine Milch abgegeben werden und es wurde zwischen Vollmilchkarten, Magermilchvorzugskarten und Magermilchkarten unterschieden. Auch wurde festgelegt, wer auf welche Karte und welche Milchmenge Anspruch hatte – allerdings: „Den Inhabern von Milchkarten steht ein Anspruch auf Milch nur insoweit zu, als Milch vorhanden ist.“ (§ 12 Satz 2) Diese Einschränkung war von praktischer Relevanz: gut zwei Wochen später gab der Magistrat bekannt, dass nur Kinder bis zu einem Jahr die volle Milchmenge erhielten, alle anderen müssten sich „eine Kürzung der ihnen an sich zustehenden Milchmenge gefallen lassen“ (BZ vom 30. Oktober 1917).

Die Regelung in § 17 Satz 2: „Der nach Befriedigung des Bedarfs der Milchbezugsberechtigten verbleibende Überschuß an Milch unterliegt der Verfügung des Magistrats.“ war also eher akademisch, aber es sollte eben jeder erdenkliche Fall erfasst werden, und so fand sich in § 14 auch eine Ausnahmemöglichkeit dahingehend, dass dem Waisenhaus trotz eigener Kuh oder eigener Kühe zusätzlich der Milchbezug von Milchhändlern gestattet werden konnte.

Der Höchstpreis für Vollmilch, der Anfang 1916 auf 28 Pfennig pro Liter erhöht worden war, war weiter gestiegen und lag dann ab 1. November 1917  bei 40 Pfennig pro Liter, Magermilch kostete die Hälfte (BZ vom 28. Dezember 1915 und 31. Oktober 1917).

 

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Der Ferkelmord für die Besserverdienenden

Bergedorfer Zeitung, 10. Oktober 1917

Natürlich ist die Überschrift polemisch, und auf den ersten Blick scheint sie keinen Bezug zu dem nebenstehenden Artikel zu haben, in dem es ja um das Haltbarmachen von Ferkelfleisch geht – aber sie trifft zu.

Im Vormonat war „die Freigabe der Spanferkel bis zu 30 Pfund Lebendgewicht zum Verkauf ohne Fleischkarte“ durch das Kriegsernährungsamt bekanntgemacht worden (BZ vom 12. September 1917). Der Grund für diese Maßnahme war schlicht der Mangel an Mastfutter (BZ vom 19. September 1917): nur Zuchttiere sollten Körnerfutter erhalten, und die Erhaltung der Sauen lohnte sich, wenn die Ferkel gut abgesetzt werden konnten, was bei markenfreiem Verkauf gesichert erschien. Dasselbe Amt wies ausdrücklich zurück, dass es sich bei den Schlachtungen von Ferkeln und Jungschweinen um einen „schematischen ‚Schweinemord‘“ handle (BZ vom 27. Oktober 1917), womit es (unfreiwillig?) an die im Beitrag Abfallwirtschaft geschilderte Massentötung von Schweinen im Frühjahr 1915 erinnerte. Man kann zugestehen, dass die Aktion von 1917 weniger schematisch war, aber sie war systematisch: den Landwirten sollten Anreize gegeben werden, Tiere in den Verkauf zu bringen: für Schweine unter 85 kg Lebendgewicht (die vor allem von der Heeresverwaltung aufgekauft wurden, BZ 26. November 1917) wurde der Preis pro Pfund erhöht, für Ferkel wurde der Handel freigegeben, und da das Fleisch nicht auf die kärgliche Ration (siehe den Beitrag Rumänien schont deutsches Milchvieh) angerechnet wurde, war dies für Verbraucher natürlich attraktiv.

Die Chance, an zusätzliches Fleisch zu kommen, ließ dann aber die Ferkelpreise in den Himmel steigen: auf dem monatlichen Bergedorfer Schweinemarkt stiegen sie von 10 – 30 Mark im Mai und 16 – 32 Mark im September, im November 38 Mark für kleinste Ferkel und 120 Mark für 30-Pfund-Ferkel, auf 45 – 150 Mark im Dezember (BZ vom 21. Mai, 17. September, 19. November und 17. Dezember 1917). Wenn man 150 bzw. 120 Mark für den Kauf ausgibt, hat man bei einem 30-Pfund-Ferkel also 5 bzw. 4 Mark pro Pfund bezahlt, aber diese Berechnung berücksichtigt nicht, dass ein Ferkel nicht nur aus Fleisch besteht – das konnten sich wirklich nur Besserverdiener leisten, und der geltende Höchstpreis von 1,60 Mark pro Pfund Lebendgewicht war papierene Illusion.

Am 15. Januar 1918 kehrte die kriegstypische Normalität wieder ein: da endete die „Markenfreiheit“ und der Höchstpreis wurde von 1,60 auf 1,10 Mark gesenkt (BZ vom 28. Dezember 1917). Aber es werden wegen des Ferkelmordes kaum noch Ferkel im Angebot gewesen sein, und so war auch dies illusionär.

Bergedorfer Zeitung, 21. Januar 1918

Außerdem fand der Höchstpreis, egal ob reduziert oder nicht, auf dem Bergedorfer Schweinemarkt im Januar 1918 sowieso keine Beachtung, wie der Marktbericht zeigt. Ein Foto eines Rindermarkts auf dem Brink findet man in Ludwig Uphoffs Bergedorf auf S. 87.

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Schleichhandel zu Wasser

Bergedorfer Zeitung, 8. Oktober 1917

Wenn die Angabe stimmt, muss man die geradezu übermenschliche Leistung der Frau bewundern: zwar erfährt der Leser nicht, ob sie stromauf rudern musste (dann sicher mit Unterstützung der Tide) oder die Elbe nur querte, aber mit 4.000 Pfund Kartoffeln an Bord ihres Kahns hatte sie (von Ruderern ist nicht die Rede) eine schwere Last zu befördern, und so ist es kein Wunder, dass sie eingeholt werden konnte. Auch der „Gemüsebauer aus K.“ (vermutlich Kirchwärder), der 52 Pfund Roggen aus Hoopte nach (Kirchwärder-)Sande bringen wollte, wird sich wegen verbotswidriger Ausfuhr zu verantworten gehabt haben. Einen Folgebericht über die verhängten Strafen gab es leider nicht.

Bergedorfer Zeitung, 15. September 1915

Nicht nur der Hauptstrom der Elbe, sondern auch ihre Nebenarme Dove- und Gose-Elbe, die die Vier- und Marschlande durchziehen, wurden zu unerlaubten Zwecken genutzt, siehe den nebenstehenden Artikel. Dass die entdeckten Diebe nicht nur ihre Beute im Stich ließen, sondern ebenso das benutzte Boot, spricht dafür, dass sie den Kahn auch durch Diebstahl erlangt hatten.

Bergedorfer Zeitung, 12. Oktober 1917

Das Stellvertretende Generalkommando in Altona erkannte das Problem und erließ eine Anordnung, nach der nicht nur alle Wasserfahrzeuge bei der Polizeibehörde anzumelden waren, sondern dass diese nur „an den für sie bestimmten Plätzen anlegen“ durften und aufwändig gegen Diebstahl zu sichern waren. Ob es half?

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Mietschlichtung und Wohnungsnot

Bergedorfer Zeitung, 28. September 1917

Nun nahm in Bergedorf also eine „Schlichtungsstelle in Miete- und Grundstücksangelegenheiten“ die Arbeit auf, deren Satzung (BZ vom 24. September 1917) Magistrat und Bürgervertretung einige Wochen vorher beschlossen hatten (BZ vom 22. August 1917). Reichlich spät, aber nicht später als z.B. München (S. 15), denn seit 1914 gab es für die Einrichtung von Mieteinigungsämtern eine Rechtsgrundlage (Reichsgesetzblatt 1914, Nr. 113).

Die Zahl der Mietstreitigkeiten hatte erheblich zugenommen und belastete das Amtsgericht (BZ vom 14. Juli 1917), und die BZ wird nicht ohne Grund im Lokalteil darauf hingewiesen haben, dass Räumungsklagen gegen Familien von Kriegsteilnehmern nach  einer anderen Bundesrats-Verordnung nicht durchgesetzt werden konnten (BZ vom 10. Juli 1917). Im selben Monat kam eine Verordnung zum Schutz der Mieter „gegen unbillige Kündigung des Mietsverhältnisses und ungerechtfertigte Steigerung des Mietszinses“ hinzu, nach der das Mieteinigungsamt oder eine andere bezeichnete Stelle generell über Kündigungen und Mieterhöhungen entscheiden sollte (BZ vom 30. Juli 1917), und das führte wohl zur Schaffung der Schlichtungsstelle in Bergedorf. Da diese gemäß Satzung nichtöffentlich tagte, war der BZ nicht zu entnehmen, wie intensiv sie genutzt wurde.

Auf jeden Fall herrschte im Raum Bergedorf Wohnungsmangel (siehe auch den Beitrag Die Gewerkschaften und der Kleinwohnungsbau), es gab einen „Vermietermarkt“: Wohnungen aller Größen fehlten in Bergedorf (BZ vom 17. April 1917) wie in Sande (BZ vom 22. September 1917), in Geesthacht herrschten nach Ansicht des SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Paeplow sogar „polizeiwidrige Zustände“ (BZ vom 25. Oktober 1917). Neubauten gab es praktisch keine mehr, denn sie (und sogar kleinste Umbauten) durften nur mit Genehmigung der Militärbehörden ausgeführt werden (BZ vom 16. November 1916), die andere Prioritäten setzten, wie der Einsatz tausender Bauarbeiter in Düneberg und Krümmel zeigt (siehe den Beitrag Streik in Düneberg und Krümmel).

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Große Politik in Bergedorf: Die Friedensresolution und die Deutsche Vaterlandspartei

Bergedorfer Zeitung, 26. September 1917

„Siegfrieden“ oder „Verständigungsfrieden“? Im September 1917 erreichte diese Debatte Bergedorf. Im Juli 1917 hatte der Reichstag mit einer Mehrheit aus Sozialdemokraten, Linksliberalen und Zentrum gegen die Stimmen der Konservativen und Nationalliberalen eine Friedensresolution beschlossen, die „einen Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker“ anstrebte. Zahlreiche Gegner einer solchen Politik fanden sich in der Deutschen Vaterlandspartei zusammen, die einen Siegfrieden mit Annexionen (u.a. Flanderns) erreichen wollte.

Bergedorfer Zeitung, 3. Oktober 1917

In Bergedorf bildete sich eine Ortsgruppe der Vaterlandspartei, die den Hansaschullehrer Prof. Dr. Venzmer zu ihrem Vorsitzenden wählte. Berthold Venzmer war 1914 einer der Unterzeichner des Aufrufs zur Gründung einer Jugendwehr in Bergedorf gewesen (siehe den Beitrag Heldentod und Jugendwehr); über seine beiden Vorstandskollegen in der Partei können keine gesicherten Angaben gemacht werden. Der Schriftführer „A. Zimmermann“ könnte aber durchaus identisch sein mit dem Vorstandsmitglied des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbands gleichen Namens, der 1916 im „Sprechsaal“ der BZ einen Leserbrief veröffentlicht hatte (BZ vom 11. Dezember 1916). Ein M. Dinklage wurde als ein Vertreter der Hausbesitzer in die Mietschlichtungsstelle gewählt (BZ vom 28. September 1917).

Die Mitgliederzahl der Ortsgruppe stieg rasch weiter an: in der Anzeige waren neben den drei Vorständen 66 Mitglieder aufgeführt, durchweg Angehörige der „besseren Kreise“ (Kaufleute, Ärzte, Schulleiter, Pastoren usw.), keine Frauen, keine Sozialdemokraten, kein Mitglied des Magistrats und nur eines (Rud. Behr) der Bürgervertretung. Der Mitgliedsbeitrag lag übrigens mit 1 M pro Monat deutlich über dem der SPD, die von Männern 40 Pf im Monat forderte (1918 erhöht auf 60 Pf, Frauen 15 und dann 25 Pf, siehe BZ vom 29. Januar 1918).

Bis zu der ersten öffentlichen Versammlung der Vaterlandspartei in Bergedorf sollte aber noch reichlich Zeit vergehen: am 25. November referierte Venzmer dann im eher kleinen, aber „voll besetzten“ Saal des Hotels Stadt Hamburg über „Englands Weltpolitik“ und hatte die „lebhafte Zustimmung“ seiner Zuhörer (BZ vom 26. November 1917).

Bergedorfer Zeitung, 11. Oktober 1917

Auch Bergedorfs „Liberaler Verein“ nahm an der öffentlichen Debatte teil: er rief zum Besuch einer Versammlung über „Krieg und Frieden“ mit dem Reichstagsabgeordneten Friedrich Naumann in „Sagebiels Etablissement“ (Hamburg) auf, über die die BZ sehr knapp berichtete, dass er vor „tausenden“ Teilnehmern die Friedensresolution des Reichstags verteidigte (BZ vom 13. Oktober 1917). Einige Wochen später sprach auf Einladung derselben Bergedorfer Liberalen Dr. Paul Rohrbach in Baumanns Gesellschaftshaus: er stellte geopolitische Überlegungen in den Mittelpunkt, die von einem Verständigungsfrieden recht weit entfernt lagen, und erhielt dafür den Beifall seiner Zuhörer (BZ vom 15. Dezember 1917) wie wohl zuvor auch Naumann. Der BZ-Journalist monierte jedoch, dass Rohrbach sich über die Zukunft Belgiens und Polens nicht klar geäußert hätte.

Und die SPD? Sie wollte am 8. Oktober in Hamburg eine öffentliche Versammlung zur Friedensfrage durchführen, die vom Stellvertretenden Generalkommando zunächst verboten wurde (BZ vom 6. Oktober 1917), aber einige Tage später doch stattfand: der Reichstagsabgeordnete Hermann Müller (Wahlkreis Reichenbach) sprach bei Sagebiel vor 6.000 Personen zum Thema „Frieden und Freiheit“ und wandte sich explizit „gegen die Vaterlandspartei und deren Förderung durch die Behörden“ (BZ vom 11. Oktober 1917). In Bergedorf und Geesthacht gab es anscheinend keine öffentlichen SPD-Versammlungen hierzu (vielleicht waren sie untersagt worden), doch in Zollenspieker durfte am 9. Dezember der Reichstagsabgeordnete Heinrich Stubbe über „Verständigungsfrieden und Volksrechte“ sprechen, was die Bergedorfer Zeitung zwar ankündigte (BZ vom 6. Dezember), worüber sie aber nicht berichtete.

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1917

Auch der Sander Bürgerverein wurde aktiv und lud für den 29. Dezember ins Restaurant Wagas ein: Richard Döring (evtl. der stellvertretende Verbandsvorsteher des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbands, siehe Neue Hamburger Zeitung vom 26. April 1917) sollte dort zum Thema „Die Ursachen des Weltkrieges und der kommende Friede“ sprechen. Als Fazit seiner Rede zitierte er Hindenburg: „Der Segen Gottes ruhte 1917 auf unseren Waffen, er wird 1918 unsere gerechte Sache zu einem guten Ende führen.“ (BZ vom 4. Januar 1918).

Die größte Veranstaltung in diesem Quartal hielt jedoch die Vaterlandspartei im Conventgarten und in den zwei größten Sälen bei Sagebiel am 14. Dezember ab: es sprach der Parteivorsitzende Großadmiral Alfred von Tirpitz, und seiner Rede widmete die BZ am 15. Dezember mehr als eine halbe Seite, und das zeigt, wo die politische Sympathie der Zeitung lag.

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