Der Ferkelmord für die Besserverdienenden

Bergedorfer Zeitung, 10. Oktober 1917

Natürlich ist die Überschrift polemisch, und auf den ersten Blick scheint sie keinen Bezug zu dem nebenstehenden Artikel zu haben, in dem es ja um das Haltbarmachen von Ferkelfleisch geht – aber sie trifft zu.

Im Vormonat war „die Freigabe der Spanferkel bis zu 30 Pfund Lebendgewicht zum Verkauf ohne Fleischkarte“ durch das Kriegsernährungsamt bekanntgemacht worden (BZ vom 12. September 1917). Der Grund für diese Maßnahme war schlicht der Mangel an Mastfutter (BZ vom 19. September 1917): nur Zuchttiere sollten Körnerfutter erhalten, und die Erhaltung der Sauen lohnte sich, wenn die Ferkel gut abgesetzt werden konnten, was bei markenfreiem Verkauf gesichert erschien. Dasselbe Amt wies ausdrücklich zurück, dass es sich bei den Schlachtungen von Ferkeln und Jungschweinen um einen „schematischen ‚Schweinemord‘“ handle (BZ vom 27. Oktober 1917), womit es (unfreiwillig?) an die im Beitrag Abfallwirtschaft geschilderte Massentötung von Schweinen im Frühjahr 1915 erinnerte. Man kann zugestehen, dass die Aktion von 1917 weniger schematisch war, aber sie war systematisch: den Landwirten sollten Anreize gegeben werden, Tiere in den Verkauf zu bringen: für Schweine unter 85 kg Lebendgewicht (die vor allem von der Heeresverwaltung aufgekauft wurden, BZ 26. November 1917) wurde der Preis pro Pfund erhöht, für Ferkel wurde der Handel freigegeben, und da das Fleisch nicht auf die kärgliche Ration (siehe den Beitrag Rumänien schont deutsches Milchvieh) angerechnet wurde, war dies für Verbraucher natürlich attraktiv.

Die Chance, an zusätzliches Fleisch zu kommen, ließ dann aber die Ferkelpreise in den Himmel steigen: auf dem monatlichen Bergedorfer Schweinemarkt stiegen sie von 10 – 30 Mark im Mai und 16 – 32 Mark im September, im November 38 Mark für kleinste Ferkel und 120 Mark für 30-Pfund-Ferkel, auf 45 – 150 Mark im Dezember (BZ vom 21. Mai, 17. September, 19. November und 17. Dezember 1917). Wenn man 150 bzw. 120 Mark für den Kauf ausgibt, hat man bei einem 30-Pfund-Ferkel also 5 bzw. 4 Mark pro Pfund bezahlt, aber diese Berechnung berücksichtigt nicht, dass ein Ferkel nicht nur aus Fleisch besteht – das konnten sich wirklich nur Besserverdiener leisten, und der geltende Höchstpreis von 1,60 Mark pro Pfund Lebendgewicht war papierene Illusion.

Am 15. Januar 1918 kehrte die kriegstypische Normalität wieder ein: da endete die „Markenfreiheit“ und der Höchstpreis wurde von 1,60 auf 1,10 Mark gesenkt (BZ vom 28. Dezember 1917). Aber es werden wegen des Ferkelmordes kaum noch Ferkel im Angebot gewesen sein, und so war auch dies illusionär.

Bergedorfer Zeitung, 21. Januar 1918

Außerdem fand der Höchstpreis, egal ob reduziert oder nicht, auf dem Bergedorfer Schweinemarkt im Januar 1918 sowieso keine Beachtung, wie der Marktbericht zeigt. Ein Foto eines Rindermarkts auf dem Brink findet man in Ludwig Uphoffs Bergedorf auf S. 87.

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