Die Bergedorfer Demonstration für die Zeitung der SPD und die Lohnfortzahlung

1919 gab es weder Internet noch Fernsehen und Radio – Zeitungen, Plakate und Flugblätter waren die einzigen Massenmedien. Wer also Meldungen und Botschaften verbreiten, Menschen beeinflussen wollte, war abgesehen von Mundpropaganda und Kundgebungen auf „Print“ angewiesen. Dem Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat fehlte ein solches von ihm redaktionell beherrschtes Organ, und so gab es mehrfach Versuche, das Hamburger Echo, die Parteizeitung der SPD Hamburg, unter seine Kontrolle zu bringen (siehe auch den Beitrag zur Neujahrsdemo in Bergedorf und Sande).

Gegen diesen erneuten Versuch, aus dem Echo „eine Presse für das gesamte Proletariat“ zu machen (BZ vom 11. Januar 1919), und auch gegen die Besetzung des Gewerkschaftshauses gab es in Hamburg am 10. und 11. Januar massive Proteste bis hin zur vorübergehenden Verhaftung des Ratsvorsitzenden Laufenberg – ein deutliches Zeichen für die zunehmenden Spannungen unter den revolutionären Kräften  (siehe hierzu Christina Ewald, S. 119-121).

Bergedorfer Zeitung, 11. Januar 1919

Selbst im ansonsten ja ruhigen Bergedorf beteiligten sich etwa 1.000 Arbeiterinnen und Arbeiter an dem Protest, wie aus dem BZ-Bericht hervorgeht: mittags zogen sie vom Bahnhof zum Brink, wo der Gewerkschaftsfunktionär und SPD-Ratmann Friedrich Frank, Mitglied der Exekutive des örtlichen Arbeiterrats, „eine Ansprache hielt“ – was genau er sagte, verrät der Bericht nicht.

BZ, 15. Januar 1919

Auch wenn die Veranstaltung wohl zum Teil in der Mittagspause der Betriebe stattfand, so wird sie länger gedauert haben, und wenige Tage später untersagte der Bergedorfer Arbeiter- und Soldatenrat den Arbeitgebern, versäumte Arbeitszeit vom Lohn abzuziehen – in dieser Bekanntmachung wurde auch der Veranstalter der Demonstration genannt: es war der örtliche Arbeiterrat und nicht SPD und/oder Gewerkschaften.

Gut einen Monat später meldete dann die BZ, dass das Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung auf Anfrage des Hamburger Arbeitsamts erklärt habe, „daß der A.- und S.-Rat zum Erlaß von Anordnungen der mitgeteilten Art nicht befugt“ sei (BZ vom 13. Februar 1919). Ob das eine und das andere praktische Auswirkungen in Bergedorf (und Geesthacht, wo aus anderen Gründen am 8. Februar demonstriert wurde, BZ vom 10. Februar) hatte, schrieb die BZ nicht.

 

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„Wie wähle ich?“ – Der Stimmzettel ist mitzubringen!

Bergedorfer Zeitung, 18. Januar 1919

Es war vieles neu bei dieser Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919: weit mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten waren Erstwähler, denn erstmals durften nach dem neuen Reichswahlgesetz vom 30. November 1918 Frauen wählen, die die Mehrheit der stimmberechtigten Bevölkerung stellten. Außerdem war das Mindestalter von 25 auf 20 Jahre herabgesetzt worden und im Gegensatz zum Reichstagswahlrecht 1869 – 1912 (§ 3) waren z.B. Empfänger von Armenunterstützung nicht ausgeschlossen, auch Soldaten durften nun wählen, ebenso in Deutschland wohnhafte Deutsch-Österreicher (Bekanntmachung des Wahlamts Hamburg, BZ vom 15. Januar 1919). Vermutlich werden also nicht nur Frauen diese Anzeige aufmerksam gelesen haben.

Für heutige Wähler überraschend: der Stimmzettel war mitzubringen – jede Partei hatte im Vorfeld der Wahl Stimmzettel verteilt und gab sie für Vergessliche auch vor dem Wahllokal aus (wofür viele Helferinnen und Helfer benötigt wurden, siehe die DVP-Anzeige unten). Ein Schreibstift war dagegen nicht erforderlich, denn der Stimmzettel wurde unverändert in den Wahlumschlag gesteckt und dann abgegeben – Streichungen hätten die Stimme ungültig gemacht.

Im Kaiserreich hatte nur ein einziger Name auf diesem Stimmzettel gestanden, denn in jedem Wahlkreis war nur ein Abgeordneter zu wählen (mit absoluter Mehrheit der Stimmen – wurde diese nicht erreicht, fand eine Stichwahl statt). 1919 gab es weniger Wahlkreise, aber in jedem der Wahlkreise wurden entsprechend der Einwohnerzahl mehrere Abgeordnete gewählt, und zwar nach dem Prinzip der gebundenen Parteilisten. Die Sitze wurden entsprechend den Stimmenanteilen auf die Parteien verteilt (Verhältniswahlsystem): wenn z.B. eine Partei Anspruch auf zwei Sitze hatte, waren die ersten zwei auf der Liste gewählt.

Update 15.01.2019: Auf einen Tweet der Stabi erhielt ich als Antwort den Hinweis, dass nach der Wahlordnung zur Nationalversammlung (§ 42) Streichungen durchaus zulässig waren und der „Wahlwerbeausschuss“ in diesem Punkt also danebenlag. Praktische Folgen hatte eine Streichung aber nicht, da ausschließlich die Gesamtzahl der Stimmen für jeden Wahlvorschlag erfasst wurde, weshalb eine geringere Stimmenzahl für einen einzelnen oder mehrere Kandidaten die Listenreihenfolge nicht veränderte. Formal wäre noch ein weiterer Fehler des „Wahlwerbeausschusses“ anzumerken: eine Stimme war auch dann gültig, wenn sich mehrere gleichlautende Stimmzettel in einen Umschlag befanden – das brachte aber nichts, weil dies (natürlich) nur als eine Stimme gewertet wurde.

Hamburg bildete übrigens zusammen mit Bremen und dem Regierungsbezirk Stade den Wahlkreis 37, in dem 12 Sitze zu vergeben waren.

Wenn damit die Frage „Wie wähle ich?“ beantwortet ist, so bleibt die weitere und genau so wichtige Frage „Was wähle ich?“ – In zahllosen Veranstaltungen in den Wochen vor der Wahl hatten die Parteien Werbung für ihre Kandidaten (und ihr Programm) betrieben, die wohl alle in der Bergedorfer Zeitung angekündigt wurden, was den Anzeigen-Verantwortlichen der BZ Richard Wagner sehr gefreut haben dürfte. Über die Versammlungen wurde in aller Regel so ausführlich berichtet, dass selbst eine Auswahl der Berichte, die ja ausgewogen sein müsste, den Rahmen des Blogs sprengen würde.

Bergedorfer Zeitung, 16. Januar 1919

Dieser Anzeigenblock gibt einen Eindruck des Wahlkampfs, zeigt aber auch, dass nicht alle Veranstalter an Wahlen dachten.

Aus dem am 21. Januar erscheinenden folgenden Beitrag ist dann zu erfahren, wie in der Landherrenschaft Bergedorf gewählt wurde.

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Das Chor- und Vereinsleben normalisiert sich

Bergedorfer Zeitung, 7. Januar 1919

In einem Bericht über die Hasse-Gesellschaft hatte die BZ 1915 geschrieben: „Die Verhältnisse bringen es mit sich, daß der Chor nicht in seinem ganzen Umfang wirken kann; er muß sich in diesem Winter damit bescheiden, mit seinen weiblichen Mitgliedern auf dem Plan zu erscheinen.“ (BZ vom 2. Oktober 1915) Auch in den folgenden Jahren konnte der Chor nur als reiner Damenchor auftreten, aber nach der Rückkehr und Entlassung der meisten Soldaten wollte Chorleiter Carl Grau wieder auf männliche Stimmen zu einem gemischten Chor setzen. Beim Oster-Konzert waren dann die Männer dabei, aber „die Männerstimmen erwiesen sich noch als zu schwach, um die ihnen zufallende Aufgabe restlos erfüllen zu können.“ (BZ vom 5. April 1919). Immerhin: der (Wieder-)Anfang war gemacht.

Eine Wiederaufnahme der Aktivitäten gab es in zahlreichen Vereinen, und (fast) alle hofften sie auf neue Mitglieder, wie die Anzeigen (hier nur eine Auswahl) belegen:

 

 

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Das Nachttelefon in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 3. Januar 1919

Die Fernsprechvermittlung in Bergedorf war seit Jahresbeginn 1919 rund um die Uhr besetzt, sodass die Bergedorfer und Bergedorferinnen nun auch nachts telefonieren konnten, was die Hamburgerinnen und Hamburger schon länger konnten.

Die Initiative zu einer Nachtverbindung war von dem Holzhändler Rudolf Behr ausgegangen, der „mit bestimmten Sprechstellen zur Erhöhung des persönlichen Schutzes“ auch (oder gerade) nachts in Verbindung treten können wollte. Bürgermeister Walli stellte sich (am 19. November) hinter dieses Vorhaben, das er „im sicherheitspolizeilichen Interesse“ befürwortete. Der Postdirektor Friedrichs sah zwei Möglichkeiten, dem Wunsch nachzukommen: er bot die Einrichtung von Standverbindungen zu Polizei und Feuerwehr an, hielt aber die Schaffung einer „nächtlichen Dienstbereitschaft“ der Fernsprechvermittlungsstelle für sinnvoller (BZ vom 26. November 1918), und tatsächlich wurde dann die bessere Lösung realisiert.

In diesen Begründungen spiegelt sich die unsichere Lage der ersten Revolutionswochen – im Januar 1919 war dem BZ-Redakteur dann wichtiger, dass nachts „das Herbeirufen von Hilfe bei Unglücks- und plötzlichen schweren Krankheitsfällen“ erleichtert wurde. Wirkliche revolutionäre Unruhen hatte es in Bergedorf ja auch nicht gegeben.

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Die Neujahrsdemo in Bergedorf und Sande

Bergedorfer Zeitung, 30. Dezember 1918

Der Aufruf der Sozialdemokratischen Vereine und des Gewerkschaftskartells zu einer Neujahrsdemonstration war keine isolierte lokale Aktion: auch in Hamburg und andernorts fanden ähnliche Veranstaltungen statt. Mit diesen Kundgebungen wollte die SPD zeigen, dass der nun ohne USPD-Mitglieder regierende Rat der Volksbeauftragten breite Unterstützung genoss und dass es demokratische Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung geben sollte.

Es waren bewegte Tage: in Hamburg war ein Putsch einer bürgerlichen Gruppe vereitelt worden, der nach einem führenden Konspirateur als Abter-Putsch bezeichnet wurde (BZ vom 9., 10. und 12. Dezember). In Berlin besetzte die Volksmarinedivision die Reichskanzlei; es gab Kämpfe zwischen dieser Volksmarinedivision und Einheiten der Garde, die die Regierung Ebert stützte (BZ vom 24. Dezember), die Räume der SPD-Zeitungen „Vorwärts“ in Berlin und „Hamburger Echo“ wurden von Spartakisten bzw. ihnen Nahestehenden besetzt (BZ vom 27. und 30. Dezember), die Reichskonferenz des Spartakusbundes rief dazu auf, das Zustandekommen der Nationalversammlung „mit allen Mitteln“ zu verhindern (BZ vom 31. Dezember). Da wollte die SPD zeigen, wer die Massen mobilisieren konnte.

Aber auch andere politische Kräfte mobilisierten am 1. Januar 1919 ihre Anhänger, und so konnte die BZ gleich über mehrere Veranstaltungen berichten, wie der unten wiedergegebene Artikel zeigt. Obwohl die genannten Teilnahmerzahlen zugunsten der SPD geschönt scheinen (siehe die Angaben bei Christina Ewald, S. 120), war doch die Kundgebung auf der Moorweide sicher mit Abstand die größte: die „Reformer“ hatten viel mehr Unterstützer auf die Straße gebracht als die „Revolutionäre“.

Während in Bergedorf-Sande alles ruhig verlief, „wie man es von der hiesigen Einwohnerschaft ja von jeher gewöhnt ist“ und die Kundgebung musikalisch begleitet wurde, hatte man in Hamburg offenbar erhebliche Befürchtungen und ließ den Demonstrationszug der SPD nicht nur von Musikkapellen, sondern zusätzlich durch ein „Aufgebot von Sicherheitsmannschaften mit Maschinengewehren bewehrten Lastautos“ begleiten. Es blieb aber alles friedlich, auch bei den Versammlungen der anderen Gruppierungen.

Bergedorfer Zeitung, 2. Januar 1919

 

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Die Hamburger Marschbahn: ein gutgemeintes Projekt

Bergedorfer Zeitung, 28. Dezember 1918

Die Arbeitslosigkeit stieg nach Kriegsende rapide an, auch wegen der Entlassung tausender Soldaten vom Militär. Hamburg reagierte mit „Notstandsmaßnahmen“: durch öffentliche Aufträge sollte für Arbeit gesorgt werden. Eine solche Maßnahme war der Bau der Hamburger Marschbahn.

Zweck dieser neuen Bahnstrecke von Hamburg durch die Marsch- und die Vierlande nach Geesthacht sollte nicht nur Arbeitsbeschaffung sein, sondern auch die bessere Lebensmittelversorgung Hamburgs: das schnelle Transportmittel Eisenbahn zur Stadt sollte Bauern und Gärtnern einen größeren Anreiz bieten, ihre Erzeugnisse nach Hamburg zu liefern und nicht in andere Städte. Die Bürgerschaftsabgeordneten des Landgebiets begrüßten das Vorhaben, der Abgeordnete Käckenhoff aus Geesthacht hoffte sogar auf Zuzug aus Hamburg, und die Bürgerschaft bewilligte entsprechend der Kostenschätzung (als Anleihe) sieben Millionen Mark (BZ vom 23. Dezember 1918).

Die Planungen hatten bereits vor dem Krieg begonnen und waren im November 1918 fertig: einen Tag nach dem Waffenstillstand hatte die Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn AG bei der Landherrenschaft Bergedorf angeregt, einen Teil der Marschbahn als Notstandsarbeit zu errichten (siehe hierzu und zum folgenden Olaf Krüger (S. 124)), und es ging zügig los: am 7. Januar 1919 meldete die BZ, dass die Arbeiten begonnen hätten.

Baubeginn war allerdings nicht in Hamburg und von dort Richtung Osten, was ja die Marschlande erschlossen hätte, denn die Planungen der preußischen Staatsbahn für einen Güterbahnhof im Raum Billwärder/Moorfleth und eine Güterumgehungsbahn waren noch nicht hinreichend konkretisiert, sodass die Marschbahntrasse dort noch nicht bestimmt werden konnte. Auch die beabsichtigte Regulierung von Dove- und Gose-Elbe machte die Brückenplanung zwischen Moorfleth und Tatenberg unmöglich. Hinzu kam der Wunsch des Bürgerschaftsmitglieds Henry Bieber, die Trassenführung im Bereich Ochsenwärder und Tatenberg erneut zu überprüfen, worauf in einem späteren Beitrag noch einzugehen sein wird.

So begann man mit etwa 1.000 Arbeitern im östlichen Teil der Strecke, in Geesthacht und bei der Riepenburg in Kirchwärder (BZ vom 7. Januar und 1. April 1919) und schon am 12. Mai 1921 ging der erste Abschnitt von Geesthacht bis Fünfhausen in Betrieb, zwei Jahre später die Verlängerung bis Ochsenwärder. Am 1. Oktober 1928 wurde das letzte Stück der 36,2 Kilometer langen Route eingeweiht, das allerdings nur bis Billbrook führte, von wo aus eine Straßenbahn in die Hamburger Innenstadt fuhr – die ursprüngliche Absicht, die Bahn bis Rothenburgsort und von dort mit einem Anschlussgleis zum Deichtormarkt zu führen, wurde nie umgesetzt.

So kann nicht überraschen, dass wegen schlechter Nutzung (auch durch den zunehmenden Lkw-Transport verursacht) und entsprechend hohen Zuschussbedarfs schon vor der Fertigstellung über  die Stilllegung diskutiert wurde – letztlich fuhr die Bahn aber doch bis 1952 (siehe Krüger, S. 126ff., S. 161f.).

Über 60 Jahre später kann man trotz allem sagen, dass der Bau der Hamburger Marschbahn sinnvoll war: der ehemalige Marschbahndamm existiert noch zwischen Tatenberg und Altengamme (Borghorst) und ist ein beliebter Radwanderweg.

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Die Hansa-Schule in der Revolution

Ferdinand Ohly, die Hansa-Schule während des ersten Jahrzehnts 1914/15 – 1924/25 im neuen Schulgebäude, S. 35

Man weiß nicht, was genau Ferdinand Ohly, Direktor der Hansa-Schule, dem Bergedorfer Arbeiter- und Soldatenrat vortrug – man darf vermuten, dass seine anti-revolutionäre Philippika sich nicht auf das Schulwesen beschränkte.

„Grundstürzende Änderungen“ sollte es im Bildungsbereich geben (siehe hierzu die Studie von Hildegard Milberg (online) und knapp zusammenfassend Rainer Nicolaysen, S. 232 – 243): in Hamburg hatte sich ein Lehrerrat gebildet, der u.a. die Schaffung der „Einheitsschule“, die Wahl von Schulleitern auf Zeit und die Abschaffung des Religionsunterrichts forderte (BZ vom 9. und 13. November). Ohly wird dies gewusst (und alles missbilligt) haben, als er seinen Auftritt im Bergedorfer Arbeiter- und Soldatenrat hatte, zumal ein Lehrer der Hansa-Schule (Lorenzen) laut Ohly (S. 38) dem Lehrerrat angehörte. Spätere Beschlüsse des Lehrerrats sahen auch die Aufhebung des Schulgeldes an allen Schulformen und die Abschaffung der zu den höheren Schulen führenden Vorschulen vor (BZ vom 28. November), was die Hansa-Schule natürlich mitbetraf.

Bergedorfer Zeitung, 11. Dezember 1918

Einem weiteren Reformvorhaben konnte Ohly hingegen zumindest im Nachhinein etwas abgewinnen: die Schaffung eines Elternrats nannte er „einen glücklichen Gedanken“ und lobte die Zusammenarbeit „zwischen Elternhaus und Schule“ (Ohly, S. 38). Seine Einschätzung, dass im Elternrat „die verschiedenen Gesellschaftsschichten und Berufe“ vertreten waren, kann sich allerdings nur auf die Schichten bezogen haben, aus denen die Hansa-Schüler stammten, denn z.B. Handwerker und Arbeiter sucht man vergebens.

Bergedorfer Zeitung, 10. Dezember 1918

Die Untersagung des Religionsunterrichts schlug hohe Wellen in evangelischen Kreisen, weil dieser in den Hamburger Staatsschulen eben ein evangelischer war – darauf hatte sich die Landeskirche verlassen und protestierte nun heftig  (hierzu Milberg, S. 128ff.).

 

Bergedorfer Zeitung, 24. Dezember 1918

Auch die (Eltern-)Basis der Hansa-Schule machte mobil bzw. wurde mobilisiert und kritisierte die Verordnung „nicht allein als gewaltsam und undemokratisch, sondern auch als durchaus unnötig“ (!), sie forderte die Schulleitung sogar auf, sich darüber hinwegzusetzen (was sie letztlich nicht tat): die Legitimation des Arbeiter- und Soldatenrats zu diesem Eingriff in Elternrechte wurde in Abrede gestellt, und die „zuständigen Stellen“ sollten auf Aufhebung der Verordnung drängen, was nebenher belegt, wie unklar damals Zuständigkeiten und Beschlussrechte waren.

Das zeigte sich auch in einem anderen Bereich der Schulpolitik: nach Hildegard Milberg (S. 110ff.) stimmte sich der Lehrerrat mit der Bildungskommission des Arbeiter- und Soldatenrats ab, diese wiederum mit der Oberschulbehörde und die mit dem Senat. Der Senat legte der Bürgerschaft im Dezember einen Antrag (wieder) vor, der nur in Teilen den Lehrerrats-Beschlüssen entsprach: Abschaffung des Schulgelds an den Volksschulen ab 1919 und Abbau der Vorschulen ab 1920. Das ging aber dem Arbeiter- und Soldatenrat nicht weit genug: er setzte diesen Punkt von der Tagesordnung der Bürgerschaft kurzerhand ab – mit der Folge, dass es vorerst keine Gesetzesänderung gab und weiterhin Schulgeld zu zahlen war. Den maßgeblichen Kreisen der Hansa-Schule wird das durchaus recht gewesen sein.

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Die Rückkehr der Truppen und die Demobilmachung

Bergedorfer Zeitung, 5. Dezember 1918

Kurz nach Ende des Krieges wurde Bergedorf wie viele andere Orte zur Begrüßung der „heimkehrenden Krieger“ mit Fahnen, Girlanden und Ehrenpforten geschmückt – in Sande war dies offenbar weniger oder gar nicht der Fall, wenn man nach dem eingesandten Artikel geht.

Weder Bergedorf noch Sande waren Garnisonsorte, d.h. es waren hier keine Truppenverbände stationiert. Nur einmal berichtete die BZ über die Rückkehr einer geschlossenen Formation, als die Reste zweier Radfahrkompagnien des 9. Jägerbataillons aus Ratzeburg per Lkw (die Fahrräder hatte man bereits abgegeben) in Bergedorf Station machten. Die freundlich empfangenen Soldaten wurden für die Nacht in Quartieren in der Stadt untergebracht (BZ vom 10. Dezember) – ob dies Privatquartiere waren oder wie z.B. in Hamburg auch Schulen (hierzu und zum Folgenden Fabian Krahe (S. 267)) ist nicht bekannt.

Das Infanterie-Regiment 76, in dem die meisten Bergedorfer dienten, kehrte erst vom 14. bis 16. Dezember nach Hamburg zurück – von insgesamt 19.899 Soldaten des Regiments waren 2.467 gefallen, 6.819 verwundet worden und 1.189 wurden vermisst (Herbert v. Sydow, S. 217). Die Demobilmachung, d.h. die Entlassung der Soldaten, begann bereits am 15. Dezember, noch vor dem offiziellen Empfang durch den Arbeiter- und Soldatenrat sowie den Senat (Hugo Gropp, S. 364-367).

Im Dezember inserierte eine Reihe von Betriebsinhabern in und um Bergedorf, dass sie nach Entlassung vom Militär ihr Geschäft wieder aufnähmen. Sie gehörten wohl zu denen, die den Krieg unversehrt überstanden hatten:

BZ, 11. Dezember 1918

Auch der Leiter der Musikkapelle des Wachtkommandos Geesthacht, ein Herr Dürand, war schnell ins zivile Leben zurückgekehrt: er wollte sich als Leiter eines noch zu gründenden Frauenchors versuchen (Anzeige in der BZ vom 30. November) und ließ sich dann mit einer Musikschule nieder. Ob dies von Erfolg und Dauer gekrönt war, lässt sich nicht sagen – in den Adressbüchern der folgenden Jahre ist Dürand nicht verzeichnet.

Bergedorfer Zeitung, 19. Dezember 1918

Die Demobilisierung hatte aber auch eine wirtschaftliche Seite: war mehr als vier Jahre lang die Heeresversorgung oberste Priorität, so fiel das Militär als Nachfrager nun weitgehend aus und peu à peu wurde „im Auftrage des Reichsamts für die wirtschaftliche Demobilmachung“ für verschiedene Güter die Beschlagnahme aufgehoben, was z.B. Radfahrer sehr begrüßt haben werden.

Es sollte aber noch lange dauern, bis sich die Versorgung der Bevölkerung – insbesondere mit Lebensmitteln – wieder normalisiert hatte.

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Das große Loch in der Brauerstraße

Bergedorfer Zeitung, 13. Dezember 1918

Vermutlich war der Leserbriefschreiber „Hgs“ ein betroffener Anlieger – es könnte laut  Bergedorfer Adressbuch 1915 der Ingenieur Carl Hennings, Brauerstraße 141, gewesen sein, und man kann seine Verärgerung verstehen: ein gutes Vierteljahr zuvor war diese Bodensenkung von zwei Metern Tiefe in der Nähe der Badeanstalt eingetreten (BZ vom 3. September 1918), seit dem 2. Oktober war „wegen Sielaufgrabung“ der Abschnitt zwischen der Sander Straße und dem Weg bei der ehemaligen Vereinsbrauerei für den Wagenverkehr gesperrt (BZ vom 2. Oktober 1918 – zur Örtlichkeit siehe die Karte 1904).

Die kritisierte Absicherung der (ruhenden) Baustelle dürfte heutigen Vorschriften sicher nicht genügt haben – die befürchteten Unfälle scheinen aber ausgeblieben zu sein, denn desbezügliche Meldungen waren nicht in der BZ zu finden, genauso wenig allerdings (bis Ende des ersten Quartals 1919) eine Bekanntmachung oder einen Bericht über den Abschluss der Arbeiten. Das Loch ist jedenfalls (Stand 2018) verschwunden, genau wie die Flussbadeanstalt und die Vereinsbrauerei.

Der Leserbriefschreiber vermutete Mangel an Arbeitskräften als Grund für den Stillstand der Arbeiten – ein Mangel, der mit der Demobilisierung der Soldaten nicht nur verschwand, sondern sich in das Gegenteil – Arbeitslosigkeit – verkehrte.

Wie Hennings letztlich an seine Kohlen kam, ist unklar: die Lieferung wurde ja zusätzlich erschwert durch die Sperrung der maroden Billebrücke. Vielleicht kamen sie ja auf dem Wasserweg.

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Der Kampf um die Stimmen der Frauen

Im November/Dezember 1918 waren Frauen heftig umworben, denn sie sollten das Wahlrecht erhalten. Schon am 9. November hatte die neue Regierung Ebert verkündet, dass „alle über 20jährigen Staatsbürger beider Geschlechter mit gleichen Rechten“ (BZ vom 10. November) die konstituierende Nationalversammlung wählen durften, und die Grundsätze der allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahl sollten nach einer Bekanntmachung des Arbeiter- und Soldatenrats Hamburg ebenso „für alle das Volk vertretenden Körperschaften in der Stadt Hamburg, ihrem Landgebiet und dessen Gemeinden“ gelten (BZ vom 19. November).

Bergedorfer Zeitung, 17. Dezember 1918

In Bergedorf schien die Aufklärung der Frauen über ihr Wahlrecht zunächst eine Frauenangelegenheit zu sein, und besonders zu nennen ist dabei Erna Martens, die Leiterin der Luisenschule: allein im Dezember wurde sie  für insgesamt vier „parteilose Versammlungen“ (BZ vom 18. Dezember) in den Landgemeinden als Rednerin angekündigt. Ihr Thema lautete jeweils „Wahlrecht und Wahlpflicht der Frauen“.

 

Bergedorfer Zeitung, 22. November 1918

Schon im November hatte der Bergedorfer Frauenverein in einer Veranstaltung „Aufklärung über die staatsbürgerlichen Pflichten der Frau der Gegenwart“ geboten, auch der Bergedorfer Verein für Frauenstimmrecht zu einer Versammlung geladen. Der „Wahlwerbeausschuß Hamburger Frauenvereine, Bezirk Bergedorf“ hielt im städtischen Gebäude des ehemaligen Hotels „Stadt Lübeck“ täglich außer sonntags Sprechstunden ab und organisierte Frauenversammlungen, u.a. mit Erna Martens (BZ vom 23. und 27. Dezember).

Neben der politischen Bildung bzw. Aufklärung werden all diese Veranstaltungen die Zuhörerinnen in Richtung der bürgerlichen Parteien gelotst haben, aber auch die (neuformierten) Parteien umwarben die Frauen: bei den Veranstaltungen der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der Deutschen Volkspartei (DVP) sprach meist auch eine Referentin. Bei den Vorstandswahlen der aus den Vereinigten Liberalen hervorgegangenen DDP Bergedorf wurden fünf Frauen in den Vorstand gewählt – die zehn Männer hatten allerdings die Mehrheit. Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und die DVP bildeten Ortsgruppen erst im Januar bzw. Februar 1919, waren aber schon vorher mit öffentlichen Veranstaltungen präsent.

Man schien sich aber weitgehend mit der bürgerlichen Frauenschaft zu begnügen – nur von einer DDP-Rednerin, Frieda Radel, waren Sätze zu lesen, die an den Damen der besseren Kreise vorbeigingen: sie forderte Arbeitslosenunterstützung auch für Frauen und wandte sich „gegen die zunehmende Feindschaft gegen die Frauenarbeit“, lehnte sozialdemokratische Klassenpolitik aber entschieden ab (BZ vom 18. Dezember).

Man mag sich fragen, wo bei all diesen Aktivitäten die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und die von ihr abgespaltene Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) waren, denn das Frauenwahlrecht war ja eine der langjährigen Forderungen der Sozialdemokraten – über die (in Bergedorf sehr kleine) USPD ist in dieser Hinsicht nichts bekannt; in der SPD merkte man recht spät, dass man den bürgerlichen Aktivitäten doch besser eigene entgegensetzte und lud für den 5. Januar zu einer Serie von „öffentlichen Frauen-Versammlungen“ in den Landgemeinden ein (BZ vom 31. Dezember).

Der Spartakusbund tauchte in Bergedorf bis zur Wahl überhaupt nicht auf, das Zentrum lud nur einmal zu einer Versammlung, die sich aber nicht speziell an Frauen richtete.

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